25.3.09

KÖHLERS REDE

Ich weiß, es ist schon merkwürdig, sich hier zu Köhlers Rede zu äußern. Hat das, was er von sich gibt, irgendeine Relevanz für die Leute hier unten? Ist er nicht schon heute morgen genügend in der Presse zerrissen worden? Bedauerlich, dass „Neues aus der Anstalt“ die Rede verpasst und damit die ganze Sendung witzlos gemacht hat. Es hätte gereicht, Priol hätte die Rede wörtlich wiederholt.
Worin besteht also die Relevanz der Rede? Dass ein Haufen Elite davor saß und klatschte?
Leider ist es so, dass was oben an Intelligenz nicht vorhanden ist, man unten auch kaum antrifft. Köhler reduziert Gesellschaft und Wirtschaft auf individuelles Handeln – moralisch oder unmoralisch. Von System, Struktur hat er keinen Begriff. Deswegen moralisierendes Geschwätz, gute Chefs und böse Chefs usw. Dahinter die Allmachtsfantasie des Moralisten, eben das Bündnis von Moral und Macht, die Moral die zuschlagen darf. Als Konsequenz politisierendes Geschwätz. Frechheit, wie er von „Wir“ redet – als ginge das zusammen: Arbeiter und diese klatschenden Eliten, „sozial“ und „Markt“, kein Wachstum und „Wirtschaft“, Globalisierung und Autonomie. War nicht die Geldschöpfungen durch die abenteuerlichen Derivate Grundlage der deutschen Exporte?
Peinlich der Schleim danach von Lafontaine. Von Künast ist nach ihrem Plädoyer für die FDP ohnehin nichts mehr zu erwarten.
Es ist zu befürchten, dass die Krise nicht groß genug ist, um zur Besinnung zu bringen.
Wie könnte das aussehen? Wenn der profitbedingte Automatismus des wirtschaftlichen Kreislaufs angezweifelt würde, wenn soziale Kriterien dominieren. „Dominanz der Politik“ heißt es bei Köhler, an sich ein guter Begriff, aber bei ihm bedeutet es Dominanz der Mittelschicht, Opportunismus der Streber, von „Intelligenz“ und beautiful people. Gar nicht meint es wirkliche Demokratie, gleiche Rechte für alle, reale Mitbestimmung, gleiche Bildung, demokratische Medien.

8.3.09

Tilman Jens und Margarete Mitscherlich-Nielsen

Bei 3sat Kulturzeit gab es ein interessantes Interview mit M. Mitscherlich-Nielsen über die Biografie von T. Jens über seinen dementen Vater. MMN meint, TJ würde auf Grund ambivalenter Gefühlseinstellungen gegenüber seinem Vater – einerseits Verehrung, andererseits Abneigung dadurch und anderen Gründen – den Vater so übermäßig idealisieren, - schon um eine auch negative und kritische Haltung ihm gegenüber in sich zu unterdrücken und verdrängen – so dass er nicht in der Lage sei, sich mit ihm zu identifizieren und seine Schwächen zu verstehen. Stattdessen betreibe er eine Art Rache ihm gegenüber, aus welchen Motiven auch immer – eines sicher die Asymmetrie der Beziehung. So wäre sein Buch ein Zeichen mangelnden Erwachsenseins. – Die Deutung von TJ, Walter Jens´ Demenz wäre mit der Aufdeckung seiner NSDAP-Mitgliedschaft verbunden, lehnt sie kategorisch ab.
Erst mal fand ich die Deutung präzise und passend für jemand, der seine Geschichtchen in „Bild“ bringt. Etwas in „Bild“ zu bringen, heißt es doch in den Dreck zu ziehen, es zum Geschwätz, zum Infomüll zu machen. Es heißt zwar in der Bibel: Aus Dreck kommst du und zum Dreck gehst du wieder zurück“, aber ich würde den mir selber unsympathischen Walter Jens nicht in dieses Blatt bringen.
Gefragt habe ich mich dann, ob ich nicht auch ähnliche Probleme mit meinem Vater habe: Da ist ein starker Mann, mit hohen moralischen Ansprüchen, der sie aber benutzt, um seine Schwächen zu verdecken und zu verleugnen, oder jedenfalls nicht in der Lage ist, mit ihnen ehrlich umzugehen.
Es ist nicht nur ein individuelles, sondern das Problem der ganzen Generation. Sie hat sich gerne als Opfer dargestellt, sich mit einen Hypermoralismus umgeben, mit dem sie gegenüber der Umwelt aufgetrumpft haben. Dieser Hypermoralismus war durchsichtig und wegen seiner Starrheit und Neigung zu Feindschaften unglaubwürdig.
Wir Kinder haben ihnen gegenüber geglaubt, etwas Neues aufbauen zu können, etwas jenseits von Faschismus, eine radikale Demokratie – noch im System des Idealismus und der Moral gefangen. Sie haben alles getan, um das zu verhindern. Auch die Rhetorik von Jens war ein Teil antidemokratischer Elitenbildung.
Wie auch immer, Verstehen und Verständigung ist schwierig oder unmöglich. Ich habe das Gefühl, es muss ein Trennungsstrich gezogen werden. MMNielsen verkennt dieses Problem. Es gibt keine Psychoanalyse außerhalb der konkreten Geschichte. „Gesunde Persönlichkeit“, „erwachsen“ sind da unzureichende Kategorien. Merkwürdig, das von einer Frau zu hören, die bei „Die Unfähigkeit zu trauern“ mitgeschrieben hat. Wie soll eine „erwachsene“ Auseinandersetzung mit einer Generation möglich sein, die eine unbewusste Idealisierung von Hitler nicht aufgegeben hat, sie schamvoll versteckt und verleugnet, die in dieser Haltung insgeheim eine gesellschaftliche Blockbildung – von CDU bis Schmidt und Augstein reichend – aufgebaut hat und eine Demokratisierung verhindert hat
?

1.3.09

DIE KRISE

Es ist schwierig hinter die Nebelwände zu blicken, die die verschiedenen Institutionen vor der Krise aufblasen.
Da sind die Herrschenden, also das Bündnis von Großer Koalition und Finankapital – „sichtbar“ etwa, wenn sie aktiv werden, um dem Staat Kredite zu vermitteln, oder wenn sie „beraten“. Ihr Bemühen liegt darin, einen Crash zu vermeiden, also die plötzliche Illiquidität von Banken, die dann lawinenartig um sich greift. Dies war nach dem Zusammenbruch der Lehmanbank der Fall, als in den USA schlagartig gigantische Geldmengen abgezogen wurden und hier in Europa die 500€-Scheine knapp wurden. Das andere Problem der zerfallenden Wirtschaftskreisläufe soll mit Konjunkturpaketen angegangen werden, mit Kreditgarantien für die Banken. Deren Geld wird aber inzwischen nicht mehr benötigt. Wofür denn, wenn ohnehin keine Nachfrage nach Investitionen und Produkten besteht? Der Euribor, Indikator für Interbankenkredit fällt schon seit Oktober letzten Jahres. Also die Finanzkrise ist eine sekundäre Krise. Der Konjunktureinbruch zeigt die alten Probleme der spätkapitalistischen Ökonomie, wo die verschiedenen Probleme miteinander kulminieren: die Blasenstruktur der Finanzwirtschaft, die technische Begrenztheit der Profitproduktion, die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen, die Struktur der Wirtschaftskreisläufe, die gebunden sind an die Profitabilität des investierten Kapitals.
Naheliegend wäre jetzt eine große Bereinigung, wie sie die großen Krisen durchgeführt haben; sei es als Inflation, Währungs“reform“, Zerstörung des akkumulierten Kapitals durch Krieg, Zerstörung des Sozialstaats – oder auch durch Umverteilung, Besteuerung des Reichtums, Kontrolle von Devisenverkehr und Wechselkursen, Entwertung des Geldkapitals, Zwangsanleihen, Zwangsbewirtschaftung der lebensnotwendigen Produkte.
Die herrschende Koalition von Politik und Kapital scheint das alles vermeiden zu wollen und gerät deswegen in zahlreiche Widersprüche: steigende Staatsverschuldung (zur Freude der Finanzwirtschaft und der Gutverdiener), halbherzige Konjunkturpakete, die zwar ein wenig stimulieren können, aber den Kreislauf nicht wirklich in Gang bringen. Eine lang andauernde Rezession ist erwartbar. Sie wird auch nicht durch noch so viel Verschuldung lösbar sein – das wird Obama zeigen, wenn er 2013 die Staatsschulden nicht halbiert haben wird oder halbiert um den Preis der Depression.
Die Linke will die Konjunkturpakete verdoppeln, die Verschuldung mit Vermögenssteuern finanzieren. Aber diese Besteuerung würde die Krise nur verschärfen, weil dann das Kapital in andere Länder fließt. Außerdem sind Konjunkturpakete an die Logik der Profitabilität des Kapitals gebunden, verändern nichts an der strukturellen Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, bindet sich an den kapitalistischen Wachstumsfetischismus, der Natur und Zukunft zerstört genauso wie die menschliche Autonomie. Mit ihrer opportunistischen Haltung – es ließe sich kapitalismusimmanent etwas machen – verhindert diese Linke gesellschaftliche Aufklärungs- und Diskussionsprozesse.

Ein grüner Kapitalismus ist zwar möglich, aber nur unter der Voraussetzung, dass der allgemeine Lebensstandard verändert wird. Lebenshaltungskosten werden steigen, eine andere Verteilung wird notwendig sein. Eine Dominanz der Politik über die kapitalistische Warnproduktion wäre Voraussetzung.
Dass die „Dienstleistungsgesellschaft“ den „gesellschaftlichen Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur“(Marx) auf ein ökologischeres Maß bringt, stellt
P.Probst zu Recht in Frage. Nicht nur dass die Dienstleistungsgesellschaft von den Produkten der kapitalistischen Industrie lebt, den Dreck, die Ausbeutung nur in andere Länder verlagert, sie verbraucht darüber hinaus zusätzlich Ressourcen.

In der Öffentlichkeit wird die Krise auf einige Begriffe reduziert: amerikanische Schuldenwirtschaft, Spekulation von Banken, Exportabhängigkeit. Die Debatte bleibt oberflächlich. Wirklich durchgerechnet, welche Geldbeträge verloren sind, welchen Abwärtseffekt sie im Wirtschaftskreislauf haben, wird nicht. Kreislaufdenken, strukturelles Denken ist dem vorwiegend betriebswirtschaftlichen Denken vollkommen fremd. Seltsamerweise ist die liberale Ökonomie, die sich so gerne rational gibt, nur noch von Wunschdenken – der Markt wird es schon richten - und Desinteresse an der Empirie geleitet.
Die Medien reproduzieren größtenteils unerträgliches Geschwätz, Phrasen. Von den Schulen kann man ohnehin nur die Reproduktion der allgemeinen Dummheiten erwarten.