25.9.07

Die konsumistische Identität

In der taz von gestern gab es eine Apologie des Konsumismus. Derart: „Was immer wir tun, wir shoppen“. „Wir sind, was wir kaufen (oder eben nicht kaufen)“. „Dass wir mit den Waren, die wir konsumieren, …unser Ich … konstituieren“. „Das ‚Selbst’ ist schließlich nicht vor den Produkten da, sondern wird mit deren Hilfe erst modelliert“. Es wird auch eine Kritik am Konsumismus erwähnt, der Suchtcharakter des Shoppings – aber am Ende bleibt es: Alles ist Shopping.
Oder wie Marx im Kapital den Warenfetischimus an: „Der Reichtum der Gesellschaften … erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung’“. Dahinter versteckt sind die gesellschaftlichen Beziehungen in der Produktion, die Ausbeutung und Zurichtung von Mensch und Natur.
Davon will der Autor nichts wissen. Konsumieren ist Freiheit, „Selbst“, Identität, „Ich“. Die Kehrseite interessiert ihn nicht.

Ich drehe die Sache einfach um. Unsere Identität besteht im Wesentlichen daraus, was die anderen in uns sehen und wie wir auf diese Sicht zu antworten vermögen. Da ist etwa „unsere“ Schulkarriere, Berufslaufbahn, Arbeitstätigkeit, Familienstellung. Je mehr uns das nicht passt, je unbefriedigender „unser“ gesellschaftlichen und produktives Dasein, desto mehr weichen wir auf Konsum aus und benutzen die käuflichen Zeichen, um uns eine Schein- oder Fantasieidentität zu „konstituieren“.

Die Definition des Konsumismus zum universellen Lebensprinzip schließt von vorneherein eine kritische Betrachtung des Konsumismus aus: die Unfähigkeit mit den gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen zu haushalten; der Mangel an langfristigem Denken, das schwache Ich, das sich vom Lustprinzip beherrschen lässt, das Ignorieren von internationaler Ausbeutung und Naturzerstörung; das einsame Ich, das den Triumph von Moden und Produkten braucht, um sich Geltung zu verschaffen. Oder anders formuliert: Zu einer vernünftigen Identität gehört die rationale Aneignung der gesellschaftlichen Beziehungen, in denen wir leben und arbeiten.

16.9.07

BLOCH UND DIE MORAL

Mich durch einige Sachen von Bloch durchgelesen. Ich schätze ihn sehr, wie er die Geistesgeschichte nach ihren utopischen Überschüssen durchforscht. Dabei bin ich auf ein Interview über Moral gestoßen. Was wird er sagen, er der einmal Stalin verehrt und hoch gepriesen hat? Aber er enttäuscht. Wieder wird Stalin zitiert: „Der Überbau aktiviert den Unterbau.“ Ausgerechnet Stalin, der – wie H. Weber beschreibt – fast die ganze Arbeiterklasse von 1917 in der Sowjetunion ausgerottet hat. Heißt das, den „Unterbau“ „aktivieren“?
Ich frage mich, welches Verhältnis hatte denn Bloch zum empirischen Arbeiter, er der nach Klappentext „wie kaum ein anderer Autor unserer Zeit die Fähigkeit besitzt, ‚dem Volk aufs Maul zu schauen’“. Ich kann mich erinnern, 1974 – als dieses Interview (s.u.) geführt wurde – habe ich in der Chemieindustrie gearbeitet. Fast keine deutschen Arbeiter haben direkt in der Produktion gearbeitet, sie waren in der Regel Vorarbeiter, Meister usw., beschäftigt mit ihren Familien, Autos und Motorrädern. Die Arbeit wurde von Arbeitsemigranten gemacht – der Multikultikult war die Begleitmusik dazu. Ein Teil der Deutschen war im Kopf geprägt durch die Erlebnisse in Stalingrad, die Vertreibung aus Tschechien usw. Die meisten Arbeitsemigranten waren Türken und dabei, sich wieder zu islamisieren. Ich kann nicht erkennen, dass denen allen irgendeiner aufs Maul geschaut hätte, schon gar nicht Bloch.
Und das war nicht nur 1974 so. Wo spielt die empirische Arbeiterklasse bei Bloch eine Rolle? Die KP als Sprachrohr der Arbeiterklasse? Ich glaube, nicht einmal Bloch hat das geglaubt. Sicher, er befasst sich mit dem Kleinbürgertum und ihren rückwärtsgewandten Ideologien, aber mit den Arbeitern selber?
Jetzt zur Moral. Was sagt er auf die Frage, es gäbe Leute, die sagten die 68-er hätten hauptsächlich moralische Gründe für ihre Politik? Er könnte jetzt diese Kritik materialistisch aufnehmen, in dem Sinne, dass ein Unterschied zwischen Motiven aus materieller Lage und Erfahrung und moralischen Gründen bestehe. Aber nein – das erste ist nach ihm „Ökonomismus“ – und das zweite das scheinbar allein richtige. Denn auch Lenin hätte nur „moralische“ Motive gehabt. Hier hätte man Bloch doch etwas mehr Vertiefung in Nietzsches Kritik der Moral – ohne sie gleich zu akzeptieren – gewünscht, um hinter moralischen Phrasen etwas weniger wertvolle Motive zu vermuten. Wie kommt es, dass viele Teilnehmer der hochmoralischen Studentenbewegung man heute wiederfindet im akademischen Establishment, als Kriegstreiber, in Positionen, wo sie Tausende entlassen usw. usw.? Doch nicht, weil sie damals moralisch waren und heute nicht – sondern weil da in ihnen eine Kontinuität ist, und die Worte nur darüber wegtäuschen wollen.

Und so ist es auch bei Lenin. Er benutzt die Forderungen der Arbeiterklasse (und des Volkes: „Brot und Frieden“), um an die Macht zu gelangen. Eine „Modernisierung“ der SU wird mit allen Mitteln durchgesetzt, Tscheka, Lügen, Verbrechen, Arbeitslager. Hatten die Arbeiter dabei etwas zu sagen? Lenin hat die Grundlagen für das Wirken von Stalin geschaffen. Moralische Grenzen wurden durchbrochen, der Weg für einen gnadenlosen Massenmord freigemacht.
Nietzsche hat Moral auf den Willen zur Macht reduziert und als wahre Natur des Menschen glorifiziert, wie dubios dieser Begriff des Willens zur Macht auch immer sein mag. Aber Bloch mag diese aufdeckende Psychologie nicht. Adorno meinte in dem Zusammenhang einmal, Antipsychologismus wäre eine Eigenschaft der autoritären Persönlichkeit. Psychologie ist ihr deswegen so verhasst, weil sie auf individuelle Motive eingeht, also ein Individuum zulässt, das sich weder mit dem Gesagten noch der Gesellschaft deckt. Warum verweigert Bloch einen Blick auf die unfeinen Hintergründe der Leninschen Moral? Sicher, weil er sich mit dieser „Moral“ identifiziert – diese Moral, die von Revolution, Arbeiterklasse, Sozialismus spricht aber die Selbstherrlichkeit einer anderen Klasse als der der Arbeiterklasse meint. Eine Revolution der Worte also, die sich „moralisch“, d.h. selbstlos und sich aufopfernd für andere, die Gesellschaft usw. darstellen will.
Bloch identifiziert Moral in gewisser Weise mit Selbstlosigkeit, mit Aufopferung für die anderen, für ein gesellschaftlich Gutes – und stellt diese Moral den partikulären Eigeninteressen einer Klasse gegenüber. Die können seiner Meinung nach nur „ökonomische“ sein. Deswegen sein Verweis auf den Ökonomismus. Aber es ist nicht sinnvoll, dieses materielle Interesse dem moralischen entgegenzustellen. Eine materialistische Kritik der Moral würde vielmehr bezwecken, das materielle Interesse anzuerkennen und seine Realisierung in der Gesellschaft in eine balancierte Form zu bringen.
Bloch dagegen setzt der Moral den Nihilismus entgegen. Damit verhält er sich den moralischen Selbstbegründungen (und auch sich selber gegenüber) unkritisch.
Warum aber diese Anlehnung an Stalin und Lenin? Es ist die dem Intellektuellen zu Grunde liegende Erfahrung - und gleichzeitig ihre Verdrängung – gewissermaßen ein „Nichts“ zu sein. Durch Parteilichkeit mit diesen „Kräften“, will er die Bedeutung und Wirksamkeit seiner Gedanken unterstreichen.
Diese „Nichts“ - Erfahrung ernst zu nehmen, sie nicht mit falschen Identifikationen zu überspielen, durchzugehen durch die Depression und den Nihilismus, vielleicht wäre das ehrlicher gewesen, als das schöne Projekt Hoffnung. Vielleicht wäre es auch Anlass gewesen, sich mit dem wirklichen Arbeiter und seiner Situation zu beschäftigen.

„Rosa Luxemburg, Lenin und die Lehren oder Marxismus als Moral“ in: „Gespräche mit Ernst Bloch“, Hrsg. Rainer Traub und Harald Wieser, Ffm 1975.

13.9.07

ARBEITERAUTONOMIE STATT SOZIALSTAAT

Die Schwierigkeiten syndikalistischer Politik


In „Freitag 32“ formuliert J. Bischoff als Alternative zum neoliberalen Kapitalismus die Erwartung seiner sozialen Regulierung im Sinne des Sozialstaats, Bekämpfung der sozialen Ungleichheiten in der Einkommensverteilung, „langfristig ausgelegte Strukturpolitik“, „Herausbildung einer sozial und ökologisch verträglichen Lebensweise“, Entwicklung von Individualität sowie des Anspruchs auf Selbstbestimmung und Partizipation“ mit neuen Ansätzen indirekter Wirtschaftssteuerung und eines demokratischen Aufbruchs“ (in:
Freitag 32 - Über Zombies und Voodoo-Kult)


Das Hoffen auf den Sozialstaat erfolgt aus einer realistischen Sicht der Machtverhältnisse. Mit ihm ist es teilweise gelungen, Verteilung politisch zu organisieren. Autonome Arbeit ist keine Basis der Gesellschaft, vielmehr ist sie abhängig von Kapital, politischen Vorgaben, Bewegungen des Weltmarkts. Sie ist abhängige Arbeit und so erscheint es dem Bewusstsein. Folgerichtig orientiert sich also auch das menschliche Handeln daran und es wird gefragt: wie kann ich Geld verdienen, was muss ich dafür tun usw.? Es passt sich an die Gegebenheiten des Abhängig-Beschäftigt-Seins an. Autonomie beschränkt sich auf die Anpassung des Körpers, der Intelligenz an die vorgegebenen Ziele des Kapitals.


Freilich baut der Sozialstaat ein Rechtsverhältnis auf: Recht auf Gerechtigkeit, Arbeit, Unterhalt usw. Damit ist dieses homo homini lupus-Prinzip, das Wolfsprinzip unter den Menschen, abgelöst und rechtlich Solidarität ein Maßstab politischer Entscheidungen.
Weil aber die kapitalistische Grundstruktur der Produktion und Eigentumsverhältnisse weiter besteht, stehen ökonomische und soziale, politische Verhältnisse in Gegensatz zueinander. Das vom Staat ausgegebene Geld - zurzeit zwischen 45% und 50% - muss zuerst im „produktiven“, d.h. Profit erzeugenden privaten Sektor erwirtschaftet werden. Der vom Staat verwaltete und finanzierte Sektor ist zwar nicht „unproduktiv“ - garantiert er doch durch Bildung, Infrastruktur, Militär, Polizei, Gesundheit, sozialen Frieden usw. Bedingungen und Erweiterung der Profitproduktion – aber sein Geld bezieht er aus der Profitproduktion des privaten Sektors. Der eine Sektor lässt sich von dem anderen nicht trennen.
Länder mit einer geringen Staatsquote wie die USA (34%) oder Spanien (38%) erzwingen die Finanzierung dieser Leistungen entweder mit Mehrarbeit oder durch Vernachlässigung öffentlicher Strukturen, Verarmung.
Die „Sozialstaatsillusion“ will von dieser notwendigen Bedingung – etwa den Profit auf dem Weltmarkt gewinnen zu müssen - abstrahieren. Sie macht sich weder Gedanken um den Gebrauchswertcharakter der Produktion (Was wird hergestellt, mit welchen Mitteln und Ressourcen), noch um die sozialen Verhältnisse, wie dieser Profit produziert wird. Sie überlässt das dem privaten Sektor.

Dieser Sozialstaatspolitik steht die Idee der Produktion durch selbstbewusste Produzenten diametral gegenüber. Als eher traditionalistische Produktionsmoral steht sie in Gegensatz zu der Idee der Verteilung des „Reichtums“ durch soziale Wohlfahrt, der Schenkungsmentalität der Sozialarbeiter, Ideen von „Grundeinkommen“, Klage über Hartz IV und „Armuts“-Kampagnen.



Man wird aber sofort Einwände gegen diese Arbeiterautonomie erheben: Hat sie doch Voraussetzungen, die nicht mehr gegeben sind: Vollbeschäftigung in einem politisch kontrollierbaren nationalen Rahmen, Arbeitsteilung und Qualifikation auf gehobenem Facharbeiterniveau, Verwissenschaftlichung der Prozesse.
Dagegen ist heute der Markt internationalisiert, die Arbeit ist zerstückelt, die Einzelarbeit lässt keinen sinnvollen Bezug mehr zu einer Gesamtgesellschaft erkennen – ist nur individualisierter Lohn, während die produktive Kraft einer Gesellschaft sich in der Öffentlichkeit als Markenprodukt, ökonomische und technische Potenz von privaten Konzernen darstellt.
Die Deutschen mögen einer Umfrage zufolge vor allem Autofirmen, aber auch den Siemens-Konzern und die Discounter Aldi und Lidl.
Also das „Arbeiterbewusstsein“, das produktive Klassenbewusstsein ist untergraben von dem Bewusstsein der eigenen Schwäche, dem Gefühl der eigenen Ohnmacht einerseits und der Potenz und Kraft des Kapitals andererseits.
Im Gegensatz zu den „Aufbaujahren“ der Nachkriegszeit und ihren Mythen –tatsächlich läuft der Laden nur, wenn die Finanzierung gesichert ist und die Geldströme sich bewegen – scheint heute die Konjunktur von internationalen Finanzströmen abhängig zu sein, ganz und gar nicht von der Produktivität des Einzelnen, auch wenn der Einzelne trotzig vor sich hersagen mag: „Wer Arbeit will, bekommt auch eine.“

Welche Chancen bestehen unter solchen Umständen für eine sozialistische Perspektive?
Eine veränderte Gesellschaft, Sozialismus, Autonomie lassen sich nicht denken ohne produktionsbezogenes gesellschaftliches Bewusstsein. Also einen Produzenten, der sich als arbeitsteiliges Element einer Produktionsgesellschaft weiß, der die den natürlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen seiner Produkte und Arbeit kennt, einer der sich beteiligt und mitverantwortlich sieht in dem, was er tut. Einer, der weiß, dass das, was er verbraucht, auch hergestellt werden muss, der darin zuerst eine zu erbringende produktive Leistung sieht, und nicht primär eine Geldfrage. Dieses Bewusstsein ist aber eines von Lernen und Erfahrung, von der Erfassung komplexer technischer Zusammenhänge, also von Schule, Erfahrung in Produktion und Ausbildung. (Das ist der Mittelklasse, insbesondere den Lehrern, völlig fremd und das kann sie überhaupt nicht vermitteln. Für sie ist Wissen Mittel der Differenzierung, mit dem die Individuen miteinander in Konkurrenz treten, mehr wissen als andere, - nicht das Teilen von produktivem Wissen und Erfahrung.)

Denkt man dieses Konzept weiter, stellt sich die Frage, wer und wo denn das bewusste und aktive Subjekt dieses idealen produktiven Gesamtarbeiters sein soll?
Auf der einen Seite ist dieses Subjekt nicht sichtbar, auf der anderen Seite wird eine menschliche Gesellschaft nur unter der Prämisse von Arbeiterautonomie und produktionsbezogenem Bewusstsein möglich sein. Die Idee des Sozialstaats, obwohl populär und für politische Parteien stimmenbringend, führt in die Irre. Einmal ist diese Bindung an die Notwendigkeiten der Profitproduktion, das andere ist die Zerstörung der Autonomie der Menschen, die Herr über ihre Lebensverhältnisse nur über den Schein von Größenfantasien über sich selber werden. Ich werde diesen heute stattfindenden Prozess der gesellschaftlichen Blasenbildung als Ersatz für Autonomie weiter unten beschreiben.


Was wären die Angriffspunkte dieses produktiven Gesamtarbeiters?
- die Betriebe, wo die Arbeit verteilt und Ausbildung organisiert wird
- die Gewerkschaften, die sich in diesem Prozess passiv verhalten
- die technischen Hochschulen, wo Art und Richtung der Produktion determiniert wird
- die Medien, die bestimmte Gesellschaftsbilder reproduzieren und autonom-produktive Ideen und Bilder blockieren
- Schulen, in denen die Selektion, Konformität und Hierarchie erzeugt und nur die Anpassung an zersplittertes arbeitsteiliges Wissen vorbereitet wird

Objekt des Angriffs wäre nicht primär der Staat, weil er nicht das Subjekt der Veränderung sein kann. Subjekt sind die (arbeitenden oder arbeitslosen) Menschen. Überhaupt stünde nicht der „Kampf“ im Vordergrund, sondern die Ausarbeitung produktiver Alternativen.


Soweit, so gut. Denkt man dieses syndikalistische Konzept von Arbeiterautonomie wie oben durch, springt aber zunächst die reale Verflochtenheit von Politik und Staat („Sozialstaat“) und Ökonomie ins Auge. Da gibt es diesen politischen Sektor, in dem Gesetze der Aneignung, der Macht, des Überredens, der Massenpsychologie, der Medienmaschinerie usw. usw. herrschen, - auf der anderen Seite den produktiven Sektor, wo einer brav, fleißig und intelligent vor sich hinarbeiten mag, aber doch abhängig ist von Entscheidungen verschiedenster Institutionen: Märkte, Investoren, staatlicher Interventionen in Form von Geldern oder Gesetzen.

Der gute Marx ist in seinen Grundtheoremen ja noch davon ausgegangen, dass es in der Ökonomie und der darauf aufbauenden Gesellschaft um materielle Reproduktion, also biologisches Überleben ginge. Aber das ist heute nur noch eine Funktion neben anderen. Denn schaut man sich die „Produkte“ an, um die es in der Produktion geht, sind das Dinge wie: Telekommunikation, Auto, Moden der verschiedensten Art – alles Dinge, die eine Fantasie befriedigen, aber kaum mehr mit körperlichen Bedürfnissen verbunden sind. Diese Fantasien ersetzen aber die alte Idee des selbstbewussten autonomen Produzenten.

Wenn jemand ein T-Shirt kauft und statt einer Massenware eines von Nike etc. kauft, um mit deren Logo zu posieren – und als unbezahlter Werbeträger zu fungieren - , dann befriedigt er etwa seine Fantasie, ein sportlicher Gewinner zu sein, so auszusehen wie die Werbebildchen, Qualität zu besitzen, wie es ihm die Mittelschicht der Aldiverächter einredet, aber die Funktion, seine Blöße zu bedecken und den Verlust von Körperwärme zu verhindern, erfüllt das billige T-Shirt genauso. Und seine Fantasie – „Individualität“ – hat ihn einen schönen Batzen gekostet. Ich schätze, dass ca. Zwei Drittel der Produktion Fantasieproduktion und Fantasiearbeit ist. Allerdings Fantasie, die das Profitsystem am Laufen hält. Und insofern höchst „real“ wird (mehr als das zu Fleisch gewordene Wort in der Bibel).

Gleichzeitig geht diese Fantasieproduktion eine Verbindung oder besser Vermischung ein mit dem „politischen“ und öffentlichen Sektor. Um zu etwas zu kommen, um ein gewünschtes Selbst zu entfalten oder zu realisieren, muss ich in eine gewisse Position kommen, mich mit einem gewissen Outfit – Kleidung, Dinge wie Auto, Haus etc. – ausstatten, zu einer gewissen Kaste gehören, an gewisse Geldströme mich ansaugen, an Profitströmen anschließen.
Dabei kommt es zu folgendem Paradox: Das materielle Überleben wird mit Hartz-IV abgesichert - also ohne Arbeit -, während die Fantasie – das was dem Leben im Kapitalismus seinen Pep gibt – über die „Arbeit“ realisiert und gespeist wird. Arbeit ist jetzt ein Glück, eine Gabe der Gesellschaft (wie es das Wort vom „Arbeitgeber“ ja schon immer nahe legen will) – und erscheint nicht als Mittel zur Ausbeutung. Man kann froh sein, Arbeit zu haben und ausgebeutet zu werden. Mit Arbeit kann man sich dann was „leisten“. Aber es ist nur noch am Rande mit materieller Reproduktion verbunden. In dem Sinne des biologischen Überlebens ist Arbeit überflüssig geworden.
Damit ist aber auch Arbeit als Grundlage von Klassenbewusstsein bedeutungslos geworden. „Politik“ spielt sich in ganz anderen Sphären ab, abseits nicht nur der klassischen linken Klientel – mal „Arbeiterklasse“ genannt (der Begriff ist heute nur noch ironisch verwendbar) – also in der Mittelschicht (Akademiker, Kirchenmenschen), auch ihr Maßstab hat sich vollkommen verändert. War linke Politik einmal gerichtet gegen materielle Verelendung, effektiver Produktion, Entfesselung de Produktivkräfte, die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus, hat heute linke Politik darin keine positiven Ziele über Kapitalismus hinaus zu bieten. Schwerpunkt linker Politik wird die perfektere Einlösung der Versprechen des Sozialstaats. Darüber hinaus lebt sie von der ethnozentrischen Gruppenbildung, deren Schwerpunkt darin liegt, sich positiv von anderen Gruppen abzugrenzen. Es herrscht ein diffuses Bedürfnis nach Identität, nach Gemeinschaft, nach Aufbesserung von Selbstbewusstsein, was nur befriedigbar ist durch Konstruktionen von Gut und Böse („Antifaschismus“), Projektionen, apokalyptischen Visionen (Klimakatastrophe, Atomkrieg). Jeder Tote wird in irgendeine politisch verwertbare Konstruktion verwurstet. Alle politischen Gruppen bedienen sich solcher ethnozentrischer Taktiken. Um was es essentiell mal ging - die freie Assoziation autonomer Produzenten - zerfließt unter diesen Diskursen schon lange. Stattdessen geht es um Gruppenbildungen, Identitäten, gehobenes und beleidigtes Selbstbewusstsein.

Betrachtet man also die Bewegungen an der politischen Oberfläche, dann kann man einen selbstbewussten Gesamtarbeiter, der über Produkte und Produktionsprozesse autonom bestimmt, nicht erkennen.
Grundbedürfnisse befriedigt, Überleben gesichert, der Rest ist überflüssig? Reicht das nicht schon?
Trotzdem gibt es ein Leiden an der Gesellschaft. Zeigt nicht gerade die Fantasieproduktion dieses unbefriedigte Bedürfnis nach gesellschaftlicher Wirksamkeit wie es in dem konkurrenzorientierten Konsum- und Freizeitverhalten, bei Auto, Moden, Repräsentation usw. zum Ausdruck kommt? (Zu fragen wäre, inwieweit hier eine narzisstische Natur zum Ausdruck kommt oder inwiefern eine gerechte und demokratische Gesellschaft diesen Individualisierungs- und Fantasiezwang reduzieren könnte.) Dieses Thema ist m. E. nicht genügend behandelt.
Dieses Leiden an der Gesellschaft hat folgende Erscheinungsformen:
- die Erfahrung von Ungleichheit als Erfahrung von Über- und Unterlegenheit, der Sozialangst und des sozialen Rückzugs
- eine materielle Unsicherheit und berechtigte Angst vor der Zukunft. Denn auf die Dauer wird sich das heutige Niveau nicht halten lassen und die unteren Schichten werden als erste davon betroffen sein.
Aus diesem Leiden, diesen Ängsten – mehr wieder in der Fantasie und nicht dominant real – gibt es aber keine erkennbare Tendenz zu etwas gesellschaftlich Anderem. Als eher konservative Bedürfnisse verweisen sie auf die Aufrechterhaltung des Sozialstaats in der heutigen Form. Die, die manifest an der Gesellschaft leiden, gehören ohnehin zu denen, denen man öffentliche Rede und Auftreten vorenthält, - und schon das Schamgefühl verbietet es ihnen. Ich spüre es jedes Mal, wenn ich in Formularen nach meinem Beruf gefragt, „Arbeiter“ eintrage und habe das Gefühl, dass das schon ziemlich das Letzte ist, was man sein kann. Auch meine Angehörigen haben Probleme, darüber in ihrer Umgebung zu reden


Die wirklich notwendige Arbeit dürfte nur noch ein Drittel der insgesamt geleisteten Arbeit darstellen. Die „materielle Reproduktion“, d.h. die notwendige Arbeit, ist nicht mehr ein Anliegen der sozialistischen Politik, sondern ist zum Geschäft bürgerlicher Politiker geworden, der Agenten dessen, was man „Sozialstaat“ nennt.
Die objektive Krisenhaftigkeit und Labilität des Systems – man denke an die Folgen des 11ten Septembers, der Immobilienkrise in den USA – schlägt sich im Bewusstsein der Menschen als diffuse Angst und Unsicherheit nieder. Und genauso diffus und politisch manipulierbar sind die Reaktionen darauf. Je mehr den Menschen die Kontrolle über die gesellschaftlichen Verhältnisse entgleitet, desto irrationaler wird ihr Verhalten, desto mehr investieren sie in die Fantasieproduktion.

Wie Arbeitsdemokratie eine Idee und politisches Modell werden kann? - Oder soll man die Idee vergessen und eben das Schlimmste zu verhindern versuchen?
Auch wenn man jetzt die heutige Gesellschaft für noch erträglich hält, - sieht man ab von den unlösbaren Problemen mit der Ökologie, der notwendigen Ausbeutung anderer Völker, einer immer noch bedrohlichen ökonomischen Krisenhaftigkeit – ist sie letztlich immer noch weit entfernt von einem zwischenmenschlich akzeptablen, einem demokratischen und gerechten Zustand. Und für die, die an humanen Standards festhalten und denen die Profitzwangstrukturen der Gesellschaft bewusst sind, besteht eine moralische Pflicht, an die Realität hinter dem glänzenden Schleim und Schein zu erinnern. Was bedeutet, dass der Kern menschlicher Verhältnisse die Art und Weise der Arbeit ist.