26.1.09

LANZMANNS SHOA

In der FR ein verstörendes Interview von Carsten Hueck mit Claude Lanzmann. Dieser meint

Jüdisches Leben ist in bestimmter Hinsicht wertvoller als je zuvor. Ehud Barak ist sich sehr klar darüber." Lanzmann atmet tief durch. Was denkt er zum Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit? "Ohne Bedeutung. Was wäre denn ein stimmiges Verhältnis im Krieg? Ein toter Palästinenser, ein toter Israeli? Zwei tote Palästinenser, zwei tote Israelis? Nein, so geht das nicht. Im Augenblick sind wir in einem Zustand kompletten Wahnsinns. Man will losschlagen, und sofort muss man die so genannte humanitäre Hilfe auf den Weg bringen." Ist ein Frieden mit der Hamas überhaupt denkbar? "Die wollen keinen Frieden. Auch nicht zwei Staaten. Sie haben nur das Ziel, Israel auszuradieren. Sie verschwenden keinen Gedanken an Menschenleben. Genau das Gegenteil der Israelis. Der Hamas ist das Schicksal des Volkes gleichgültig. Während sie schreien, Israelis seien Kindermörder, benutzten sie ihre Kinder als Kamikaze."

Zweifellos ist Lanzmann maßlos arrogant. Die Frage ist nur, ob er ein Recht dazu hat. Er ist ein Macho übelster Art. Aber das zählt nicht, wenn er in der Sache, die er vertritt, ein Recht hat. Die Shoa ist für ihn Lebensthema, schlimmer noch, seine Entdeckung, geworden. So wie er spricht, ist es ein Blankoscheck für alles.
Ich bin genauso banal wie die anderen Deutschen. Diese wollen einfach gut sein (oder wenigstens nicht im Unrecht sein …). – Wenn das so einfach wäre. Also – banal wie sie – kommt mir das Wort „Versöhnung“ in den Sinn. Aber es ist idiotisch von uns Deutschen, von den Juden zu verlangen, sie sollen sich doch endlich mit uns versöhnen. Merkwürdigerweise – es hat auch kein Deutscher die Juden gebeten, sich doch bitte mit den Deutschen zu versöhnen. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern. Als sich Brandt in Warschau niederkniete, haben sich die Menschen aus dem Milieu, aus dem ich kam, darüber mokiert.
Als Nachgeborener hatte ich es einfacher. Ich bin ich, und nicht verantwortlich, was mein Volk damals getan hat. Das ist die moderne Fassung von individueller Schuld und Verantwortlichkeit. Ich bezweifle inzwischen, ob sie taugt. Die Schuld wirkt weiter, ob ich nun als Individuum Täter war oder nicht. Irgendwie sind die Deutschen in sie verstrickt. Sei es, dass sie sympathisiert haben oder dass sie keinen Widerstand geleistet haben. Die harmloseste Variante erlebt man bei sich selber, wenn Menschen zu Opfern werden, es schwer oder gefährlich ist, ihnen zu helfen und man ihnen für den Opferstatus selber die Schuld gibt.
Der Schuld zu entkommen gibt es neben anderen vor allem zwei Varianten: den Opportunismus – das ist der Philosemitismus der deutschen Eliten – oder die Projektion. Die Projektion wirft den Schuldvorwurf zurück. Im Falle Israels ist das leicht. Vielleicht benimmt sich Israel deswegen so arrogant, weil es sich so „normalisiert“, einen aggressiven Kontakt provoziert, das Spiel von Vorwurf und Gegenvorwurf in Gang setzt. Vielleicht ist paradoxerweise ein Bekenntnis zum Antisemitismus eine Voraussetzung zur Versöhnung. „Ja wir hassen Euch als Juden, weil Ihr im Namen der Juden Verbrechen begeht.“

16.1.09

ANTIFA

ist eine Horde elitistischer Jugendlicher, die durch eine billige Antifahaltung moralischen Mehrwert absahnen. Mit „links“ kann man bestenfalls ihre Stellung im deutschen Bürgertum beschreiben. Mit Sozialismus haben sie nichts zu tun. Ein Sozialismus, der nicht von Arbeit – und Arbeitern – ausgeht, ist nur eine Propagandavokabel, mit der man Menschen ködert und täuscht.
Vorwiegend im Osten von Deutschland aktiv, zeigen diese, wie nach dem materiellen Ausverkauf dieses Landstrichs auch der geistige Ausverkauf stattfindet. Da die Demokratie eine Farce ist, begründet auf der Enteignung der Massen und Ersetzung von Autonomie durch die Shows der intelligenten Mittelschicht, verschiebt sich die politische Auseinandersetzung auf Ausgrenzungspolitik. In schwankender und materiell abhängiger Lage, im finanziellen und geistigen Blasenschaum, versucht sich die „Antifa“ durch die Macht und Sichanheften daran zu stabilisieren. So wie sich die pubertäre „Republik“ an die Siegermächte angeheftet hat, so das pubertäre Aggressionsangstgemisch an die vermeintlich moralisch Höherwertigen, in dem Fall die Juden
.
Dabei so scheint mir, werden sie benutzt und teilweise wohl auch bezahlt. Aber wie verträgt sich das mit den Attacken auf Polizei? Mit diesem Aktivismus für die Proteste im durchkorrumpierten Griechenland und ihre Juwelierhändler? Ich staune. Aber vielleicht haben sie die gleichen Gefühle für die Menschen in Gaza wie ich für randalierende Juwelierssöhne.
In der Tagesschau erklärt uns jetzt der Israeli Richard Chaim Schneider die israelische Politik. Ich schalte dann immer auf AlJazeera um und verstehe, worum es geht. Wenn man ein Volk schon nicht ausrotten darf, so soll es wenigstens politisch verschwinden. Barak – in Eigenpropaganda „kein netter Kerl, aber ein Führer“, ein
Mörder – will ja „Frieden“. Es soll endlich Ruhe herrschen.
Die deutschen Eliten sind vereint im „Antifaschismus“, also dieser eleganten Lösung, deutsche Schuld mit palästinensischem Land und Leben zu bezahlen. Wie hochmoralisch und überlegen gegenüber diesen bärtigen „Radikalislamisten“, wie unsere Staatspropaganda tönt. Nicht einmal diskutiert werden soll über Gaza, wie der Fall Will zeigt. Wahrscheinlich sind die Menschen nicht reif genug für ihre Demokratie.
So hat der Krieg gegen Gaza auch sein Gutes: Es zeigt, wie die Herrschaftsverhältnisse hier sind und wie der Rassismus, die Verachtung der Menschen anderer Kulturen, offizielle Politik ist. Es zeigt auch, wie damals nach 33 dieser Rassismus die Gesellschaft ergreifen konnte. Heute nicht durch Dekret, sondern über stillschweigende Übereinkommen. Interessant die Nachrichtensprache, interessant wie Steinmeier die perfektere Abriegelung von Gaza anbietet, wie Diskussionssendungen in den Staatsmedien zu Propagandashows degenerieren.

Warum rege ich mich darüber auf. Warum nicht über die mehrfache Zahl von Choleratoten in Zimbabwe usw.? Latenter Antisemitismus? Wäre ich Antisemit, hätte ich 1133 (-13) Gründe mehr bekommen, ein solcher zu sein. Aber es ist diese selbstverständliche und waffenliefernde Solidarität der deutschen Eliten mit Israel gegen die kolonisierten, wehrlosen und vertriebenen Palästinenser, die mich erregt; dieser Rassismus aus Arroganz und Menschenverachtung.
Ich wünsche den Palästinenser Frieden und Gerechtigkeit.

6.1.09

GAZA

Der Krieg von Israel gegen Gaza löst bei mir Gefühle von Wut und Ohnmacht aus – eine Frase, die ich derzeit zu präzisieren nicht die Gelegenheit habe. In dem Versuch, eine Stellungnahme zu schreiben, die ohnehin kaum jemand liest, stoße ich auf Schwierigkeiten in mir. Die Sache ist moralisch gesehen ganz einfach: Israel ist ein Staat des organisierten Raubmords. Die Araber, die sich ihrer Vertreibung und der Landnahme widersetzen, werden ermordet. Gaza, in der Bevölkerungsdichte Berlin vergleichbar, ist wirtschaftlich nicht autonom lebensfähig. Es ist ein großzügiges Flüchtlingslager. Daraus ein Manhattan, ein Hongkong oder Singapur zu machen, fehlen die Voraussetzungen – wie sie eben überall in der Welt fehlen. Glücklicherweise.
Was aber hält mich auf der einen Seite ab, dazu Stellung zu nehmen, bewegt mich aber auf der anderen Seite, dazu Stellung nehmen zu wollen? Was sich in Palästina ereignet, ist doch dasselbe, was auch an der Arbeiterklasse bei der ursprünglichen Akkumulation vollzogen worden ist, was sich bei den kolonisierten Völkern abgespielt hat und noch heute, wo Menschen mit Gewalt oder Tricks vertrieben werden.
Der Unterschied bei Gaza liegt in dem antisemitischen „Komplex“, in dem wir uns bewegen. Wie kommt es, dass die deutsche Elite proisraelisch ist, bestenfalls von Frieden faselt? Ist es ihre instinktive Verbundenheit mit Klassenherrschaft, die in abgewandelter Form im Nahen Osten praktiziert wird? Sicher. Aber während andere europäische Regierungen immer noch etwas Distanz waren – die ekelhaften Umarmungen der EU-Repräsentanten mit Livni vergess ich mal –so zeigt sich doch Merkel mit ihrer Schuldzuschreibung an Hamas scheinbar gnadenlos blöd. 20 Tote durch die Kassamraketen, 1200 durch die Israelis in der gleichen Zeit. Das zu übersehen, ist durch mehr bedingt als durch Klasseninstinkt oder Zynismus.
Ich entdecke in mir, wenn ich gegen diesen Block anschreibe, die Angst, als Antisemit denunziert zu werden. Es ist so. dass jeder, der hier in Deutschland nicht proisraelisch ist, als potentieller Nachfolger der Nazis behandelt werden kann. Diese Schuld, die sich die Deutschen aufgeladen hat, zwingt zu Verdrängung oder zur Distanzierung. Die nachfolgende Generation hat anscheinend nur die Chance zu demonstrieren: „Nein, wir hassen die Juden nicht, wir fürchten sie nicht, wir lieben und verehren sie.“ In meiner Jugendzeit war ein Autor für mich allein durch sein Judentum interessanter, verehrenswerter. Nicht immer, dass ich vorher darum wusste. Es ergab sich auf Grund des speziellen Ambiente der jüdischen Literatur und Philosophie: das Individuum in einem kritischen und gebrochenen Verhältnis zu seiner sozialen Umgebung. Und so schätzte ich hoch ein: Freud, Neumann, Parin, Adorno, Horkheimer, Marcuse, Marx, Kafka, Döblin, Zweig, Mahler usw. usw.
Es war also nicht nur dieser geheime Versuch, sich der Schuldfrage zu entledigen, was mich in diese Richtung führte, sondern auch ein ähnliches Lebensgefühl. Damals war ich aus der mir bis dahin eminent wichtigen Religion ausgetreten und befand mich in einer kulturell isolierten Lage.
Heute denke ich, dass ich falschen Vorbildern aufgehockt bin. Die realen Probleme der Arbeiterklasse, beschreibbar durch Klassengesellschaft, Demütigung in Arbeit, gesellschaftliche Beherrschung durch Marktkapitalismus, Medien und Intelligenz, und wie sie sich daraus lösen kann, werden durch sie nicht gelöst. Ihre Methode ist die individuelle Emanzipation, etwas, was einer Arbeiterklasse insgesamt nicht möglich ist, eine bürgerliche Sackgasse.
Das andere Problem der Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld besteht darin, dass der Faschismus, dem ja auch ein Teil der Arbeiterklasse folgte, nicht nur eine moralisch zu beseitigende Erscheinung ist, sondern es gilt, seine berechtigten Ursachen zu begreifen - also die Bedeutung der Gemeinschaft und Gesellschaft für das individuelle Handeln.

Wie kommt es nun, dass eine Kritik Israels in Verbindung mit diesem Schuldkomplex eine solche Angst erzeugt? Die psychoanalytischen Antisemitismustheorien verankern diese Angst im Unbewussten. Auf die Juden wird die eigene Aggression projiziert und kehrt als Gefahrenangst wieder ins Bewusstsein. Aber ich denke, dass diese „Realangst“, in der die Juden Kindermörder, Brunnenvergifter usw. sind, immer eine durchsichtig demagogisch geschürte war.
Wenn ich vor den Juden Angst habe, dann im Zusammenhang mit dem Holocaust. Dieser verlangt Rache und Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeit durch Gericht ist nicht möglich, teilweise weil die Massenmörder entkommen sind, die Schuldfrage nicht klärbar ist, ein Mord nie gesühnt werden kann. Es der Gerechtigkeit eines Gottes zu überlassen, bleibt real folgenlos. Sühne und Rache wie auch immer stehen noch aus.
Der Kalte Krieg hat die Fantasie der Auslöschung Deutschlands enthalten. Das wäre eine adäquate Rache gewesen. Seit 1989 hat sich die Situation verändert. Die Rache muss eine andere Richtung annehmen. Jetzt tritt der Plan von Großisrael in Kraft; die allmähliche Einverleibung von Syrien, Jordanien, Libanon, zuerst durch die Armee, dann durch Siedler, dann endgültige Annektion. Die Friedensabkommen haben nur das Ziel, die Weltöffentlichkeit zu täuschen und Waffen vom Westen zu bekommen. Nützliche Idioten wie Merkel usw.spielen brav mit. Die auf dem Gebiet lebenden Palästinenser werden in Ghettos untergebracht, schändlicherweise - so die Meinung von Antideutschen – am Leben gehalten von UNO.
Was kommt nach Großisrael? Die Rachsucht verselbständigt sich und wird nie ein Ende finden. Auch wenn sich die mehrfache Zahl von Deutschen zu den Toten von Auschwitz legt.
Ein Hauptmoment in der Konstruktion des Antisemitismus spielt die Übernahme der christlichen Religion durch den Westen. Weniger weil das paulinische Christentum, als was es sich durchgesetzt hat, selber antijüdisch war („die Synagoge des Satans“), sondern weil es das in ihm enthaltene jüdische Erbe verraten hat. Nicht nur dass der jüdische Gott allein der des Volkes Israel, seines auserwählten Volkes, war und sonst keines anderen. Es war – jeder Christ muss das wissen – die Intention von Jesus, nicht ein Jota des jüdischen „Gesetzes“ zu verändern.
So hat sich der Westen eine Religion angeeignet, die er sich vorher aufklärerisch vernünftig zurechtgelegt hat – dazu bieten die Evangelien ja viel Material. Aber er hat sich bei der „Bekehrung“ nicht von dem gefährlichen und dogmatischen Kern der jüdischen Religion trennen können: der Auserwähltheit, der Rachsucht, den Dogmen, dem Opfer, dem Antihumanismus. Diese Bestandteile kehren als Antisemitismus wieder.
Es sind gerade die Juden, die sich von ihrer Religion getrennt haben, die etwa wie Freud einen neuen Humanismus begründet haben, die den Schritt aus der Gewissheit und Geborgenheit der Ethnie in eine neue Welt gegangen sind. Dass ihr Modell für die Weltpolitik folgenlos blieb, dass sich solche Monster ausbreiten können, hätten sie nicht erwartet, außer im Spiel der Fantasie und der Alpträume.