29.4.07

29.04.07
Working Poor I
Zufällig gerate ich in ein Gespräch über den Fall einer Angestellten. Sie kommt mit ihrem Verdienst nicht mehr zurecht, mindestens 1200 € netto. Sie ist verschuldet. Ihr Sachbearbeiter in der Bank gibt ihr den Rat, einen 400-€ Job anzunehmen. Die Männer sprechen gerne mit ihr. Sie ist tätowiert In der Firma ist sie ein Kommunikationsknoten. Sie ist nicht auffallend unfähig. Aber sie liebt radikale und einfache Lösungen. Was man nicht mehr braucht, das schmeißt man weg. Kuchen, die bei einer Feier nicht verkauft werden, werden weggeworfen, Blumen der Dekoration auch. Statt Geschirrspülen gibt es Plastikgeschirr. Das Kilo Kaffee für die Automaten 16 €. Sauberkeit ist wichtig, ihr wird viel geopfert. Ihren maßlosen Forderungen für ihre Einrichtungen in der Firma wird normalerweise entsprochen. Sie passt in eine allgemeine Mentalität: Wenn man etwas macht, dann macht man es gleich richtig. Altes Zeug schmeißt man raus.
Einen Urlaub kann sie sich nicht leisten, für sie denkbar wäre, wie sie sagt, nur ein Aufenthalt im Fünfsternehotel.
Um die Dreißig ist sie auf der Suche nach einer festen Beziehung. Dafür mietet sie eine Wohnung, stattet diese mit viel Geld aus, gibt Feste. Aber es lohnt sich nicht. Am Ende zieht sie wieder zu ihrer Mutter, hoch verschuldet.
Ihre Konsumwut ist unökonomisch, aber trotzdem funktional für unseren Kapitalismus. Sparen würde die Konjunktur nur abwürgen. Der Bankangestellte sieht das richtig und systemkonform, wenn er sie nicht zum Sparen, sondern zur Mehrarbeit auffordert.
Während in der traditionellen Arbeiterkultur ein Großteil der Genüsse darin bestand, sich etwas erspart zu haben, besteht für sie und viele andere der Genuss darin, sich etwas geleistet zu haben.
Die neue Wohlstandskultur ist ein Fass ohne Boden. Je mehr der Lohn steigt, desto mehr wird ausgegeben. Desto mehr muss dafür gearbeitet werden. Desto mehr wird an natürlichen Ressourcen verbraucht.

Working Poor II
Eine Frau lebt von Berufsunfähigkeitsrente. Dazu arbeitet sie noch nebenher. Kommt so auf über 1000€. Aber sobald sie etwas Geld zusammenhat, kommen ihr Exmann und ihr Sohn und geben ihr Geld aus. Sie verschulden sich durch Bestellungen usw. Sie vereinbart mit einer Finanzbetreuerin, dass ihr nur noch zweimal 50€ pro Woche von ihrem Konto ausbezahlt werden. Nach einiger Zeit hat sie die Schulden zurückbezahlt. Jetzt steigt aber die Telefonrechnung ins Unermessliche. Es wird mit ihr vereinbart, die Telefonleitung zu kappen. Ihr Exmann überredet sie, einen Handyvertrag abzuschließen. Bald hat sie Schulden durch Handy, Nebenkosten und anderes von über 4000€. Um eine weitere Ausbeutung durch ihren Exmann zu verhindern, erklärt sie sich bereit, sich für geschäftsunfähig erklären zu lassen. Jetzt bekommt sie durch eine Sozialarbeiterin jede Woche einen Betrag von 50€ für Essensausgaben. Wohnung wird über die Finanzbetreuerin bezahlt. Das erscheint aber der Sozialarbeiterin zu wenig und sie schreibt die lokale Presse an, bittet um Spenden. Prompt werden ihr 800€ überwiesen. Als erstes kauft sie sich davon eine Brille für 250 € und verdoppelt das Essensgeld auf 100€ pro Woche. Die Party geht weiter.

25.4.07

23.04.07 Katholizismus am Fließband


23.04.07
Warum wird ein Katholik Chefredakteur des Kulturressorts beim "Spiegel"
, einer einst antikatholischen Bastion? M. Matussek bekennt sich als praktizierenden Katholiken. Da ich eine ähnliche Vergangenheit wie er hatte – 6 Jahre katholische Napola -, interessieren und wundern mich seine Ausführungen zur Religion. Er sagt: man solle hinknien, um den Glauben zu bekommen, lobt den Rosenkranz, das Tischgebet, das Ministrieren. Das erziehe zu Verlässlichkeit, Regelmäßigkeit, Demut, Disziplin, Pünktlichkeit. Und bei der Eucharistie da sagt man: „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort und meine Seele wird gesund.“ Das ist also Gottesdienst, nicht das urchristliche Zusammenkommen, bei dem das gemeinsame Mahl samt Armenspeisung im Vordergrund steht. Dieser Wechsel vom Zusammensein zum Gottesdienst ist gleichzeitig der Wechsel von Gemeinschaft und Gemeinde zur Beziehung eines Einzelnen zu Gott. An die Stelle menschlicher Beziehungen tritt die Unterordnung unter Gott und seine irdische Stellvertreter, der Gehorsam und die anderen autoritären Tugenden, für die eine heteronome Gesellschaft immer wieder Verwendung findet. Gleichzeitig stellt der heutige Glaube kein Hindernis dar, sich großzügig der irdischen Ressourcen zu bedienen.
Man schaue sich den von Matussek verehrten Benedikt an, wie er auf Bayern 4 in Scheinheiligkeit schreitet, fernsieht, betet, segnet – es aber in den vielen Jahren vor seinem Amte nie für nötig hielt, mit den anderen im gleichen Haus wohnenden deutschen Kardinälen auch nur einmal gemeinsam essen zu gehen. Wozu auch? Der durch seine Beziehung zu Gott gerechtfertigte, geheiligte und geheilte Mensch, hat andere Menschen nicht mehr nötig. Ein Beispiel, wie der Glaube zu einem heimlichen Größenwahn führt, ganz und gar nicht zu Demut oder um weniger autoritäre Begriffe zu gebrauchen: Bescheidenheit und Ehrlichkeit.
Freud sah in den religiösen Ritualen Zwangshandlungen, die den Sinn haben, einen Kompromiss in einem Triebkonflikt zu bilden, dem Konflikt zwischen einer innigen Verbindung zum Vater und einer destruktiven Wut gegen ihn. Die Zwangshandlung löst diesen Gefühlskonflikt und die damit verbundenen Ängste auf. An die Stelle von innigen und aggressiven Gefühlen tritt eine gefühlsneutrale fetischisierte Handlung, rationale Begründungen werden nachgeliefert. Der sich so disziplinierende Mensch wird zum Charakter: Trotz, Eigensinn, Pedanterie.
Ein Paul Matussek hat das 1965 in einer Diskussion, die mich damals sehr beschäftigt hat, Ideologie genannt. Aber M. Matussek hat sich um solche Dinge nicht gekümmert. Er ging zu den Maoisten. Freud sprach seinerzeit von zwei großen Massen, die die Gesellschaft prägen: Militär und Kirche. Aber auch bei den Maoisten mit ihrem stalinistischen Führerkult ersetzte das gemeinsame Ich-Ideal das private ÜberIch. Damals kämpften sie gegen uns Antiautoritäre. Zwischenzeitlich ist er aber schon weitermarschiert und auf den Papst gekommen.
Mir geht es aber nicht um diese Einzelbiografie. Die Frage ist mehr, wie M. Matussek einen solchen Einfluss bekommt. Ich denke es liegt an Folgendem:
- er vertritt eine traditionelle Ordentlichkeit, orientiert an Anpassung an herrschende autoritäre Machtstrukturen in Schule, Betrieb und Politik und gibt ihr einen scheinbar metaphysischen Sinn.
- Der Weg zur Autonomie ist ein mühsamer: über Depressionen, Ängste, Alpträume, Zweifel, Trennungen. Und dabei helfen Zaubersprüche eines „Herrn“ nicht.
- Die Konkurrenz zwischen den Menschen hat enorm zugenommen. Daran schuld ist nicht nur der kapitalistische Arbeitsmarkt, sondern auch die durch liberale Ideologien veränderten Beziehungen zwischen den Menschen seit 68. Matussek träumt von traditionell geordneten und familiären Beziehungen. Gleichzeitig ist der Spiegel selber Organ der neoliberalen Reform und Verschärfung der Konkurrenz. Um die aufgelösten Bindungen einer solchen Gesellschaft wieder zu kitten, versucht man es mit dem Rückgriff auf traditionelle Werte; etwa der Nation, Religion, dem Krieg.

Was hat der Katholizismus mit meiner Fließbandarbeit zu tun? Manchmal frage ich mich, ob – abgesehen von meiner Unfähigkeit – es nicht Resultat eines religiösen Schuldgefühls ist, dass ich mich dieser gesellschaftlichen Degradierung unterwerfe, dieser Dienst am Band also eine Art Bußleistung ist, eine innere Art von Christentum, christliches Märtyrertum light – gleichzeitig mit dem Recht verbunden, Anerkennung von weniger Eifernden verlangen zu dürfen. Erinnere mich an meinen Respekt für die Arbeiterpriester, die 59 vom Vatikan verboten wurden. Als Katholik hat man ja ein besonders scharfes ÜberIch durch die überhöhten moralischen Forderungen der Nächsten- und Feindesliebe, des Sexualverbots, dem Sünderbewusstsein und misanthropischen Menschenbild, der frühen Übung von Beichte und Selbstkritik, der Androhung von Hölle.
Durch eine solche Ausbildung geschärft, stellten sich mir Fragen der Moral, der sozialen Gerechtigkeit radikaler.
Mein katholischer Vater war Arbeiter, der die Mittelschicht, Ärzte und Pfarrer, Lehrer usw. verehrte. Katholisch streng war er geworden in der Kriegsgefangenschaft, als seine katholische Herkunft als der richtige Weg und antinationalsozialistisch interpretierbar wurde. Die Wiederbewaffnung der BRD war für ihn ein unmoralischer Akt. – Arbeit, harte Arbeit, war in diesem Milieu, was sozial zählte. „Studenten“ (also Gymnasiasten wie ich) waren tendenziell Faulenzer. Es war für mich schwer oder unmöglich, einen Kompromiss zu finden. Lange habe ich gegen diese Überlegenheit meines Vaters angekämpft. Er glaubte mit der Arbeitsüberlegenheit Loyalitäten aller Art von mir erzwingen zu können. Anerkennung von ihm konnte ich nur mit gleichen Leistungen erzwingen. Meine Vorsprünge musste ich nicht nur mit schlechtem Gewissen, sondern auch mit Abwertungen, Desinteresse bezahlen. Als ich aus dem Religionsunterricht austrat, wollte er mich von der Schule abmelden. Kein Wort an mich, als ich das Abitur schrieb. Das Studium ohne jede finanzielle oder moralische Unterstützung.
Seine Anerkennung habe ich gefunden, wenn ich in die Fabrik zum Arbeiten ging und als er selbst arbeitslos wurde. Ist dieser soziale Druck bei mir zu einem irrationalen Gewissen geworden? Bin ich ein Opfer der Unterschichtenmoral und ihrer irrationalen Arbeitszwänge?
Die Welt sieht von unten anders aus. Die Mittelklasse mag sich gesellschaftlich notwendig vorkommen, weil sie moralische Maßstäbe formuliert, lenkt und leitet, vordenkt, organisiert. Aus der Sicht von unten ist das ein angemaßtes Privileg, das sie sich mit Beziehungen, Erbe usw. in einem unfairen Kampf und schon gar nicht demokratisch erworben haben. Aber in der Regel ist das nur ein dumpfes Bewusstsein, oder ein Affekt.
Es bedeutete für mich, dass ich mit der Moral von unten oben unmöglich sinnvoll leben konnte. Die Gefühle der Unterschicht werden von der Mittelklasse neuerdings als Neid abgetan. In der Tat beruht die Einstellung der Unterschicht gegenüber denen da oben auf einem Ressentiment, das noch nicht die Kraft zu etwas Besserem enthält, sondern vielmehr einen Unrechts- und Schuldstatus betont, der die Abhängigkeit verfestigt. „Wenn es die da oben besser machen, dann wird alles gut.“ Andererseits sind die unten aus der Sicht der von oben mit Mängeln behaftet: sie können es eben nicht so gut, machen Fehler, sind faul usw. Im Verhältnis zu meinen Kollegen spüre ich diese Oben-Unten-Gefühle bei mir selbst.

Spielt der Katholizismus heute bei den Arbeitern eine Rolle? In der Fabrik habe ich meine ersten Erfahrungen mit einem „Atheisten“ gemacht, einem unflätigen und bösartigen. Er hatte wohl seine Erfahrung mit der Kirche nicht bei einem netten und klugen Pfarrer gemacht, sondern bei solchen - damals nicht unüblich - die Kinder misshandelten, brüllten und schlugen. Einer von denen war noch bis vor einiger Zeit der Leiter einer Einrichtung zur Erzieherinnenausbildung, ein Anderer Ausbilder an einer pädagogischen Fachhochschule. Ob sie ihren Studenten erklärt haben, welch böse Gefühle sie gegenüber Kinder und Jugendlichen gehabt haben, woher die Wut kam, die sie getrieben hat?
Ansonsten spielt die Religion keine Rolle mehr. Einer meiner Kollegen macht bei Festivitäten mit, die zum Kleinstadtleben gehören, neben Feuerwehr, Gartenverein etc. Wenn er an seinem Arbeitsplatz den Radio anmacht, hört er den Heimat- und Dudelfunk.

22.4.07

22.4.07 Traum eines Überflüssigen

22.04.07

Traum: Ich fange meine Arbeit am Fließband an. Aber alles ist voll. Schon kommt die nächste Ladung. Ich stoße an die aufgestapelten Pakete, darauf fällt der größte Teil herunter, zerbröselt. Schon kommt die nächste Ladung aufs Fließband. Ich bekomme das Gefühl, dass der Chef davon ausgeht, das ich mit der Maschinerie ohnehin nicht zurechtkomme, es grade egal ist, ob ich arbeite oder nicht arbeite. So wie die Sache läuft und sich das unverarbeitete Material auftürmt, ist es gleichgültig, ob ich da bin oder nicht da bin. Ich bin in der Firma überflüssig. So wie ich in der Realität über manche meiner Kollegen denke. Derzeit geht immer wieder die Arbeit aus. Wenn alle da sind, ist mindestens einer zu viel da.
In einer Versammlung meint der Chef, dass mehr Material verarbeitet werden könnte, sprach von „guten Arbeitern“ und „halt nur Arbeitern“, und dass die Arbeit auch von Frauen gemacht werden könne.
Nicht zu vergessen der Direktor, der damit drohte, die ganze Abteilung zu schließen.
Jeder kann sich also überflüssig fühlen. Heute Nacht habe ich das Label bekommen.
Ich zähle jeden Tag bis zu Beginn der Altersteilzeit. Dann würde ich mich sicherer fühlen.

21.4.07

21.4.07 Gewerkschaftskundgebung

DGB-Demo gegen Sozialabbau. Weil der Betriebsrat gemeckert hat: Wer da nicht auftaucht, soll auch sonst nicht rummeckern – ich mich auf der falschen Seite zugerechnet fühlen würde, wäre ich nicht dort, bin ich also hin. Die üblichen Rituale: Reden, Zahlen, Parolen, Pfeifen, Fahnen. Nicht schlecht: ein Blasorchester. Luftballone etc. - besser als nichts. Ich hör mir stehend die Reden an: Referate aus den Nachdenkseiten, Zahlen. Ein Jugendvertreter sehr eloquent. Aber auch ein Referat. Wir das Publikum sind ca. 500, vielleicht 10 bis 20 % Frauen. Durchschnittsalter ungefähr 40, die meisten ohne Wohlstandsbäuche.
Auch wenn mir die keynesianische Ideologie (Lohn = Konsum = Wirtschaftsaufschwung) zuwider ist, kann ich öfter Beifall klatschen. Trotzdem gilt: Es geht an den (einkaufenden oder abwesenden) „Massen“ vorbei. Nicht nur weil die meisten zufrieden sind, sie das Gefühl haben, dass für sie – unter anderem auch von den Gewerkschaften – gut gesorgt ist. Es ist auch diese Form der Parteilichkeit, die von ihnen bei solchen Veranstaltungen gefordert wird, eine Parteilichkeit, bei der sie ansonsten einflusslos und passiv bleiben.
Der Referatcharakter der Reden, das Aufzählen von Argumenten und Zahlen, hat seine Wurzeln in der Rede, der Diskussion, des Streits, Streitgesprächs. Aber an wendet sich eine solche Demo? Selbstaufklärung der Teilnehmenden? An die Presse, die solche Argumente gar nicht aufnehmen können, weil sie an ihre Leser und deren Massengeschmack denkt? Dieser Massengeschmack orientiert sich am Spektakulären und an den Abweichungen vom Gewöhnlichen. Oder sollen die lokalen Politiker angesprochen werden? Die werden sich sagen: Eine solche Demo tut uns nicht weh, wir werden die Gewerkschaftlern schon irgendwie zum mit uns Kungeln bringen.
Also am Schluss bleibt als Resultat die Zustimmung zu Argumenten und Forderungen mit dem Gefühl, dass es öffentlich wirkungslos bleibt. Abgesehen davon, dass die Gewerkschaften Präsenz gezeigt haben.
Man vergleiche das einmal mit einer ARD-Meldung von heute:

„Feuerwerk, Licht- und Laser-Show: Die Taufe des Kreuzfahrtschiffes "AIDAdiva" war ein farbenfrohes Spektakel. 350.000 Zuschauer strömten nach Schätzungen der Polizei in den Hamburger Hafen, um bei der Feier für AIDAdiva dabei zu sein. „

Was ist das Problem einer solchen Kundebung?
- Einmal das Problem der mangelnden Integriertheit der Gewerkschaften, d.h. wenig Mitglieder, wenig davon aktiv. Das hängt auch damit zusammen, dass sie zum Wirtschaftsfaktor geworden ist, Tarifverhandlungspartner und sich selber auch so begreift. Sie ist kein Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Arbeitsleben unter kapitalistischen Bedingungen.
- Wirtschaft ist nicht als politisches Verhältnis durchschaubar, sondern eine Sache der Konjunktur, Märkte, Geldgrößen usw. Die, die Arbeitsplatz haben, sind froh darüber. Die Gesamtwirtschaft interessiert nicht oder man fühlt sich dagegen ohnmächtig und macht aus diesem Glauben heraus dieses System immer mächtiger.
- Die Menschen haben einen Mangel an sozialer Erfahrung, sie lernen in Schule, Familie, Vereinen das Mitmachen, aber nicht selbständiges Handeln, Initiative. Das gilt zumindest für die meisten abhängig Beschäftigten. In der Konkurrenz mit der Mittelschicht haben sie die Erfahrung gemacht, dass sie in solchen Dingen angreifbar und fehlerhaft sind.
- Aus dieser Erfahrung von mangelnder und fehlender sozialer Kompetenz haben sie sich auf ihr Privatleben zurückgezogen. Öffentlichkeit ist bestimmt durch Ängste und Ressentiments. Politiker macht sich populär, wenn sie sich durch Attacken auf einen Gegner profilieren oder aber (oder beides) ein Bild von Integrität abgeben und den Eindruck machen, dass sie anderen Menschen nicht schaden, sondern nützen wollen.
- Meine Fantasie ist begrenzt. Aber eine solche Kundgebung braucht mehr sinnliche Elemente: Musik, gut lesbare Texte, Bilder, spektakuläre Aktionen. Es muss etwas vermittelt werden. Wenn ich dastehe und eben zuhöre, mache ich nichts. Warum nimmt man sich nicht die lokalen Parteibüros vor? Bestimmte Arbeitgeber? Oder Informationen anders als in einer Rede rüberbringen?
-
Warum Gedanken zur Gewerkschaft? Ich war unter anderem 12 Jahre in der IG Bau. Nachdem ich die Branche gewechselt hatte, habe ich dort mit Schrecken gesehen, wie unterschiedlich dort die Tarife waren; Angestelltentarife und Arbeitertarife und davon mindestens 10 verschiedene, kaum zu glaubende Lohnunterschiede. Daraufhin habe ich mich entschieden, nicht mehr einzutreten. Warum soll ich mich für die Besserverdienenden einsetzen?
Die Gewerkschaften sind Teil des kapitalistischen Systems. Ihre Bestrebungen enden in der Sicherung privilegierter Arbeitsplatzbesitzer – das ist nur natürlich. Man kann es ihnen nicht vorwerfen.
Heute angesichts der Globalisierung und des neoliberalen Vormarschs hat sich die Gewerkschaft etwas nach links, globalisierungskritisch politisiert. Aber bis zum Kern der Sache: ökologische Produktion demokratisch organisiert - ist noch ein weiter Weg. Nicht zu glauben, dass sie den gehen.

18.4.07

18.04.07

Wir sind Papst. Auch Matussek in SpiegelOnline möchte da etwas mitspielen, offen für alles, was provozieren könnte und dabei noch etwas moralisches Image vermittelt.
Der Papst will die Vernunft zur kirchlichen Institution erklären, die der Griechen. Das soll dann zusammenpassen mit Rosenkranz, Liturgie und Teufelsaustreibung.
Da war dieser zornige junge Mann aus Nazareth. Dieser Umstürzler mit seiner Bergpredigt, garniert freilich mit der Höllendrohung. Verständlich sein Zorn, aber reicht das zu einer göttlichen Botschaft? "Glaubet nicht, ich sei gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Heißt das heute nicht: eine 9-Millimeter-Glock und eine .22-Kaliber-Walther - um an ein Ereignis von gestern zu erinnern.) Ist Gott ein jähzorniger Despot? Sicher könnte ein solcher Gott die widersprüchlichsten Ereignisse des menschlichen Lebens und der Natur, die Abfolge von Glück, Lebensfreude und harten Schlägen, Tod, Ungerechtigkeit erklären. Am Ende wäre doch alles wieder gut und es wird dann schon alles seinen Sinn haben. Das wäre doch vernünftig. Da können sich Papst, Matussek und die anderen Arrivierten treffen.
Vergessen die Ambivalenz der Religion, wie sie sich als Herrschaftsinstrument eignet, nicht nur, um kleine Kinder und Abhängige zu ängstigen.
Man könnte aus der Bibel auch eine humane Botschaft herauslesen: zusammen arbeiten und essen, sich miteinander verständigen, als Gemeinschaft die Ressourcen teilen, wütend sein dürfen und sich verzeihen können, mit seiner ganzen menschlichen Natur leben und zusammen unglücklich über die menschlichen Grenzen sein. Aber es kann doch nicht heißen: Messrituale, Zölibat, Dogmen, Hostien, Rosenkränze, Zaubersprüche, antike Zeremonien und Herrschaftsrituale.
16.04.07

Einwände gegen meine Attacken gegen die liberale Mittelschicht:
- Die Mittelschicht eine sehr unterschiedliche Gruppe - aber das gesellschaftliche PrivilegiertSein bestimmt das Bewusstsein.
- Durch Ausbildung, meinen demokratischen Idealen, der Betonung individueller Gefühle, den ehrgeizigen Bildungsidealen gehöre ich selber doch auch zur Mittelschicht. Aber die Differenz liegt in der Bewertung der Industrialisierung, der Betonung einer global gerechten Ökonomie. Poor is future: Eine Zukunft ist nur als gemeinsame „Armut“ möglich.
- Es ist doch die Arbeiterklasse selber, die sich mit ihrer Passivität und autoritären Fixierungen, ihrem Sicherheitsbedürfnis und kindisch-egozentrischem Materialismus politischen Einfluss verbaut. – Selbst wenn es so wäre, wäre es kein Grund den bürgerlichen Manipulationsapparat mit ihrem apolitischen Individualismus so zu bedienen, wie es die bürgerliche Linke tut.
- Man muss die Mittelschicht unterstützen. Denn sie ist so wankelmütig. Sie hat zwar Intelligenz und Kompetenz, aber sie muss sich eben auch verkaufen und wenn man sie nicht (mit Wählerstimmen, Loyalität oder Akzeptanz) bezahlt, dann läuft sie zu unserem Feind über. Man sollte sich keine Feinde machen. Dieses Argument nennt sich „politisch“ oder „realpolitisch“.

16.04.07


Kann man als Linker bei Aldi einkaufen?
- Man bereichert einen Typ – aber sonst eben die Mittelschicht, irrelevant
- Aldi bezahlt seine Mitarbeiter schlechter (stimmt nicht), kein Betriebsrat – in den kleinen Läden herrschen die Eigentümer – Unterschied? Wenn die Medien etwas taugen würden, könnten sie durch Anzeigenverweigerung und Berichte Aldi zwingen.
- Aldi drückt bei seinen Einkäufen die Lieferanten und damit dort die Lohn- und Arbeitsbedingungen
- Er treibt Industrialisierung, Zentralisierung und Monopolisierung von Produktion und Verkauf voran (das ist im Sinne einer Ökonomisierung von Arbeit zunächst okay, die Art und Weise müsste von den Arbeitern dort aber bestimmt werden können).
Keine eindeutige Antwort. Wenn ich beim Mittelständler einkaufe, fördere ich in keine Weise eine demokratische Betriebsstruktur, bereichere einen Mittelständler und senke durch die höheren Preise meinen Lohn. Gefühlsmäßig hasse ich diese Abzockerschicht mehr als einen reichen Bruder Aldi in Nizza. (Er ist mir genauso nahe wie ein Bruder Johannes, der sich seine Geburtstagsfeier von einem Stromkonzern bezahlen lässt). Die Wahl zwischen Monopol- und Mittelstandskapitalismus, Scylla und Charybdis.
Frau Künast ist mit ihrer Antigeizistgeil-Kampagne im Mittelstandmilieu verhaftet. Für den Durchschnittskonsument, der angeblich über 17632 € Kaufkraft zur Verfügung hat, mag das gut und nett sein, für unseren Familiendurchschnitt, nicht einmal der Hälfte davon, kann man das vergessen.
Ein Beispiel: Für mein Laufhobby (ca. 3000 km im Jahr) brauche ich ca. 3 Paar Laufschuhe. Kaufe ich die bei Aldi, zahle ich etwa 3 mal 15 €, also 45 €, dafür arbeite ich ca. 7 Stunden.
Bei dem netten Typ mit Spezialladen zahle ich 3 mal 120, und arbeite dafür so ca. 3 Wochen. Jetzt würde ich aber gerne auch noch Studium meiner Tochter, was als Minus von gespartem Vermögen abgeht, und Musikinstrumentenunterricht von Sohn mitfinanzieren, mit 7 Arbeitsstunden pro erteilte Unterrichtsstunde.
Es ist mir einfach zuviel dem Vergnügen, durch die Gegend zu rennen (parallel zur Autobahn, weil es da noch am „natürlichsten“ ist) und dabei die Schuhe abzunutzen, ein weiteres hinzufügen, nämlich einen netten Mittelständler in seinem netten Schuhladen auf Kunden warten zu lassen (und dabei noch Geld zu verdienen). Also bin ich wohl in den Augen von Frau Künast ein übler Geizhals.
Den Chinesen, die diese Schuhe zusammenflicken, dürfte es gleich sein, wer ihnen das Zeug abnimmt.


14.04.07

Öttingers Rede an Filbingers Grab: Wahr ist, was gerade passt. Der Opportunismus kennt keine Lüge, nur die Opportunität. Der Zentralrat der Juden, der gegen Öttinger protestiert, huldigt in Bezug auf Israel dem gleichen Prinzip. Eine Kritik ohne Moral. Was ist mit den „Tötungen“ von Palästinensern ohne Gericht? Demgegenüber steht ein ekelhafter Typ wie Filbinger geradezu wie ein Waisenknabe da.
Unter Moral verstehe ich ein für alle gleich geltendes Recht („Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht stehlen“, auch nicht Land von anderen Menschen).
Zwar reflektiert die Linke historischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Moral, aber nicht um sie abzuschaffen, sondern zu radikalisieren.
10.04.07

Wenn ich über einen Kollegen nachdenke – was sollte ich ihm empfehlen, wie er besser leben könnte?
- Vielleicht könnte ein Gesprächskreis, eine Art Selbsterfahrungsgruppe seinen Charakter etwas auflösen, diesen Zwang zur Dominanz, Klugscheißern, autoritäre Statements, Gelegenheit, nicht nur kämpfen, sondern über Schwächen und Unsicherheiten zu reden ohne Angst zu haben, angeklagt zu werden, „Minderwertigkeitskomplexe“ zu haben oder „Ichschwäche“. Schlimme Begriffe, die auch im linksliberalen Lager gerne ausgeteilt werden.
- Das Ausüben einer Muse: ein Musikinstrument, Literatur lesen, Theater spielen usw. Also etwas, was den Resonanzraum eines Menschen erhöht: die moralischen Konflikte einer Theaterfigur, die deprimierenden Erlebnisse einer Romanfigur, die fließende Bewegung einer Musik von Bach, das Erleben, Verstehen und Verarbeiten unterschiedlichster Gefühle.
- Historische und politische Kenntnisse und Informationen, erarbeitet über Arbeitsgruppen, Diskussionen usw. Verbunden mit einer Erfahrung einer solidarischen Gruppe. Offenheit für andere Menschen.

Wie müsste eine politische Organisation aussehen, die so etwas organisiert? Bin ich mit meinen Überlegungen nicht da angelangt, wo die bürgerliche Erziehung auch hin will? Der Unterschied wäre eben der, dass neben diesem „musischen“ Bereich die Notwendigkeit rationeller Arbeit bewusst wahrgenommen und gestaltet wird.

10.04.07

Wenn ich hier durch die Gegend jogge oder Rad fahre kommt mir im Vergleich zum Gebirge hinter Castellón alles öde und langweilig vor. Dort Steine, Berge, Stacheln, Hitze, Trockenheit – hier flach, überall Straßen und Wege, grüne und blaue Farben, hell leuchtende blühende Bäume, alles schön übersichtlich und erschlossen, scharf abgegrenzt nach Plan das Grün der Wiese vom Dunkel der Wege und Straßen. Langeweile das Ergebnis der Naturbeherrschung.
Vielleicht geht es unserer Elite auch so. Da materiell immer abgesichert, löst die Langeweile Jagdinstinkte aus, die Lust sein Leben dem Ausrauben und Übervorteilen anderer Menschen zu widmen. Wenn man oben sein will, denke ich mehr und mehr, braucht man eine Jägermentalität, ein Schema von Gut und Böse. Eine akademisch sture Form von Marxismus will nur von Charaktermasken sprechen. Also die Menschen sind nicht böse, sondern die Selbstverwertung des Kapitals verlangt das so. Das stimmt aber nur zur Hälfte: der Charakter muss zu seiner Funktion passen. Ein Weichei wie ich kann nicht Abteilungsleiter werden.
Das haben viele Marxisten nicht verstanden: die Rede von Tausch- und Gebrauchswert. Es kann keine Ökonomie ohne Gebrauchswert geben. Selbst der letzte Scheiß hat, wenn er verkauft wird, einen Gebrauchswert. Man mag das noch so abwegig finden. Das Problem liegt aber darin, dass der kapitalistische Markt bei den Gebrauchswerten die ausschließt und nicht entwickelt, die ihn als System in Frage stellen: Gleichheit, gerechte Verteilung von Ressourcen, Kultur, Mitmenschlichkeit.
08.04.07

Ute Scheub hat im DLF einen Karfreitagsvortrag über das Opfer gehalten. Im Meisten bin ich einverstanden. Das Opfer als Mittel andere zu erpressen. Die Opferhaltung, die verfestigt wird, weil es sich damit schuldfreier und verantwortungsloser leben lässt. Die Religion, die mit Opfern schlechtes Gewissen erzeugt, und so Herrschaft ausübt.
Aber dann kam die merkwürdige Sache mit den Frauen, mal sind sie Opfer, mal werden sie immer zu Opfern gemacht, - da kommt dann doch das gewohnte Opfergejammer. Selbstmordattentäter sind Machos. Und Israelis, diese Nation von Killern und Knochenbrechern? Will die Scheub wieder, diesmal mit Broder von der Opferrolle in die Täterrolle wechseln?
Dann die Stelle mit dem Kaiserschnitt, der also endlich den Frauen Gebären ohne zu sterben ermöglicht hätte. Das ist Blödsinn: der Kaiserschnitt war bis in die Neuzeit tödlich und hat auch heute noch mehr tödliche Folgen als eine normale Geburt. Aber es ging der Scheub darum, diese Bedeutung des Schmerzes für überflüssig zu erklären, der immer wieder den Opfermythos begründet.
In Afrika sagen die Frauen zu Europäerinnen: Weil Ihr bei der Geburt nicht gelitten habt, deswegen liebt ihr Eure Kinder nicht. – Ich weiß nicht, ob das wirklich so ist. Es geht mir jetzt darum, dass durch Schmerz oder Schuld entstandene Beziehung, meinetwegen Täter – Opfer, Kind – Mutter usw., heute um das bereinigt werden soll. Anders gesagt: Wir sind nicht autonome Individuen auf einer Insel, sondern wenn wir geboren werden, in einen Zusammenhang von Geben und Nehmen verstrickt oder eingebunden. Die bürgerliche Illusion ist, daraus sich emanzipieren zu können über eine Sache: das Geld. Wenn ich einen Laptop kaufe, wird mir die Beziehung, die ich zu Chinesinnen eingehe, die sich kaputt schuften und die ausgepresst werden wie Zitronen, nicht sichtbar. Ich habe es nur mit Dingen zu tun: Geld, dem Produkt als Ware.
Man soll keine Schuldgefühle haben dürfen: In einer Sendung erzählt eine Frau, dass sie ihre demente Mutter ins Heim gebracht hat, sich gar nicht wohl fühlt - sagt der Moderator, ja ja die Frauen in ihrem falschen Opferbewusstsein, sie glauben, das dürften sie nicht. Ruft eine Amerikanerin an, meint: es ist ja auch nicht richtig, seine Eltern in ein Heim abzuschieben. – Meines Erachtens hat sie da den richtigen Punkt erwischt. Ich will jetzt keine Vorwürfe machen denen, die nicht mehr anders können. Meine Eltern sind gestorben, bevor sie pflegebedürftig hätten sein können. Aber es findet eine Glorifizierung von Lebensformen statt, die ein solches Abschieben dann notwendigerweise erzwingen.
Ich denke, dass mit dem Beseitigen von körperlichem Schmerz, der körperlichen Arbeit – sei es als Fantasie, sei es mit Hilfe der Erdölökonomie – auch die natürliche und soziale Realität verleugnet werden soll: Dass wir in Beziehungen von Nehmen und Geben leben, in einem globalen Schuldzusammenhang, dem von vorausgegangen und folgenden Generationen.
Die physische Erfahrung von Schmerz ist das Einfallstor der Realität. Die narzisstische Blase will aber, dass außerhalb ihrer Illusion nichts existiert.

Ich habe die Sendung noch einmal gehört. Es ist soviel Unsinn darin, zuviel um ins Detail zu gehen. Hauptfehler: Es gibt keine Gesellschaft ohne „Opfer“, ohne Schuld, ohne verpflichtende Beziehungen, schon gar nicht in einer ungerechten Gesellschaft. Worum es geht, ist der rationale Umgang damit. Das Beispiel mit Südafrika ist gut. Wie sie schön sagt: „Wenn Täter ihre Taten nicht leugnen, sondern Verantwortung für sie übernehmen, dann gewinnen sie ihre Menschlichkeit zurück und die Opfer ihre Würde.“
05.04.07

Weiterhin Krieg am Band. Ich arbeite mit dem Vorarbeiter zwar zusammen, aber um seine Klugscheißereien zu vermeiden, spreche ich lieber nichts mit ihm. Den Ungarn grüß ich mal wieder.
Der Etopi hat Diabetes 2, sieht manchmal richtig kaputt aus. Schwindelattacken. Obwohl Fachhochschule, Chemie, hat er keine Ahnung von seiner Krankheit. Glaubt, er hätte zuviel Zucker. (Sein Arzt muss ein Idiot sein.) Vollkornbrot mit viel Wurst drauf, meint Etopi, wäre okay. Von Bewegung ist er nicht zu überzeugen: er habe keine Lust mehr. Im Lexikon stehen als Symptome von Diabetes2: Schwächegefühl, Depression.
03.04.07
Paul Watzlawick wird als großer Mensch verabschiedet. Natürlich waren wir alle umgeworfen von seiner Analyse des Nichtgesagten. Aber mit seinem Verbot, unglücklich sein zu dürfen, war meine Begeisterung vorbei. Ich entdeckte, dass seine Liebe zu Tricks (z.B. die negative „Verschreibung“) die Bewunderung für das Autoritäre benutzte. Dass hinter seinem Verbot des Unglücklichseins dieser repressive Pragmatismus steht: Alles ist machbar und Du bist an Deinem Elend selber schuld. „’Gibt’s nicht’ gibt’s nicht“ … und wie die Sprüche alle lauten. Wahrheit gibt es auch nicht, es ist ja alles nur ein Spiel – so wie diese letzte ominöse Krankheit, an der er gestorben ist. Das war ja wohl auch nur einer seiner Taschenspielertricks.
Der Pragmatismus ist die Ideologie der Herrschenden. Mit dem Unglück wird auch das Glück abgeschafft. Das Glück ist die Gnade für den Passiven. Es setzt da ein, wo die Umstände nicht mehr von ihm abhängen. Dass man an allem selber schuld sei, ist eine bürgerliche Lüge.
Dass sich die gesellschaftlichen Bedingungen ändern, hängt freilich von dem Bewusstsein einer Verantwortlichkeit ab, aber nicht als Individuum, sondern als Klasse.
Was hätte Watzlawick seinem Fabrikarbeiter gesagt, solle er tun, um seine Lage zu verbessern? Wohl, er solle sich weiterbilden, sich einen anderen Job besorgen, - individuelle Auswege eben. Aber weiterhin würde die Produktion industriell kapitalistisch laufen, die Köpfe der Leute mit dem Gerede individueller Verantwortlichkeit, Entsolidarisierung und privatem Aufstieg zugemüllt.
03.04.07
In der Bildzeitung schreibt ihr Chefzyniker einen Brief an Mohnhaupt. Ich hätte ihm gerne im gleichen Ton geantwortet:

Lieber Herr Wagner
Fühlt es sich gut an, das Halali (oder: Lallalie) bei der Treibjagd auf einen Menschen angeblasen zu haben? Hat der Kaviar heute Morgen besser geschmeckt?
Wie wird es erst ein Genuss sein, wenn dieser gejagte Mensch am Boden liegt oder blind zurückschlägt? Wenn er durch sie provoziert, um sich zu schlagen anfängt? Ist das Gefühl, wenn Sie mit Ihrem Schlitten über die Autobahn jagen und dabei an die von ihnen herausgelockten Morde und das Leiden dieser Opfer denken, nicht betäubend? Ist es nicht eine Supergesellschaft, wenn man mit einem solchen Propagandaapparat wie der Bild, mit Popsprüchen ein Heidengeld verdienen und dabei die Demokratie aushebeln kann?
Wie fühlt es sich an, eine lebende Aufforderung zu Terrorismus zu sein? Wenn sich die Macht- und Wortlosen an ihnen zu Tode ärgern? Das muss doch ein erhebendes, ein geiles Gefühl sein!

Ein solcher Brief ist zwar sinnlos, aber ihn im Kopf zu schreiben, hat mich am Band einige Zeit beschäftigt
02.04.07

Heute am Band zusammen mit dem Vorarbeiter. Er kommandiert folgendermaßen: „Wir machen das hier so und so ….“ Ich denke: du blödes ...". Überlege mir, ob ich ihm verbal eine austeilen soll, oder schweigen. Entschließe mich zum Schweigen. Beschließe, lächelnd und zustimmend, alle seine Kommandos zu akzeptieren, aber privat kein Wort mehr mit ihm und zieh mir den MP3-Player an ein Ohr und schon bin ich geistig weg. Er kann mir nichts mehr anhaben. Nachher macht er eine Kettenschranke da vor, wo ich immer eine Abkürzung mache. Ich nehme sie weg. Wenn er meckert, werde ich ihm lächelnd Recht geben.
Als er endlich weg ist, mache ich mir theologische Gedanken: Was, wenn ich mich gegenüber anderen auch als Aschloch verhalte? Könnte ich mich mit einem solchen Menschen wirklich verständigen, versöhnen? Alles in mir widerstrebt mir. Da ist die christliche Vorstellung, dass die Schöpfung von Anfang an verdorben ist - „Erbsünde“ - doch eine gute Idee. Hoffnung nur darin besteht, dass diese Welt untergeht und („spirituell“?) neu geschaffen wird. Das Christentum hat einen Kern menschlicher Ideen: die Gleichheit, die Gerechtigkeit, die Liebe, die Vergebung und Versöhnung, das Unten nach Oben, die Bedeutung von Kindern und Behinderten usw. Aber die schönen menschlichen Ideen werden zu Moral, als solche dann zu schlechtem Gewissen, zu Schuldgefühl und dann muss sich die angestaute Frustration und Wut entladen im inhumanen Kampf gegen Sünde, Ungläubige usw.
Augustinus sagt: „Der siebte Tag – der Schöpfung - das sind wir selber.“ Ich fand das mal mit Bloch revolutionär, weil der Mensch aktiv die Schöpfung und die Verantwortung dafür übernimmt. Aber es kann einem darüber auch Angst werden. Wenn man bedenkt wie alles in die Hose geht.
Etwas anderes die Kunst. Ich höre die „Winterreise“, von Schubert. Da wird dieses Gefühl von Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit und Trauer angesprochen. Der Erfolglose wird gewürdigt. Meine Wut lässt nach. Wie verträgt sich Schubert mit der Revolution? Alles, was die Gedemütigten aus dem Strudel der Zerstörung zieht, ist revolutionär.
01.04.07

Warten ist etwas, was einen Großteil meines Lebens ausgemacht hat. Warten auf das Ende meiner aktiven Lebensarbeitszeit, bis zum Beginn der Altersteilzeit. Jeden Tag zählen. Mit 14, bei meiner ersten Ferienarbeit, habe ich ständig auf die Uhr geschaut, wann ist die nächste Stunde vorüber... Überhaupt wurde früher viel gewartet: im vollen Wartezimmer des Arztes, beim Einkaufen warten bis die Verkäuferin alle Artikel aus den Regalen geholt, die Preise notiert, zusammengerechnet und nochmals zusammengerechnet hatte, bis alle kleine Schwätzchen beendet waren. Ein Glück, dass die Einkaufslisten kürzer als heute waren. Besonders schlimm war das Warten in der Metzgerei am Samstagmorgen. Warten in der Kirche, beim Knien auf harten Holzbänken, der endlosen Predigt, den Andachten und Rosenkränzen. Warten, warten. Warten auf Ostern, Weihnachten. Warten. Schrecklich die Sonntage: Warten bis sie vorbei sind. In der Schule natürlich: Warten, still sein, nichts tun. Mit 10 dann jeden Tag 3 Stunden „Studienzeit“, davon 2 Stunden Warten auf das Klingeln. Alles hatte seine Zeit, aber es war immer zuviel Zeit.
Ich glaube bei mir ist das zum Charakter geworden. Jetzt warte ich auf den Beginn der Altersteilzeit, dann auf deren Ende. Fängt dann das wirkliche Leben an? Wenn ich meinem Sohn für Geld putzen lasse, dann weil mir die Zeit zu schade ist. In der Firma habe ich keine Probleme, die Zeit mit Putzen zu verbringen, Hauptsache, die Zeit vergeht.
Warten zu können ist eine grundlegende Bedingung für Fließbandarbeit. Leere Zeit mit Tätigkeiten zu verbringen, die einem fremd und gleichgültig sind. Am schlimmsten ist es für die jungen Ferienarbeiter. Mein Sohn hat 3 Wochen an der gleichen Maschine gearbeitet. Tausend Mal die gleichen Teile. Meine Jobs sind ein bisschen komplexer. Mit der Zeit kennt man die Abläufe, strukturiert den Tag. Die Zeit verliert ihre Leere, bringt Variationen. Eine bestimmte Menge, die man erreichen will. Ein bestimmtes Tempo. Meine Kollegen schauen auf die Menge, die sie gemacht haben, auf den Bildschirm, der anzeigt, welche Kunden, welche Programme kommen. Es gibt Störungen. Das kann sehr interessant werden. Störungen, die man nicht beheben kann, machen natürlich keinen Spaß. Am Anfang, als mir alles endlos vorkam, habe ich mir damit geholfen, dass ich meinen Lohn, die kommenden Lohnerhöhungen ausgerechnet habe. Wenn ich etwas ausrechnen kann, wird für mich die Zeit interessant. Aber es ist abstrakte Zeit, nicht eine durch mich ausgefüllte. Läuft besonders wenig, bin ich viel am Rechnen: wie viel Tage noch, wie viel Prozent habe ich schon gearbeitet. Schwierig war auch die Zeit vor dem Streik, es ging nichts mehr voran, keine Lohnerhöhung in Sicht. Obwohl es lächerlich ist – und damit hält man die Arbeiterklasse in der Arbeitsfalle – die Aussicht auf ein kleines Prozent mehr, hält so Leute wie mich in Schwung.
„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“ war das Motto eines Arbeiters, den ich in der Chemieindustrie getroffen habe. Er trug einen hochadligen Namen, kam jeden Tag mit weißem Hemd und Krawatte zur Drecksarbeit. Ich weiß nicht, welche soziale Leiter er herabgestiegen war, aber mit ihm zusammenzuarbeiten war angenehm. Die Arbeit hatte bei ihm nicht wie bei anderen deutschen Arbeitern einen Strafcharakter – nie tut man in ihren Augen ja genug dafür. Es musste gemacht werden und irgendwie würde man das schon hinkriegen.
In der Tat ist der Mensch sehr flexibel und was anfangs unmöglich erscheinen mag, mit der Zeit hat man es sich angeeignet, wird die leere, sinnlose zeit zu einer mehr überschaubaren, strukturierten, in gewissem Sinne „angeeigneten“ Zeit, um einen Lieblingsbegriff der zarten Spontizeit zu benutzen. Die Angst vor bestimmten Arbeiten ist in der Regel schlimmer als die Arbeit selbst. Der Begriff der Identität ist ja eine solche Schlange: wird etwas nur genügend oft wiederholt, sei es ein blöder Song oder ein mühsamer Alltag, wird es zur Gewohnheit, zur geliebten und „stiftet“ Identität: Wiederholbarkeit, Einheit in der Zeit, Antizipierbarkeit, Vorhersehbarkeit, Sicherheit und sonst noch andere gute Sachen. Vielleicht ist es am Ende des Lebens ganz gut zu wissen, dass alles relativ war, das Leben xbeliebig.
30.03.07

A. Müller hat in seinen Nachdenkseiten einen Artikel des Spiegelschreibers R. Mohr mit einem von 78 gekoppelt. Heute schreibt er zynisch über die Linke, damals gehörte er mit zu den militantesten Phrasendreschern („
Zerstört die Universität“). Geblieben ist ein herabsetzender Ton, jetzt gegen Linke, der Gegenargumente nicht reflektieren kann. Geblieben das opportunistische Mainstremdenken. Von ihm auch ein dümmlicher Artikel über eine RAF-Debatte im ZDF. - Der Fehler von Klar, bei einem neoliberalen Typen wie Köhler um Gnade zu bitten. Entweder er outet sich jetzt als Liberaler und bittet deswegen Köhler um Gnade oder er zieht die Sache durch egal wie er zur damaligen RAF-Politik steht. - Ich muss zugeben, obwohl ich das Konzept der RAF nicht verteidigt habe, hat sie doch damals meinen Hass auf das „System“ ausgedrückt. Aber heute weigere ich mich, nur weil Kotzbrocken von nationalem Format auf sie einschlagen, die RAF zu verteidigen. Die Sache ist vorbei.
Dagegen war die „Liberalisierung“ der BRD nach 80 nur ein Trick, bei dem viele ehemals Linke sich Positionen besorgt haben. Gesellschaftlich demokratisiert hat sich in Schule, Betrieben, Gewerkschaften, Öffentlichkeit nichts. Wehe es spricht einer von „Kapitalismus“. Er ist sofort out.

17.4.07


29.03.07




Barcelona: Gestern in der Bücherbesprechung im DLF eine bei hiesigen Intellektuellen beliebte Lobpreisung von Barcelona. Ach ja: der Gaudi, die schönen Villen und Museen. Wie oft sind wir wegen der idiotischen Bahnverbindungen einen ganzen Tag durch diese Stadt gelaufen, haben sie mit den Füßen kennen gelernt und mindestens einmal im Jahr fahren wir mit dem Bus durch.
Der viel gerühmte Bahnhof: ungemütliche Sitzplätze aus Drahtgitter, idiotische Beamte, von denen man keine richtige Auskunft bekommt, das Ganze Kommerz von einem Ende bis zum anderen, irgendwo immer eine Baustelle, gesperrte Kloos. Die Stadt: die Bettelei auf den Ramblas mag man ja ganz nett finden, aber warum müssen sich die Leute in solchen Posen quälen? 8-spurige Straßen, ist das toll? Die Parks? Da läufst Du Dich tot. Die Picassoausstellung? Eine Menge von ähnlichen Zeichnungen. Die Häuser? Ich möchte in dieser Umgebung nicht leben, bürgerlicher Funktionalismus mit Fassaden für Touristen. Wie es wohl drinnen aussieht? Die Orte, wo die Menschen leben, die Vorstädte, die Barrios: einfach grauenhaft. Was wissen die, die von Barcelona schwärmen, wie es ist in einer überteuerten Wohnung eines Hochhauses im Barrio zu leben? Lärm tag und nacht, ausflippende Jugendliche, Alte. Unerträgliche Hitze im Sommer, Durchzug im Winter. Wie muss sich ein Bewohner von Barcelona angesichts der großkotzigen und inhumanen Architektur fühlen? Als Nichts - und nur durch Fressen und Konsumieren kann er sich dieses Gefühl verdrängen. Kultur ist da auf den Hund gekommen. Sehen unsere Eliten, wenn sie zum AVE eilen, nicht die ärmlichen Alten mit einem Karton unterm Hintern auf den Drahtgittern im Bahnhof sitzen?
Man kann sich leicht vorstellen, wie dieselben Leute, die Barcelona hochjubeln, zu den Faschisten und ihren Massenansammlungen überlaufen.
Über das Catalán, diesen Provinzdialekt, äußere ich mich lieber nicht. Die Arbeiterklasse dort spricht mehrheitlich spanisch, andalúz, gallego usw.
Und wie wird in Barcelona gearbeitet? In endlosen Industrieanlagen der schmutzigsten Art. Dazwischen gigantische Einkaufscenter irgendwelcher Megakonzerne. Das Leben in Barcelona ist schon in einer negativen Utopie angekommen.

26.03.07


10 Tage Urlaub, 7 Tage in Castellón, Spanien, durch das Gebirge gewandert. Mit Zelt wild, oder einmal in einer ländlichen Unterkunft, 3-mal auf einem Campingplatz. 192 km und ca. 5000 Höhenmeter.


Wieder zurück fällt einem zuerst mal die moderate und geordnete Langweiligkeit der Landschaft auf, die Banalität der Nachrichten, der Singsang der europafreundlichen Mittelschicht.
Dort durch die verlassenen Dörfer gewandert, im Gebirge mit schwierigem Terrain, mit viel Arbeit und wenig Ertrag terrassierte Plätzchen für die Landwirtschaft. Die Leute sind heute an der Küste in einem Paradies, wie es ihren Vorfahren erschienen wäre. Das Leben drehte sich um Überleben mit kleinsten Mitteln: einige Oliven, Mandeln, ein Garten, Kleinvieh. Die Häuser teilweise ohne Mörtel nur aus Bruchsteinen zusammengebaut. Die Gegend heute nur noch eine Wochenendregion, kaum jemand, der wandert, zu Fuß geht – wenn, dann eher im sportlichen Extrem wie der Marató Mitja mit 65 km über 2400 auf, auch viel ab und auf steinigsten und extrem schwierigen Wegen. Neben der Arbeit und Not gab es noch die Romerías, Feste der Dörfer. Das Geld war nicht das Zentrum, sondern die Gebrauchswerte. Sollte man dahin zurückkehren? Sicher nicht, denn die Bergler waren die aus dem Reichtum der Täler und Küste Vertriebenen oder um ihrer Würde willen Ausgewanderten. - In den fünfzigern und sechzigern Jahren wanderten die Menschen, als die Keramikfabriken im Tal aufmachten, ab oder auch ins Ausland. Was übrig blieb, die Terrassen, die zerfallenen Häuser, bekommt meine Achtung und Bewunderung. Sehe ich die harte Arbeit und Not von damals verstehe ich dieses konsumistische und kulturlose Milieu der spanischen Gesellschaft, diese Fresskultur. Nur was man essen und trinken kann, zählt als wirklich, neben den sozialen Verbindungen, der Geselligkeit.
Hier zurück, in dieser komplizierten, diversifizierten Gesellschaft, wo die Menschen entweder als Mittäter vollkommen eingespannt in die Verwertung des Werts sind, oder bedingt durch Ohnmachtund Not als machtlose Arbeiter, habe ich das Gefühl, dass es aussichtslos ist. Es ist der Gesellschaft nicht zu vermitteln, wie sie unter dem Terror des Kapitals steht, wie gesellschaftliche Unvernunft sie beherrscht. Das Ganze ist eine grandiose Fehlentwicklung. Ein richtiges Denken, Wahrhaftigkeit, taucht nur noch am Rande auf: um den Tod, in historischen Rekursen wie dieser Wanderung - und sonst? Skeptisch, was da noch folgen soll.
Also zurück in die Firma: diese Verschleuderung von Ressourcen, diese Verarmung des menschlichen Geistes und seiner Natur.
Bei Castellón in einer ländlichen Unterkunft - 25€ für uns zwei – Gespräch mit den Besitzern: Zuerst haben sie dort eine Einklassenschule eingerichtet für die Kinder der Umgebung, dann diese ländliche Unterkunft. Einst alternative Ansprüche müssen Sie sich heute dem Publikumsgeschmack anpassen: eine Menge Konsummüll für die Gäste mit dem Auto heranschaffen. Aber alles selbst ausgebaut, Strom aus der Solaranlage, sparsamer Wasserverbrauch, einfache Einrichtung. Sie selber wohnen eine Stunde weiter oben, nur zu Fuß oder mit Maulesel erreichbar.

Ein Großteil der Arbeiterexistenz bewegt sich in der Kompensation von Frustration: Konsumprojekte, Selbstbildaufblähungen, Wutattacken. Es fehlt eine Konzeption des richtigen Lebens.
11.03.07
Die Klimadebatte zeigt, wie hoffnungslos die Lage ist: einmal die moralisierende und unvernünftige, letztlich ineffektive Diskussion, dann wie jeder einen Grund findet, so weiterzumachen wie vorher. Meine: Glühbirne, sogar Auto, das ist zwar nicht unwichtig, aber die wirkliche Einsparung geht doch bei Energiesparen, bei Heizung und Dämmung los. Der Verkehr, Auto ist zwar eine wesentliche Grundbedingung des Kapitalismus, gibt Profit und Motivation, nötig zur Klassendifferenzierung, aber nur ein Element. Keine Frage nach effektiver Energieeinsparung bei globaler Gerechtigkeit.
Nötig wäre eine 90prozentige Einsparung von 10 auf 1,4 Tonnen. Aber sag das den Leuten, sie werden Rassismus in allen Varianten zeigen, wenn es um den Verteidigung des Status Quo geht.
Eine faire Lösung wäre, jedem ein Verschmutzungskontingent zuzuweisen, z.B. 1,4 to CO2. Verbraucht er mehr, muss er sich das irgendwo abkaufen. So würden die Afrikaner schnell reich (vielleicht reiche Bettler) werden – oder ihre Diktatoren.
Aber von fairen Lösungen höre ich nichts. - Wie gesagt, ein Niagarafall von Rassismus würde über uns hereinbrechen, würde man etwas dergleichen verlangen.
10.03.07

Vor ein paar Tagen – er geht wieder mal zum Chef, um sich über mich zu beschweren - der definitive Zusammenstoß mit dem Ungar. Ich: Warum er immer zu Chef und Vorarbeiter läuft wenn er mir gegenüber etwas durchsetzen will? Er: Weil ich nicht auf ihn höre. Ich: Er würde von der Maschine nichts verstehen, würde sich als Vorarbeiter aufspielen. Er wäre ein Denunziant und der ideale Stasispitzel. - Darauf will er nicht mehr mit mir reden. Frag mich, ob mein Vorgehen berechtigt war. Aber dieses Intrigieren ist unerträglich, genauso seine angemaßte Sonderstellung. Abgesehen davon geht mir seine Wehleidigkeit auf den Wecker, dieses Theater um Gesundheitsschutz, Krankfeiern, wenn Streik ansteht. Es reicht.
Jetzt habe ich allerdings bis auf Etopi und Chef und vielleicht ein paar Frauen keine Bündnispartner mehr.
Ich bin jetzt ausländerfeindlich geladen, frag mich, mit welchem Recht die hier das Kommando übernehmen dürfen und ihr Chaos veranstalten. Mit dem gleichen Recht wohl wie die Deutschen, die sich ja weigern, solche Arbeiten zu übernehmen. Was gegen mich spricht, ist meine Halbzeitstellung. Aber sie verdienen auch das Doppelte und arbeiten vielleicht effektiv nicht viel mehr als ich.Der neueste Kampf geht um die Heizkörper im Umkleideraum – bei über 21° offen. Ich baue eine Sperre ein. Sie entfernen sie wieder. Der Ungar wohnt in einer Betriebswohnung, wo er zum Fenster hinaus heizt, ohne dafür bezahlen zu müssen.
01.03.07

Derzeit Kampf mit dem Ungarn. Anlass, schon einige Wochen zurückliegend, dass er mit angeblichen Fehlern von mir zur Vorarbeiterin ist, na ja, habe ich empört geschluckt. Vor zwei Wochen aber schon wieder. Jetzt reicht es mir. Er spielt sich als Vorarbeiter unter den Männern auf. Ich mache ihn an, wo ich kann. Einmal dass er in Pause geht, egal ob ich da bin oder nicht. Dann wie er die Maschinen leer laufen lässt. Dann wie er die Heizungen aufdreht. Schließlich habe ich gemerkt, dass er nur am Ende des Bands arbeitet, mich immer hinten arbeiten lässt. Also nehme ich seine Stelle und geh, wenn er kommt, nicht weg. Mit der Konsequenz, dass er dann ganz verschwindet, sich mit irgendwas anderem beschäftigt und mich allein arbeiten lässt. Mir soll es nicht so Unrecht sein, denn da er ohnehin nur langsam arbeitet, bin ich alleine genauso schnell. Ich denke, er muss sich mit den Realitäten konfrontieren, er ist nicht der Chef, als der er sich fühlt. Aufgefallen mir auch, dass er bestimmte Arbeiten nicht macht.
Was läuft ab? Ich stecke in Konkurrenzkämpfen. Gegenseitige Ressentiments beherrschen die Szene.
21.02.07

Jetzt wären noch Kommentierung von
Franz Walters Milieubeschreibungen nötig. Überflüssig, dass er auf der deskriptiven Ebene bleibt. Die Kritik kann man sich ersparen. Er pointiert.
Die Unterschicht besteht nach ihm aus drei Milieus:

„Die Hedonisten mit 11 Prozent der Bevölkerung, die Konsummaterialisten mit ebenfalls 11 Prozent und schließlich die Traditionsverwurzelten zu denen stattliche 14 Prozent der Bundesbürger zu zählen sind.“
„Die Traditionsverwurzelten - bei den Kollegen von TNS Infratest als "Autoritätsorientierte Geringqualifizierte" beziehungsweise "Selbstgenügsame Traditionalisten" firmierend - bilden von den unteren Lagen in historischer Prägeperspektive das älteste Milieu. In deren Sozialisationszeit, den fünfziger Jahren, war die Aufstiegsorientierung noch ein prägendes Muster für die lebensgeschichtlichen Zukunftsbemühungen; und eine bemerkenswerte Anzahl von strebsamen Menschen aus den Souterrains der Gesellschaft ist in den mittleren Etagen der sozialen Hierarchie angekommen.“
Also da würde ich dazuzählen, nur dass mir der Aufstieg gründlich misslungen ist.
Die „Konsummaterialisten“ dagegen pfeifen auf Sparsamkeit, Bescheidenheit, geben ihr Geld aus, es ist die 60er-Jahre Generation, sie geraten evtl. schon in die Verschuldung, neigen aber zu Ethnozentrismus.
20.02.07

Streit über die Arbeiterklasse. Was wurde schon gestritten über den Begriff, sinniert maßgeblich von Lukacs, der mit Hegelschen Kategorien arbeitet: Die Klasse, die erst durch das Bewusstsein im Laufe der Klassenkämpfe zu dem Begriff von sich selbst kommt. Bei Lukacs über die Partei als Bewusstsein bildende Institution. Dieses Konzept braucht natürlich irgendwo Dogmatik und Orthodoxie. Lukacs hat das konsequent durchgedacht und ist immer wieder im Leninismus gelandet, etwas wider Willen.
Aber diese Wendung zu einer leninistischen Partei muss nicht sein. Hat man ja gesehen, welche grobe und letztlich unmenschliche Vorstellung diese allwissende Partei gegeben hat und wie sie mit ihren Hierarchien, Rechthabereien usw. nur bürgerliche autoritäre Lebenswelt gespiegelt hat.
Dagegen der Spontaneismus, der sich jedes Konzept und Theoriebildung verbietet, und dann letztlich im bewusstlosen und gierigen Konsumismus der Kohlära versumpft. (Auch ich habe derzeit täglich eine Tafel Schokolade verschlungen). Die Schwäche des Spontaneismus ist dessen mangelnde Aufklärung, wie Krahl es formuliert hat, die fehlende Politisierung und der mangelnde gesellschaftliche Diskurs.
Dicke Theorie. Zurück zur Diskussion:

Also die Arbeiterklasse, das wäre ein politisch hoffnungsloses Unterfangen. Man sehe sie sich nur mal an: autoritär, politisch reaktionär, primitiv egozentrisch, durch ihre Konsumgier ökologisch und sozial destruktiv. In der Tat rege ich mich jeden Tag nur über meine Kollegen auf, - kenne die Gefühle der grünen Mittelschichtpädagogen.
Aber -so argumentiere ich vielleicht etwas schwach - man muss den Leuten erst einmal ein Gefühl für ihre Rechte geben, ihre Verantwortung, indem sie Recht auf Mitsprache, Demokratie erhalten, indem sie in Schule, Betrieb und Öffentlichkeit nicht mehr kleingemacht werden.

Irgendwo komme ich da aber in Argumentationsnotstand: Wer entwickelt dieses politische Programm der Demokratisierung. Es sind doch wieder Leute wie ich: vollgefüllt mit Mittelschichtsideologien wie Christlichkeit, Demokratie, Gleichberechtigung. Leute, die diese Wort Demokratie, hineingeworfen in das Volk wie Karnevalsbonbons um gute Laune und Loyalität zu erzeugen, doch nur ausnützen wollen für Zwecke, die so doch nicht gemeint waren. (Ich habe gehört, dass einer meiner Meisterdenker, Graf Horkheimer, für den Vietnamkrieg war. Also er konnte sich nicht vorstellen, dass die Vietnamesen über sich selbst entscheiden können, hat in ihnen nur koloniale Untermenschen des Kommunismus, Stalinisten gesehen, die man rechtlos abschlachten kann. Genauso verhalten sich viele Linke, wenn sie von Arbeiterklasse reden.)

Rede ich mich schon wieder aus dem Elend der tatsächlichen Arbeiterklasse heraus?
Ich seh das Elend.
Und kann es ja nachvollziehen, wenn die Mittelschichtler sagen: da ist niemand, der sich hier im Kapitalismus anders als kapitalistisch verhält, da ist keine Hoffnung auf etwas Anderes. Und denke auch manchmal: Lebe Dein Leben, vergiss den Mist um Dich herum. – Ja, ja. Aber das sollte mich doch nicht hindern, die Wahrheit zu sagen: Euer Wirtschaftssystem, das ist bewusstlose Bereicherung, das ist Zerstörung von Umwelt und Zusammenleben. Eure Gesellschaft, in Öffentlichkeit, Betrieben und Schulen, das ist Bevormundung, das ist keine Demokratie. Das zu sagen, unterscheidet mich von der Mittelklasse.
16.02.07

Gestern Konflikt mit dem Ungar. Jedes Mal wenn ich komme, rege ich mich auf: bei 25° Heizungen aufgedreht, Rollos trotz fehlender Sonne unten usw. Er langweilt vor sich hin, Maschine auf lange Taktzeiten eingeschaltet, alles voller Dreck. Also zuerst Heizungen aus, Rollos hoch, Taktzeit kurz, saubermachen und dann losarbeiten. – Dann verschwindet er, ich bin froh, mach den Job lieber alleine. Schon wenn ich sehe, wie die Maschinen ewig halbleer laufen. Er hat die Osteinstellung, dass er das ja nicht zu zahlen braucht.
Schließlich taucht er mit der Vorarbeiterin auf, das Material wäre zu nass – weil die Taktzeit zu kurz wäre. Was Blödsinn ist, wundere mich, dass das die Vorarbeiterin nicht weiß. Es liegt an der fehlenden Säure in den letzten Kammern. Bin genervt. Weiß nicht, wie ich reagieren soll. Ich stelle die Taktzeit höher, dass sie nicht mehr meckern können. Die Menge, die durchgeht, bleibt ja die Gleiche. Am liebsten würde ich mich mit ihm schlagen, weil er zur Vorarbeiterin geht, seiner Lahmarschigkeit, wegen der Energieverschwendung.
Alles an ihm macht mich aggressiv: halbleere Maschinen, unmögliche Programmabfolgen, falsche Programme, Teile nicht verpackt, die verknotet oder auseinandergerissen ankommen. In Pause gehen, wenn niemand anders da ist. Gründe: Faulheit, Gedankenlosigkeit.
Bin ich auf der falschen Seite, gegen die Arbeiter? Auf der Seite einer Facharbeitermoral, gegen die „Arbeitsemigranten“. War ja lange beim Spontaneismus, heute ist bei mir der Begriff verknüpft mit Thomas E. Schmidt, mit Fischer. Nach ihrem Verrat und meinen Erfahrungen bin ich gegenüber „Arbeitsemigranten“ skeptisch – könnte da noch ein paar Erfahrungen aus dem Baubereich einfügen. Die Wahrheit hat zwei Seiten, eine der Arbeitsemigranten und der Mittelschicht, die sie feiert, eine andere, sie als Konkurrenz, Teil des kapitalistischen Prozesses zu betrachten.
15.02.07

Geburtstag von A. Kluge. Große Lobpreisungen. Ich kann mit ihm nichts anfangen. Dieses Buch mit Negt: eine Privatsprache ohne konkrete Inhalte. Reflektieren der bürgerlichen Existenz. Bei der Räumung der besetzten Häuser in Frankfurt hat er einen voyeuristischen und nichts sagenden Film gedreht. Fischer hat sich als grandioser Rhetoriker aufgespielt, wir haben ihm zugejubelt. Dabei war alles abgemachte Sache: zur rechten Zeit verließen die Besetzer die Häuser, war das Filmteam da. Und wir Idioten holten uns blutige Köpfe. – Die Filme von Kluge im Fernsehen in der Nacht, vergiss sie. Oft endloses Geschwätz.
klar. auch die bürgerliche Existenz mag ihre Probleme haben, die bürgerliche Gesellschaft ist eine widersprüchliche. Aber es interessiert mich nicht. Es sollte nicht im Zentrum stehen. Kluges Sachen lenken von Erfahrung und Praxis der Arbeiterklasse ab.
11.02.07

In der FR vom 9.2.07 Ein Aufsatz des Katholiken FRIEDHELM HENGSBACH "Was ist gute Arbeit?"
Darin schreibt er über eine Untersuchung:
"Gute Arbeit" ist für abhängig Beschäftigte mit einem festen, verlässlichen Einkommen und einem sicheren, unbefristeten Arbeitsplatz verbunden. ...soll stolz machen, abwechslungsreich sein und als sinnvoll empfunden werden. Ganz wichtig ist, dass der Vorgesetzte die Beschäftigten in erster Linie als Menschen und nicht als bloße Arbeitskraft achtet, dass diese nicht in ein Leistungsrennen gejagt werden, sondern kollegial kooperieren. Arbeits- und Gesundheitsschutz spielt eine ebenso große Rolle wie die Möglichkeit, Arbeitsmenge und Arbeitstempo zu beeinflussen und bei der Arbeitsplatzgestaltung ein Mitspracherecht zu haben. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wünschen, dass sie ihre Fähigkeiten weiterentwickeln und verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen. Allerdings genießt nur eine Minderheit das Privileg, abwechslungsreich zu arbeiten, die Arbeitsgestaltung kreativ zu beeinflussen, die eigenen Kompetenzen zu entwickeln und sich betrieblich weiterzubilden."
16 Prozent der Vollzeitbeschäftigten beziehen ein Bruttomonatseinkommen von weniger als 1500 Euro, knapp ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten erhält ein Einkommen von weniger als 400 Euro.
Negativ: "... Unsicherheit, den Arbeitsplatz zu verlieren und keine gleichwertige Stelle zu finden. Schwer belastend sind körperlich oder extrem einseitig beanspruchende Arbeiten etwa am Bildschirm, aber auch komplexe Anforderungen, wenn mehrere Arbeiten gleichzeitig erledigt werden sollen, oder wenn hohe Dauerkonzentration oder eine Arbeit mit geringer Fehlertoleranz verlangt wird."
Und: "... nur drei Prozent der abhängig Beschäftigten ihre Arbeitssituation insgesamt als gut einschätzen? Dass zahlreiche Arbeitssoziologen Modelle konstruieren und nicht die real existierenden Arbeitswelt beschreiben. Dass nicht die gut ausgebildeten und mit demokratischen Lebensformen vertrauten Belegschaften die Betriebsorganisation bestimmen. Und dass bei der Aufklärung von Führungskräften, die den Beitrag des Arbeitsvermögens zur unternehmerischen Wertschöpfung herausstellt, heiße Luft verstrahlt wird.Vor allem jedoch erzeugt die Studie einen Zustand der Nüchternheit: Gute Arbeit bleibt eine fromme Träumerei, solange bürgerliche Eliten den Tarifvertrag, nämlich die Verhandlungsmacht abhängig Beschäftigter auf gleicher Augenhöhe mit den Kapitaleignern, schlecht reden. Und so lange die Regierenden den Sozialstaat, der eine Schranke gegen die Vermarktung menschlicher Arbeit errichtet, mutwillig oder fahrlässig verformen oder gar sprengen."
Ich zitiere das etwas ausführlicher, weil es auch ein wenig meine Erfahrungen zusammenfasst. Ich hoffe mit diesem ausführlichen Zitat keine Urheberrechte verletzt zu haben.
Warum arbeitet der Staatsphilosoph Habermas nicht zu solchen Themen?
11.02.07

Habermas in seinem Artikel in der NZZ „Ein Bewusstsein von dem, was fehlt - Über Glauben und Wissen und den Defaitismus der modernen Vernunft“.
Er spricht von dem Defaitismus der Aufklärung. Nicht schlecht. Ich erlaube mir mal ihn interpretieren zu dürfen, wenn er von Verlust von Motivationen spricht, die die Religion noch in sich enthielt. Er meint wohl: Bedürfnis nach Einsein mit der Welt, nach Versöhnung und Harmonie, nach Gerechtigkeit und vielleicht auch Rache, nach Geborgenheit, Verlässlichkeit, Orientierung, nach einer sinnvollen Zukunft. Er verweist auf gemeinsame Wurzeln vor der Entwicklung von Aufklärung und davon abgegrenzter Offenbarungsreligion. Er sinniert nicht nach über diese Verarmung der Vernunft zu Technik und Ökonomie im bürgerlichen Zeitalter. Nur in der Kunst durfte etwas anderes aufscheinen, aber es sollte nicht zum Leben werden. Die Arbeiterbewegung hat wieder die sozialen Utopien eingeführt, aber da nicht wirklich tragend, sondern nur als Köder oder Gerede. Heute sind die Utopien wieder vergessen, haben sich zurückgezogen in die privaten Refugien des modernen Lebens: Familie, Fernseher, Beziehungen, das Seelenleben des Individuums. Es ist nicht Teil des öffentlichen Raumes, der öffentlichen Debatte geworden. Es wabert als private Fantasie.
Der Text von Habermas ist symptomatisch: in einer abstrahierenden und verallgemeinernden Lehrstuhlsprache, unkonkret bedeutungsschwanger, sich von der Realität abwendend, Teil eines Monologs von Eliten. Er formuliert keine Hoffnung. Da ist nichts zu erwarten.
10.02.07

Ein nicht geschriebener Brief zum Tornadoeinsatz in Afghanistan:
"Sehr geehrter Verteidigungsminister, Herr Jung!
Sie wollen also Tornados in den afghanischen Krieg schicken. Sollte ein Taliban oder ein anderer Kämpfer bei mir nach Ihren Koordinaten nachfragen, ich werde sie ihm gerne besorgen. Denn das dient ja nur der Aufklärung, das ist ja kein Kampfeinsatz. Und ich bin da nur neutral, sind Sie doch - angesichts einer Dreiviertelmehrheit der Deutschen gegen eine Kriegsbeteiligung in Afghanistan und der Unterstützung eines Landes, das sich Guantanamo und Irak leistet, - offensichtlich ein Demokrat so viel oder sowenig wie die Taliban.
Außerdem, um bei ihren Äußerungen zu bleiben, verhindere ich mit präzisen Koordinaten über sie, Kollateralschäden am deutschen Volk. Überkämen mich vielleicht danach doch noch dummerweise Schuldgefühle, zur Tötung eines Menschen beigetragen zu haben, dann rede ich mir zu mit Worten wie: „Freiheit, Menschenrechte, Demokratie“. Ich werde da von Ihnen sicherlich noch viel lernen können.
Im Ernst und abseits von solchen tödlichen Fantasien: Beenden Sie Ihr Killerspiel in Afghanistan. Bitten Sie die Afghanen um Verzeihung um das, was sie Ihnen angetan haben, investieren Sie das Geld statt in den Militäreinsätze in nützliche Aktionen. Selbst wenn Sie dabei die Hälfte für korrupte Politiker und Warlords ausgeben, wird es dem Land immer noch das Mehrfache von dem bringen, was Ihr Militär dort sinnlos und destruktiv verpulvert.
Nehmen Sie meinen Rat ernst."
Über den letzten Satz würde Herr Jung nicht einmal lächeln können.

16.4.07

08.02.07

In der aktuellen CO2- und Klimadiskussion zwei Sachen: Beschränkung auf das Auto, kaum die Rede von Heizung. Dann: schuld ist immer die Autoindustrie, nicht die Käufer, die sind offensichtlich nur unzurechnungsfähige Idioten.
.
Hier reden sich die Autofahrer auf die „Wirtschaft“ heraus, die ja bekanntlich an allem schuld ist – oder die „Industrie“, wie es auch heißt. Würden die umweltfreundliche Autos produzieren, würde man natürlich solche fahren. Usw. usf. Interessant daran ist nicht die Dummheit, mit der dieses Projekt verfolgt wird, sondern wie man hier allzu menschlich wird, sich in die Projektion - die anderen sind schuldig - flüchtet, um es sich selber bequem zu machen.
Die Tatsache, dass nur vom Auto, aber nicht von der Heizung geredet wird, verweist auf ein latentes Schuldgefühl, also einen Triebexzess, der mit dem Gebrauch des Autos verbunden ist, einer mehr oder wenig bewusster Unmoral; vielleicht die der Eitelkeit, der Verschwendung, der Bequemlichkeit, vor allem des unverdienten Vorteils gegenüber anderen. Also die aggressive Eitelkeit: Ich hab was, was du nicht hast.
Das Thema Heizung ist deswegen nicht so von Schuld und Projektion besetzt, weil die Dummheit hier den Verstand blockiert. Keine Ahnung von Dämmung, neuen Heizmethoden, - die Verschwendung von Energie ist eine Selbstverständlichkeit, man darf doch nicht frieren. Die Blödheit ist weitgehend allgemeiner Konsens, wird von den Medien nicht in Frage gestellt. Man darf die Mehrheit ja nicht mit kritischen Statements erschrecken. Positiv sein!

Das Auto - abgesehen als Quelle von Ausbeutung - ist ein Unterwerfungsinstrument des Kapitalismus. Es gibt dem Zwangssystem der Arbeit einen Sinn. Der Gedemütigte kann sein Ego aufpolieren, aufmöbeln, kann sich frei, stark und mobil fühlen. Freiheit und Mobilität, Bewegungsfreiheit gehören zusammen. Fahre ich dagegen Straßenbahn binde ich mich an Fahrplan, die Launen des Fahrers, komme in (Körper)Kontakt mit anderen. - Ein Radfahrer gibt ohnehin nur ein lächerliches und bemitleidenswertes Bild von Anstrengung und Ärmlichkeit ab.
Der Verstand ist ohnmächtig gegen Gewohnheit und Trieb. Das lässt auch die Autoreformisten mit ihrem Ansatz scheitern (kleinere sparsamere Autos, intelligente Verkehrsführung, besseres Angebot von öffentlichem Nahverkehr).
05.02.07

Privatisierung der Menschen.
Soll Manager im Bankenmilieu geben, die werktags mit Anzug und Schlips die Konkurrenz vorantreiben, am Wochenende aber sich mit halbnacktem und tätowiertem Körper in die Tanzszene stürzen, dass ihnen der Schweiß vom Körper rinnt.
Die breite Masse macht ihren Job, dann zuhause vergessen sie alles, führen ein anderes Leben, hauptsächlich aber in der Fantasie vor dem Fernseher, 4 Stunden im Durchschnitt.
Ich gehe zur Arbeit, stecke mir die Ohrhörer ins Ohr, höre DLF oder Contra oder die mp3Dateien. Zu reden ist zu laut. Bediene die Maschinen usw., denke wenn ich nicht höre, an die Sachen, an denen ich derzeit rumschreibe. Achte darauf, dass mich niemand wegen Fehler angreifen kann, denke schlecht über andere, sammle Fehler, die andere machen, passe auf Chef und Vorarbeiter auf. Die paar Kontakte und Gespräche, die ich habe, sind Koalitionsgespräche nötig im Betriebskampf.

Diese Privatisierung geht parallel zu der gesellschaftlichen Entsolidarisierung, der Unmöglichkeit sich mit den großen gesellschaftlichen Institutionen wie Partei, Gewerkschaft, Kirche, Vereinen usw. zu identifizieren. Man hat nur noch sein „armes Ich“ („und das ist zu wenig“ sagt der Pfarrer). Die eigentliche Ursache dieser Zerfalls von Identifizierungen dürfte die Auflösung des Heimat- und Familiencharakters der Organisationen sein, sie haben ihren abgrenzenden Charakter verloren, können weder Feindschaftsgefühle kollektivieren, abgrenzen, noch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugen. Das hängt auch mit dem Zerfall einer autoritären Kultur zusammen.
Auf der anderen Seite sind die Organisationen nicht mehr in der Lage die autonomen Bedürfnisse der Individuen auszudrücken und darzustellen. Warum soll ich mich zum Handlanger einer Gewerkschaftszentrale machen lassen? Die Organisationen, wie Partei, Kirche und Gewerkschaften, sind autoritär, zentralistisch strukturiert, nicht in der Lage die neue Selbständigkeit der Menschen zu repräsentieren.
Beispiel Jugendliche im Sportverein. Es gibt dort kaum Gespräche der Spieler miteinander, Trainerkommandos, wenn Identifikation, dann autoritäre. Manchmal wenn sie vom Training zurückkommen, geben sie nur noch coole Sprüche von sich, kaum mehr erträglich. Abfällige Bemerkungen über andere, im kurzen Kommandoton. Manchmal werden sie rausgestellt, manchmal dürfen sie spielen, immer in Konkurrenz mit anderen, besseren. Man liebt es über schlechtere zu lästern. Ich meine, niemand könne sie zwingen, hinzugehen. Aber sie gehen weiter hin, der Kontakte wegen. Aber die Motivation ist eher ein Bedürfnis nach Überlegenheit, Autorität - deprimierend. Vielleicht ein Entwicklungsproblem, ein Übergang.
03.02.07

Materialismus und Religion
Führt man wie ich spirituelle Gedanken in die Fabrikdiskussion ein, riskiert man Ablehnung. Ich geh kurz die Geschichte des Verhältnisses von Arbeiterbewegung und Religion durch.
„Materialismus“ meint zunächst: nur die wirklichen Dinge zählen, und das sind Waren, Besitz (das „Fressen“ das vor der „Moral“ kommt). Und diese Dinge sind ungleich verteilt. Die Geschichte ist keine Geschichte der Selbsterkenntnis des Geistes, sondern eine Geschichte der Aneignung der Natur durch die Gesellschaft, also Klassen, also Klassenkämpfen. Der Mensch ist ein gieriges und deswegen kämpferisches Wesen. Alle Moral ist nur ein Mittel, um an den Fressnapf zu kommen, oder andere auszubeuten. Den Proletariern der Himmel, den Ausbeutern der Sonntagsbraten. Dieser Materialismus mündet ein in den rücksichtslosen und gedankenlosen Konsumismus der faktisch atheistischen Massen heute.
Dann der Materialismus von Marx, der sich dialektisch nennt, weil er zwischen dem gierigen Naturwesen des Menschen und seiner sozialen und physikalischen Umwelt die Erkenntnis und ihre Formung durch die Gesellschaft setzt. Der Mensch vergegenständlicht sich durch die Arbeit und entfremdet sich infolge der Klassengesellschaft, der falschen Wertform seiner Arbeit von sich und seinen gesellschaftlichen Beziehungen und damit von seinem menschlichen Wesen. Im Gegensatz zur Religion, die im Menschen nur ein unvollkommenes Wesen sieht, das durch die religiöse Wiedergeburt und Beziehung zu einem Gott nach dem Tod zu seiner wahren Bestimmung kommt, ist für Marx die Religion eine entfremdete Äußerungsform seines eigenen Wesens und er fordert einen radikalen Humanismus, durch die Aneignung der Religion und die Realisierung des göttlichen Ideals im Menschen selbst. Diese Aufhebung der Entfremdung ist eine durch Arbeit, Beseitigung der Klassengesellschaft und eine der Bewusstwerdung.
Der „Spiritualismus“ nimmt eine Art von „geistiger“ Präsenz jenseits von Raum und Zeit an, die durch die Strukturen der Materie und das menschliche Wesen hindurchdringt. Dieses „geistig“ wird verschieden interpretiert, als Teil der menschlichen Vernunft bei Hegel, als religiöse Botschaft in Religionen, oder als nichterkennbares, mystisch vielleicht erfahrbares Prinzip - wirksam aber in unseren inneren Antrieben, Gefühlen, Leiden und Leidenschaften, Bildern, auch in Kunst, Musik, Poesie. Es erschließt sich in dem Sprechen über Gefühle und Träume und braucht als Nährboden eine freundliche menschliche Umgebung.
02.02.07

Heute im Radio, DLF:

Rente mit 67
Braucht die mittlere Generation einen neuen Lebensplan?

In diesen Tagen sorgt sie bundesweit für Proteste: Die geplante Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Dem Protestaufruf der IG-Metall sind viele gefolgt, für die die Rente mit 67 gleichbedeutend ist mit Rentenkürzung und höherer Arbeitslosigkeit. Wie stellt sich die mittlere Generation auf die verlängerte Lebensarbeitszeit ein?
Legt sie mehr Geld zur Seite für später, schont sie ihre Gesundheit, um möglichst lange arbeitsfähig zu sein, bildet sie sich ständig weiter, um auch im Alter noch auf dem Arbeitsmarkt gefragt zu sein? Wie reagieren körperlich hart arbeitende Menschen auf dem Bau oder Schichtarbeiter auf die geplante Rentenreform? Darüber diskutieren wir mit Hörern und Betroffenen, fragen Experten wie Dr. Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung - und erfahren von heute-Moderatorin Petra Gerster, wie sie nicht nur in ihrem Beruf versucht, gelassen älter zu werden, um diese "Reifeprüfung" (so ihr aktueller Buchtitel) zu meistern. Studiogäste:Petra Gerster, ZDF-Moderatorin und Autorin von "Reifeprüfung. Die Frau von 50 Jahren"Dr. Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und EntwicklungHans Heusgen, Karrierecoach“

Mittelschichtstheater: Sogar Arbeiter sind einbezogen, ein Chef der Dachdeckerfirma wird befragt, er tut alles, dass seine Arbeiter bis 67 arbeiten können. Ein Schmu, er redet von richtiger Kleidung, richtigem Hochheben, dem ganzen Quark einer realitätsfremden Ergonomie. Dann auch noch ein Möbelpacker, ein Bauarbeiter, die sich verwehren dagegen bis 67 zu arbeiten. Die Schmieding geht darauf aber nicht wirklich ein, stattdessen führt sie ein Buket von Mittelschichtlerinnen vor, die geliftete ZDF-Gerster, die nervige Rosh, die jeden Widerspruch niederredet. Eine Welt wird vorgeführt, wo jeder nur immer schön jung und gesund bleiben soll und dann noch etwas Weiterbildung, dann kann man problemlos bis 67 arbeiten. Gefehlt hat nur noch der Hinweis auf die Notwendigkeit einer Privatversicherung. Einwände, dass genug schon arbeitslos sind, die Jungen nur darauf warten, dass die Alten ihnen endlich ihren Job überlassen, dass die Leute die Arbeit übersatt haben – diesen Einwände werden mit den schwächlichen Hinweisen begegnet, man soll sich einen motivierenderen Job suchen, es würde mit den Alten soviel Wissen und Erfahrung verloren gehen, die Alten würden sich nur vor dem Fernseher langweilen etc. Besonders hilfreich auch der Hinweis für die Alten, sie sollten sich in der Dienstleistung – wohl für die Alten der Frau Gerster und Co – beschäftigen. Jetzt wo man keine Arbeiter mehr braucht. Die Arbeitslosen sind nur arbeitslos, weil sie nicht qualifiziert sind. Bla, bla. Diese Journalistenschicht ist umgeben von einer Wand von Phrasen, sie sind nicht in Lage, durch diese Phrasen die Realität zu sehen. Sie registrieren nur, was ihnen in das verphraste Weltbild passt.
Ginge es nach dem „Karrierecoach“ in der Sendung, der als Alternativjobs am Ende nur noch von Amnesty und Transparency International nennen kann, müssten die Leute ihre Jobs aufgeben und sich überlegen, was wirklich sinnvoll und interessant ist. Das wäre vielleicht die Revolution.

In Wirklichkeit: Wie soll sich etwa meine Firma ändern, soll es da menschlicher weitergehen? Die Arbeit ist überwiegend durch Maschinen und ihre Besorgung bestimmt. Weiterbildung würde zwar eine größere Flexibilität für ein paar Jobs mehr ermöglichen, aber grundsätzlich nichts ändern. Abbau der Hierarchie? Um ehrlich zu sein, wenn meine Kollegen die Chefs wären, gute Nacht menschlicher Umgang, gute Nacht Umwelt, gute Nacht Ökonomie. In einer radikaldemokratischen autonomen Gruppe wäre ich verloren mit meinen Ansichten. „Ökonomisch“ wäre nur noch der Arbeitseinsatz. Umwelt kann man bei Kollegen, die erst mal Heizung aufdrehen, die Fenster öffnen und Auto fahren erst mal vergessen. Ihre Mitmenschlichkeit reicht nicht einmal aus, Informationen weiterzugeben, ihrem Ersatzmann mitzuteilen, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen. Die Einstellung von Belegschaft zu Leitung ist durch das Gefühl des Misstrauens und der Ausbeutung geprägt.
Klar, dass sich durch „Weiterbildung“, also mehr Information vieles verbessern ließe. Das Grundproblem ist, dass wir ein Schiff auf der stürmischen See der Konkurrenz sind, durch Faktoren bestimmt sind, die wir nicht bestimmen können: Markt und Maschinen.

15.4.07

10.01.07

Die Arbeiterklasse – Motor der Veränderung, Triebkraft des Fortschritts?
Gesellschaft heute muss sich an ihre Existenz anpassen, aber es ist keine bewusste Gestaltung, die von der AK selber ausgeht. Bis jetzt gilt nur Marxens Satz, dass der Kapitalverwertungsprozess alles, selbst die subtilsten Lebensäußerungen, zu verschlingen und sich zu unterwerfen versucht. Er versucht aus allem ein profitables Geschäft zu machen, die menschlichen Beziehungen seiner Logik zu unterwerfen, nicht die Vernünftigkeit der Menschen zueinander aufkommen zu lassen. Deswegen gehen Forderungen nach Selbstbestimmung in einer Gruppe etc. (Schule, Betrieb, Gesellschaft) unter. Auch durch die bürgerlich Form der Individualisierung, der Beliebigkeit des Verhaltens. Im Gegensatz zur gegenseitigen Verantwortung und dem Recht auf Äußerung und Kritik des Einzelnen. Stattdessen sollen die Individuen wählen, etwas anderes wählen – worüber sie auch wieder keinen Einfluss haben und was sie wieder sich selbst mehr entfremdet. Ewige Pubertät, statt Verpflichtung gegenüber den Mitlebenden.

Die AK hat keine negative Kraft. Die negierenden Kräfte sind die des Konsums, der neuen Trends und Moden, der kleinen teuren Details, der Sprache, die Zeichen gibt, statt ausdrückt. (Cool, krass, voll …). Ich höre niemand, der sagt: ich will mitreden und mitentscheiden, in der Schule, im Betrieb usw. Jeder hat das gleiche Recht usw. stattdessen: Ich bin was Besonderes. (Ich auch).
02.01.07

Eigentlich sollte ich am 30. arbeiten, so war der Plan. Dann bei der Arbeit am 29. kommt der Chef: „Ich brauche Sie morgen nicht“ Nur die Vollzeitkräfte werden arbeiten. Ok- denke ich - es wird also doch nicht soviel Arbeit werden wie erwartet. Also ist der Samstagsjob überflüssig. So mein Verstand. Aber es arbeitet dann in mir weiter: Warum habe ich damals nur eine Halbtagsstelle bekommen, obwohl sie als ganze ausgeschrieben und annonciert war? Diese Seckel, die das damals entschieden haben. Und so weiter, meine Gedanken werden immer aggressiver. Nachdem ich auch noch zuhause laut und aggressiv werden und mein Kopf sich richtig leer anfühlt am nächsten Tag, wird mir klar, dass mich dieser Satz „Ich brauche Sie nicht“ ganz schön getroffen hat und mir wird meine prekäre Situation klar: Ich, der komische Vogel, der ich wohl sein muss, sonst hätte ich ja einen ganzen Job bekommen, der nicht ganz normal ist, der in den Augen anderer eine Macke haben muss. Und mir wird auch klar, dass ich obwohl ich da als informeller Vorarbeiter aktiv bin (meine Nörgeleien wegen der Energieverschwendung, meine Besserwissereien am Computer, mein Engagement beim Streik, Wissen über Tarife und Gesetze) von entsprechenden Koalitionen in Bedrängnis gebracht werden kann. Gut, nicht gekündigt, aber z.B. durch irgendwelche Koalitionen, z.B. Vorarbeiterin mit ihren Landsleuten und dem Chef, kaltgestellt werden kann, auf Jobs verschoben, die ich hasse. (Wahrscheinlich steht diese Woche ein solcher Job an). Vielleicht gibt es bei meiner Person, d.h. wie sie sich für andere darstellt, nur zwei Möglichkeiten der sozialen Existenz: entweder als Außenseiter oder als Anführer, Vorarbeiter, Sprecher und ähnliches. (Vielleicht ist das auch das Problem der Mittelschicht).
Dieses „Ich brauche Sie nicht“ hat mir meine eigene latente Gefühlshaltung klargemacht, genauso wie die der ganzen erzwungenen Teilzeitjobs, der 400-Euro-Jobs usw.
10.12.2006

Ein Beitrag von Christel Dormagen über ihre schlimmen Kindheitserziehung, Erziehung zu Geiz (die Familie musste in den 50er Jahren ohne TV auskommen) und Lüge (Spiegeleier wurden „Hühnerbraten“ genannt) und sexistischer Ungerechtigkeit (der Vater hat Speck zum Ei bekommen). Sie sieht diese kleinbürgerlichen Untugenden mit den Augen ihrer vornehmlich großbürgerlichen Freundinnen. Ich sehe meine Theorie bestätigt, dass sich das Kleinbürgertum, heute die „Mittelschicht“, sich orientiert am herrschenden Großbürgertum. Heute ist das Großbürgertum nicht mehr als produktive Kapitalistenklasse erkennbar, es erscheint nur noch als klassenunspezifisches Konsum- und Wertemilieu, verteidigt von der propagandistischen Mittelschicht. Das bedeutet: Betonung von Liberalität, Großzügigkeit, gehobenem Konsum, Lebensqualität, Nichtarbeit (vor allem nicht-körperlich) vorgetragen von den Feuilletonisten, liberalen Lehrern, Alt68ern, Feministinnen usw.
Die Werte von Sparsamkeit und Ökonomie haben für diese Schicht keine Bedeutung mehr, sie haben angesichts ihres Einkommens und Vermögens an praktischer Bedeutung verloren, sie sind nur noch Zeichen einer kleinlichen und peinlichen Klassenherkunft. Das Jammern über die Armut ist die Kehrseite dieses Konsummilieus, die armen HartzIVler, die armen Rentner usw. Die konsumistischen Sozialarbeiter brauchen diese als Objekt ihrer Großzügigkeit, um sie mit den Gaben zu beschenken, die sie sich aus dem von der internationalen Arbeiterklasse erarbeiteten Mehrwert abgezweigt haben.
Man wird mir Übertreibung vorwerfen. Aber man muss es erlebt haben: Sozialarbeiter fahren mit ihrer Klientel 200km in eines der teuersten Kleidungsgeschäfte des Landes. Oder: eine Sozialbefürsorgte muss alle Mühe aufwenden, um ihre Sozialarbeiterin davon abzuhalten, mit ihr Kleidung einzukaufen, weil sie mit ihr keine Hose unter 80€ kaufen kann.
Also Sozialismus bedeutet Armut? „Armut“ – was ist das?

Ich denke, es zeigt sich da eine geschlechtsspezifische Differenz: da das Ressentiment, hinter dem die grenzenlose Gier, der Wunsch nach Sonderstellung und Verwöhnung ist. Auf der anderen Seite die Identifikation mit den Anforderungen eines Systems, wobei diese Identifikation auch eine Identifikation mit dem Aggressor, eine repressive sein kann,.
07.12.2006

„Armut“
Heute in der FR online:
Armut in Zahlen
Rund 50 000 Frankfurter besitzen den Frankfurt-Pass. Er verbilligt Fahrten mit Bus und Bahn, den Eintritt in den Zoo, den Palmengarten oder die städtischen Bäder und soll den Inhabern damit die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erleichtern. Vor zehn Jahren hatten erst 35 000 bis 40 000 Einwohner ein Anrecht auf den Pass. Eine allein lebende Person bekommt ihn, wenn sie monatlich weniger als 869 Euro zur Verfügung hat. Bei zwei Personen sind es 1125, bei vier beispielsweise 1636 Euro. Als arm gilt jemand, der im Monat nur 345 Euro zur Verfügung hat, zuzüglich der Warmmiete. Diese "Grundsicherung" ermittelt das statistische Bundesamt in Wiesbaden, indem es bei unteren Einkommensgruppen fragt, was sie ausgeben. Davon streicht es alles weg, was es nicht für unbedingt notwendig hält und was daher die Allgemeinheit nicht bezahlen muss.


Eine abgeschlossene Berufsausbildung hat auch Friderieke R.. Die Altenpflegerin steht zum ersten Mal hier und fühlt sich sichtlich unwohl: "Die gucken mich doch schräg an und denken: ,Die ist dick, was will die hier?'" Aber seit Oktober ist der Geldbeutel der arbeitslosen Mutter einer fünfjährigen Tochter leer. "Ich bekomme 900 Euro Arbeitslosengeld, mein Partner verdient als Lkw-Fahrer knapp 700. Das reicht oft nicht."

Diese Art von Armut ist vor allem eine geistige Armut:
- keine Resistenz gegen den Konsumzwang,
- keine kritische Konzeption, sie glauben an ihre individuelle Schuld, sehen darin keine historische Chance.
Materiell geht’s denen immer noch goldig, vergleicht man sie mit der Dritten Welt.

Dazu gestern die Meldung:
„Der ärmeren Hälfte der Menschheit gehört nur ein Prozent des globalen Reichtums“ (Telepolis) „Die Analyse der Haushaltseinkommen ergab, dass die Hälfte des globalen Reichtums einer reichen, aber winzigen Superschicht von zwei Prozent der Weltbevölkerung gehört, während die ärmere Hälfte praktisch leer ausgeht und nur über ein Prozent verfügt.“

Ein Leserbrief in Telepolis dazu
„Reichtum zusammenscharren ist zum Teil Cleverness ( Bill Gates ) oder durch Ausübung von Macht ( besonders Ölindustrie ). Anderseits gehört dazu die Verführbarkeit der Massen, derenVerhalten! Noname oder "Marken"
Repräsentatives Auto oder Fahrrad.Windows oder Linux. Thailandflugreise oder Privatzimmer auf Rügen. Autoreise als "Grundrecht" nach Spanien, zur Freude der Ölmultis!Belegschaftsaktie halten oder für ein "Linsengericht" verkaufen!In Russland die "Voucher" der ExStaatsbetriebe in Wodka umgesetzt!Schuldenfreie Wohnung oder in Verarmung saufen!Im Frühjahr 1990 in der DDR die Beitrittsverhandlungen"Laienspielern" überlassen!Es haben sich schon mehr Bauern um ihren Hof gesoffen als dass sie durch Bankenspiele initiiert von Großgrundbesitzern ihre Höfeverloren! In Deutschland, Südamerika anders, aber oft "armgevögelt"...., Erbteilung.....“
(Weserpirat)
06.12.06

Mich am Wochenende mit "Nahtoderfahrungen" beschäftigt. Die Politischen werden jetzt sagen, jetzt haben wir ihn. Man stelle sich einen von der RAF oder MG vor, der sich damit beschäftigt. Ist das nicht kleinbürgerlich? Eine individuelle Chose? Hat sich sich Adorno dazu geäußert? Seit 1966 gibt es im Rundfunk Berichte darüber. Was hat das mit der Arbeiterklasse zu tun? Ist das nicht Eskapismus? Flucht vor dem Kampf? Vertröstung auf ein Leben nach dem Tode? Sollte der Arbeiter nicht zuerst ans Fressen (und immer mehr Fressen) und an Sex denken?
Ich denke Fressen oder sagen wir: gutes Essen und Sex müssen der Idee von einem erfüllten und glücklichen Leben nicht widersprechen. Gerade in den glücklichsten Erfahrungen der Sexualität gibt es einen Hinweis auf die Begrenztheit des menschlichen Lebens, auf ein Glück, das noch größer sein muss als das erreichbare.
Die Arbeiterklasse ist keine Religion. Es ist nur eine historische Existenzform. Es ist auch keine Inkarnation einer dialektischen Seite des Weltgeistes. Es ist nur eine Chance zu einer Wahrheit zu kommen, die Bedeutung von gesellschaftlicher Arbeit und wie diese Gesellschaft in Widerspruch zum Glücksverlangen der Einzelnen steht. Jeder bekommt sein Recht.
Was ist also so schlimm an den Nahtoderfahrungen? Dass die ganze Plackerei, die Frustrationen der Arbeit, keine Bedeutung mehr haben? (Was man natürlich nicht weiß. Es ist nur eine mögliche und beliebte Interpretation).
Religion wird von der linken und so genannten marxistischen Seite nur noch als negativ betrachtet. Obwohl von Marx anfangs noch anders gesehen, einerseits Pfaffenwerk, andererseits Aufschrei der gequälten Kreatur. („Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt“) Etwas böse ließe sich sagen: mit dem Verschwinden der Religion ist auch das menschliche Elend verschwunden und damit der Antrieb für die Revolution. Am intensivsten wird die Religion ja in den südamerikanischen Favelas und im aidszerstörten Afrika betrieben. Das hieße der „Atheismus“ der Arbeiter ist nur Ausdruck ihrer materiellen Saturiertheit. Sie sind ihrem Gott, einem vollen Bauch, schon ganz nahe.

Ich spüre, wie die Realisten, Aktivisten, solche Denkereien als akademisches Schwätzertum ablehnen. Oder andere könnten sagen, ich wäre eben ein notorischer Zweifler, der die die Diskussion und das dialektische Gedankenspiel mehr liebt als Wahrheit oder die zu vollbringende Tat - "Praxis". Es kömmt drauf an, nicht verschieden zu interpretieren, sondern zu verändern. Au waia.

Die Gehirnforschung glaubt sich auf dem Wege - zumindest tut sie so - zu den Grundlagen unseres Ich-Bewusstseins, Seele und dergleichen. Sie glaubt, irgendwann werden sie in irgendwelchen Nervenzellen oder in irgendwelchen chemischen Prozessen das Ich finden. An dem rumzumanipulieren ist ihnen ja schon längst gelungen. Denke da an den Gehirnschrittmacher bei den Parkinsonpatienten. Sie wissen nur nicht, warum das so funktioniert. Aber die ganze Suche ist blödsinnig. Sie werden sicher interessante Details finden, aber das Bewusstsein als solches lässt sich nicht dinglich isolieren. Ich kann nicht genau begründen warum. Aber es hat etwas mit dem ewigen Spiegel zu tun, wir reflektieren immer nur die Wirklichkeit. Aber zwischen Wirklichkeit und Reflexion ist eine Differenz, die sich nie einholen lässt. – Oder noch anders formuliert. Wir begreifen uns in Begriffen, die uns die Gesellschaft schon vorgegeben hat. Wir drücken unser Ichbewusstsein in ihren vorgegebenen Begriffen, Schemata, Rollen usw. aus. Alles (so der Strukturalismus) lässt sich soziologisieren. Trotzdem ist da eine Differenz zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, eine produktive, repressive oder destruktive. Andererseits aber können wir uns nur in diesen vorgegebenen gesellschaftlichen Kategorien begreifen, auch durch die Sinne hindurch, weil wir mit den anderen und der Welt um uns herum identisch sind. Also müsste man Plato Recht geben, wenn er meint, dass alles Erkennen Wiedererkennen ist. Das meint: Bewusstsein ist etwas außer uns, das durch uns hindurchgeht, durch unsere Sinne, unsere Gefühle als Antrieb und Richtunggeber benutzend.
Die Nahtoderfahrungen stellen auch die Rolle des sprachlichen und rationalen Bewusstseins in Frage. Man denke nur an die Macht der Bilder darin, an ihre Attraktivität, ihre hohe komplexe Symbolik und Verbindung von verschiedensten Aussagen und Gefühlen, und schließlich ihr unmittelbar eingängiger, teilweise schon zwingender Gefühlsgehalt. Bilder, wie Träume sprechen das Kreatürliche in uns an, ebenso wie das Animalische. "Kreatürlich" hier in Wortverwandtschaft zur Kreativität und zum Tier.