10.12.10

Revolution?

Hat es Sinn auf Krisen dieses Systems zu warten? Die Finanzkrise kann sich wiederholen. Irgendwo hat die Geldmaschine vielleicht ein Ende, die Kredite werden nicht mehr zurückbezahlt, die Banken gehen in die Insolvenz, der Waren-Produktionskreislauf unterbricht, stockt. Aber es lässt sich auch ein Kapitalismus ohne Finanzkapital vorstellen. Das Finanzkapital ist ihm zwar sehr förderlich, schafft Grundlagen der Expansion, wenn auch immer mit Blasen, die platzen können; Überakkumulation. Eine Depression infolge ausbleibender Finanzierung, seien es Bankenblasenpapiere oder Staatsschulden, verschärft die sozialen Konflikte. Einen Geschmack davon war in letzter Zeit zu bekommen. Der offene Sozialdarwinismus wird wachsen. Antworten darauf gehen aber bis jetzt übers Moralische, Rechtliche, die Caritas der Mittelschicht nicht hinaus. Politische Forderungen nach wirtschaftlicher Autonomie werden in der Öffentlichkeit nicht vernehmbar. Grundeinkommen etc. sind nur konsumistisch angedacht, eine liberale Spielform des Kapitalismus.

Abgesehen von zwei Problemen muss der Kapitalismus nicht in die Krise kommen; 1.) Fall der Profitrate durch Konkurrenz und der sich daraus ergebende Wachstumszwang, 2.) Grenzen des materiellen Wachstums, nicht des wertmäßigen – infolge Energieverknappung, Rohstoffverknappung. Es würde bedeuten, dass Produkte sich verteuern würden, körperliche Arbeit maschinelle ersetzen müsste. Für Deutschland mit seinen Domänen, einer Marktdominanz in High-Tech-Produkten würde das zwar langfristig Einschränkungen bedeuten, aber nicht für alle Bürger. Der Prozess, bei dem der für die Profitwirtschaft unrentable Bevölkerungsteil durch Schulselektion aus Berufsbildung und Beschäftigung herausgedrängt wird, würde weiter voranschreiten. Eine weitere Amerikanisierung der Sozialsysteme wäre angesagt, die Idee des sozialen Wohlfahrtsstaats paralysiert. (Was ich hier in einem gewissen Sinne auch betreibe, weil ich diese „Wohlfahrt“ als mit dem Verlust an Autonomie bezahlt ansehe). – Aber auch hier werden wohl nicht die Sozialisten und Demokraten gewinnen, sondern die Moralisten, die Sozialstaatler, also die mehr oder weniger linken Sozialdemokraten. Das Bündnis aus Linke SPD und Caritas.



Eine Revolution würde dagegen zum Ziel haben: 1. Rationierung der Rohstoffe, Energie, Natur – Garantie der Befriedigung der Grundbedürfnisse durch eine politisch gelenkte Produktion. 2. Demokratisierung der Produktion durch betriebsinterne demokratische Strukturen, durch Weiterbildung und Ausbildung. Träger dieser Prozesse wären aufgeklärte Lohnabhängige. Aufklärungsorgane könnten Gewerkschaften, Medien wie das Internet sein. Mittel wären Aufklärungs- und Argumentationskampagnen, Ausarbeitung einer Schritt-für-Schritt-Veränderung, Generalstreik.

3. Einrichtung von Gremien der Planung, die in der Lage sind ihre Modelle durch eine intelligente Einbeziehung der verschiedenen Variablen an die Realität anzupassen.

4. Politische und soziale Lernprozesse über exemplarische Demokratisierungsbewegungen.



Ich glaube nicht, dass es eine solche Bewegung geben wird. Es gibt zwar ein diffuses Problembewusstsein um den Zustand der Demokratie, der Ökologie - aber die davon Bewusstsein haben, sind gleichzeitig die, die sich zur Elite zählen und an diese Elite glauben. Und die, die davon Erfahrung haben, haben keine Möglichkeit, darüber politisch zu kommunizieren, sich zu äußern und sich um diese Themen zu sammeln. Ein an Demokratie und Gerechtigkeit orientierter Diskussionsprozess ist nicht möglich, der Diskurs der Experten und Sozialtechnologen dominant.



Was bleibt ist ein Rückzug auf die Reflexion, die Orientierung an Grundprinzipien von Autonomie, Demokratie und Gerechtigkeit ohne Aussicht auf praktische Bedeutung, ein credo quia absurdum.



...



Damit schließe ich diesen Blog als Fließbandblog ab. Anderswo beschäftige ich mich mit den Absurditäten des gängigen Bewusstseins.

15.3.10

Missbrauch von Priestern durch Gläubige

Die aktuelle Missbrauchs“debatte“ bleibt auf dem Niveau von Denunziation stehen. Im Verhältnis dazu sind Krimis schon ausgereifte Psychoanalysen. Es wird im Namen von Opfern geredet, ohne auch nur im Entferntesten deren Sicht wahrzunehmen. Bestenfalls ist die Rede von „zerstörtem Leben“, „Trauma“ – oberflächliche, behavioristische Begriffe.
In der Suche nach Schuldigen soll der Papst verantwortlich gemacht werden, so wie Hitler für die Verantwortungslosigkeit seiner Soldaten verantwortlich sein soll. Denke ich über die Erscheinung des Papstes nach, erinnert er mich an einen zurückhaltenden, schüchternen Ministranten, der von seinen Kusinen angehimmelt wird. Vielleicht ist das sein Trost, der das Zölibat kompensiert. Vielleicht ist er aber auch nur ein Mensch, dem es unerträglich ist, jemand neben sich zu haben, der gleichrangig und anders ist.
Ich habe Mitleid mit den Priestern, mit ihrem oft verkorksten Leben. Ich weiß etwas um die Sackgassen, in die sie durch Erziehung, die Pflege von falschem Stolz, die Erwartungen der Gläubigen verführt werden. Da ist die Mutter, die Haushälterin ihres Sohnes werden will, die Sexualität verabscheut, da sind die Betschwestern, die mit einem Kult der sexuellen Reinheit ihre Traumatisierungen verarbeiten, da sind die Gläubigen, die den Pfarrer für die Sakralisierung ihrer Familienfeste benutzen, da sind die Parteien und der Staat, die die „moralische Kompetenz“ der Kirche für ihr Image brauchen, da ist der Wahn, man wäre Gott gleich, wenn man keinen Sex hätte.
Die Statements des Papstes sind lustig. Ratzinger begründet seine Religionsphilosophie mit dem griechischen Idealismus, wie er von Paulus in das Christentum eingehämmert wurde bis hin zum kruden Manichäismus - Leib- und Körperfeindlichkeit. Krahl – selber wohl eher reflektierter Homosexueller - meint irgendwo, das idealistische Verhältnis von Form und Inhalt, Begriff und Materie bringe das Geschlechterverhältnis zum Ausdruck: die Frau das formlose und vergänglich Materielle, der Mann als der formende und sich im Reich der ewigen Ideen Bewegende. Die griechische Liebe zum eigenen Geschlecht entspricht dieser Bewertung.
Es gibt vieles im Christentum, was diese mehr oder weniger latente Homosexualität enthält: Die zwölf Apostel, die Männerbündelei und Männerverehrung, die Vermischung von Mann, Gott und Numinosem, ebenso wie die Frauen entsexualisiert, „unbefleckt“ gemacht werden. Elton John, trotz blödem Verhalten, hat nicht unrecht.
Pädophilie andererseits wird im aktuellen Geschwätz schon gar nicht zu begreifen versucht. Wir wissen gerade wegen einer nur forensischen Psychologie kaum etwas darüber, wie sie zustande kommt. Es hat wohl etwas zu tun mit Kontrolle und Kontrolliertwerden, mit Barrieren zum Erwachsenwerden, mit Sadismus. Ich höre aber keine Fragen dazu. Statt dessen Vorschläge zur Exklusion: mehr Kontrolle, Sicherheitsverwahrung, Verlängerung der Verjährungsfrist.
Die katholische Kirche, samt ihren Orden und Internaten, bilden ein kleines totalitäres Milieu, „totale Institutionen“, die sadistische und allmächtige Eingriffe ermöglichen sollen. Beichte, Verteufelung, Predigt sind ihre regulären Instrumentarien. Als Zollitsch sein Ultimatum verhängte, hat mich das lebhaft an meine Katholiken-Napola erinnert, den Zorn der sich als absolut setzenden Theokraten. Dieser Steuergeldprofiteur Sloterdijk hat nicht unrecht, wenn er vom Zorn als dem Zentrum der Religionen spricht; der Führungsstab der Kirche glaubt sich mit dem Zorn Gottes identisch.
Diese kleinen totalitären Milieus sind freilich nicht auf die Kirche beschränkt.

8.3.10

"FREUNDSCHAFTEN"

Wenn Freundschaften auseinandergehen, stellt sich für die zwei immer die Frage, woran sie zerbrochen ist und wer daran die Schuld hat. In meinem Fall waren es zwei Freundschaften. Die erste zwischen 15 und 20, die zweite so von 22 bis 25. Übrig geblieben davon sind bei mir ein Gefühl von Hass und Verachtung, aber noch mehr die Erfahrung, durch Sozialisations- und Charakterfehler zu den unbeliebten Menschen zu gehören. In meiner Interpretation lagen die Streitpunkte in der Klassendifferenz. Nicht dass ich Arbeiter war und sie bürgerlich – denn tatsächlich waren wir ja von Schule, Ausbildung mehr oder weniger gleich. Aber Vergangenheit und Zukunft unterschieden sich doch beträchtlich. Der Erste war Sohn eines CDU-Beamten, der andere der Sohn des Direktors eines Gymnasiums. Es waren die stürmischen Jahre von 65 bis 75. Übliche pubertäre Desorientierung, idealistische Anfälle, Opposition bei ihnen. Im Unterschied zu mir hatte ihr Ausbruchsversuch keine Basis. Während ich mir mein Studium durch Arbeit finanzieren musste, konnten sie mit elterlicher Unterstützung, Hochbegabtenstipendium … ein leichteres, wenn auch erfahrungsirrelevanteres Leben führen.Die Freundschaft mit dem ersten zerbrach nach meinen -etwas dümmlichen - Attacken auf die geliebten Wortspiele von Kierkegaard. Ein „Bekenntnis“ zu Gott war die Reaktion. Er hat sich in den Diskussionen nach 68 nach rechts orientiert, bedingt wahrscheinlich auch durch eine „Linke“, die ohne eigentlich sozialistisches Projekt, gegenüber anderen sich nur bürgerlich konkurrierend verhalten hat, deswegen auch so attraktiv für das jugendliche Bürgertum. Am Ende wurde er dann Richter in Karlsruhe, wahrscheinlich immer mit dabei, wenn es um die Exekution von Berufsverboten ging. Letzter bekannter Fall ein Urteil, ein Berufsverbot gegenüber einem Glatzköpfigen aus der Roten Hilfe, dieser staatsverliebten Antifafraktion. Das Urteil ein grauenhafter Stacheldraht aus jurisdiktierter Staatsideologie. Besser wäre gewesen, die Intention des Klägers, in der Schule sinnvolle demokratische Arbeit leisten zu können, in Frage zu stellen. – Immerhin wurde das Urteil dann von einer anderen Kammer wieder aufgehoben, was mich weniger für den Berufsverbotenen freut - denn jeder Lehrer ist ein Zulieferer des Kapitalismus, es sei denn er scheitert – als für diesen Richter, der sich als übereifriger Subalterner blamiert hat.Mit diesem Freund habe ich jugendliche Entwicklung geteilt, wo wir unsere Erfahrungen der Kindheit zu verarbeiten versucht haben. Diese Erfahrungen, wie die wohl der meisten Kinder, bestanden aus Zurechtweisungen, Schlägen, Demütigungen, Erfahrungen von Fehlerhaftigkeit und Ungenügen, sexueller Frustration und Blamage, Predigten von Ideologie verbunden mit Missachtung von Menschen. Für die Autoritäten, die uns umgaben, waren wir nur Gegenstand der Verachtung. Um uns davon abzugrenzen und eigenes Selbstbewusstsein zu entwickeln, sogen wir alle die neuen Strömungen der 60er auf: die Hippiebewegung in den USA, die Kirchenkritik eines Amery und Hochhuth, den Jazz, die neue Musik, die neuen Philosophien, alles was uns von den Alten abgrenzte und eine Basis gab, sie zu bekämpfen. Ich, der ich durch die scharfen Erziehungsprinzipien meines Vaters gelernt hatte, konsequent zu denken und mich den Ansprüchen der Autoritäten zu verweigern, ging rigide weiter als dieser Freund, der immer wieder das Gespräch und die Patronage dieser Chefs suchte, um dann als Richter ganz in diese geliebten Öffnung hineingekrochen zu sein. Er hat ein Studium gebraucht, um das für sich zu begründen.Der Zweite ist heute Zuträger eines protestantischen Bischofs, aktiv im Konfirmandenunterricht, der Pfarrersausbildung, banale kirchliche Sendungen im öffentlichen Rundfunk, die es mit der Welt nicht mehr aufnehmen, nur noch den Rückzug in die gottesgetröstete private Geborgenheit propagieren. Zwar gibt es vielleicht nur noch diese Möglichkeit, aber es ist eine Niederlage, letzte Überlebensmöglichkeit, ganz und gar nicht zu predigen und zu rechtfertigen. Wenn dann ein Tsunami, die ultimative Weltbarbarei nach dem Ende der Rohstoffe kommt und auch das noch zerstört, dürfen wir uns wieder trösten, denn Gott leidet ja mit uns.Der Gott, der den Tsunami veranlasste, so dass die Menschen zu Hunderttausenden vom Meer als Leichen ausgespuckt wurden, er kennt kein Mitleid. Welchen verzerrten Begriff des Guten mag jemand haben, der an die Erlösung der Welt durch einen sich opfernden Jesus glaubt. Der gnädige Gott, der den Geruch von Blut mag.Da redet einer von Mitleid, der es lustig fand, wie ich in einer Demo von prügelnden Polizisten eingekesselt - die neben mir drückten in Panik ein Schaufenster ein - meine Angst im Darm spürte. Solchen Erfahrungen aus dem Weg gehend gab er Mottos wie „Revolution ist kein Deckchensticken“ von sich, und: „Kampf der Lohnarbeit“, - was heißt: lass die blöden Arbeiter arbeiten. Heute redet er von den „Schweineställen dieser Welt“, wo er gewesen sein mag – aber sicher nicht als Schweineknecht. Seine Lustigkeit verstand ich damals nicht, heute schon: als die instinktive Identifikation mit den Herrschenden.Jetzt lebt er in einer Welt der schönen Worte, Bibelzitate und netten Geschichten. Wiederholt man sie nur oft genug, senkt sich das in die kindliche Seele, verströmt Urvertrauen und macht die Welt gut. - Sancta Simplicitas. Mich wundert es nicht, dass er sich für die Welt der Arbeit nie interessiert hat. Das Essen beschert uns der Herr Jesus, das Geld dafür kommt von Papa, Vater Staat oder dem lieben Gott. Das Böse ist bös. Die Beschäftigung mit der schmutzigen und widerständigen Wirklichkeit in Arbeit wird ausgeschaltet und durch schönes Geschwätz ersetzt, mit dem Bild des guten Gottes auf eine Abhängigkeitsgesellschaft eingestimmt, kritischer Verstand, die authentische Wahrnehmung durch Bibelzitate ersetzt.Der Arbeitergott, den ich anbetete, war notorisch missgelaunt, wenig idealistisch und gar nicht an schönen Sprüchen orientiert, dressiert auf das Wenige, was man ihm gelassen hat. Meinen Freunden war diese Welt fremd und ohne Herausforderung – eben unten. Der spätere Pastor hatte eine Theorie entwickelt, dass man Lohnarbeit zu verweigern hätte und hatte es tatsächlich geschafft, sich ohne eigene Arbeit, nur mit Hochbegabtenstipendium – Vater war ja Direktor seines Gymnasiums - und guten Gaben anderer Auto, Aufenthalte in der Schweiz und Italien zu finanzieren. Ich habe ihn bewundert – blöd wie die Proleten eben sind – aber es war dann nicht mein Weg. Mein Kopf ließ eine Versöhnung mit dem bürgerlichen Leben nicht zu, es hat mich auch niemand dazu eingeladen.Ohne Freunde zu leben hat zwei Seiten. Der Vorteil liegt in einer größeren Klarheit des Denkens, denn Wahrhaftigkeit und Freundschaft vertragen sich in der Regel nicht. Der Nachteil ist die Vereinzelung, einerseits zur politischen Bedeutungslosigkeit und miserablen Schwäche führend, andererseits auch in Launen, Sektierertum, Größenwahn, Menschenfeindlichkeit und Unerträglichkeit endend. Das Gefühl, abgelehnt, verachtet zu werden, dominiert und vergällt das Leben und macht es letzten Endes unproduktiv. Da ich mit niemand an diesem Projekt der Emanzipation der Arbeiterklasse[polytechnische Ausbildung, um mit „mittlerer Technologie“ autonom und in demokratischen Formen arbeiten zu können]produktiv zusammenarbeiten konnte, habe ich mein Leben notwendigerweise unproduktiv und in Negation verbracht.Zwar war das Projekt der „Education with Production“ in Zimbabwe ein Versuch, aber es wurde dann sabotiert durch: unsere Unbedarftheit an technischem Wissen, einem Mangel an Diskussion über Weg und Methode, die bürgerlichen Verhaltensweisen der Gruppe: solche, die nur Geld kassieren wollten, andere, die Diskussionen verweigerten und ihre eigenen Wege gehen wollten. Am Schluss ist es auch an dem Desinteresse der Schwarzen gescheitert, wie überhaupt von der Dritten Welt keine sozialistische emanzipatorische Bewegung zu erwarten ist, sondern Politik nur als Methode der privaten Bereicherung. Die wahren Demokraten dort verhungern, die Korrupten und Skrupellosen, die all diese schönen Phrasen von sich geben, überleben.Auch ich ging dann mit meiner Frau eigene Wege und widmete mich der Familienarbeit – diese biologische Uhr hat in uns allen getickt, dominanter als politisches Bewusstsein.Ich schließe damit den Blog ab. Überlegungen etwas anderer Art führe ich weiter in „Risse“.Vielleicht noch Überlegungen zur Zukunft der Arbeiterklasse.
MÄNNLICHER FEMINISMUS
Einer, mit dem ich mal Einiges zu tun hatte, ist heute Anwalt für Anliegen von Frauen gegen Männer. In der Justiz ist er aktiv auf der Seite der Frauen gegen die sie enttäuschenden Männer. Entzieht ihnen das Sorgerecht, macht sie alimentationspflichtig usw. - Ist eine solche Position des männlichen Feminismus glaubwürdig?
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit scheint ungerechtfertigte Verdächtigungen zu implizieren. Warum sollte es für einen Mann nicht einfach richtig und gerecht sein, die Sache der Frauen zu verteidigen und juristisch zu unterstützen? Ist es nicht Neid oder Machismo, der diese Unterstellungen begünstigt?
Was aber in seinem Fall sein Engagement zweifelhaft macht, ist die Starrheit und Feindseligkeit der Argumente im Kampf gegen das eigene Geschlecht. Er wirkt so unglaubwürdig wie ein Mann, der eine Frau spielen will.
Zunächst errinert er an die Psychoanalyse des hysterophilen Mannes mit Rettungsfantasien. Dieser macht sich die Sache einer Frau zu Eigen und unterstützt deren Anliegen bis zur Selbstverleugnung. Ursache ist auch hier wie üblich der Ödipuskomplex: die (sexuelle) Beziehung der Eltern wird als Kampf und Gewaltakt erlebt, bei der Mutter Schmerzen angetan werden. Schmerzen, für die sich der mit seiner Mutter verbundene Junge schuldig fühlt und deswegen Fantasien ausbildet, Retter und Ritter der unterdrückten, bedrängten und unglücklichen Frauen zu werden. Häufiges Korrelat dieser Rettungsfantasien sind sadistische Impulse gegenüber dem weiblichen Geschlecht, deren Genese wohl spezifische Gründe hat. Oft auch übernimmt dieser Mann mütterliche Funktionen gegenüber einer Frau.
Soweit eine primitivpsychoanalytische Erklärung a la Kuipers Neurosenlehre. Im Falle dieses Anwalts kommt wohl aber eine andere hinzu. – Das Akzeptieren der eigenen Männlichkeit ist problematisch. Einmal gibt es kein positives Rollenmodell mehr. Was früher männlich galt, zerfällt heute in anzweifelbare Eigenschaften: Überlegenheit, physische Stärke, Aggressivität, Willenstärke. Sie sind einem sensiblen Individuum, das sie ausübt, äußerlich geworden und repräsentieren es nur noch in einer fragwürdigen und unvollständigen Form.
Nimmt man etwa den Fall (s)einer auf Grund politischer Umstände zerbrochenen Familie: Vater im Ausland, die Mutter mit den Kindern in einer vollkommen neuen Umwelt. Der Vater wird für die Kinder zum Feind und sie werden Partei für ihre Mutter ergreifen - gegen alle Gefühle und Kantaktbedürfnisse, die sie gegenüber dem Vater empfinden mögen. Die sich daraus ergebende Idealisierung des Weiblichen soll diese gleichgeschlechtlichen Empfindungen unterdrücken. Nichtsdestoweniger bleibt die verdrängte Androgynität im Körper – zum Glück, denn sie macht uns verliebt, bringt Glanz, Leichtigkeit ins Leben, erlaubt die Regression auf unbefangene Kindlichkeit und Beziehung zu einer anderen Welt.
Als ich ihn im Gymnasium kennenlernte, war ich – vielleicht mehr als andere – ständig verliebt in Mädchen, voll Bewunderung für diese schönen Wesen, unglücklich darüber, sie nicht haben zu können. Obwohl wir nie darüber gesprochen haben, war das schöne Mädchen vielleicht ein gemeinsames Ideal. Er hatte damals schon eine Freundin, war motorisiert, mir in Männlichkeit nicht nur die vier Lebensjahre, sondern rollenmäßig Jahrzehnte voraus. Seine Männlichkeit äußerte sich mir gegenüber als Fürsorglichkeit – ein Beziehungsmuster, in das ich von Kind an bei Freunden geriet. Aber da waren auch Gemeinsamkeiten von Interessen für Musik bis Politik und Literatur, Themen einer platonischen Männlichkeit. Einer Männlichkeit, die sich aus dem unmittelbar Agieren des Bang-Boom-Bang in den passiven Bereich des Wahrnehmens, Empfindens und Reflektierens zurückzieht; konträr zu dem Verhalten, das bei den idealisierten Mädchen gefordert war: Action, Überzeugen, Überreden, Führen, möglichst motorisiert.
Aber auch wenn es nicht das eigentliche Glück war, das er verdient hätte – denn seine Freundin war sehr bodenständig, um sie nicht nur einen diskriminierenden Besen zu nennen, stammte aus dem städtischen Eliteviertel, aus dem noch andere prominente Linke herkommen – so brachte er doch beide Seiten auf die Reihe und als geborener Netzwerkarbeiter, der sich durch Beziehungen und Informationen zentrale Positionen eroberte, stieg er zuerst in der linksradikalen Szene auf, dann in der Uni als Assistent, später über feministische Umwege zum Prof. Sozial nie wirklich identifikationsfähig war er auf individuelle Karriere programmiert – die dafür notwendigen politischen Bekenntnisse blieben ihm äußerlich.
Vor 70 hatte ich ihm noch nötige Literatur und Sprachregelungen geliefert, mit denen er dann in die linke Szene einstieg und einer ihrer Bosse wurde. Später stellte ich mir vor, wie ich ihm die Fresse blutig polierte, nicht nur weil er sich als karrieristisches Schwein geoutet hatte und für seine Position zu jeder Infamie und Verrat fähig war, sondern mehr noch aus Scham, es mit einem solchen Typ zu tun gehabt zu haben.
Doch jede Idealisierung ist auch eine Identifikation. Kommunikation läuft über gemeinsame Standpunkte, Identifikationen. Die Errichtung des Bösen im Draußen entlastet zwar die innere Ambivalenz, aber verarmt sozial. Ein „Aus und Vorbei“ wäre eine Selbstverrat. Das Bessere lässt sich jedoch nicht in Erinnerung behalten ohne die Trauer über seinen Verlust.

Woher seine Härte gegenüber anderen Männer. Sicher, deren Verhalten ist nicht in Ordnung: sie kümmern sich zu wenig um die Kinder, lassen sich von Männerbeziehungen in Arbeit und Freizeit aufsaugen usw. usw. Aber warum macht er es zu seinem Problem? Er, der sich übler durchpowert als andere Männer? Ich nehme an, dass dies seine einzige Möglichkeit ist die Wut gegenüber Frauen zu balancieren, besonders dann, wenn sie überhaupt nicht mehr dem Ideal des schönen jungen Mädchens entsprechen.
Wie ist eine glaubwürdige Männlichkeit möglich? Sicher nicht über die Ausübung der traditionellen Attribute: körperliche Stärke, Überlegenheit, Aktivismus. Auch wenn sich diese durch die soziale Bestätigung und Erwartung undiskutiert einrasten. Die durch die feminine Sozialisation und Kultur negativ bewertete Männlichkeit - denunzierbar etwa als hormongesteuertes Aggressivität - behauptet sich durch Reflexivität, Spiegelzwang bis zur Handlungsunfähigkeit, Ausweichen in die Virtualität - vom Tagträumen bis zur Bewusstseinsindustrie von Film und Computer - als Rückzug und Handlungsverweigerung, aber auch als Diskurs über Gerechtigkeit und Alternativen.
Vielleicht ist Männlichkeit nichts anderes als menschliches Verhalten, das sich dem gegenüber von Frauen durch eine Mehr oder Weniger unterscheidet. Die Stereotypisierungen, die uns täglich unterlaufen müssten natürlich in den Diskurs oder notwendigen Streit eingehen, bevor sie in die Sackgasse von Trennung oder Absonderung einmünden.
Keine Lösung ist es, sich von den negativen Selbstattributionen durch Projektion auf andere „böse“ Männer zu befreien, wie es im Falle des männlichen Feminismus stattfindet.

10.7.09

Obszöne Geste

Michael Jackson streicht sich zwischen den Beinen. Was will er zeigen? Dass er sein Geschlechtsteil gerne hat, auf es aufmerksam machen will? Will er sexuelle Tabus brechen? Will er zeigen, dass er ein sexuelles Wesen ist? Ist es eine provokative Geste gegen die Infantilisierung seiner Person als Wunderkind? Will er sich von seiner Kindheit Kind absetzen? Ganz klar sein musikalischer Bruch zum Soul, Gospel und Rhythm & Blues seiner Kindheit?
Oder – wahrscheinlicher – ist es eine Geste, die etwas durch die Aufmerksamkeit der Fans real machen soll, was in der Selbstwahrnehmung gar nicht real ist. Irreal durch Schuldgefühle, unbewusste Selbsterfahrung eines zerstückelten und verunstalteten Körpers - klassische Kastrationsfantasie. Das Motiv des Exhibitionismus ist die Wiederzusammensetzung des kastrierten und verunstalteten Körpers durch das Auge des Beobachters. Etwa so: „Der andere sieht mich so, also bin ich so.“
Ebenso wie Michael Jackson de facto als Megastar bejubelt wird, aber sich gleichzeitig in seinen eigenen Augen als minderwertig fühlt, alles tut um sich zu perfektionieren, um am Ende bei der Verunstaltung anzukommen, von der er loskommen wollte.
1969 bei der Sprengung von Adornos Vorlesung – Krahl hatte sich zuvor im Abstraktionsgrad der freien Gegenrede über „Praxis“ als seinem Meister ebenbürtig erwiesen – zielte der Anführer der „Busenattacke“ – später gründete er ein Marktforschungsinstitut, das Reklamesprüche für Zigaretten- und Kaffeekonzerne entwarf – einem, der dagegen argumentierte, in dessen Weichteile, um von der Kastrationsangst zu reden, die man überwinden müsse und die der, der dümmlicherweise die Autorität Adornos verehre, immer noch habe. Frei nach dem Mauermotto, an dem ich täglich vorbeiging: „Lest Wilhelm Reich und handelt danach.“ Also „handeln“ meinte, irgendwas tun, Sex oder Sprengung von Vorlesungen, und dann wird alles gut.
Der oberflächliche Aktionismus war freilich nicht mehr als Geste, die Dominanzverhältnisse demonstrieren wollte. Ein junger Bock zeigte seine sexuelle Überlegenheit gegenüber dem alten Bock. Die Frauen waren Opfer bei beiden. Eine bekehrte sich in die Lehranalyse, eine andere versank in Schuld- und Schamgefühlen. Am Lauf der Dinge hat es nichts geändert, war vielmehr Lauf der Dinge. Bei „Freuds Totem und Tabu“ tötet die homosexuell verschworene Bruderhorde den Vater, verspeist ihn und baut damit in sich das kulturelle notwendige Schuldgefühl auf.
Das sexuelle Argument hat innerhalb der Konkurrenzgesellschaft einen aggressiv demütigenden Charakter und hatte damals ganz und gar nichts mit Aufklärung oder Emanzipation zu tun. Jenseits von Beziehung, Diskurs, Verständigung, Gefühlsausdruck, Katharsis und Versöhnung.

6.7.09

Michael Jackson

Antiödipus oder Hysteriker?
Selbst- und Identitätsprobleme werden in der Psychoanalyse seit Kohut, Miller etc. narzisstischen Störungen zugerechnet. Die Hysterie mit ihren Sexualstörungen, mit ihrem Spiel von Lüge, Imitation und Heuchelei, der Mischung von Infantilität, Egozentrik und Theatralik wurde von dieser Charakterstruktur, die auf die präödipale Welt fixiert ist, abgelöst. Während der Hysteriker durch seine Neurose in seiner sexuellen Liebesfähigkeit gehemmt ist, entwickelt der narzisstisch gestörte diese Objektliebe erst gar nicht. Vielmehr verschmilzt er mit einem imaginären Objekt – sei es mit einer Größenphantasie von sich selbst, einer imaginären großen Mutter oder wie in der Schizophrenie mit einem imaginären großen Manipulator.
Während der ödipal kulturalisierte die Gefühlsmischung aus Aggression, Angst und Schuldgefühlen durch die Identifikation mit dem Rivalen, dem Vater – die Geschichte der Mädchen ist ja eine andere – überwindet oder besser kontrolliert, ist der narzisstisch Gestörte oder „Schizo“, um in der Sprache von Deleuze/Guattari zu sprechen, bei der Bildung seiner Identität auf die Beliebigkeit der Phantasie verwiesen. Feste Bezugspunkte lösen sich auf, es ist ein connect and cut, mal diese mal jene Identifikation, ein nomadisches Leben, der ständige Wechsel von Namen, Plätzen, Rollen. Mal Kind, mal Frau, mal (Zinn-)Soldat, mal Friedenskämpfer, mal Werwolf, mal Lover, mal Prostituierter…
Es ist wohl richtig, dass die Selbst- und Identitätsannahmen der bisherigen Gesellschaften nicht nur fragil geworden sind, sondern die Möglichkeit eines stabilen Selbst überhaupt in Frage steht – andererseits zeigt sich gerade im Fall von MJ die Misere dieses Konzepts.
Bei ihm scheint das bewegende Zentrum außerhalb seiner Person zu sein. Die Tanzbewegungen sind puppen- und marionettenhaft – ihr Zentrum liegt ja in der Hand des Puppenspielers. Der Tänzer ist von außen gesteuert. Rhythmen drehen sich im Kreis. Bewegungen, als wären die Tänzer am Boden festgewachsen oder magnetisch angezogen. Der Moonwalk zeigt eine Bewegung, bei der sich der Tänzer nach hinten bewegt, den Eindruck erweckend, dass er sich auf einem zurücklaufenden Fließband vorwärtsbewegt – wieder mit einem Bewegungszentrum außerhalb des eigenen Körpers.
Auch die Stimmungen kommen nicht von innen, sie müssen durch Musik, Medikamente kontrolliert und erzeugt werden. Der Schlaf, der sich nicht einstellen will, weil sich die Seele wie eine Maschine im Kreise dreht, wird künstlich durch Propofol usw. erzeugt.
Das Spiel von Manipulation und Kontrolle dann auch in der Körperzusammensetzung: Perücke, gebleichte Haut, Nase etc.; die Anorexie, mit der er sich physisch unabhängig machen will.
Am Schluss, als die große Show nicht mehr gelingen will, wird die Story als Showdown eines Frühverstorbenen zu Ende geführt. Der Vater –nun zum Nachkommen degradiert - steht als Showmaster und Zeremonienmeister für das Begräbnis schon bereit.
Wer ist es, der das Leben von MJ macht? Der Vater sicher nicht, der ist nur Agent des Showbusiness, will ankommen in der Öffentlichkeit. Es ist ein von außen gesteuertes Leben, in dem das Theater zeitweise mit MJ´s eigener Fantasie zusammengeht, dann wieder auseinander bricht und einen gewaltsamen Abgang von der Bühne erzwingt.
MJ´s Erfolge in den 80ern zeigen eine kollektive psychische Ausgangslage. Da ist die Verschmelzung der Massen in der Musik, aufgehoben in einem großen Ganzen. So die Illusion – in Wirklichkeit ist es eine gigantische Manipulationsmaschine, eine ausbeuterische Geldmaschine, die dahinter agiert und ihn schließlich mit einem wahnsinnigen Projekt von 50 geplanten Auftritten in den Tod treibt. MJ outet in seinem Verhalten mit dünner hoher Stimme und linkischem Verhalten eine verletzliche und verletzte, schwache Persönlichkeit, die dies durch körperliche Wendigkeit und Geschicklichkeit kompensiert. Seine Tanzbewegungen oft nur Bruchstücke, finden kaum zu einer geschlossenen Choreografie zusammen, sind Bewegungsmomente, die bei den Fans eine Fantasie auslösen, de facto aber isolierte Momente bleiben. Die Kontinuität der Bewegungsabläufe ergibt sich aus dem Rhythmus der Musik, nicht aus dem Tanz.
Realitätsprinzip war MJ´s Sache nie. Eine realistische Selbsteinschätzung wäre nur kontraproduktiv gewesen. Die Unterhaltungsindustrie braucht Illusionen, sie muss die Erfahrung der realen Machtlosigkeit überspielen. - Opium.
Schuldgefühle, Angst, die nach Freud „Das Unbehagen in der Kultur“ ausmachen, – sind aber Konstitutientien der Kultur. Individuelle Verantwortlichkeit, die Struktur des mit sich selbst identischen Individuums – um diesen fragwürdigen Begriff von Habermas aufzunehmen - sind an dieses Schuldgefühl gebunden. Das Schuldgefühl bildet den Grundstock für eine Art Konto, in dem alle sozialen Handlungen bewertet werden und abrufbar sind. Als Kulturwesen fangen wir unser Leben mit einer Schuld gegenüber Gesellschaft und Vorfahren an und sind ein Leben lang damit beschäftigt, diese Schuld aufzuarbeiten. Am Schluss wird abgerechnet.
Deleuze Guattari lehnen dieses Konzept aus libertärer oder vielleicht eher konsumistisch liberaler Sicht als bürgerlich ab, aber es ist ein realistisches. Freud ging es nicht um die Utopie einer „Wunschmaschine“, sondern um die Beschreibung der Mechanismen unserer Kultur. Sozialismus ist eine Fortführung dieser Kultur. Dazu gehört die konstitutive Bedeutung produktiver Arbeit, soziale Gerechtigkeit, individuelle Verantwortung in einem kollektiven Ganzen.
Die „Wunschmaschine“ ist ein Konzept, das untergründig der Faszinationskraft des Kapitalismus zu Grunde liegt – ich will es nicht als nur „kapitalistisch“ verteufeln, denn auch Marx hat diesen Traum von den automatischen Fabriken geträumt, so wie ihn die russischen Futuristen in den frühen Sowjetjahren geträumt haben. Vielleicht ist das Konzept der Wunschmaschine die Zukunft: ein individuelles Träumen und Konsumieren ohne individuelle Verantwortlichkeit. Die Individuen machen sich zu Anhängseln eines großen Ganzen, sei es Pepsi-Cola wie bei MJ, sei es eines Fußballvereins, sei es eines Konzerns, sei es des Konsums- oder Wohlfahrtssystems. Bei dem geben sie ihren Verstand ab und lassen sich von ihm lenken, leiten und verwöhnen. Die langweilige Arbeit und fehlende Selbstverwirklichung (das „Selbst“ ist ja als bürgerliches Konzept gestorben, „außen ist innen“ usw.) wird kompensiert mit Musikvideos, Medien- und Massenerlebnissen. Diese „Wunschmaschine“ ist im Falle von MJ in seinem Verschwendungs- und Verschuldungswahnsinn gleichzeitig eine riesige Geldvernichtungsmaschine, analog zur aktuellen Finanzkrise und als solche sinnstiftend für die kapitalistische Maschinerie.
Meine Analyse ist nur ein Ansatz. Es geht mir nicht darum, in Nachfolge von Adorno/Horkheimer die abnehmende Kraft des Ichs zu beklagen und das Konzept von Deleuze/Guattari als konsumistisches zu denunzieren. Das Konzept des Antiödipus hat, obwohl seine Aporie offensichtlich ist, einen sowohl empirischen als auch utopischen Gehalt. Es lässt noch einen Traum offen, vielleicht den letzten.

3.7.09

Mein Sein und Bewusstsein

Jetzt wo ich aus der Arbeitsmühle raus bin, interessiert mich das Ganze nicht mehr. Sollen die, die drinstecken, es besser machen. Ich habe das abgeschlossen. Das ist eine Welt, die von menschlicher Anmaßung, Missachtung menschlicher Würde, von Autoritarismus und Zwang zur gegenseitigen Übervorteilung bestimmt ist.
Es ist nicht wirklich ein Thema und ein Problem, das eine „demokratisch“ sich gebende Gesellschaft behandeln und lösen will. Die Öffentlichkeit – das mein Kommentar zum gefeierten Habermas – ist das Medium, in dem sich die „Führungskräfte“ und Privilegienbesitzer ihre Legitimation beschaffen. In einem Verfahren, das sie weitgehend kontrollieren können. Die verhandelten Alternativen berühren das Leben der Menschen kaum. Das Projekt „Mehr Demokratie wagen“ ist über einen Kampagnenstart nie hinausgekommen.
Bleibt die Perspektive eines Einzelkämpfers, eine Donquichotterie. Bleibt auf Demokratie und Sozialismus zu bestehen, bleibt die Analyse der Voraussetzungen des eigenen Denkens und der eigenen Fehler und die Analyse der Gegenpositionen. Vielleicht lässt sich etwas in die Zukunft retten, vielleicht verschwindet in dem Maße, wie sich kapitalistisch alles rasant modernisiert und revolutioniert, die Zukunft. - Bout du monde.

25.6.09

Niedergang der Sozialdemokraten

Ist die Rechtsbewegung der SPD und damit einhergehend ihr Versinken in der Bedeutungslosigkeit Resultat der Verbürgerlichung der Wähler oder können die Wähler sich in dem bürgerlichen Gesicht der SPD – Mitte, Mitte!! … - nicht wiedererkennen? Soll man der rechten Politik der SPD die Schuld für ihr Verschwinden geben oder der Verbürgerlichung ihrer ehemaligen Wähler, dem Strukturwandel der Qualifikationen und Arbeitsverhältnisse? Ein solcher Strukturwandel wäre etwa die finanzielle Sicherheit, die Qualifikation, die eine Integration in das arbeitsteilige System des modernen Kapitalismus mit sich bringt und zu einer gehobenen und integrierten Stellung bei der Arbeit führt.
Ich denke, die SPD hat aus den Reformjahren nach 68 erkannt, dass sie die kapitalismuskritische Bewegung, die sie anführen und initiieren könnte, ab einem gewissen Grad nicht mehr kontrollieren kann, schon weil sie Forderungen unterstützt, die nur ein funktionierender Kapitalismus befriedigen kann. Zu einer Alternative zum Kapitalismus will sie sich nicht bekennen, weil sie damit wieder einen Teil der Wähler verlieren würde. Sie kann also tun, was immer sie will, sie ist dazu verdammt, entweder als Linke eine nicht mehrheitsfähige Politik zu machen oder Schattenpartei der Bürgerlichen zu werden – mal mit mehr, mal mit weniger eigenem Profil.
Es hat also keinen Sinn, auf der SPD herumzuhacken, ihr das oder jenes vorzuwerfen, es ist einfach ihr Schicksal. Zwar kann man mit etwas Moral und Intelligenz die SPD nicht unterstützen – aber Moral und Intelligenz ist nicht mehrheitsfähig.
Wir Linksradikalen, die wir gerne der SPD einen sozialistischen Kurs verpassen würden, haben uns in den privaten Karrieren, die wir eingeschlagen haben, als durch und durch bürgerlich erwiesen. Wir hatten keine Konzepte, die egalitär waren und die Emanzipation der Arbeit/Arbeiter im Zentrum hatten. An der SPD war die Masse interessant, aber nicht zu dieser Masse zu gehören. So wie KH Roth missionarisch vom „Massenarbeiter“ sprach, aber nie einer war.

3.6.09

Zimbabwe

Derzeit ist die Situation schwer einschätzbar. Da ist nur ein gewisses Gefühl in mir, dass die Sache nicht gut gehen wird, sich nichts Positives entwickeln wird.
Meine Sympathien sind für die MDC, aber es stellt sich immer mehr heraus, dass sie kein Konzept für die weitere Entwicklung besitzt. „Für jeden eine Farm“ war eine nette Parole, aber im Zusammenhang mit dem Entwicklungsstand Zimbabwes, seiner Verflochtenheit mit der Weltwirtschaft, der Abhängigkeit von der Cash- und Exportökonomie einfach unbrauchbar. Die im Rahmen der „Landreform“ zugeteilten Plots von manchmal 700 m² sind nicht Nichts, aber für eine Volkswirtschaft nur ein schlechter Witz.
Die MDC spielt immer wieder mit dem Konzept der Afrikanisierung, zumindest die rassistische Hälfte seiner Aktiven. Das bedeutet: Betteln um Gelder aus dem Ausland, keine eigene wirtschaftliche Entwicklung abgesehen von Bierproduktion – inzwischen in der Hand von Südafrika – subsistence economy plus cash-Produkte (Tabak, Baumwolle).
Die „inclusive government“ von MDC und Zanu macht die politische Schwäche des MDC sichtbar, die sich auf Grund mangelnder Unterstützung von Südafrika alle Machtspielchen von Zanu gefallen lassen muss. Schlimmer noch die moralische Verkommenheit von Teilen des MDCs, die sich von Gono Autos etc. schenken lassen.
Einiges spricht für die MDC: Etwa dass Tsvangirai moralisch durchhält. Sein pazifistisch-christliches Konzept verfolge ich gespannt. Wird er Mugabe zur Legalität - heißt: niemand soll gefoltert werden, alle gleichberechtigt behandelt werden – bekehren können? Ich weiß, dass bewaffneter Kampf gegen Zanu und für eine sozialistische Wirtschaft die Gefahr enthält, dass wie bei Zanu die Gewalt die Vernunft zerstört und am Schluss nur noch ein Gangstertum herrscht. Ein Gangstertum, das sich dann originär „afrikanisch“ preist.
Wie ist es zu beurteilen, wenn ein Enkel Tsvangirais im häuslichen Pool ertrinkt, während gleichzeitig Tausende in derselben Stadt an Cholera sterben? Wenn Tsvangirais Kinder im Ausland studieren und gleichzeitig das Bildungssystem im Land verrottet?
Südafrika ist kein Vorbild. Mandela mag zwar ein Held sein, aber außer Hautfarbe hat er kein politisches Konzept. Vielleicht ist er Bürgerrechtler – für die schwarzen Eliten - aber kein Sozialist. Die Afrikanisierung der Ökonomie bereichert kurzfristig die schwarze Mittelschicht, bedeutet aber nach deren Übernahme ihren Niedergang. Von dem Reichtum wird unten nichts ankommen. Was ist das für ein Land, in dem die Weißen zwar einen Großteil des wirtschaftlichen Reichtums (mit)produzieren dürfen, aber sich über 1000 Morde in den letzten Jahren gefallen lassen müssen? (Inzwischen - 1.6.10 - wird von einer Zahl von über 2000 gesprochen.) Langfristig und gerade nach der Wahl von Zuma ist eine Entwicklung wie in Zimbabwe oder im Kongo zu erwarten. Jeder, der entschuldigend vom Erbe des Kolonialismus redet, bestätigt die Machenschaften der Neokolonialisten.

(Ein aufklärender Artikel über den Neokolonialismus des ANC in der FTD.)
Bin ich Rassist? Wenn jetzt in Zimbabwe die Besetzungen der weißen Farmen weitergehen, wie ist das zu beurteilen? Ist es nicht gut, dass die „Unterdrückten“ und „Ausgebeuteten“ sich ihr ursprüngliches Land wieder aneignen? Aber die schwarzen Farmarbeiter, die dort arbeiten, werden vertrieben und verlieren nun alles: Lohn, Schulen, medizinische Versorgung etc. Wer bekommt danach die Farm? In der Regel irgendwelche Zanuhengste, Richter, Staatsanwälte etc. Die Farmen, von sogenannten „Veteranen“ übernommen, dümpeln auf Subsistenzniveau weiter. Gefängnisinsassen dürfen fürs Überleben auf den neuen Farmen arbeiten; die, die nicht schon vorher in ihren Zellen verhungert sind, wie die 700 in Harare im letzten Jahr. Eine Zeitlang war Zimbabwes Hauptexportgut Aluminium, das aus der Demontage der Bewässerungsanlagen der enteigneten weißen Farmen gewonnen wurde.
Ich habe mir vorgestellt, nach Ende meiner Arbeitszeit am Band, eventuell nach Zimbabwe oder Nachbarschaft zu gehen, eine Landwirtschaft zu kaufen, mit Jugendlichen von Zimbabwe mit einfachen Mitteln was aufzubauen, wo sich lernen lässt, wie man mit eigener Arbeit überleben kann und sich die Kenntnisse der modernen Gesellschaft aneignen kann. Aber nicht nur die Bettelpolitik der MDC bringt mich davon ab, es sind auch die Bilder etwa von Jugendlichen in Messina. Ihnen lässt sich ansehen, wie sie an den Versatzstücken der westlichen Konsumprodukte orientiert sind, und es erscheint schlecht vorstellbar, dass diese – gewöhnt nur an Rumhängen - sich anstrengen wollen. Abhängig von der amerikanischen Lebensmittelhilfe und Verwandten und … Schicksal, dem bösen oder guten Wirken der Ahnen, die sie mit Diamanten oder westlicher Medizin beschenken.
Meine gute Botschaft von der Arbeit wird dort auf keinen fruchtbaren Boden fallen. Die Krise der letzten Jahre hat einerseits die moralischen Grundlagen der Gesellschaft zerstört – wer überleben will, muss sich kriminell und asozial verhalten – sondern auch die Schwäche dieser Grundlagen offen gelegt.
Finanzielle Hilfen würden einerseits nur eine falsche Politik unterstützen, in die fetten Bäuche der Gangster fließen - andererseits ermöglicht die Verweigerung von Intervention die wachsende Weltbarbarei.

17.5.09

Kleiner Tyrann

In der Bahn beobachte ich eine Frau mit ihren zwei Kindern, einem etwa vierjährigen Jungen und ein 7 Jahre altes Mädchen. Es handelt sich wohl um eine Marrokanerin aus Marrkesch auf dem Weg von Frankreich nach Spanien. Sie ist ohne Kopftuch etc., voll geschminkt, mit Handy, die Augen sofort am Monitor, wo „Inside Man“ abgespielt wird, spricht laut und ungehemmt arabisch. Doch entspricht sie ganz dem arabischen Muttertyp: immer besorgt um ihre Kinder, ohne begleitenden Mann, schon in jungen Jahren in die Breite gegangen. Es ist viel Bewegung um sie. Zu Recht beansprucht sie den nichtgebuchten Viererplatz mit Tisch. Die Kinder bewegen sich ungehemmt in alle Richtungen. Dann wird es sehr laut. Der Kleine will etwas und fängt laut zu plärren an, weil er das Gleiche wie seine Schwester will. Er bekommt es. So setzt er mehr und mehr durch. Zuerst sind es die Süßigkeiten, die die Mutter bei sich führt, dann muss sie in die Bar, um Cola zu besorgen, dann muss sie auf einer Station Überraschungseier kaufen – die Überraschung landet schnell auf dem Boden. Dann holt sich der Junge die herumliegenden Kopfhörer für die Bahnfahrer und zerreißt sie, schmeißt sie auf den Boden. Immer mit freudig-kindlichem Blick zur Mutter. Die sagt nichts. Marsriegel sind dran, dann Pipas, dann Popcorn. Nee von den mitgeführten belegten Brötchen will er nichts. Er reißt zurückgelassene Zeitungen usw. aus den Netzen und schmeißt sie auf den Boden.
Die Schwester bemüht sich während dessen um die Bildung ihres Bruders. Er darf französische Grammatikübungen nachsprechen. Sie will wohl Lehrerin werden. Der Kleine ist aber immun. Er benimmt sich wie er will. Im Gegensatz zu seiner Schwester, die sich zurückhält, immer die Augen aufmerksam auf die Mutter gerichtet. Doch bei irgendeinem Moment muss sie wohl ein falsches Wort gesagt haben. Denn die Mutter schimpft jetzt laut auf sie ein, drohend und eindringlich erklärt sie ihr Gut und Böse. Kneift sie dabei immer wieder in die Backe, bis auch sie zu schreien anfängt. Währenddessen liegt der Junge mit Schuhen auf dem Tisch, in keiner Weise betroffen und hüpft dann munter auf den Sitzen herum.
Als sich jemand einmischt und den Jungen zurechtweist, kniet sich die Mutter auf den Boden, um den ganzen Dreck einzusammeln, den er verursacht hat. Dann gibt sie den Kindern spanische Kommandos, sie sollten sich setzen und ruhig sein. Merkwürdigerweise ist die erste Intervention gegenüber dem Jungen in einer Fremdsprache. In Marrakesch gibt es dafür vielleicht nicht einmal eine Sprache.
? Die Frau arbeitet vielleicht als Putzfrau in einem spanischen Hotel. Ihr Ziel ist nur, besser zu leben als im ärmlichen Marrakesch. Trotzdem ist vieles an der Sache faul: Sie erzieht einen Terroristen, sie verrät ihre Landeskultur und ist nicht in der Lage, sich mit der europäischen mehr als äußerlich und oberflächlich zu verständigen. Die einzige Gemeinsamkeit wird die globalisierte konsumistische Kultur sein, Handy und Cola – und die Lohnarbeit unter allen Bedingungen. Der Junge wird sich entsprechend seiner Kultur davon nicht angesprochen fühlen und die Integration in diese „Arbeitswelt“ verweigern, wird wohl versuchen, von der Ausbeutung und Demütigung anderer zu leben.
Ich wüsste nicht, wie unter solchen Voraussetzungen ein solidarisches und gerechtes Zusammenleben möglich sein soll.

14.5.09

NEGRI: „WE MUST TRY IT“

Negri meint in einem taz-Interview
„Der Gegner heute ist das Kapital in Gestalt des Finanzkapitals …
Das Finanzkapital selbst ist produktives Kapital…
Das Finanzkapital heute repräsentiert den wahren Ausbeuter…“

Weil eben der Wert, Verwertungszwang alle Lebensverhältnisse durchdringe. Eine neue Erkenntnis? ….Resultat der Globalisierung? Biopolitik? oder noch eine andere Phrase?
Finanzkapital produktiv?? Sicher konzentrieren sich da gigantische Mächte, Finanzen ermöglichen produktives Kapital und eine nur auf die Analyse der Produktionsbeziehungen fixierte Analyse erreicht nicht die Bewegungen auf der Ebene von Besitz und Politik. Doch die absoluten Grenze des Finanzkapitals liegt in der Produktivität und Ausbeutbarkeit in der Warenproduktion.

Weiter Negri:
„Erstens ist es nicht mehr die Ausbeutung der Arbeiterklasse, von der die Produktivität abhängt, sondern die Ausbeutung der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit.

Hierzu muss das Kapital, zweitens, Kriterien bestimmen, um den gesellschaftlichen Reichtum erfassen zu können“

Mit welchen Kriterien? - Durch „Börsenbewertungen“!!!!
Entweder ist das miserabel übersetzt oder Negri jongliert hier in dem üblichen barocken Italienisch mit klangvollen Begriffen ohne reale Bedeutung.

Der gesellschaftliche Reichtum soll nicht nur in der Arbeit, sondern

„ebenso in den Universitäten, im Alltag, in den Städten, in allen Äußerungen des Reichtums, den die Sprachen unserer Gesellschaften hervorbringen“

liegen. – „Sprachlicher Reichtum“ …: Sprechblasenreichtum.

Es gibt einen kapitalistischen Reichtum, der sich auf Waren, Wert und die Aneignung menschlicher Arbeit, seien es Dienstleistungen oder produktive Arbeit bezieht.
Und dann gibt es eine andere Art von menschlichen Reichtum - auch wenn der Wert diese zu beherrschen versucht: Kreativität, Empathie, Kultur, Widerstand, Autonomie, Bildung, Verständnis, menschliche Beziehungen unabhängig von der Verwertung – nicht oder nur bedingt käuflich, zu erarbeiten und zu erfahren, nur durch sinnliche und praktische Erfahrungsarbeit zu erwerben.

Die Krise des Kapitalismus liegt nicht darin, wie Negri meint, dass er die zweite Art nicht kontrollieren kann, sondern liegt in der immanenten Grenze der Verwertung, auch wenn die Krise diese Grenze immer wieder nach außen verschiebt. - Freilich wird dabei auch die „Soziobiologie“ des Menschen, also seine inneren autonomen Bedürfnissen, in die Warenwelt eingebunden. So wie der Protest von 68 zur Ware wurde.

Wo liegt die Alternative Negris?
- „globale Bürgerrecht“
- „bedingungsloses Einkommen“
- „Wiederaneignung des Wissens und des Lebens“.
Das ist die Lösung, wie sie im alten Rom mit „panem et circenses“ realisiert wurde. Ein globales Bürgerrecht atomisiert die Gemeinschaft, die zersplitterten Glieder sind total fungibel für die Verwertungsprozesse, das bedingungslose Grundeinkommen ist die Zerstörung jeder produktiven Autonomie, ein Glied der Weltausbeutung. Bestenfalls der sozialdemokratische Konsum- und Sozialarbeiterstaat, wie er immer das Anliegen der italienischen Linken um LC und Potere Operaio, Alquati und anderer war, die wortreich ihren praktischen Sozialdemokratismus revolutionär rotpinselten.
Die Systemfrage der Veränderung zu einer basisdemokratisch organisierten Planwirtschaft wird nicht mehr angedacht.

Die Interviewer versuchen am Ende doch noch irgendwas Sinnvolles aus Negri rauszubekommen, bietet ihm die Begriffe: „Ausschluss“, „Rassismus“, „Populismus“ an – also die alte arbeiter- und arbeitsindifferente Minoritätenpolitik und will ihn auf die individualistische Schiene schieben – und was bekommt er als Antwort? „Widerstand“, „Revolte gegen Erwerbslosigkeit, gegen die Verschuldung“! - Welches Geschwätz. Wir leben im „Übergang“! – „Pragmatismus der Revolution“. Das heißt: so weiterzumachen wie vorher mit revolutionären Sprechblasen im Mund: „We must try it“.

1.5.09

Der „antifaschistische“ 1.Mai

Ich lese von Tausenden von Demonstranten, die gegen Nazis demonstrieren. Die Elitisten gegen die sozialen Underdogs. Die Gewerkschaften sind zu Versicherungsinstitutionen der Befriedigten geworden, nicht in der Lage, den rechten Knallköpfen eine Richtung für ihren berechtigten Zorn zu geben. größenbedürftige und bemitleidenswerte Charaktere, die Richtung und Ratschlag brauchen. Ausschuss, den Mittelstandsinstitutionen wie Schulen und Betriebe in ihrer Elitenproduktion von flexiblen Weltmarktspezialisten ausscheiden. Parolen der Gewerkschaften von Solidarität und Gleichheit sind dagegen nur entpolitisierende Phrasen.

Rede
von Bsirske über die … betrügerischen Banker, Defizite verbergend vor dem Licht der Öffentlichkeit, Klage über den gesunkenen Arbeitnehmeranteil am Volkseinkommen, Schrumpfen der Wirtschaft und wohl auch der Lufthansaflüge, wo er im Aufsichtsrat ist
Wie wird nach Bsirske gegengesteuert? Mehr Staatseinfluss auf Banken, Zwangsanleihen bei Reichen, Kasino schließen – so als lebte der Wachstumszwang des Kapitals nicht vom Kasino.
Mehr Gelder für die Hartzvierler - ok, Umverteilung ja ja, aber das geht nur, wenn der Unterbau, das Kapital als der siamesische Zwilling der Gewerkschaften, funktioniert, also wachsendes Kapital, das die Steuern, Arbeitsplätze liefert. Bsirske ist ganz und gar in der kapitalistischen Logik gefangen und er will nicht darüber hinaus denken. Er redet von „Kapitalismus“, damit irgendwas Böses andeutend, aber denkt nicht über ihn hinaus. Er träumt von einem „sozialen“ Kapitalismus. Etwas, was ich zwar nicht für wünschenswert aber leider möglich halte. Zu befürchten freilich nicht bei der politischen Intelligenz der Heutigen.
Wenn ver.di sich auch nur einmal für eine sinnvolle Forderung, wie etwa Mindestlohn, höhere Besteuerung der Vermögenden etc. einsetzen würde und sich dann mit aller Konsequenz einsetzen würde, mit Besetzungen, Blockaden, Angriffen – dann gäbe es keine Rechtsradikalen mehr. Es ist die Misere der Linken, die die Rechten produziert.

29.4.09

Vom humanistischen Gymnasium zum Varieté

Die „Betriebsarbeit“ eines Pfarrersohns
Ich lese in der
FR ein Interview von E. Schapira, einer eifrigen Freundin Israels, mit J. Klinke über seine gloriose Kämpfervergangenheit in der BPG, später RK – der um 1972 zu Opel ging zwecks „Untersuchungsarbeit“. So eine Parole von Lotta Continua.
Nachdem politische Revolution nicht mehr möglich wäre, sollten Betriebskämpfe an deren Stelle treten. Das syndikalistische Konzept mischte sich mit spontaneistischer Primanerfantasie von einem anderen Leben: mediterranes Lebensgefühl, Urlaub am Mittelmeer, Alternativen zu einer rigiden Arbeitsmoral usw. Das Verhältnis zur deutschen Arbeiterschaft war distanziert, die „Arbeitsemigranten“ wurden idealisiert, wie man bei Klinke sieht noch heute. Die Bewegung in der Gesellschaft, in der Arbeiterklasse war eine ganz andere. Die bemühte sich um Konsolidierung ihrer materiellen Lage, um berufliches Aufwärtskommen, private Geschichten – Urlaub am Mittelmeer inklusive. Die „Arbeitsemgranten“ sahen ihre Jobs am Band als Übergangsstadium – auch wenn die meisten länger als geplant dort blieben. So wie es das für die Leute vom RK auch nur ein Übergang war vom mittelständischen Elternhaus in die grünliberale individualistische Praxis. Kann mich erinnern, wie manche „Praktikanten“ - jetzt im Besitz von Motorrädern - mit ihrem neuen Status herumgeprahlt haben. Es ist aber keiner bei Opel hängengeblieben.
Zu welchen politischen und marktwirtschaftlichen Vollidioten sie sich entwickelt haben, kann man bei Fischer, Thomas Schmid und Klinke selber sehen. Der lässt sich die Automatenstraße bei Opel zeigen, da wo vorher das Fließband war und sieht keine Arbeiter mehr. Es sind zwar nur noch 40% von damals, aber immer noch über 18000. Nicht zu vergessen die große Masse in den mittelständischen Zulieferbetrieben unterhalb der Tarifverträge mit schlechteren Arbeitsbedingungen.
Die Träume des RK vom Pflaster unter dem Strand ließen sich leicht integrieren in die neue Konsumdemokratie Kohls, ins Reisebürogeschäft und das liberale Frankfurter Nachtleben.
Damals habe ich angenommen, dass der RK bestenfalls gute Literatur über seine Fabrikerfahrungen produzieren würde. Doch er hatte dann mehr Erfolg als ich dachte. Immerhin waren Leute vom RK bald Vertrauensleute und Betriebsräte. Doch ist daraus keine Bewegung entstanden. Aus der „Untersuchungsarbeit“ wurde nichts, sieht man von der Reproduktion von Ressentiments gegen die deutschen Arbeiter ab. Die Leute sind aus dem Betrieb raus ohne jede Analyse, was da zuendeging. Das Leben ging dann „anders“ weiter. Fabrik, nein danke. Nichts für uns. Muss nicht sein.

19.4.09

KINDER KOCHEN BEI ARTE

War doch eine tolle Sache: 4 Wochen Ferien auf einem alten Gut in der Provence. Uriger Swimmingpool, gemeinsam kochen, Ausflüge auf Märkte und Bauernhöfe in der Gegend, nette Betreuer. Und dann ganz glänzend die Idee vom Selberkochen. Ein Erlebnis von Gemeinschaft, von Entwicklung, Erfahren und Kennenlernen, ein Fest der Sinne, ein Paradies vielleicht.
Die Kinder sind nett, verstehen sich auszudrücken, sind bemüht. Und wie sie sich ausdrücken: viel wird gelobt, das Positive hervorgehoben. Man spürt, welchen Erziehungsstil sie genossen haben. Gleichzeitig schimmert allzu deutlich die Pädagogik durch, mit der sie durch das Leben geführt werden; die Neigung zur Belehrung bei S. Wiener.
Kein böses Wort, keine Coolness, kein Handy, kein MP3-player, nicht dieser schreckliche und asoziale Markenfetischismus. Stattdessen werden Briefe geschrieben. Es ist eine andere Welt.
Was habe ich dagegen? Ich lese, dass die Kinder durch ein aufwendiges Casting ausgelesen wurden. Zweisprachigkeit war die Voraussetzung, nicht türkisch-deutsch, sondern französisch-deutsch. Ist es nicht ekelhaft, wie hier Elitismus zelebriert wird?
Aber sind das nicht Werte, die ich hier auch propagiert habe: Gemeinsamkeit, Kommunikation, Sinnlichkeit, autonome Aktivität, bereichernde Erfahrung durch Teilnahme an Leben und Kultur anderer?
Sollte nicht a la Unterschichtfernsehen gezeigt werden, wie alles schief geht, wie die Kinder sich gegenseitig anmachen und mobben, überhaupt nicht nett sind, Ekel? Wie sie Mitarbeit verweigern, passiv rumhängen, konsumieren bis zum Esgehtnichtmehr? Keine Lust zu gar nichts.

Ich weiß nicht. Das Gefühl einer unverschämten Medienlüge bleibt bei mir. Dass die, die es ohnehin schon besser haben, noch mehr profitieren
.

11.4.09

ABSCHIED

Ich habe meine aktive Phase der Altersteilzeit mit einer kleinen Feier beendet. Meine Rede:
"Liebe Kolleginnen und Kollegen
Ich danke Euch, dass Ihr hier zu meinem Abschied zusammengekommen seid und ich hoffe, dass Ihr es Euch schmecken lässt. Vor fünfeinhalb Jahren bin ich in diese Abteilung gekommen, nachdem ich vorher 4 Jahre in einer anderen Abteilung Nachtschicht gemacht habe.
Ich war froh, wieder tagsüber arbeiten zu können, und - auch wenn ich weniger verdient habe - für meinen Lohn echte und notwendige Arbeit leisten zu können und meinen Kollegen etwas ihrer Arbeit abnehmen zu können. Der Betriebsrat hat meinen Lohnverlust auf 500 € beziffert. Woher er diese Zahlen hat, ist merkwürdig und fragwürdig. Es war zum Glück weniger. Nur ca. 170 € im Monat.
Zunächst war für mich hier Einiges zu lernen und ich habe wohl auch Einiges falsch gemacht. Doch dann - da ich bei meiner Einstellung 1999 ja nur für Halbtagsarbeit für würdig erachtet wurde - hat mir die Arbeit doch Spaß gemacht und ich habe ihre einige Dramatik und Aufregung abgewinnen können, besonders wenn es darum ging, am Ende noch alles erledigt zu haben und pünktlich das Haus zu verlassen. Es ist mir dabei schon klar, dass nicht alle ihre Arbeit als Sport begreifen können, schon weil sie die doppelt so lange arbeiten.
Ich habe es also genossen, wieder tagsüber arbeiten zu können, ehrliche Arbeit zu machen. Trotzdem ist es jetzt Zeit, aufzuhören. Damals als ich hier angefangen habe und ich bei der Personalabteilung nach den Lohndifferenzen fragte, wurde mir gesagt, ich solle doch froh sein, einen Job zu bekommen. Dieses Gefühl eigentlich überflüssig zu sein und froh sein zu müssen, Arbeit zu haben, hat mich hier die ganze Zeit begleitet. Die Stelle, die ich verlasse, wird nicht wieder besetzt, was ja zeigt, dass ich überflüssig bin, - Auch ist auf Dauer eine Arbeit schwierig, wo man kaum mehr Informationen bekommt, Grüßen unüblich ist, fällige Personalgespräche nie erfolgen, Besprechungen dann stattfinden, wenn ich nicht da bin, notwendige Informationen nicht weitergereicht werden. Das im Unterschied zu den Angestellten dieses Hauses, bei denen es regelmäßig Teamgespräche und Fortbildungen gibt und dafür auch noch das Doppelte verdient wird. Dabei gäbe es hier einige Themen für Fort- und Weiterbildungen. Etwa eine vernünftige Einweisung in den richtigen Gebrauch der Maschinen, Maschinenprogramme, energiesparende und ressourcenschonende Verfahren, Umgang mit bestimmtem Material - um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Wirtschaftskrise wird sich in den nächsten Jahren auch auf diese Abteilung auswirken und notwendig machen, dass ökonomischer vorgegangen wird, sparsamer im Umgang mit Energie, Rohstoffen, Wasser und so weiter.
Für mich fängt jetzt der letzte Lebensabschnitt an. Manche werden sagen, ich wäre noch fit genug, weiterzuarbeiten und sich fragen, wie ich mir diesen Luxus, in Rente zu gehen, leisten kann.
Erst denke ich, dass andere einen solchen Job brauchen können. Meine Rente von etwas über 300 Euro wird die Versichertengemeinschaft nicht allzu sehr belasten. Da gibt es andere, höherwertigere.
Gut - fit genug bin ich noch, weiterzuarbeiten, aber ich habe noch eine Menge anderer Sachen zu erledigen: Laufen, Wandern, mit dem Rad nach Spanien oder Afrika, einige Möbel bauen, im Haus aufräumen, reparieren, Internet, lesen, schreiben, endlich mal richtig den Garten machen und so weiter.
Mit dem Geld? Ich werde mit allem drum und dran, Rente, Zusatzrente, Riesterrente, Vermögenssparen ungefähr etwas über 400 Euro haben, einiges mehr aus Erspartem. Nach meinen Rechnungen brauche ich ungefähr 330 Euro im Monat. Das reicht. Luxus brauche ich nicht.
Ich bedanke mich nun bei der Firma hier, bitte meine KollegInnen um Verzeihung für meine Unhöflichkeiten und beginne den dritten Abschnitt mit einer kleinen Feier in der Hoffnung, dass der Teil besser abläuft als die vorige."
Hier folgen noch mehrere Rückblicke.

25.3.09

KÖHLERS REDE

Ich weiß, es ist schon merkwürdig, sich hier zu Köhlers Rede zu äußern. Hat das, was er von sich gibt, irgendeine Relevanz für die Leute hier unten? Ist er nicht schon heute morgen genügend in der Presse zerrissen worden? Bedauerlich, dass „Neues aus der Anstalt“ die Rede verpasst und damit die ganze Sendung witzlos gemacht hat. Es hätte gereicht, Priol hätte die Rede wörtlich wiederholt.
Worin besteht also die Relevanz der Rede? Dass ein Haufen Elite davor saß und klatschte?
Leider ist es so, dass was oben an Intelligenz nicht vorhanden ist, man unten auch kaum antrifft. Köhler reduziert Gesellschaft und Wirtschaft auf individuelles Handeln – moralisch oder unmoralisch. Von System, Struktur hat er keinen Begriff. Deswegen moralisierendes Geschwätz, gute Chefs und böse Chefs usw. Dahinter die Allmachtsfantasie des Moralisten, eben das Bündnis von Moral und Macht, die Moral die zuschlagen darf. Als Konsequenz politisierendes Geschwätz. Frechheit, wie er von „Wir“ redet – als ginge das zusammen: Arbeiter und diese klatschenden Eliten, „sozial“ und „Markt“, kein Wachstum und „Wirtschaft“, Globalisierung und Autonomie. War nicht die Geldschöpfungen durch die abenteuerlichen Derivate Grundlage der deutschen Exporte?
Peinlich der Schleim danach von Lafontaine. Von Künast ist nach ihrem Plädoyer für die FDP ohnehin nichts mehr zu erwarten.
Es ist zu befürchten, dass die Krise nicht groß genug ist, um zur Besinnung zu bringen.
Wie könnte das aussehen? Wenn der profitbedingte Automatismus des wirtschaftlichen Kreislaufs angezweifelt würde, wenn soziale Kriterien dominieren. „Dominanz der Politik“ heißt es bei Köhler, an sich ein guter Begriff, aber bei ihm bedeutet es Dominanz der Mittelschicht, Opportunismus der Streber, von „Intelligenz“ und beautiful people. Gar nicht meint es wirkliche Demokratie, gleiche Rechte für alle, reale Mitbestimmung, gleiche Bildung, demokratische Medien.

8.3.09

Tilman Jens und Margarete Mitscherlich-Nielsen

Bei 3sat Kulturzeit gab es ein interessantes Interview mit M. Mitscherlich-Nielsen über die Biografie von T. Jens über seinen dementen Vater. MMN meint, TJ würde auf Grund ambivalenter Gefühlseinstellungen gegenüber seinem Vater – einerseits Verehrung, andererseits Abneigung dadurch und anderen Gründen – den Vater so übermäßig idealisieren, - schon um eine auch negative und kritische Haltung ihm gegenüber in sich zu unterdrücken und verdrängen – so dass er nicht in der Lage sei, sich mit ihm zu identifizieren und seine Schwächen zu verstehen. Stattdessen betreibe er eine Art Rache ihm gegenüber, aus welchen Motiven auch immer – eines sicher die Asymmetrie der Beziehung. So wäre sein Buch ein Zeichen mangelnden Erwachsenseins. – Die Deutung von TJ, Walter Jens´ Demenz wäre mit der Aufdeckung seiner NSDAP-Mitgliedschaft verbunden, lehnt sie kategorisch ab.
Erst mal fand ich die Deutung präzise und passend für jemand, der seine Geschichtchen in „Bild“ bringt. Etwas in „Bild“ zu bringen, heißt es doch in den Dreck zu ziehen, es zum Geschwätz, zum Infomüll zu machen. Es heißt zwar in der Bibel: Aus Dreck kommst du und zum Dreck gehst du wieder zurück“, aber ich würde den mir selber unsympathischen Walter Jens nicht in dieses Blatt bringen.
Gefragt habe ich mich dann, ob ich nicht auch ähnliche Probleme mit meinem Vater habe: Da ist ein starker Mann, mit hohen moralischen Ansprüchen, der sie aber benutzt, um seine Schwächen zu verdecken und zu verleugnen, oder jedenfalls nicht in der Lage ist, mit ihnen ehrlich umzugehen.
Es ist nicht nur ein individuelles, sondern das Problem der ganzen Generation. Sie hat sich gerne als Opfer dargestellt, sich mit einen Hypermoralismus umgeben, mit dem sie gegenüber der Umwelt aufgetrumpft haben. Dieser Hypermoralismus war durchsichtig und wegen seiner Starrheit und Neigung zu Feindschaften unglaubwürdig.
Wir Kinder haben ihnen gegenüber geglaubt, etwas Neues aufbauen zu können, etwas jenseits von Faschismus, eine radikale Demokratie – noch im System des Idealismus und der Moral gefangen. Sie haben alles getan, um das zu verhindern. Auch die Rhetorik von Jens war ein Teil antidemokratischer Elitenbildung.
Wie auch immer, Verstehen und Verständigung ist schwierig oder unmöglich. Ich habe das Gefühl, es muss ein Trennungsstrich gezogen werden. MMNielsen verkennt dieses Problem. Es gibt keine Psychoanalyse außerhalb der konkreten Geschichte. „Gesunde Persönlichkeit“, „erwachsen“ sind da unzureichende Kategorien. Merkwürdig, das von einer Frau zu hören, die bei „Die Unfähigkeit zu trauern“ mitgeschrieben hat. Wie soll eine „erwachsene“ Auseinandersetzung mit einer Generation möglich sein, die eine unbewusste Idealisierung von Hitler nicht aufgegeben hat, sie schamvoll versteckt und verleugnet, die in dieser Haltung insgeheim eine gesellschaftliche Blockbildung – von CDU bis Schmidt und Augstein reichend – aufgebaut hat und eine Demokratisierung verhindert hat
?

1.3.09

DIE KRISE

Es ist schwierig hinter die Nebelwände zu blicken, die die verschiedenen Institutionen vor der Krise aufblasen.
Da sind die Herrschenden, also das Bündnis von Großer Koalition und Finankapital – „sichtbar“ etwa, wenn sie aktiv werden, um dem Staat Kredite zu vermitteln, oder wenn sie „beraten“. Ihr Bemühen liegt darin, einen Crash zu vermeiden, also die plötzliche Illiquidität von Banken, die dann lawinenartig um sich greift. Dies war nach dem Zusammenbruch der Lehmanbank der Fall, als in den USA schlagartig gigantische Geldmengen abgezogen wurden und hier in Europa die 500€-Scheine knapp wurden. Das andere Problem der zerfallenden Wirtschaftskreisläufe soll mit Konjunkturpaketen angegangen werden, mit Kreditgarantien für die Banken. Deren Geld wird aber inzwischen nicht mehr benötigt. Wofür denn, wenn ohnehin keine Nachfrage nach Investitionen und Produkten besteht? Der Euribor, Indikator für Interbankenkredit fällt schon seit Oktober letzten Jahres. Also die Finanzkrise ist eine sekundäre Krise. Der Konjunktureinbruch zeigt die alten Probleme der spätkapitalistischen Ökonomie, wo die verschiedenen Probleme miteinander kulminieren: die Blasenstruktur der Finanzwirtschaft, die technische Begrenztheit der Profitproduktion, die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen, die Struktur der Wirtschaftskreisläufe, die gebunden sind an die Profitabilität des investierten Kapitals.
Naheliegend wäre jetzt eine große Bereinigung, wie sie die großen Krisen durchgeführt haben; sei es als Inflation, Währungs“reform“, Zerstörung des akkumulierten Kapitals durch Krieg, Zerstörung des Sozialstaats – oder auch durch Umverteilung, Besteuerung des Reichtums, Kontrolle von Devisenverkehr und Wechselkursen, Entwertung des Geldkapitals, Zwangsanleihen, Zwangsbewirtschaftung der lebensnotwendigen Produkte.
Die herrschende Koalition von Politik und Kapital scheint das alles vermeiden zu wollen und gerät deswegen in zahlreiche Widersprüche: steigende Staatsverschuldung (zur Freude der Finanzwirtschaft und der Gutverdiener), halbherzige Konjunkturpakete, die zwar ein wenig stimulieren können, aber den Kreislauf nicht wirklich in Gang bringen. Eine lang andauernde Rezession ist erwartbar. Sie wird auch nicht durch noch so viel Verschuldung lösbar sein – das wird Obama zeigen, wenn er 2013 die Staatsschulden nicht halbiert haben wird oder halbiert um den Preis der Depression.
Die Linke will die Konjunkturpakete verdoppeln, die Verschuldung mit Vermögenssteuern finanzieren. Aber diese Besteuerung würde die Krise nur verschärfen, weil dann das Kapital in andere Länder fließt. Außerdem sind Konjunkturpakete an die Logik der Profitabilität des Kapitals gebunden, verändern nichts an der strukturellen Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, bindet sich an den kapitalistischen Wachstumsfetischismus, der Natur und Zukunft zerstört genauso wie die menschliche Autonomie. Mit ihrer opportunistischen Haltung – es ließe sich kapitalismusimmanent etwas machen – verhindert diese Linke gesellschaftliche Aufklärungs- und Diskussionsprozesse.

Ein grüner Kapitalismus ist zwar möglich, aber nur unter der Voraussetzung, dass der allgemeine Lebensstandard verändert wird. Lebenshaltungskosten werden steigen, eine andere Verteilung wird notwendig sein. Eine Dominanz der Politik über die kapitalistische Warnproduktion wäre Voraussetzung.
Dass die „Dienstleistungsgesellschaft“ den „gesellschaftlichen Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur“(Marx) auf ein ökologischeres Maß bringt, stellt
P.Probst zu Recht in Frage. Nicht nur dass die Dienstleistungsgesellschaft von den Produkten der kapitalistischen Industrie lebt, den Dreck, die Ausbeutung nur in andere Länder verlagert, sie verbraucht darüber hinaus zusätzlich Ressourcen.

In der Öffentlichkeit wird die Krise auf einige Begriffe reduziert: amerikanische Schuldenwirtschaft, Spekulation von Banken, Exportabhängigkeit. Die Debatte bleibt oberflächlich. Wirklich durchgerechnet, welche Geldbeträge verloren sind, welchen Abwärtseffekt sie im Wirtschaftskreislauf haben, wird nicht. Kreislaufdenken, strukturelles Denken ist dem vorwiegend betriebswirtschaftlichen Denken vollkommen fremd. Seltsamerweise ist die liberale Ökonomie, die sich so gerne rational gibt, nur noch von Wunschdenken – der Markt wird es schon richten - und Desinteresse an der Empirie geleitet.
Die Medien reproduzieren größtenteils unerträgliches Geschwätz, Phrasen. Von den Schulen kann man ohnehin nur die Reproduktion der allgemeinen Dummheiten erwarten.

22.2.09

DIE LETZTEN TAGE

Die letzten Tage mache ich bei der Arbeit seltsame Erfahrungen. Einmal vielleicht, weil ich durch Krankheit physisch geschwächt bin, zum anderen weil ich gegen Ende meiner Zeit an meiner Arbeitsstelle die Dinge eher distanziert wahrnehme.
Ich komme in die Halle, müsste mit E. arbeiten. Damals, als ich mit dieser Arbeit angefangen habe, ha er mich bei der Arbeit eingewiesen. Ich verstand mich mit ihm ganz gut. Merkwürdig war nur, dass er jede meiner Bewegungen kontrollierte. Auch sonst fungierte er als Vertrauensträger des Chefs. Irgendwann fand mein freundliches Gefühl gegenüber ihm sein Ende. - Heute soll ich mit ihm am Band arbeiten. Während ich bis vor einiger Zeit mich mir von ihm nichts mehr sagen ließ und ich in seiner Simplizität einfach stehen ließ, habe ich heute das Gefühl, jetzt wird er sich rächen, es wird Kampf. Mag aber auch sein, dass ich auf Grund meiner körperlichen Schwäche nicht die Lust habe zu kämpfen und mich gleich geschlagen gebe. Tatsächlich gehe ich ihm aus dem Weg, erledige viele andere Arbeiten, bevor ich ans Band gehe. Dort stellt er die Wagen so, dass ich keinen Platz habe oder stellt sich so, dass ich nicht an die Arbeit kann. Ich stelle mich also daneben und mache nichts. Nach einiger Zeit gehe ich wieder. Dann räumt er ganz gegen sein früher sehr sanftes Verhalten knallend die Wagen auf. Ich staune, suche nach einer anderen Arbeit.
Nicht nur von ihm bekomme ich ein ganz anderes Bild, auch ich befrage mich, ob ich mich richtig verhalten habe. Ob ich nicht gegenüber meinen Kollegen arrogant und verächtlich war. Andererseits wundere ich mich, wie ich das über 5 Jahre aushalten konnte – doch nur mit Arroganz und Aggression, mit der ich gesagt habe: „Das kann ich genauso gut oder noch besser als ihr!“
Anscheinend verteidigt zumindest in diesem Betrieb jeder seine Autonomie durch die Abwertung und Verachtung seiner Kollegen. Ich mache es durch meine intellektuelle Überlegenheit, andere durch ihre Beziehungen, durch Mehrarbeit usw. usw. Die dadurch gewonnene „Identität“, diese kleine Gefühl von individueller Überlegenheit, ist ein fragiles – es hilft gegen die Erfahrung von Austauschbarkeit und Überflüssigsein.
Wenn ich jetzt gehe und die Kollegen wieder ihre eigenen Regeln durchziehen, dann zeigt mir das meine Bedeutungs- und Wirkungslosigkeit. Ich habe mich biologisch reproduziert, aber blieb ansonsten wirkungslos.

Wie sollte sich die Stellung der Einzelnen verändern, dass nicht diese Kampfidentität notwendig wäre?
- ein gesamtgesellschaftliche Absicherung der Arbeitsplätze
- demokratische Basisgruppen, die über betriebliche Abläufe kommunizieren und bestimmen
- Fortbildung und Diskussion, eine Versachlichung der Beziehungen.

Was bedeutet es, wenn dieses System weiter auf dieser Identität der privaten Vorsprünge aufbaut?
Konkurrenz, Kampf bindet viel Aggression, kann sie sozial nutzbar machen – aber unterstützt und befördert sie auch; etwa einen individualisierten Klassenkrieg, in dem Einzelne um ihren Anteil am gesellschaftlichen Leben kämpfen. Den Frieden auf Erden zu bringen, ist nicht das Ziel. Aber vielleicht einen rationalen Umgang mit der vorhandenen gesellschaftlichen Aggression, als Einsicht in sein eigenes Verhalten.
Kann man „Psychologismus“ nennen – aber ohne die Reflexion des eigenen Verhaltens werden sich wohl auch gesellschaftliche Strukturen nicht verändern.

16.2.09

WARNSTREIK

Ich komme gerade zur Arbeit, als ich gefragt werde, ob ich gehe. Wohin? Zum Warnstreik. Was?? Ja, am Eingang hängt ein Plakat, dass um 12 Warnstreik ist.
Ich bin sauer. Keiner, der sagen kann, worum es geht, keine Ankündigung, nichts. Ich werde nicht hingehen. Die Gewerkschaft, der Betriebsrat hätte genug Zeit gehabt, zu informieren, darüber zu diskutieren.
Die meisten gehen hin, es ist ja ohnehin Pause und Arbeit gibt es gerade auch nicht. Nachher kommen sie mit Pfeifen im Mund zurück. Das ist das einzige Stimmrecht, das ihnen die Gewerkschaft zugesteht. Den Arbeitern oder politisch korrekt „ArbeiterInnen“, liegt das Führerprinzip. Meist aus Ostdiktaturen stammend gibt es ihnen ein vertrautes Gefühl.
- Es geht bei dem Warnstreik um mehr Lohn.
Interessiert mich nicht.

26.1.09

LANZMANNS SHOA

In der FR ein verstörendes Interview von Carsten Hueck mit Claude Lanzmann. Dieser meint

Jüdisches Leben ist in bestimmter Hinsicht wertvoller als je zuvor. Ehud Barak ist sich sehr klar darüber." Lanzmann atmet tief durch. Was denkt er zum Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit? "Ohne Bedeutung. Was wäre denn ein stimmiges Verhältnis im Krieg? Ein toter Palästinenser, ein toter Israeli? Zwei tote Palästinenser, zwei tote Israelis? Nein, so geht das nicht. Im Augenblick sind wir in einem Zustand kompletten Wahnsinns. Man will losschlagen, und sofort muss man die so genannte humanitäre Hilfe auf den Weg bringen." Ist ein Frieden mit der Hamas überhaupt denkbar? "Die wollen keinen Frieden. Auch nicht zwei Staaten. Sie haben nur das Ziel, Israel auszuradieren. Sie verschwenden keinen Gedanken an Menschenleben. Genau das Gegenteil der Israelis. Der Hamas ist das Schicksal des Volkes gleichgültig. Während sie schreien, Israelis seien Kindermörder, benutzten sie ihre Kinder als Kamikaze."

Zweifellos ist Lanzmann maßlos arrogant. Die Frage ist nur, ob er ein Recht dazu hat. Er ist ein Macho übelster Art. Aber das zählt nicht, wenn er in der Sache, die er vertritt, ein Recht hat. Die Shoa ist für ihn Lebensthema, schlimmer noch, seine Entdeckung, geworden. So wie er spricht, ist es ein Blankoscheck für alles.
Ich bin genauso banal wie die anderen Deutschen. Diese wollen einfach gut sein (oder wenigstens nicht im Unrecht sein …). – Wenn das so einfach wäre. Also – banal wie sie – kommt mir das Wort „Versöhnung“ in den Sinn. Aber es ist idiotisch von uns Deutschen, von den Juden zu verlangen, sie sollen sich doch endlich mit uns versöhnen. Merkwürdigerweise – es hat auch kein Deutscher die Juden gebeten, sich doch bitte mit den Deutschen zu versöhnen. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern. Als sich Brandt in Warschau niederkniete, haben sich die Menschen aus dem Milieu, aus dem ich kam, darüber mokiert.
Als Nachgeborener hatte ich es einfacher. Ich bin ich, und nicht verantwortlich, was mein Volk damals getan hat. Das ist die moderne Fassung von individueller Schuld und Verantwortlichkeit. Ich bezweifle inzwischen, ob sie taugt. Die Schuld wirkt weiter, ob ich nun als Individuum Täter war oder nicht. Irgendwie sind die Deutschen in sie verstrickt. Sei es, dass sie sympathisiert haben oder dass sie keinen Widerstand geleistet haben. Die harmloseste Variante erlebt man bei sich selber, wenn Menschen zu Opfern werden, es schwer oder gefährlich ist, ihnen zu helfen und man ihnen für den Opferstatus selber die Schuld gibt.
Der Schuld zu entkommen gibt es neben anderen vor allem zwei Varianten: den Opportunismus – das ist der Philosemitismus der deutschen Eliten – oder die Projektion. Die Projektion wirft den Schuldvorwurf zurück. Im Falle Israels ist das leicht. Vielleicht benimmt sich Israel deswegen so arrogant, weil es sich so „normalisiert“, einen aggressiven Kontakt provoziert, das Spiel von Vorwurf und Gegenvorwurf in Gang setzt. Vielleicht ist paradoxerweise ein Bekenntnis zum Antisemitismus eine Voraussetzung zur Versöhnung. „Ja wir hassen Euch als Juden, weil Ihr im Namen der Juden Verbrechen begeht.“

16.1.09

ANTIFA

ist eine Horde elitistischer Jugendlicher, die durch eine billige Antifahaltung moralischen Mehrwert absahnen. Mit „links“ kann man bestenfalls ihre Stellung im deutschen Bürgertum beschreiben. Mit Sozialismus haben sie nichts zu tun. Ein Sozialismus, der nicht von Arbeit – und Arbeitern – ausgeht, ist nur eine Propagandavokabel, mit der man Menschen ködert und täuscht.
Vorwiegend im Osten von Deutschland aktiv, zeigen diese, wie nach dem materiellen Ausverkauf dieses Landstrichs auch der geistige Ausverkauf stattfindet. Da die Demokratie eine Farce ist, begründet auf der Enteignung der Massen und Ersetzung von Autonomie durch die Shows der intelligenten Mittelschicht, verschiebt sich die politische Auseinandersetzung auf Ausgrenzungspolitik. In schwankender und materiell abhängiger Lage, im finanziellen und geistigen Blasenschaum, versucht sich die „Antifa“ durch die Macht und Sichanheften daran zu stabilisieren. So wie sich die pubertäre „Republik“ an die Siegermächte angeheftet hat, so das pubertäre Aggressionsangstgemisch an die vermeintlich moralisch Höherwertigen, in dem Fall die Juden
.
Dabei so scheint mir, werden sie benutzt und teilweise wohl auch bezahlt. Aber wie verträgt sich das mit den Attacken auf Polizei? Mit diesem Aktivismus für die Proteste im durchkorrumpierten Griechenland und ihre Juwelierhändler? Ich staune. Aber vielleicht haben sie die gleichen Gefühle für die Menschen in Gaza wie ich für randalierende Juwelierssöhne.
In der Tagesschau erklärt uns jetzt der Israeli Richard Chaim Schneider die israelische Politik. Ich schalte dann immer auf AlJazeera um und verstehe, worum es geht. Wenn man ein Volk schon nicht ausrotten darf, so soll es wenigstens politisch verschwinden. Barak – in Eigenpropaganda „kein netter Kerl, aber ein Führer“, ein
Mörder – will ja „Frieden“. Es soll endlich Ruhe herrschen.
Die deutschen Eliten sind vereint im „Antifaschismus“, also dieser eleganten Lösung, deutsche Schuld mit palästinensischem Land und Leben zu bezahlen. Wie hochmoralisch und überlegen gegenüber diesen bärtigen „Radikalislamisten“, wie unsere Staatspropaganda tönt. Nicht einmal diskutiert werden soll über Gaza, wie der Fall Will zeigt. Wahrscheinlich sind die Menschen nicht reif genug für ihre Demokratie.
So hat der Krieg gegen Gaza auch sein Gutes: Es zeigt, wie die Herrschaftsverhältnisse hier sind und wie der Rassismus, die Verachtung der Menschen anderer Kulturen, offizielle Politik ist. Es zeigt auch, wie damals nach 33 dieser Rassismus die Gesellschaft ergreifen konnte. Heute nicht durch Dekret, sondern über stillschweigende Übereinkommen. Interessant die Nachrichtensprache, interessant wie Steinmeier die perfektere Abriegelung von Gaza anbietet, wie Diskussionssendungen in den Staatsmedien zu Propagandashows degenerieren.

Warum rege ich mich darüber auf. Warum nicht über die mehrfache Zahl von Choleratoten in Zimbabwe usw.? Latenter Antisemitismus? Wäre ich Antisemit, hätte ich 1133 (-13) Gründe mehr bekommen, ein solcher zu sein. Aber es ist diese selbstverständliche und waffenliefernde Solidarität der deutschen Eliten mit Israel gegen die kolonisierten, wehrlosen und vertriebenen Palästinenser, die mich erregt; dieser Rassismus aus Arroganz und Menschenverachtung.
Ich wünsche den Palästinenser Frieden und Gerechtigkeit.

6.1.09

GAZA

Der Krieg von Israel gegen Gaza löst bei mir Gefühle von Wut und Ohnmacht aus – eine Frase, die ich derzeit zu präzisieren nicht die Gelegenheit habe. In dem Versuch, eine Stellungnahme zu schreiben, die ohnehin kaum jemand liest, stoße ich auf Schwierigkeiten in mir. Die Sache ist moralisch gesehen ganz einfach: Israel ist ein Staat des organisierten Raubmords. Die Araber, die sich ihrer Vertreibung und der Landnahme widersetzen, werden ermordet. Gaza, in der Bevölkerungsdichte Berlin vergleichbar, ist wirtschaftlich nicht autonom lebensfähig. Es ist ein großzügiges Flüchtlingslager. Daraus ein Manhattan, ein Hongkong oder Singapur zu machen, fehlen die Voraussetzungen – wie sie eben überall in der Welt fehlen. Glücklicherweise.
Was aber hält mich auf der einen Seite ab, dazu Stellung zu nehmen, bewegt mich aber auf der anderen Seite, dazu Stellung nehmen zu wollen? Was sich in Palästina ereignet, ist doch dasselbe, was auch an der Arbeiterklasse bei der ursprünglichen Akkumulation vollzogen worden ist, was sich bei den kolonisierten Völkern abgespielt hat und noch heute, wo Menschen mit Gewalt oder Tricks vertrieben werden.
Der Unterschied bei Gaza liegt in dem antisemitischen „Komplex“, in dem wir uns bewegen. Wie kommt es, dass die deutsche Elite proisraelisch ist, bestenfalls von Frieden faselt? Ist es ihre instinktive Verbundenheit mit Klassenherrschaft, die in abgewandelter Form im Nahen Osten praktiziert wird? Sicher. Aber während andere europäische Regierungen immer noch etwas Distanz waren – die ekelhaften Umarmungen der EU-Repräsentanten mit Livni vergess ich mal –so zeigt sich doch Merkel mit ihrer Schuldzuschreibung an Hamas scheinbar gnadenlos blöd. 20 Tote durch die Kassamraketen, 1200 durch die Israelis in der gleichen Zeit. Das zu übersehen, ist durch mehr bedingt als durch Klasseninstinkt oder Zynismus.
Ich entdecke in mir, wenn ich gegen diesen Block anschreibe, die Angst, als Antisemit denunziert zu werden. Es ist so. dass jeder, der hier in Deutschland nicht proisraelisch ist, als potentieller Nachfolger der Nazis behandelt werden kann. Diese Schuld, die sich die Deutschen aufgeladen hat, zwingt zu Verdrängung oder zur Distanzierung. Die nachfolgende Generation hat anscheinend nur die Chance zu demonstrieren: „Nein, wir hassen die Juden nicht, wir fürchten sie nicht, wir lieben und verehren sie.“ In meiner Jugendzeit war ein Autor für mich allein durch sein Judentum interessanter, verehrenswerter. Nicht immer, dass ich vorher darum wusste. Es ergab sich auf Grund des speziellen Ambiente der jüdischen Literatur und Philosophie: das Individuum in einem kritischen und gebrochenen Verhältnis zu seiner sozialen Umgebung. Und so schätzte ich hoch ein: Freud, Neumann, Parin, Adorno, Horkheimer, Marcuse, Marx, Kafka, Döblin, Zweig, Mahler usw. usw.
Es war also nicht nur dieser geheime Versuch, sich der Schuldfrage zu entledigen, was mich in diese Richtung führte, sondern auch ein ähnliches Lebensgefühl. Damals war ich aus der mir bis dahin eminent wichtigen Religion ausgetreten und befand mich in einer kulturell isolierten Lage.
Heute denke ich, dass ich falschen Vorbildern aufgehockt bin. Die realen Probleme der Arbeiterklasse, beschreibbar durch Klassengesellschaft, Demütigung in Arbeit, gesellschaftliche Beherrschung durch Marktkapitalismus, Medien und Intelligenz, und wie sie sich daraus lösen kann, werden durch sie nicht gelöst. Ihre Methode ist die individuelle Emanzipation, etwas, was einer Arbeiterklasse insgesamt nicht möglich ist, eine bürgerliche Sackgasse.
Das andere Problem der Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld besteht darin, dass der Faschismus, dem ja auch ein Teil der Arbeiterklasse folgte, nicht nur eine moralisch zu beseitigende Erscheinung ist, sondern es gilt, seine berechtigten Ursachen zu begreifen - also die Bedeutung der Gemeinschaft und Gesellschaft für das individuelle Handeln.

Wie kommt es nun, dass eine Kritik Israels in Verbindung mit diesem Schuldkomplex eine solche Angst erzeugt? Die psychoanalytischen Antisemitismustheorien verankern diese Angst im Unbewussten. Auf die Juden wird die eigene Aggression projiziert und kehrt als Gefahrenangst wieder ins Bewusstsein. Aber ich denke, dass diese „Realangst“, in der die Juden Kindermörder, Brunnenvergifter usw. sind, immer eine durchsichtig demagogisch geschürte war.
Wenn ich vor den Juden Angst habe, dann im Zusammenhang mit dem Holocaust. Dieser verlangt Rache und Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeit durch Gericht ist nicht möglich, teilweise weil die Massenmörder entkommen sind, die Schuldfrage nicht klärbar ist, ein Mord nie gesühnt werden kann. Es der Gerechtigkeit eines Gottes zu überlassen, bleibt real folgenlos. Sühne und Rache wie auch immer stehen noch aus.
Der Kalte Krieg hat die Fantasie der Auslöschung Deutschlands enthalten. Das wäre eine adäquate Rache gewesen. Seit 1989 hat sich die Situation verändert. Die Rache muss eine andere Richtung annehmen. Jetzt tritt der Plan von Großisrael in Kraft; die allmähliche Einverleibung von Syrien, Jordanien, Libanon, zuerst durch die Armee, dann durch Siedler, dann endgültige Annektion. Die Friedensabkommen haben nur das Ziel, die Weltöffentlichkeit zu täuschen und Waffen vom Westen zu bekommen. Nützliche Idioten wie Merkel usw.spielen brav mit. Die auf dem Gebiet lebenden Palästinenser werden in Ghettos untergebracht, schändlicherweise - so die Meinung von Antideutschen – am Leben gehalten von UNO.
Was kommt nach Großisrael? Die Rachsucht verselbständigt sich und wird nie ein Ende finden. Auch wenn sich die mehrfache Zahl von Deutschen zu den Toten von Auschwitz legt.
Ein Hauptmoment in der Konstruktion des Antisemitismus spielt die Übernahme der christlichen Religion durch den Westen. Weniger weil das paulinische Christentum, als was es sich durchgesetzt hat, selber antijüdisch war („die Synagoge des Satans“), sondern weil es das in ihm enthaltene jüdische Erbe verraten hat. Nicht nur dass der jüdische Gott allein der des Volkes Israel, seines auserwählten Volkes, war und sonst keines anderen. Es war – jeder Christ muss das wissen – die Intention von Jesus, nicht ein Jota des jüdischen „Gesetzes“ zu verändern.
So hat sich der Westen eine Religion angeeignet, die er sich vorher aufklärerisch vernünftig zurechtgelegt hat – dazu bieten die Evangelien ja viel Material. Aber er hat sich bei der „Bekehrung“ nicht von dem gefährlichen und dogmatischen Kern der jüdischen Religion trennen können: der Auserwähltheit, der Rachsucht, den Dogmen, dem Opfer, dem Antihumanismus. Diese Bestandteile kehren als Antisemitismus wieder.
Es sind gerade die Juden, die sich von ihrer Religion getrennt haben, die etwa wie Freud einen neuen Humanismus begründet haben, die den Schritt aus der Gewissheit und Geborgenheit der Ethnie in eine neue Welt gegangen sind. Dass ihr Modell für die Weltpolitik folgenlos blieb, dass sich solche Monster ausbreiten können, hätten sie nicht erwartet, außer im Spiel der Fantasie und der Alpträume.

29.12.08

DAS ELEND DER RELIGION

Saisonal wiederkehrend wird jetzt wieder die Bibel angepriesen, „Gottes Wort“ – welche Blasphemie! Diese Weisheit! Dieser Reichtum menschlicher Seele! Diese „berauschenden Bilder“! Diese durch Jahrhunderte oder Jahrtausende gefüllte menschliche Erfahrung und Empfindung!
Es mag zwar sein, dass die Bibel auch menschliche Erfahrung, menschliche Empfindungen aufnimmt, elementare Fragen sozialer Beziehungen anspricht, aber das geschieht in der Regel in einem moralisierenden und die Gesellschaft nicht reflektierenden Zusammenhang.
Die Moral, die ich auch hier in diesem Blog immer wieder benutze – sei es in Bewertungen, Flüchen oder Charakterisierungen -, ist nicht in der Lage ein neues Verhalten dauerhaft zu begründen. Wo ein guter Wille ist, da ist auch ständig Willensschwäche. Moral ist ein Messinstrument von sozialem Verhalten, nicht mehr.
Aber die christliche Gewohnheit, soziale Beziehungen auf individuelle Moral und Einstellungen zu reduzieren, wie man sie jetzt in den Predigten hört - Anstand, soziale Verantwortung, Gier, Vergötzung des Geldes, Schwarzmalerei, Fürchteteuchnicht, Zuversicht usw. -, ignoriert bewusst die Zuständigkeit demokratischer Institutionen. Wird es dem Appell, dem freien guten oder bösen Willen und Glauben oder gar der ominösen „Liebe“ überlassen, was sozial gerecht ist, dann hört Demokratie auf und fängt Bürgertum an. Was gerecht ist, braucht öffentliche und allgemeine Diskussion. Nicht den Rückzug auf individuelle Beliebigkeit, das Reich bürgerlicher Freiheit. Die Zwei-Reiche-Lehre begründet das christliche Bürgertum.
Deswegen ist auch Religion unfähig, die Probleme der Zukunft anzugehen. Wir finden keine Antworten darauf, wie die neuen Produktionsverhältnisse aussehen sollen, die zu einer neuen Gerechtigkeit führen könnten. Diese Frage wird auf Caritas oder Sozialstaat reduziert und perpetuiert so die Ungleichheit.
Genauso Probleme der ökologischen Produktion, der Geburtenkotrolle usw. usf. Die Kirchen schwimmen mit ihrer Moral im Sumpf der Tradition, sind nicht zukunftsfähig, unfähig die menschlichen Probleme zu lösen.
Ganz schlimm wird es beim Umgang mit der Wahrheit. Wer vor die menschliche Realität die Frohbotschaft setzt, ist nicht in der Lage, sich selber und andere zu verstehen.
Saramago
schrieb – wie er meint leider zur Freude der Theologen: “Dios es el silencio del universo, y el hombre el grito que da sentido a ese silencio”. "Gott ist das Schweigen des Universums und der Mensch der Schrei, der diesem Schweigen Sinn gibt.“ Aber die Zuversicht gebenden Schriften und Predigten wollen dieses Schweigen nur zumüllen.

Wie würde ein Gott, der auf die Erde käme, in Erscheinung treten? Er müsste sich wohl oder übel an die Gottheitserwartungen der Menschen anpassen: Wunder, Weisheit, vielleicht Wahrheit, sonst würde ihm die Göttlichkeit nicht abgenommen werden. Wenn Gott aber nur die menschlichen Erwartungen spiegeln darf, um Glauben zu bewirken, dann ist er nur Spiegel und Projektionsfläche des jeweils historisch geformten menschlichen Denkens und was Gott wohl sagen würde, das müssen wir selber denken.


26.12.08

WEIHNACHTSFEIER

Jedes Jahr gibt es eine Feier mit Essen und Besichtigung einer anderen Firma im gleichen Bereich. Keine schlechte Idee. Während ich die ersten Jahre gar nicht hinging, das letzte Mal nur kurz blieb, war es diesmal sozusagen das letzte Abendmahl, das ich nicht versäumen konnte. Und ein solches letztes Abendmahl war es dann auch. In der Mitte der Chef, daneben Vorarbeiterin und der Techniker. Ich wie Judas ganz außen. Ausnahmsweise sind heute auch alle Männer da. Sonst waren es nur der Vorarbeiter, der jetzt ja weg ist, und der Schwarze, ein treuer Diener seines Herrn.
Woran es liegt, dass die Männer immer in Opposition zum Chef sind? Einmal liegt es wohl daran, dass die Frauen in der Mehrzahl sind, 70% ausmachen, ihm gegenüber sehr loyal sind, ihn teilweise sogar idealisieren. Dann aber auch an dem arroganten und unkommunikativen Verhalten des Chefs gegenüber den Männern, die ihm gegenüber zwar Konkurrenzverhalten zeigen, aber als relativ unqualifizierte Ausländer nicht das Wasser reichen können. Andererseits steht er schon durch seine Position, für den wirtschaftlichen Ablauf der Abteilung zu sorgen, im Gegensatz zu den „Mit“-Arbeitern. Auch wenn er diese Funktion nur lasch ausfüllt.
Ich komm – einem Radfahrer natürlich verzeihbar – zu spät. Alle sind schon versammelt – fleißige Arbeiter - und ich hab die Wahl mich entweder zum Schwarzen oder zum Neuen zu setzen. Da ich mit dem Schwarzen wegen seiner politischen Naivität und Sklavenmentalität cross bin, setze ich neben den Neuen – und meinen schlimmsten Feinden gegenüber. (Immerhin sorgen sie mit ihrer Faulheit, dass wir anderen immer genug Arbeit haben. Insofern habe ich auch Sympathie für ihr Verhalten.) Meine Versuche, mit dem Neuen zu reden – ich will wissen, was er denn vorher so alles gemacht hat – scheitern. Würde er sich nicht zu einem kleinen Mäuschen von der Logistikabteilung zudrehen, die immer darüber jammert, wie viel mehr sie jedes Jahr arbeiten müsse ….[was, wie ich den Zahlen entnehme, nicht stimmt], ich nicht so interpretiere, dass ich als aussätzig behandelt werde.
Ein richtiges Thema kommt nicht auf. Die Strategie des Abwartens und Schweigens ist die vorherrschende Strategie. Bei der Arbeit sind wir fast nur noch durch den technischen Ablauf miteinander verbunden. Mehr als Zweierkontakte gibt es nicht.
Es holpert sich also durch Getränkebestellung, Essensbestellung, - endlich Salat. Ich habe schon zuhause gegessen (und gekocht) und kann so gesättigt seinen Verzehr genügend in die Länge ziehen. Fotos werden dann herumgereicht, Blätter einer letzten Abschiedsfeier, die mich über die Peinlichkeit des Abends herüberretten: ein Spiel ist angesagt. Irgendeine Tante einer anderen Abteilung, die ich nicht kenne, hat sich etwas ausgedacht. Sie liest einen Text vor. 12 Leute haben sich vor ihr in einer zugewiesenen Rolle auf einen Stuhl zu setzen und immer dann, wenn von ihrer Rolle die Rede ist, aufzustehen und den Stuhl zu umkreisen. Das ist für den Rest des Publikums sehr lustig und wird dankbar belacht. Ich vertiefe mich während der Zeit in ein keltisches Baumhoroskop. Danach verzehr ich – es war das billigste Menü – in kleinen Schnitten und Bissen ein paniertes Schweineschnitzel, glutamatgeschwängert. Schließlich das Dessert, Eis mit ranziger Sahne. Mir ist übel, ich habe Kopfschmerzen.

In mir ein schlechtes Gefühl, wie ich mich so absondere und ich erwarte keine Freundlichkeiten an den nächsten Tagen. Aber seltsamerweise wird es mir großzügig verziehen. Keiner, der zu mir unfreundlicher ist. Ich frage auch nicht nach, wie lange sie noch zusammenhockten – ich will die Sache als Thema abgehakt haben. Was verbindet uns?