11.11.06
Gestern Probleme: Ist was schiefgelaufen, ob durch meine Schuld oder nicht, schwer zusagen, vielleicht. Jedenfalls die Vorarbeiterin sieht in mir den Schuldigen. Und gleich kommt eine Menge anderer Vorwürfe gegen mich, dies und das. Ich fühle den ganzen Aussiedlerclan gegen mich, schon die ganze Zeit läuft die Stimmung gegen mich. „Das wird noch Probleme geben“. „Es ist eine Katastrophe“. Ich weiß mich nicht richtig zu wehren, verweise auf die in der letzten Woche angestauten Sachen, die es gar nicht mehr zulassen, alles zu machen, räume die Möglichkeit ein, dass ich was falsch gemacht habe.
Diese Woche ist der Chef nicht da, fehlen auch sonst zwei Leute, die sonst die Arbeit wegschaffen, andererseits aber die drei übrigen in der Abteilung noch weniger arbeiten als sonst, so dass also zeitweise überhaupt nichts mehr läuft.
Ich bin absurderweise auf der Seite eines flotten Produktionsflusses, also die deutsche Facharbeitermoral - etwas verbunden mit meinem privaten Fitnessprogramm - und ärgere mich über die Gleichgültigkeit der Jugos. Der Typ stellt die Maschine auf eine hohe Taktzeit ein, ist fertig mit der Arbeit, hat nichts zu tun und wandert dann in der Firma rum. Währenddessen steht alles still und staut sich an. Mit der Arbeit schon einen Tag hinterher. (In meinen Affekten kann der Kritiker leicht eine Fremdenfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit zu entdecken.)
Ich sag mir: So fühl ich halt. Die deutschen Facharbeiter würde ich vielleicht noch mehr hassen, von ihrem Verhältnis zu mir gar nicht zu sprechen. Sie hätten und hatten für Menschen wie mich nur Verachtung übrig - je näher ihr Status zum Handwerk umso mehr. (Warum? Der intellektuelle Touch, ohne die allfälligen Symbole der Männlichkeit: harte Statements, Autos, zu viel Fragen, zu verquer zum allgemeinen Konsens, Sonderling, Radfahrer etc.? )
Ich überlege also. Wer ist aktiv bei der Sache? Mir fällt NN ein, der Ungar, mit dem ich in letzter Zeit nur noch übers Wetter rede nach seinen vergeblichen Versuchen, sich bei mir zum Vorarbeiter aufzuschwingen. Der auch beim Streik weggebrochen ist und dessen langsames Arbeiten mir auf den Wecker geht, auch wie er überall Energie verschwendet, in Ostlermanier überall die Heizungen aufdreht, vor jedem kleinen Durchzug flüchtet, immer wieder krank, die Maschine so bedient, dass sie unnötig literweise Energie verschwindet, im Glauben, dass das ja die Firma zahle. Aber gleichzeitig ein zäher Zwangsneurotiker, der anderen seine Arbeitsrituale aufzwingen will. Manchmal pfuscht er an der Steuerung rum und stürzt alles in Chaos, im Glauben, er hätte die Sache im Griff. – Auffällig für mich jetzt auch, dass er bei der Rotation nie bei den Frauen arbeitet, muss also gute Beziehungen zur Vorarbeiterin haben. Mir wird plötzlich vieles klar. – Einen Tag vorher hab ich ihn beleidigt, als ich nicht die von ihm für mich vorgesehene Reihenfolge der zu erledigenden Arbeiten übernommen habe, weil ich es satt hatte, immer die Jobs zu erledigen, die ihm zu anstrengend waren. Soll er die Arbeit selber machen, hab ich mir gedacht. Also blieb die Arbeit stehen und ich war dann schuldig? Gut arrangiert.
Was lässt sich allgemeines sagen? Die Vorarbeiterin ist Gewerkschaftsmitglied, war auch halbwegs bei den Streiks beteiligt. Aber es ist keine aktive Front, eine stumme Verweigerungsfront ohne politische oder sonst welche Ziele. Gegenseitige Ressentiments beherrschen jetzt die Szene, ein diffuser negativer Zustand des Nichtmitmachens, Sichverweigerns. Was sie an mir nervt, dürfte auch mein Rückzug auf die Ohrhörer, Radio, Mp3player sein. Besonders die Korpulente hat das gestört, sie macht sich seit einiger Zeit zur Domina breit. Die deutsche Facharbeiterin hat sich von der Szene schon länger zurückgezogen.
Kein Wunder, dass der Vorarbeiter krank ist, auch Etopi.
Dieses Herrschen des Vorurteilzustands mag auch damit zusammenhängen, dass ich nach einer offenen Kritik am Vorgehen des Chefs und Diskussionen mit ihm de facto dadurch zu dessen Bündnispartner geworden bin. Ich hatte dieses ganze Hintenrumgerede satt und ihn in einem Papier offen angegangen, mit dem Resultat, dass ich jetzt mit ihm in Kontakt bin, aber sie ganz außen vor sind, da sie sich als Feiglinge benommen haben, sich von mir distanziert haben etc.
Diese Ostler haben Schiss und neigen deswegen zum Denunziantentum. Würde man sich auf ihre Standards einlassen, würden hier bald alle wie im Osten leben: mit Duckmäusertum, Stasi, Verschwendung, Ineffizienz.
(Was sag ich da? Ist das Solidarität? Hilfe - ist das nicht rechtsradikal? Jetzt hab ich ein Problem.)
Wie ließe sich das Verhältnis verbessern? Sie tun mir leid, weil sie in der beschränkten Welt leben. Als einzige Hoffnung das Lotto, sich mal aufspielen, limitierter Konsum, nie genug davon. Kaum Ausdrucksmöglichkeiten. Sprachliche Schwierigkeiten, mit dem Chef immer in einem Verhältnis von gegenseitigem Misstrauen, Unterstellungen von Bösartigkeit.
Gut, dass alles von der Maschine abhängig ist: sie organisiert unsere Beziehungen, frisst die Arbeit, spuckt sie wieder aus. Wir laufen um sie rum, wie die Priester um den Tabernakel. Die Maschine macht zum Glück persönliche Beziehungen überflüssig, erübrigt Sprechen miteinander, das schon durch den Mundgeruch verübelt wird, unter dem die meisten Kollegen leiden. Die Maschine beglückt uns mit ihrem Krach.
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