29.4.07

29.04.07
Working Poor I
Zufällig gerate ich in ein Gespräch über den Fall einer Angestellten. Sie kommt mit ihrem Verdienst nicht mehr zurecht, mindestens 1200 € netto. Sie ist verschuldet. Ihr Sachbearbeiter in der Bank gibt ihr den Rat, einen 400-€ Job anzunehmen. Die Männer sprechen gerne mit ihr. Sie ist tätowiert In der Firma ist sie ein Kommunikationsknoten. Sie ist nicht auffallend unfähig. Aber sie liebt radikale und einfache Lösungen. Was man nicht mehr braucht, das schmeißt man weg. Kuchen, die bei einer Feier nicht verkauft werden, werden weggeworfen, Blumen der Dekoration auch. Statt Geschirrspülen gibt es Plastikgeschirr. Das Kilo Kaffee für die Automaten 16 €. Sauberkeit ist wichtig, ihr wird viel geopfert. Ihren maßlosen Forderungen für ihre Einrichtungen in der Firma wird normalerweise entsprochen. Sie passt in eine allgemeine Mentalität: Wenn man etwas macht, dann macht man es gleich richtig. Altes Zeug schmeißt man raus.
Einen Urlaub kann sie sich nicht leisten, für sie denkbar wäre, wie sie sagt, nur ein Aufenthalt im Fünfsternehotel.
Um die Dreißig ist sie auf der Suche nach einer festen Beziehung. Dafür mietet sie eine Wohnung, stattet diese mit viel Geld aus, gibt Feste. Aber es lohnt sich nicht. Am Ende zieht sie wieder zu ihrer Mutter, hoch verschuldet.
Ihre Konsumwut ist unökonomisch, aber trotzdem funktional für unseren Kapitalismus. Sparen würde die Konjunktur nur abwürgen. Der Bankangestellte sieht das richtig und systemkonform, wenn er sie nicht zum Sparen, sondern zur Mehrarbeit auffordert.
Während in der traditionellen Arbeiterkultur ein Großteil der Genüsse darin bestand, sich etwas erspart zu haben, besteht für sie und viele andere der Genuss darin, sich etwas geleistet zu haben.
Die neue Wohlstandskultur ist ein Fass ohne Boden. Je mehr der Lohn steigt, desto mehr wird ausgegeben. Desto mehr muss dafür gearbeitet werden. Desto mehr wird an natürlichen Ressourcen verbraucht.

Working Poor II
Eine Frau lebt von Berufsunfähigkeitsrente. Dazu arbeitet sie noch nebenher. Kommt so auf über 1000€. Aber sobald sie etwas Geld zusammenhat, kommen ihr Exmann und ihr Sohn und geben ihr Geld aus. Sie verschulden sich durch Bestellungen usw. Sie vereinbart mit einer Finanzbetreuerin, dass ihr nur noch zweimal 50€ pro Woche von ihrem Konto ausbezahlt werden. Nach einiger Zeit hat sie die Schulden zurückbezahlt. Jetzt steigt aber die Telefonrechnung ins Unermessliche. Es wird mit ihr vereinbart, die Telefonleitung zu kappen. Ihr Exmann überredet sie, einen Handyvertrag abzuschließen. Bald hat sie Schulden durch Handy, Nebenkosten und anderes von über 4000€. Um eine weitere Ausbeutung durch ihren Exmann zu verhindern, erklärt sie sich bereit, sich für geschäftsunfähig erklären zu lassen. Jetzt bekommt sie durch eine Sozialarbeiterin jede Woche einen Betrag von 50€ für Essensausgaben. Wohnung wird über die Finanzbetreuerin bezahlt. Das erscheint aber der Sozialarbeiterin zu wenig und sie schreibt die lokale Presse an, bittet um Spenden. Prompt werden ihr 800€ überwiesen. Als erstes kauft sie sich davon eine Brille für 250 € und verdoppelt das Essensgeld auf 100€ pro Woche. Die Party geht weiter.

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