18.4.07

01.04.07

Warten ist etwas, was einen Großteil meines Lebens ausgemacht hat. Warten auf das Ende meiner aktiven Lebensarbeitszeit, bis zum Beginn der Altersteilzeit. Jeden Tag zählen. Mit 14, bei meiner ersten Ferienarbeit, habe ich ständig auf die Uhr geschaut, wann ist die nächste Stunde vorüber... Überhaupt wurde früher viel gewartet: im vollen Wartezimmer des Arztes, beim Einkaufen warten bis die Verkäuferin alle Artikel aus den Regalen geholt, die Preise notiert, zusammengerechnet und nochmals zusammengerechnet hatte, bis alle kleine Schwätzchen beendet waren. Ein Glück, dass die Einkaufslisten kürzer als heute waren. Besonders schlimm war das Warten in der Metzgerei am Samstagmorgen. Warten in der Kirche, beim Knien auf harten Holzbänken, der endlosen Predigt, den Andachten und Rosenkränzen. Warten, warten. Warten auf Ostern, Weihnachten. Warten. Schrecklich die Sonntage: Warten bis sie vorbei sind. In der Schule natürlich: Warten, still sein, nichts tun. Mit 10 dann jeden Tag 3 Stunden „Studienzeit“, davon 2 Stunden Warten auf das Klingeln. Alles hatte seine Zeit, aber es war immer zuviel Zeit.
Ich glaube bei mir ist das zum Charakter geworden. Jetzt warte ich auf den Beginn der Altersteilzeit, dann auf deren Ende. Fängt dann das wirkliche Leben an? Wenn ich meinem Sohn für Geld putzen lasse, dann weil mir die Zeit zu schade ist. In der Firma habe ich keine Probleme, die Zeit mit Putzen zu verbringen, Hauptsache, die Zeit vergeht.
Warten zu können ist eine grundlegende Bedingung für Fließbandarbeit. Leere Zeit mit Tätigkeiten zu verbringen, die einem fremd und gleichgültig sind. Am schlimmsten ist es für die jungen Ferienarbeiter. Mein Sohn hat 3 Wochen an der gleichen Maschine gearbeitet. Tausend Mal die gleichen Teile. Meine Jobs sind ein bisschen komplexer. Mit der Zeit kennt man die Abläufe, strukturiert den Tag. Die Zeit verliert ihre Leere, bringt Variationen. Eine bestimmte Menge, die man erreichen will. Ein bestimmtes Tempo. Meine Kollegen schauen auf die Menge, die sie gemacht haben, auf den Bildschirm, der anzeigt, welche Kunden, welche Programme kommen. Es gibt Störungen. Das kann sehr interessant werden. Störungen, die man nicht beheben kann, machen natürlich keinen Spaß. Am Anfang, als mir alles endlos vorkam, habe ich mir damit geholfen, dass ich meinen Lohn, die kommenden Lohnerhöhungen ausgerechnet habe. Wenn ich etwas ausrechnen kann, wird für mich die Zeit interessant. Aber es ist abstrakte Zeit, nicht eine durch mich ausgefüllte. Läuft besonders wenig, bin ich viel am Rechnen: wie viel Tage noch, wie viel Prozent habe ich schon gearbeitet. Schwierig war auch die Zeit vor dem Streik, es ging nichts mehr voran, keine Lohnerhöhung in Sicht. Obwohl es lächerlich ist – und damit hält man die Arbeiterklasse in der Arbeitsfalle – die Aussicht auf ein kleines Prozent mehr, hält so Leute wie mich in Schwung.
„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“ war das Motto eines Arbeiters, den ich in der Chemieindustrie getroffen habe. Er trug einen hochadligen Namen, kam jeden Tag mit weißem Hemd und Krawatte zur Drecksarbeit. Ich weiß nicht, welche soziale Leiter er herabgestiegen war, aber mit ihm zusammenzuarbeiten war angenehm. Die Arbeit hatte bei ihm nicht wie bei anderen deutschen Arbeitern einen Strafcharakter – nie tut man in ihren Augen ja genug dafür. Es musste gemacht werden und irgendwie würde man das schon hinkriegen.
In der Tat ist der Mensch sehr flexibel und was anfangs unmöglich erscheinen mag, mit der Zeit hat man es sich angeeignet, wird die leere, sinnlose zeit zu einer mehr überschaubaren, strukturierten, in gewissem Sinne „angeeigneten“ Zeit, um einen Lieblingsbegriff der zarten Spontizeit zu benutzen. Die Angst vor bestimmten Arbeiten ist in der Regel schlimmer als die Arbeit selbst. Der Begriff der Identität ist ja eine solche Schlange: wird etwas nur genügend oft wiederholt, sei es ein blöder Song oder ein mühsamer Alltag, wird es zur Gewohnheit, zur geliebten und „stiftet“ Identität: Wiederholbarkeit, Einheit in der Zeit, Antizipierbarkeit, Vorhersehbarkeit, Sicherheit und sonst noch andere gute Sachen. Vielleicht ist es am Ende des Lebens ganz gut zu wissen, dass alles relativ war, das Leben xbeliebig.

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