29.12.08

DAS ELEND DER RELIGION

Saisonal wiederkehrend wird jetzt wieder die Bibel angepriesen, „Gottes Wort“ – welche Blasphemie! Diese Weisheit! Dieser Reichtum menschlicher Seele! Diese „berauschenden Bilder“! Diese durch Jahrhunderte oder Jahrtausende gefüllte menschliche Erfahrung und Empfindung!
Es mag zwar sein, dass die Bibel auch menschliche Erfahrung, menschliche Empfindungen aufnimmt, elementare Fragen sozialer Beziehungen anspricht, aber das geschieht in der Regel in einem moralisierenden und die Gesellschaft nicht reflektierenden Zusammenhang.
Die Moral, die ich auch hier in diesem Blog immer wieder benutze – sei es in Bewertungen, Flüchen oder Charakterisierungen -, ist nicht in der Lage ein neues Verhalten dauerhaft zu begründen. Wo ein guter Wille ist, da ist auch ständig Willensschwäche. Moral ist ein Messinstrument von sozialem Verhalten, nicht mehr.
Aber die christliche Gewohnheit, soziale Beziehungen auf individuelle Moral und Einstellungen zu reduzieren, wie man sie jetzt in den Predigten hört - Anstand, soziale Verantwortung, Gier, Vergötzung des Geldes, Schwarzmalerei, Fürchteteuchnicht, Zuversicht usw. -, ignoriert bewusst die Zuständigkeit demokratischer Institutionen. Wird es dem Appell, dem freien guten oder bösen Willen und Glauben oder gar der ominösen „Liebe“ überlassen, was sozial gerecht ist, dann hört Demokratie auf und fängt Bürgertum an. Was gerecht ist, braucht öffentliche und allgemeine Diskussion. Nicht den Rückzug auf individuelle Beliebigkeit, das Reich bürgerlicher Freiheit. Die Zwei-Reiche-Lehre begründet das christliche Bürgertum.
Deswegen ist auch Religion unfähig, die Probleme der Zukunft anzugehen. Wir finden keine Antworten darauf, wie die neuen Produktionsverhältnisse aussehen sollen, die zu einer neuen Gerechtigkeit führen könnten. Diese Frage wird auf Caritas oder Sozialstaat reduziert und perpetuiert so die Ungleichheit.
Genauso Probleme der ökologischen Produktion, der Geburtenkotrolle usw. usf. Die Kirchen schwimmen mit ihrer Moral im Sumpf der Tradition, sind nicht zukunftsfähig, unfähig die menschlichen Probleme zu lösen.
Ganz schlimm wird es beim Umgang mit der Wahrheit. Wer vor die menschliche Realität die Frohbotschaft setzt, ist nicht in der Lage, sich selber und andere zu verstehen.
Saramago
schrieb – wie er meint leider zur Freude der Theologen: “Dios es el silencio del universo, y el hombre el grito que da sentido a ese silencio”. "Gott ist das Schweigen des Universums und der Mensch der Schrei, der diesem Schweigen Sinn gibt.“ Aber die Zuversicht gebenden Schriften und Predigten wollen dieses Schweigen nur zumüllen.

Wie würde ein Gott, der auf die Erde käme, in Erscheinung treten? Er müsste sich wohl oder übel an die Gottheitserwartungen der Menschen anpassen: Wunder, Weisheit, vielleicht Wahrheit, sonst würde ihm die Göttlichkeit nicht abgenommen werden. Wenn Gott aber nur die menschlichen Erwartungen spiegeln darf, um Glauben zu bewirken, dann ist er nur Spiegel und Projektionsfläche des jeweils historisch geformten menschlichen Denkens und was Gott wohl sagen würde, das müssen wir selber denken.


26.12.08

WEIHNACHTSFEIER

Jedes Jahr gibt es eine Feier mit Essen und Besichtigung einer anderen Firma im gleichen Bereich. Keine schlechte Idee. Während ich die ersten Jahre gar nicht hinging, das letzte Mal nur kurz blieb, war es diesmal sozusagen das letzte Abendmahl, das ich nicht versäumen konnte. Und ein solches letztes Abendmahl war es dann auch. In der Mitte der Chef, daneben Vorarbeiterin und der Techniker. Ich wie Judas ganz außen. Ausnahmsweise sind heute auch alle Männer da. Sonst waren es nur der Vorarbeiter, der jetzt ja weg ist, und der Schwarze, ein treuer Diener seines Herrn.
Woran es liegt, dass die Männer immer in Opposition zum Chef sind? Einmal liegt es wohl daran, dass die Frauen in der Mehrzahl sind, 70% ausmachen, ihm gegenüber sehr loyal sind, ihn teilweise sogar idealisieren. Dann aber auch an dem arroganten und unkommunikativen Verhalten des Chefs gegenüber den Männern, die ihm gegenüber zwar Konkurrenzverhalten zeigen, aber als relativ unqualifizierte Ausländer nicht das Wasser reichen können. Andererseits steht er schon durch seine Position, für den wirtschaftlichen Ablauf der Abteilung zu sorgen, im Gegensatz zu den „Mit“-Arbeitern. Auch wenn er diese Funktion nur lasch ausfüllt.
Ich komm – einem Radfahrer natürlich verzeihbar – zu spät. Alle sind schon versammelt – fleißige Arbeiter - und ich hab die Wahl mich entweder zum Schwarzen oder zum Neuen zu setzen. Da ich mit dem Schwarzen wegen seiner politischen Naivität und Sklavenmentalität cross bin, setze ich neben den Neuen – und meinen schlimmsten Feinden gegenüber. (Immerhin sorgen sie mit ihrer Faulheit, dass wir anderen immer genug Arbeit haben. Insofern habe ich auch Sympathie für ihr Verhalten.) Meine Versuche, mit dem Neuen zu reden – ich will wissen, was er denn vorher so alles gemacht hat – scheitern. Würde er sich nicht zu einem kleinen Mäuschen von der Logistikabteilung zudrehen, die immer darüber jammert, wie viel mehr sie jedes Jahr arbeiten müsse ….[was, wie ich den Zahlen entnehme, nicht stimmt], ich nicht so interpretiere, dass ich als aussätzig behandelt werde.
Ein richtiges Thema kommt nicht auf. Die Strategie des Abwartens und Schweigens ist die vorherrschende Strategie. Bei der Arbeit sind wir fast nur noch durch den technischen Ablauf miteinander verbunden. Mehr als Zweierkontakte gibt es nicht.
Es holpert sich also durch Getränkebestellung, Essensbestellung, - endlich Salat. Ich habe schon zuhause gegessen (und gekocht) und kann so gesättigt seinen Verzehr genügend in die Länge ziehen. Fotos werden dann herumgereicht, Blätter einer letzten Abschiedsfeier, die mich über die Peinlichkeit des Abends herüberretten: ein Spiel ist angesagt. Irgendeine Tante einer anderen Abteilung, die ich nicht kenne, hat sich etwas ausgedacht. Sie liest einen Text vor. 12 Leute haben sich vor ihr in einer zugewiesenen Rolle auf einen Stuhl zu setzen und immer dann, wenn von ihrer Rolle die Rede ist, aufzustehen und den Stuhl zu umkreisen. Das ist für den Rest des Publikums sehr lustig und wird dankbar belacht. Ich vertiefe mich während der Zeit in ein keltisches Baumhoroskop. Danach verzehr ich – es war das billigste Menü – in kleinen Schnitten und Bissen ein paniertes Schweineschnitzel, glutamatgeschwängert. Schließlich das Dessert, Eis mit ranziger Sahne. Mir ist übel, ich habe Kopfschmerzen.

In mir ein schlechtes Gefühl, wie ich mich so absondere und ich erwarte keine Freundlichkeiten an den nächsten Tagen. Aber seltsamerweise wird es mir großzügig verziehen. Keiner, der zu mir unfreundlicher ist. Ich frage auch nicht nach, wie lange sie noch zusammenhockten – ich will die Sache als Thema abgehakt haben. Was verbindet uns?

16.12.08

FINANZKRISE – KRISE DER LINKEN

Die Umfragewerte der Linken stagnieren jetzt oder sinken. In der Krise kann man sich Attacken auf die herrschenden Zustände nicht mehr leisten. Es geht um die Wurst, man muss realistisch bleiben.
Linke Haltungen outen sich als Teil des Konsumkapitalismus. Ohne florierende Warenproduktion keine Geschenke für HartzIVler. Wenn die Sozialarbeiterlinke und Mittelschicht Angst um ihre Existenz haben muss, dann kann man sich den Luxus egalitärer Gesinnungen nicht mehr teilen. Wenn es ernst wird, sollen die (Markt)-Wirtschaftler die Krise meistern.
Die Linke, als Partei oder Gesinnung, kommt in diese absurde Lage dadurch, dass sie die Verteilung zum politischen Zentrum macht, nicht aber die Produktion.
Typisch etwa eine Diskussion bei der Will. Sie lädt die Ditfurth ein, um für den nötigen theatralischen Effekt zu sorgen. Vielleicht will sie einfach nur demonstrieren, wie lächerlich die Linke ist. Oder vielleicht hat sie tatsächlich Sympathien für die Linke, oder hält eine antikapitalistische Argumentation jetzt für zumindest naheliegend. Wie auch immer. Es kommt wie es kommen muss. Eine arrogante und phrasenhafte, auf ihre Person bezogene und sachlich argumentationsunfähige Ditfurth macht die Diskussion noch ergebnisloser. The show was good but the money was little, hätte Muhammed Ali gesagt. Die Show war gut, aber Ertrag fast null.
Das Problem ist die Verhaftetheit der Linken - auch wenn sie sich radikal gibt wie die allein Recht habende Ditfurth - mit dem Warenreichtum des Kapitalismus, ihre Fixierung auf die Verteilung. - „Verstaatlichung“ der Banken, fordert sie und wirkt dabei nur peinlich – die Banken in die Händen von Glos und Öttinger? Bekanntlich fängt ja auch Marxens Kapital mit diesem „Reichtum“ an. Seine Versuche, das als falsches Bewusstsein zu entschleiern, scheitern allerdings, da er auf der verbalen Ebene bleibt oder in der politischen Sackgasse der Machtergreifung endet. Einen Werkzeugkasten für den Sozialismus zu sortieren, etwa wie es die GIC mit ihren „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ wie auch immer unzulänglich versucht hat, oder wie es Alfred Sohn-Rethel eben leider nur angedacht hat, das ist dem (bürgerlichen?) Marx nicht in den Sinn gekommen. Macht ja die Geschichte.
Aber an diesem Fernsehabend hätte die Ditfurth ja ganz einfach anfangen können, mit:
- Priorität politisch kontrollierter nationaler Kreisläufe und Kontrolle der internationalen Tauschprozesse (oder ist das schon „Antisemitismus“?)
- Zwangsbewirtschaftung der Ressourcen Energie, Land, Rohstoffe
- Nachhaltige ökologische und demokratische Produktion
- Umverteilung von Arbeit und Bildung, Einkommen und Besitz.
„Ganz einfach“? Aber zumindest Tabus brechen.

7.12.08

KAPITALISTISCHES WACHSTUM OHNE UMWELTZERSTÖRUNG?

Auf der Linken sind jetzt die Konjunkturtheoretiker aktiv. Man müsse nur durch höhere Staatsausgaben die Kreisläufe wieder in Bewegung bringen.
Flassbeck etwa meint, nun wären Gelder zu investieren in die öffentliche „Infrastruktur, die in einem erbarmungswürdigen Zustand ist, im Bereich des Umweltschutzes und bei der Bildung.“ Worauf logisch folge: „Neu eingestellte Lehrer und besser ausgelastete Bauhandwerker kaufen auch wieder Autos.“
Die Logik, dass über Staatsverschuldung Kreisläufe aktiviert werden, verstehe ich. Ich verstehe auch, dass Staatsschulden an sich kein Problem sind, solange damit ein Mehrprodukt erarbeitet wird. Aber geht das ohne mehr natürliche Ressourcen zu verbrauchen?
Oder woher kommt der Mehrwert, der eine Investition von Kapital profitabel machen soll? Doch nur davon, dass mit Hilfe von Mehrarbeit mehr Kapital umgeschlagen wird. Am Ende hat dieses Mehr immer einen stofflichen Charakter. Diese Entwicklung ist abenteuerlich und destruktiv.
Oder muss man annehmen, die Mehrwertschöpfung läuft über Dienstleistungen? Die Geldkreisläufe werden also erweitert. In den Kreislauf von Kapital – Ware – Lohn – Profit werden nun noch Dienstleistungen eingefügt. Also Kindergarten, Nachhilfe, Putzfrau, Fitnesstrainer usw. Ohne dass stofflich mehr produziert wird. Das hat tatsächlich stattgefunden. Statt zuhause isst man im Restaurant. Die Menge des Essens ist die gleiche …, es kostet zwar vielfach mehr, aber der Lohn ist auch gestiegen. Die Löhne sind dank der gewachsenen Produktivität durch Ölökonomie und der Exporte gestiegen. Das Mehrprodukt insgesamt geht zwar zu einem Großteil als deutscher Geldbesitz ins Ausland, etwa zu den LehmanBrothers, aber ein Teil wenigstens kommt in der Form von mehr Konsumprodukten allen zugute. Also der Lehrer kauft sich ein drittes Auto, vielleicht sogar ein Ökomobil.
Wie ein Kapitalwachstum – ohne die Aussicht darauf keine Investition – möglich sein soll, ohne stofflichen Mehrverbrauch von Rohstoff- und Energieressourcen, Landschaftsverbrauch, Umweltzerstörung, Ausbeutung der dritten Welt, das erschließt sich mir nicht.
Jetzt sollen die Schulen neu angestrichen werden, so propagiert die Tagesschau gestern – hässliche Schulen gibt es ja massenweise. Was bedeutet das anders als Verbrauch von mehr Chemikalien? Nun ließe sich ein Modell durchspielen, dass Schulen umweltfreundlich aus Lehm und Holz gebaut werden. Die Bauarbeiter und Schüler würden Fleisch aus umweltfreundlicher Produktion essen, ohne Sojaverbrauch etc. – Schnell wären dann die Begrenztheit der Ressourcen klar: der energieabhängige Nitratdünger, die begrenzten Phosphorreserven usw. Am Ende wäre eine Einschränkung des Verbrauchs notwendig.

Es sind immer verschiedene Linien, über die dieses Wachstum ohne Ressourcenverbrauch möglich sein soll. Da wäre ein Thema die intelligente Produktion, etwa im Bereich des Recycling von Abwärme, der Ökonomie von Ressourcen. Aber das sind vorübergehende Extraprofite, die wenn sie sich allgemein durchgesetzt haben, wieder vom Konkurrenzsystem annulliert werden. Das Ende vom Lied ist immer: mehr Lohn/ Profit, mehr Ressourcen.
Oder wir cleveren Deutsche produzieren nur noch Wissenswaren, also Technologien und verkaufen die ins Ausland. Bei uns bleibt alles sauber, kein CO2 durch Produktion – dafür die kilometerdicke Smogschicht über Asien.

In einer Diskussion im DLF höre ich Butterwege, einen eloquenten Antiarmutslinken, derart: der Kuchen, der verteilt werden kann, wird durch eine steigende Produktivität immer größer. Man muss nur durch entsprechende Konjunkturprogramme die Kreisläufe in Gang halten.
Das mag zwar eine in Konkurrenz zum Privatkapitalismus stehende Argumentation zwar kurzfristig bestechende Argumentation sein, doch für die, die darüber nachdenken, und die durch ihre Arbeit wissen, was die Dinge Mühe kosten, ist es nur eine rhetorische Finte, die linke Politik unglaubwürdig macht.

Eigentlich hat die Finanzkrise das Elend des linken Keynesianismus gezeigt. Denn die USA haben es richtig gemacht: öffentliche Schulden aufnehmen für Rüstungsproduktion, Geldschöpfung durch private Banken durch Liberalisierung – der Privatsektor hat die Funktion des Staats im keynesianischen System durch die Liberalisierung mit übernommen. Und es war nur ein kleiner Anstieg des Ölpreises mit den Folgen sinkender Autonachfrage, mehr Arbeitslose, Hypothekenzusamenbruch, der alles zusammenbrechen ließ. Und was lernt die Linke daraus? Mehr produzieren, mehr konsumieren. –
Änderung der Produktionsverhältnisse? Was ist das? War da mal was?

29.11.08

DIE KLOOROLLE

Wie schon oft hängt im Kloo eine leere Rolle. Wie üblich fluche ich vor mich hin: diese faulen Schweine usw. Frage mich, wie kommt es zu diesem asozialen Verhalten? Es geht übrigens von oben nach unten. Da ist der Chef – immerhin ein Diplom Ingenieur wenn auch von lokalem Kolorit –, der große Stapel von vollkommen sinnlosen Computerausdrucken produziert – da sind die „Mit“-Arbeiter, die beim Händewaschen gleich packenweise Papierservietten verbrauchen. Ist es ein typisch männliches Dominanzverhalten derart, dass wer mehr verbraucht auch desto höher in der sozialen Hierarchie sich einordnen kann? Ist es Bewusstlosigkeit darüber, dass man damit die Welt kaputtmacht? Oder die Abneigung gegen kleinliche und geizige Sparsamkeit, die die Wahrnehmung solcher bekannter Tatsachen erst gar nicht zulässt? Oder ist es eine Gleichgültigkeit gegenüber einer Natur, die zugegeben in der Form der ökonomisch militarisierten Wälder ohnehin ihren Naturcharakter verloren hat? Oder ist dieses antiökonomische Denken Ausdruck des Widerwillens gegen Kindheitserfahrung, die noch von solchen Prinzipien durchherrscht gewesen sein mag?
Wie auch immer – wie sollen solche Menschen, denen der Gedanke an den nächsten fremd ist, geschweige denn an die nächste Generation – etwas für Sozialismus übrig haben?
Jetzt kann ich mir folgende Lösung bereit legen: Es ist der Kapitalismus, der die Menschen zu diesem Denken, nur um sich selbst zu sorgen, bringt. Es mag sein, dass das Unterlassen von öffentlichem Durchsetzen von sozialen Normen, von Ermahnungen, Hinweisen, Warnungen, der fehlende soziale Druck, sei es in Erziehung, sei es sonst im öffentlichen Raum, das Bewusstsein der Menschen um die sozialen Folgen ihres Verhaltens verkümmern lässt. Oder auch, dass die Glorifizierung der individuellen Freiheit - das Denken nur in Wertform, individuellen Kostengrößen – die Menschen in einen vorkulturellen Zustand der gegenseitigen Rücksichtslosigkeit bringt. Oder ist es die Tatsache, dass der Kapitalismus den Einzelnen in das Gefühl permanenter Not und Existenzkampfs bringt und die Gedanken an das Schicksal anderer verkümmern lässt. Oder erzeugt der Kapitalismus ein permanentes Gefühl von individueller Benachteiligung, das zur Wahrnehmung des eigenen Vorteils bis hin zur Rache für erlittenes Unrecht drängt.
Freud wird als Konservativer etc. abgetan, weil er in der patriarchalen Familie das Idealmodell des menschlichen Zusammenlebens sah, kulturell geformt durch die Triangulation im Ödipuskomplex, Triebkontrolle als Ideal. Dagegen wird von Guattari, Deleuze der Antiödipus mit seinen kleinen Wunschmaschinen gepriesen, eigentlich ein Autist, der sich konsumistisch abkoppelt und verbindet, so wie es ihm eben gerade passt. Und dann haben wir noch diese schweißige kleinbürgerliche DDR hinter uns mit ihren permanenten Appellen und Zurechtweisungen. – Mit ständigem Umkippen in den Zwang, beginnend mit Appellen endend im Gefängnis.
Gedanken, Gedanken.
Ich wechsle die Kloorolle und frage mich, wo das wohl hingeht. Soziologisch zumindest nicht uninteressant. Vielleicht haben sich alle „Reaktionäre“ die gleichen Gedanken gemacht, um sich ihr politisch und ökonomisches opportunes misanthropisches Menschenbild zurechtzulegen.

21.11.08

OPEL

Auch mein Senf dazu. Wie sagen taz und Lambsdorff? Lasst doch die Kunden entscheiden. Warum nicht einfach kaputt gehen lassen. Wozu umweltfreundliche Autos, wenn die Kunden BMW und Mercedes wollen? Dear Lord!
Kaputt gehen lassen. Ok. Aber dann schon Alternativen. Zunächst der Gedanke, dass sich alles ändern muss: Energieverbrauch, regionale Produktion, Schluss mit dem Konkurrenzsystem, statt der alten Mittelschicht eine neue Intelligenz, die die gesamte Gesellschaft und die Produktion denkt, neue Schulen, weg mit diesem Schmuddeljournalismus von öffentlichem Theater, dafür Informationen, Nachdenken über ein produktives Zusammenleben, demokratische Kultur, Einbeziehen aller, anstelle globaler Abhängigkeiten und der Angeberei mit Weltbürgertum (Nike, Adidas und bürgerliche Großkotzigkeit), die Reduktion wenn es sein muss auf face-to-face-Genossenschaften, Intelligenz, die auf Autonomie in der Produktion setzt.
Und wenn das nicht alles geht und zu radikal ist, dann die Politisierung der Märkte: was wird importiert, was nicht, was wird produziert, ABSCHOTTUNG – SUPER!!!
Nicht nur Demokratisierung und demokratische Entscheidung, sondern auch demokratische Verantwortung: Wenn ich unbedingt ein Auto haben will, dann muss ich auch ans Fließband und die Schäden bezahlen, die ich damit welt- und generationenweit verursache. VERANTWORTUNG, diese Worthülse, theatralischer CDU-Jargon, mit dem sich die Eliten schmücken und ihre tatsächliche Verantwortungslosigkeit – die Arbeit und den Dreck anderen überlassend – bemänteln.

Was ist realistisch? Leben ist doch nur noch eine soap, organisiert in Begriffen modischer Klischees ohne Bewusstsein in welchen Strukturen die Menschen stecken; nämlich die der Verwertung, große Konzerne im Finanzgeflecht, Rohstoffabhängigkeiten und Rohstoffproblemen, Die Verdünnung des Lebenssinns auf Arbeitshetze und Konsum, die Zerstörung von Autonomie zu Gunsten Einkaufsidentität, Eindimensionalität, historischer Dummheit und Bewusstlosigkeit, - „Leben im Hier und Jetzt“ - Glaube an Konsum, das „Bekommen“, Leben eine Wiederkehr von Weihnachten und gut versorgt sein durch das System, das Wohlfühl- und Wellnessleben.

Quo vadis System? Patches, noch mehr Intelligenz zur Systemerhaltung – Finanzkontrolle, Bankenaufsicht, Ratingagenturen, Staatsinterventionen zur Belebung des Marktes – und noch mehr Intelligenz zur Selbsterhaltung – neue Geschäftchen machen, neue Produktvarianten, neue Services, noch mehr Spezialisierung, neue Märkte überall, neue Tricks um an Staatsknete zu kommen, um am Geld- und Warenstrom etwas ohne Arbeit abzweigen zu können, denn die produktive Arbeit ist ja vom Kapital beherrscht.

16.11.08

BEERDIGUNG IM HINTERLAND

Eine entfernte Verwandte in einem Dorf, in dem ich 10 Jahre gelebt habe, ist an Krebs gestorben. Ich radle die 60 Kilometer hin. Komme nach Umziehen in trauergemäße Kleidung im Wald eine Viertelstunde zu spät zum Requiem. Die Kirche ist bis zur Pforte gefüllt. Der Pfarrer spricht gerade über Heiligkeit, zitiert Hildegard Knef und dass auch die Tote nun zu den ungenannten Heiligen gehört. Ich stehe eingeklemmt im Eingang und kann die seit meinem Austritt vor 40 Jahren geänderten Gebete nicht mitbeten, kenne das Auf und Ab von Sitzen, Knien, Stehen nicht mehr, weiß nicht, wo das Kreuz geschlagen wird und wie die Hände gehalten werden. Die paar Hundert um mich wissen das alles. Ich kann keine bekannten Gesichter erkennen, sehe nur diese merkwürdige Uniformität von Menschen. Nicht nur das von Trauerschwarz, auch die der Körperformen: stämmige untersetzte Typen und einige wenige hagere Große. Die Gesichter, wie man sie von mittelalterlichen Bildern kennt; mit den Zeichen von Arbeit und Anstrengung, Gesichtsausdruck exzessiver Charaktere. Alle überformt vom Ritual, denen der Kirche und wie man es richtig macht. Da redet während der Beerdigung kein Mensch, stumm und geduldig bewegt sich die Schlange am Grab vorbei. Ich stehe mit meinem kleinen Rucksack zwischen den Beinen da wie ein weißer Rabe und versuche ihn zu verstecken.
Durch eine unsichtbare Regie geleitet ziehen nacheinander in hierarchischer Ordnung die verschiedenen Gruppen von Verwandten am Sarg vorbei. Als dann alles vorüber ist und sich die Menge aufgelöst hat, wird dann wenig zeremoniös der Sarg versenkt, so als wäre es eine jetzt die überflüssige Staffage eines Theaterstücks.
Die Autos rauschen wieder davon und das Dorf ist wieder im modernen Schlafzustand. Immer wenn ich hier durchkomme steht mein Eindruck davon in vollem Kontrast zu der Erfahrung meiner Kindheit. Damals waren die Straßen voll mit Leben: Kuhherden, Handwerker, die draußen arbeiten, Kinder, die springen und hüpfen, Fahrzeuge auf dem Weg vom oder zum Feld. Davon heute nichts mehr. Die Schulen sind außerhalb, die Bauernhöfe auf wenige reduziert und außerhalb des Dorfes angesiedelt – Agglomerationen von Maschinen und Silos. Gearbeitet wird irgendwo im Umkreis der nächsten 50 Kilometer. Der Ort ist zum Schlafdorf verkommen. Die ökonomische Basis für Heimatbezug ist weggebrochen und nun suchen die Einwohner nach Identität in örtlichen Vereinen, Partykneipen, auch in Ritualen. Die Menschen arbeiten zwar in anderen sozialen Zusammenhängen, aber der Mythos des Dorflebens hat sich gehalten, vielleicht sogar verstärkt. Ich fühle mich dem gegenüber wie ein Verräter. Die Kirche hat ihre Position mindestens bei den Älteren gehalten, musste aber dabei ihre aggressive Dominanz aufgeben und sich tolerant geben. Zumindest erscheint sie mir toleranter und aufgeklärter als die Menschen, deren Gewissheiten und Bräuche sie beherbergt.

12.11.08

KONJUNKTUR RETTEN

Die exportabhängige Autoindustrie bricht ein. Ein Teil steigt auf das Fahrrad um, ein anderer auf billigere Fahrzeuge, ein anderer verschiebt den Kauf. Gute Zeiten für die Umwelt. Wir machen Fortschritte.
Statt nun neue Verkehrskonzepte zu entwickeln, neue Modelle von Arbeitszeitverkürzung, soll der alte Laden weiterlaufen. Jedes Jahr mehr Autos, mehr Energieverbrauch, mehr Einkommen (für die Mittelklasse). Also vorwärts in die Krise. Verschrottungsprämien, Kfz-Steuersenkung …
Die Linke bleibt bedeutungslos, da ohne Alternative. Um sich links geben zu können, braucht sie den Kapitalismus. „Negatorische Politik“, bloß keine Utopie. Schon gar nicht in Diskurs treten mit Menschen, denen nicht nach Palaver, sondern nach Handeln ist. (
Der Neoliberalismus ist tot- Es lebe der Kapitalismus!). Statt dessen antikapitalistisches und antifaschistisches Blablabla.

3.11.08

MEIN VATER?

In einer Zeitung sehe ich ein Bild von 1944, auf dem von deutschen Soldaten ein Mann bewacht wird, der dann später als Partisan hingerichtet wird. Einer der Soldaten könnte mein Vater sein. Ich vergleiche Fotos von ihm im Krieg mit dem Bild: dieselbe Uniform, das gleiche Abzeichen, nur das Käppi finde ich auf seinen Kriegfotos nicht. Aber er hat sich zu der Zeit, als das Foto gemacht wurde, wohl in der Nähe dieses Orts aufgehalten. Figur, Gesicht und Alter stimmen überein.
Es war viel Distanz zwischen uns. Er hat in mir, wie er selber sagte, von Anfang an einen Feind gesehen. Ich war anders als er: Erstgeborener, meiner Mutter ähnlich, körperlich anders gebaut, wohlversorgt, ohne Hunger befürchten zu müssen und er war besorgt um mich, anders als sein Vater, der nicht wirtschaften konnte, die Kinder vernachlässigte, der Astrologie anhing, seine Mutter misshandelte. Mit noch nicht 13 Jahren musste er anderswo Geld verdienen.
Warum will ich ihm nun dieses Stigma anhängen und was sagt das über mich selber aus – meine politische Haltung?
In mir ist ihm gegenüber immer noch dieses Gefühl von Unzufriedenheit und Ablehnung, obwohl ich nach seinem Tod geglaubt habe, dass doch die positiven Gefühle die negativen überwogen haben. Etwas stimmt nicht. Ich fühle die Bosheit von ihm immer noch als Last, die mir keinen positiven Blick auf die Zukunft ermöglicht. Nur den auf das große Gericht, die große Katastrophe, den Weltuntergang, dessen Gedanke meine Kindheit beherrscht hat. Damals nicht nur eine religiöse Fantasie, sondern als möglicher Atomkrieg reale Gefahr. Heute als soziale und ökologische Katastrophe.
Da war sein Neid und seine Herablassung gegenüber mir, das Böse, das in mir von Kind an bekämpft werden musste. Mit der Forderung von Gehorsam und Selbstbeherrschung wollte er aus mit einen guten Menschen machen. Schläge, moralische Ansprachen und Bestrafungen waren notwendig. Als eifernder Katholik war er ja auf der richtigen Seite. Heute sagt man: Fordern und Fördern. Und ich wurde ja gefördert, immer wieder erlebte ich überraschende Momente von Großzügigkeit, die mich ihm gegenüber verpflichtet haben. Er hatte viele negative Gefühle, aber er versuchte, gerecht zu sein. Ich bin wohl früh auf Abstand zu ihm gegangen, habe ihn zufrieden gestellt und bin gleichzeitig insgeheim eigene Wege gegangen, die dann in der Pubertät zur Konfrontation geführt haben.
Wie sehr ich aber innerlich mit ihm verbunden war, wurde mir erst wenige Jahre vor und nach seinem Tod bewusst. Ganz früh, da war er einmal mein Vater. Und tief unten in mir ist er es während der ganzen Kontroversen auch immer unbewusst geblieben.
Das waren meine Gefühle, aber was waren seine? Die letzten Gespräche mit ihm im Krankenhaus: Er ist sehr gefasst, er nimmt an, dass er sterben wird, vollzieht die letzten katholischen Rituale. Mir gegenüber korrekt und adäquat: Keine Vorwürfe, keine Forderungen. Er spricht mit mir, so wie er gerne Gespräche mit anderen Menschen geführt hat, moderat, die Neigung zu aggressiven Ausfällen kontrollierend. Weil ich die aber auch kenne, wirkt es nicht ganz ehrlich. Er hält seinen Standpunkt durch, wir können uns nicht versöhnen. Es ist das normale Unglück des modernen Menschen.
Dann das sichtbare Misstrauen mir gegenüber, die Augen verengt, als er von der Sorge um meine Mutter spricht, dass sie wegen seinem Tod durchdrehen könnte - paternalistisch. Als sie ihn tot antrifft, bricht sie in Vorwürfe aus. Kein Vertrauen.
Sein Herz war schon längst bei den Toten: viele Friedhofsbesuche, Soldatenfriedhöfe während meiner Kindheit. Pflichtgemäß bekommen die toten Angehörigen an Allerseelen ihr Weihwasser. Dabei wüsste ich von keinem konkreten Toten, um den er getrauert hat, es ging wohl mehr um die eigenen getöteten Anteile in ihm, um eine Trauer über einen Verlust, der nicht konkretisierbar war. Bei einer Spanienreise war er magisch angezogen von dem faschistischen „Tal der Gefallenen“. – Nekrophil hätte es E. Fromm genannt, dessen „Haben oder Sein“ in seinem Schrank stand. Aber Fromm ist mir zu moralisierend schwarz – grün.
Hat er Schuldgefühle gehabt? Kann er der auf dem Foto gewesen sein?
Auf einer Fahrt nach Italien – ich war 19 – geht es am Gardasee vorbei, in der Nähe, wo das Foto gemacht wurde und wo Hunderte italienischer Partisanen gestorben sind. Mein Vater meint von Männern dort, dass sie sicher bei den Partisanen waren. Er fühlt sich sichtlich nicht wohl. – In Diskussionen verurteilt er das Partisanentum als feige und hinterhältig. Ja - wenn man Partisanen erwischt hatte, wären sie erschossen worden. Den Ausdruck, den er dafür im Dialekt verwendet, ist brutal, gedankenlos und dumm.
Natürlich war er keine treibende Kraft, hat nur Gehorsam geleistet, seine „Pflicht“ getan und dergleichen mehr. Aber hat er aus der Sache gelernt? Vergleiche ich ihn auf den Fotos mit Nachkriegs- und Vorkriegszeit, fällt auf, dass er nicht mehr lacht, dass er ernst wird, nicht mehr in Gesellschaft, sondern vereinzelt. In der Gefangenschaft studiert er die Predigten katholischer Priester, die zur Abgrenzung der Katholiken vom Faschismus aufgerufen haben. „Bekehrt“ kehrt er nach Hause zurück, missioniert sich und andere. Es ist seine Vergangenheitsbewältigung. Er tut Buße, ich soll sein Opfer sein. Schuld sind nun die anderen, die er mit seinen Predigten und Briefen angreift. 1956 nach der Einführung der Bundeswehr, wählt er nicht mehr die CDU. Es ist für ihn ein Verrat am Christentum.
Schuldgefühle? Der Krieg hat seine eigene Logik. Ist mit dem Töten erst einmal begonnen, entschuldigt das schon die nächsten Toten. Die individuelle Verantwortung ist aufgehoben, also auch das individuelle Gewissen. Trotzdem baut mein Vater um sich eine Mauer. Eine Mauer der starken Selbstdarstellung, des richtigen Glaubens, der Verurteilung anderer und des uns quälenden Schweigens. Seinen Körper durch das Stahlbad, den Schrecken des pausenlosen Trommelfeuers von Monte Cassino erstarrt, kann er manchmal nicht mehr bewegen, wird abhängig von Valium, später Antidepressiva. Das Misstrauen, mit dem er sich umgibt, zeigt sozialen Ausschluss, aber in dem politischen Charakter mehr integrative Kraft als die heute übliche Teilnahme vereinzelter Individuen an der Gesellschaft bloß durch Konsum.
Wie hätte ich mich verhalten, wäre ich in eine ähnliche Situation verwickelt worden? Angenommen, ich wäre an der Erschießung Schleyers beteiligt gewesen – ein unwahrscheinlicher Fall, da ich mit dem elite- und avantgardesüchtigen Verhalten dieser Gruppen nichts am Hut hatte. Ich hätte zwei Möglichkeiten gehabt: ich könnte es rechtfertigen, politisch oder moralisch. Das wäre die einfachste und leichteste Tour. (Vielleicht hat der Faschismusschatten, der mit Schleyer auf die BRD geworfen wurde, dann zur apolitischen Liberalisierung in den 80ern beigetragen. Es wurde zur Pflicht, sich locker zu geben.) – Oder ich würde das als politischen Fehler begreifen, weil in der unseligen Tradition der Verurteilung, des Rechts und der Rache stehend. Oder ich könnte es als moralisch fehlbar begreifen, wenn der Staat um Schleyer meine Einwände gegen ihn als prinzipiell berechtigt anerkennen würden und eine Bereitschaft zur Verhandlung und Diskussion vorhanden wäre. - Soweit ein Gedankenspiel.
Übertragen auf die Situation meines Vaters heißt das: Da keine kollektive und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld, - bestenfalls verdinglicht in Reparationen, Entschädigungen – stattgefunden hat, hat jeder seinen individuellen Schuldanteil auf andere abgewälzt. Auch aus der richtigen Wahrnehmung, dass keiner allein schuld ist. An die Stelle eines bewussten gesellschaftlichen Diskurses trat die unbewusste individuelle Verdrängung mit den Symptomen von Starrsinn, latenter Aggression, Rechtfertigungszwang, Projektion des Bösen auf andere.
Wir Kinder dieser Generation haben zwar nicht die politischen Inhalte von unseren Vätern übernommen, aber doch die Formen, die Feindschaftsbildung, die Fixierung auf das Recht, die Unfähigkeit, mit positiven Entwürfen andere zu überzeugen, weil von Misstrauen und Aggression geprägt, die Neigung zur Politik als Medium der Feinderklärung, des Kampfes und der Elitenkonkurrenz.

15.10.08

URSACHEN DER FINANZKRISE

  1. Übergreifender Grund liegt in der Wertabstraktion durch das Geld. Dabei wird die gesellschaftliche Arbeit als abstrakte Größe dargestellt, die ihre Beziehung zur Produktion nicht mehr erkennen lässt. Als Geldfetisch scheint es unabhängig über der Produktion von Waren zu schweben, ja diese sogar als Verwertungsstimulus zu dominieren und in Gang zu setzen. Finanzsystem und produktiver Sektor scheinen auseinander zu fallen, sich verselbständigen zu können. In den Krisen, nämlich dann wenn Geld nicht wieder in Ware, also reelle Gebrauchswerte, umgetauscht werden soll, bricht der Schein des Geldfetischs zusammen. Auch der Schein, dass das Geld durch den Zins selbst produktiv sein könne.
    Ursachen der jetzigen Krise sind mehrere:
  2. - es gibt zuviel Liquidität durch: überteuerte Produkte, hohe Gewinne, mangelnde Konkurrenz, Monopole, Managergehälter, Gelder durch Ölgewinne ohne Produktion, Kapitalisierung der Renten und Pensionen –
    - dann auf dem Finanzmarkt durch Derivatsysteme aufgeblähte Geldmenge, aufgeblähter Geldverleih ohne adäquate reale Gegenleistung in der Gegenwart.
    - das Derivatsystem verschiebt die Produktionsverpflichtung, die durch die Verschuldung eingegangen wird, immer mehr in die Zukunft, der Gewinn eilt sozusagen der Zeit voraus. Durch die Optionen auf langfristig erwartbare Profite, Wetten auf die Zukunft wird scheinbar die Zirkulation beschleunigt, aber ohne dass der Umschlag im produktiven Sektor genauso schnell erfolgt.
    - wachsende Liquidität durch zu niedrige Zinsen. In den USA sollten die niedrigen Zinsen die Konjunktur beleben, die Klassen- und Einkommensunterschiede verschleiern. Weltweit gibt es infolge der keynesianischen Politik eine Verschuldung ganzer Volkswirtschaften. Die USA betreiben diese keynesianische Politik mit ihren Kriegen. Die dadurch verursachte Verschuldung muss jetzt international bezahlt werden.
    - im Verhältnis zur angewachsenen Liquidität gibt es nicht genügend profitable Anlagemöglichkeiten in der Produktion, hier wirkt der tendenzielle Fall der Profitrate
    - steigende Energiekosten schränken die Profitabilität der Produktion ein, die erwarteten Zinsen können nicht realisiert werden, peak oil macht sich bemerkbar
    - genauso schränken steigende Sozialkosten die Profite ein, erhöhen die Kosten der Produktion. Sozialkosten werden verursacht durch Arbeitslosigkeit, Krankheitssektor, Erziehung und Bildung, Rente und Pflege. Dazu gehören auch die Kosten einer teuren Mittelklasse, die notwendig ist, um zwischen herrschender und arbeitender Klasse zu vermitteln, eine Scheinwelt des Individualismus vorzuspielen, den Schein von Demokratie, die Aufrechterhaltung von bürgerlichen Motivationen und Orientierungen.
  3. Eine permanente Inflation bedingt durch Staatsverschuldung (deficit spending) zwingt zur ständigen Suchen nach profitablen Anlagen. Eine grundlegende ökonomische Unsicherheit für alle Schichten bewirkt einen Hang nach Sicherheit: Sparen für die Zukunft. Diese Sparsamkeit zerreißt aber gerade den Zusammenhang zwischen Produktion und Konsumtion, zwischen Geld und Ware. Ökonomien, die wie ökologisch auch immer brutal destruktiv oder nachhaltig, den Kreislauf zwischen Produktion und Konsumtion kurz halten, sind weniger gefährdet. In Spanien etwa wird wenig gespart, die Hypothekenlast ist immens. Der Zustand ist (sehr!) labil, aber solange die Menschen arbeiten und ackern, um ihre Schulden zu bedienen, boomt die Wirtschaft. Die Verschuldung ist ein notwendiger Stimulus der kapitalistischen Wirtschaft und wirkt politischer effizienter als Normenerhöhung, Jahrespläne, Zwangsbewirtschaftung wie in den ehemals „sozialistischen“ Ländern. Die Individuen dürfen von einem kleinen Vorteil träumen und spüren nicht, wie sie durch den Verwertungszwang des Kapitals angepeitscht werden.


Welche Lösungen gibt es für die Kreditkrise?
- Kapitalistische und kurzfristige wirkende staatliche Intervention:
Geldmengen mit Warenmengen durch Staatsverschuldung, also Inflation und höhere Steuern, in Übereinstimmung bringen. Abzahlen der faulen Kredite und Gewinne durch die Arbeiterklasse. Der Kapitalismus wird sich auf einem primitiveren Lebensniveau reproduzieren. Die Aneignung von Mehrwert und die Klassenverhältnisse werden wie auch immer krisenhaft fortgesetzt.

- Staatskapitalistische und staatssozialistische Lösungen
Begrenzung der Liquidität durch Begrenzung von Gewinnen und Spitzengehältern, Kontrolle der Gewinne aus dem Energiehandel.
Regulierung der Konvertibilität, Abkoppelung von Öl und internationalen Märkten (Integration nur bei möglicher sozialer Kontrolle der Märkte).
Sicherung der Zukunftserwartungen bei Renten durch Grundeinkommen und Arbeitsgarantie statt durch Konsumzurückhaltung und Sparen.
Disproportionalitäten zwischen Sektoren verhindern: produktiv – konsumtiv, „sozial“ – produktiv etwa Arbeitszeitverteilung, Abbau der Mittelklasse durch Bildung, „demokratische“ Betriebsstrukturen, Beteiligung durch Politisierung, integrierende Erziehung statt selektierender und desintegrierender.

- Sozialistische:
Sind eigentlich keine absehbar. Es gibt keine autonomen Produktions- und Lebensgenossenschaften. Sie bleiben Gedankenmodelle, sind bestenfalls im Randbereich von Kommunen, Sekten, im privaten Bereich (Gärtnern, nachhaltiges Wirtschaften, ökologisches Verkehrs- und Verbraucherverhalten) als mehr oder weniger fantasiegebundene Spielchen möglich.
Weiterhin mögliche bleibt eine moralische Kritik, die sich an Kriterien einer Basisdemokratie, des Werts der Arbeit, der Ökologie orientiert, die aufklärt über die Beziehungen zwischen Ressourcen, Bedürfnissen und kapitalistischer Produktion.

Ganz groß tönt jetzt Kurz; er hat es ja immer schon gewusst. Um Alternativen braucht er sich nicht zu bemühen. Angesichts der Aussichtslosigkeit, dass Alternativen jenseits von Kapitalismus überhaupt andiskutiert werden, ist das ja nicht unclever. Er würde sich ja selber sofort schwach und angreifbar zeigen, würde er wie auch immer leise einen Vorschlag machen. Das ist aber das Problem der Marxisten: sie wollen genauso unangreifbar und stark aussehen wie die herrschende Meute. Sie sind eben durch und durch bürgerlich. Von ihnen ist nichts zu erwarten. Kein Wunder, dass die Diskutanten dann abdrehen mit dem Gedanken, dass aus der Ecke auch nichts zu erwarten ist. – Wenn Kurz sagt:

„Erforderlich wäre eine autonome soziale
Gegenbewegung jenseits des nationalen Rahmens, die sich die Lebensinteressen
nicht von den Krisenverwaltern ausreden lässt, und die jede soziale,
geschlechtliche, ethnische oder "rassische" Ausgrenzung radikal negiert.“
(
Telepolis)

so ist das so nichtssagend wie die Predigt eines Pfarrers über Gnade und Heilserwartung. Und wie in der Kirche mündet es in eine gläubige Gemeinde, die brav Sprüche nachbetet und sich um praktische Konsequenzen nicht mehr kümmert. Die einzige Praxis, die daraus folgt, ist zur Gemeinde dazuzugehören oder nicht. Das wurde ja bei den diversen linken Parteien in aller Brutalität durchgespielt.
Falsch halte ich ohnehin, dass eine Krise den Kapitalismus allein zerbrechen kann. Er wird sich auf einem einfachen Niveau wieder reproduzieren. Wie nach dem zweiten Weltkrieg. Zwar mögen die Leute hungern, aber das wird sie motivieren, umso mehr zu schuften. Ohne Öl wird es wieder genug Arbeit geben und damit profitable Anlagemöglichkeiten. Man kann einwenden, dass das politische System an die Garantie eines gewissen Wohlstandsniveau gebunden ist und wenn das nicht erreicht wird, ein Umdenken stattfindet – so wie jetzt die Forderung nach Verstaatlichung der Banken überhaupt nicht mehr lächerlich ist. Aber auch wenn die Mittelklasse – Politiker, Journalisten, Kultureliten etc. – umdenkt, um sich als führende Klasse zu erhalten, so werden auch in einem Staatskapitalismus die Klassenverhältnisse als solche erhalten bleiben

9.10.08

WAR MARX EIN GESCHICHTSOPPORTUNIST?

Marx gab bewusst keine Handlungsanweisungen, da er an eine Art naturwüchsiger Entwicklung der Gesellschaft glaubte – auch wenn er politisch immer versucht hat, auf diese Geschichte in interpretierender, politisierender Weise Einfluss zu nehmen.
Was ist aber, wenn sich als Sozialgeschichte nicht eine immer höhere Rationalität im Sinne Hegels, also soziale „Vernunft“ durchsetzt, sondern eben die Macht und Beherrschung der Menschen durch den Wert – weil mit dem Anwachsen der Technik auch die Mittel anwachsen, sich durch Technik die Macht zu erhalten.
Kann man also mit Marxens Kategorien wirklich optimistisch in die Zukunft blicken?
Was gibt seine Analyse her? Triviales vielleicht, etwa dass der Wert alles zerfrisst, alles käuflich, verwertbar und ausbeutbar macht und sich die Menschen in dem Zwang sich vergesellschaften zu müssen dem unterwerfen.
Gibt es eine andere Perspektive als die kapitalistische in Marxens Perspektive?
Eigentlich nicht. - Gut, es gibt Krisenelemente. Die Rebellion des Gebrauchswerts gegen den Tauschwert, die Entwertung des Kapitals durch die Krisen, die materielle Grundlage der Produktion bricht weg, neue Verteilungskämpfe müssen durchgestanden werden. Das klingt ja schon in dem von den Ml´rn gerne gelesenem „Lohn, Preis und Profit“ an, oder in seinen Ausführungen über den 10- oder 8- Stunden Tag. Das meint wohl: der Kapitalismus ist flexibler als man denkt. Da ist einiges drin, ohne dass das System dabei kaputtgeht und die Sozialisten sollen sich darin anstrengen, bis an die Grenzen des Systems zu gehen. Dabei freilich machen sie - ohne es zu wollen – das System immer perfekter. Perfekter in dem Sinne, nicht dass Krisen ausbleiben, sondern dass das System eindimensionaler wird. Derart, dass die Menschen sich nicht einmal fragen, warum sie ein System ändern sollen, in dem es doch allen mehr oder weniger gut geht.

Trotz der Darstellung der Verwertung als ständig krisenhaftem Prozess bleibt schlussendlich – sehen wir jetzt mal von den bei Marx unausgeführten Konzepten der Verelendungstheorie, Imperialismus- oder Zusammenbruchstheorie ab –die Marxsche Theorie doch eine Anpassungstheorie. Der Fortschritt besteht in der besseren Anpassung ans ökonomisch notwendige oder günstige vermittelt durch immer neue Krisen. Die Wirtschaft läuft wie das Wasser der Schwerkraft nach immer dahin, was ökonomisch zweckmäßig ist und man kann dann mit Hegel sagen „Es ist so, wie es ist“. Oder: die Vernunft ist die Wirklichkeit, und dergleichen mehr. Ökonomisch heißt: Rationalisierung, ökonomischer Einsatz von Rohstoffen und Arbeitskraft, Einsatz von Intelligenz, die Schaffung und Ausbeutung neuer Bedürfnisse und Moden, die immer höhere Konzentration, die Monopolbildung, die wachsende Interdependenz der Welt, Weltmarkt, intelligente Konfliktbewältigung oder intelligenter Klassenkampf durch den Staat usw.
Marx hat versucht aus der inneren Logik des Verwertungszwangs und der gesellschaftlichen Antagonismen die zukünftige Entwicklung zu entwickeln. Aber alles, was sich aus seiner Darstellung der Widersprüche ergibt, ist deren vorübergehende Aufhebung auf höherem Niveau, neuerlichen Entwicklung der ursprünglichen Widersprüche und so weiter und so fort. Zwar begleiten Krisen diese Entwicklung, aber jede Krise produziert neue Lösungsmechanismen. Etwa indem heute der Kapitalverwertungsprozess eine immer intensiver werdende Indienstnahme der Individuen, der Natur für die „kalte Vergesellschaftung“ durch das Geld verlangt. (In Zimbabwe lässt sich sehen, wie davon die Existenz oder Nichtexistenz eines ganzen Landes abhängt.) Die Logik des Kapitalismus sieht den Sozialismus nicht vor.
Zu Zeiten der frühen Sozialdemokratie wurde geglaubt, der Weg zum Sozialismus führe über Monopolisierung zum Staatskapitalismus hin zum Staatssozialismus. Und viele Linke sahen die Zwangsbewirtschaftung im ersten Weltkrieg als ersten Schritt zum Sozialismus. Aber diese Art der „mixed economy“ wird immer noch vom Verwertungszwang beherrscht. Ganz abgesehen davon, dass sie fundamental antidemokratisch und antiegalitär ist, wie es ihre Varianten – der Leninismus, der Faschismus und letztlich auch die bürgerliche Demokratie – zeigen.
Am Beispiel von Robert Owen erörtert Marx im ersten Band des Kapitals die Möglichkeiten des Kapitalismus. Owen hatte in seiner Fabrik die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter wesentlich verbessert, etwa 10-Stunden-Arbeitszeit eingeführt. Mit dem Erfolg, dass sich die Produktivität wesentlich erhöht hat. (Darüber hinaus organisierte Owen Genossenschaften und eine auf Arbeitsgeld basierte Warenbörse – nicht unähnlich den Konzepten der
GIK)

Kann man den großen Systemwechsel erwarten? Gibt es nach dem Zusammenbruch und der Barbarei – die es ja weltweit schon gibt, siehe Afrika, Tibet, Birma, Gaza, Irak – etwas historisch Neues, das man Sozialismus nennen könnte?
Derzeit gibt es zwei Logiken. Einmal die der Kapitalverwertung mit dem Zwang zur Mehrwertbildung gleichgültig, wer sich diesen Mehrwert aneignet: Staat, Arbeiter oder Kapitalisten. Und dann einer Option mit sozialen und politischen Vorgaben und Zielstellungen. Beispiel: soziale Gerechtigkeit, Arbeitszeitverkürzung, Ökologie, Bildung, Kultur. Bei den letzten Beispielen wird klar, dass sich eine solche politische Vorgabe nur wieder unter den Bedingungen der Kapitalverwertung durchsetzt. Aber es sind solche außerhalb der Verwertungslogik. Politik, auch wenn davon dominiert, löst sich nicht in Kapitalismus auf.

Peak Oil etwa wird zur Folge haben, dass sich alles verteuert. Bestimmte Branchen werden ganz verschwinden. Nahrungsmittel werden auf Grund von fehlendem Dünger, teurerem Transport teurer und knapper. Löhne werden also sinken, da es weniger zu verteilen gibt. Die Produktion insgesamt wird sinken, da die menschliche oder tierische Arbeitskraft die Ölenergien nicht ersetzen werden können. Eine Depression kann die Folge sein und die wirtschaftliche Spirale wird wieder auf niedrigerem Niveau beginnen müssen. Vielleicht wird sich die Zirkulation reduziert werden, eine Entglobalisierung stattfinden. Vielleicht wird die Wirtschaft mit Inflation in Gang gehalten, mit Hilfe derer die Löhne gesenkt, die Schulden abgebaut werden. Steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise weisen in diese Richtung.
Der Übergang zu einer Nachölwirtschaft und ihre Gestaltung könnte eine politische Angelegenheit sein. Da die Beteiligten bis jetzt zumindest relativ bewusstlos in die Krise hineingehen – kaum vorwärtsweisende Fantasien – und die Sache nicht aktiv angehen, werden ökonomische Kurzschlusshandlungen („Rette sich wer kann“), private Bereicherungslösungen und Überlebensstrategien – „marktadäquates“ Handeln – vorwiegen.
Da die Linke das Problem weitgehend ignoriert, keine eigenen Konzepte entwickelt, werden die Verfechter des Marktes weiter die Zukunft bestimmen. Es wird also keine allgemeinen politischen Lösungen geben. Bestenfalls individuelle Einwände.

24.9.08

FINANZKRISE - Warum mich das nicht interessiert

Die Konkurrenz der bürgerlichen Klasse, innerhalb der bürgerlichen Klasse, also jene, die Kritik an den herrschenden Politikern und Medien betreiben – meist von links, oft auch nur von irgendwoher – kann derzeit befriedigt feststellen, dass es so kommen musste, dass es nicht anders zu erwarten war und dass sie es schon immer so gesagt hätten. Bis in die Faz ist von der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus die Rede. Manche Mutige munkeln gar was von Zusammenbruch.
?
Krise? Vielleicht sieht es so aus. Aber solange die von unten nicht die Krise produzieren, durch ihre Kritik, ihre Aktionen und ihre konkreten Alternativen, ihren Willen, die Produktion in die Hand zu nehmen, ihr eine selbstbestimmte Richtung zu geben, sich auf eine gerechte Verteilung von Arbeit, Produkten, Ressourcen verständigen – solange kann von wirklicher Krise keine Rede sein.

Eine solche „Krise“ ist nur Anlass für konkurrierende Machtspielchen, kluge Kommentare von Besserwissern. Mit dieser Krise wird die Intelligenz des Kapitalismus locker fertig, mal ein bisschen staatskapitalistisch, mal ein bisschen neoliberal. Nicht dass sie nichts kostet und dass nicht „die da unten“ sie zu bezahlen hätten - vielleicht trifft es auch ein paar da oben oder welche mittendrin – aber das ist eben der Preis der proletarischen Abhängigkeit vom Kapital, seinen Waren, seiner wunderbaren Welt.

15.9.08

MODERNER RASSISMUS

In einer harmlosen Meldung meldet der DLF am 8.9.08 um 12 Uhr:
„Elterngeld wird in jedem zweiten Fall als Mindestsatz gezahlt
Rund die Hälfte aller Bezieher von Elterngeld erhält lediglich den gesetzlichen Mindestsatz von 300 Euro monatlich. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte, haben seit Einführung des Elterngeldes im Januar 2007 etwa 350.000 Mütter und Väter diesen Betrag bezogen. Das entspricht einem Anteil von 47 Prozent. Bei den übrigen 53 Prozent berechnete sich das Elterngeld nach dem vorherigen Einkommen und lag damit höher. - Das bis zu 14 Monate lang gezahlte Elterngeld löste das Erziehungsgeld für Geringverdiener ab, das bis zu drei Jahre lang gezahlt wurde.“
Es bedeutet, dass mit dem bei den unteren Einkommensklassen gesparten Geld die oberen finanziert werden. Es ist die gleiche Mafiastruktur wie in der Dritten Welt. Nur wird hier Besitz, Reichtum und Macht mit legalen Mitteln, unblutig, an die herrschende Klasse transportiert. Medien, Besitz und Parlament ersetzen Kalaschnikow oder Axt.


Was dagegen tun?

7.9.08

EIN FERIENARBEITER

Letzte Woche hatte ich es mit einem Ferienarbeiter zu tun, Student in irgendeinem technischen Fach. Zuerst nervt mich allein seine Anwesenheit, dann schließlich die Art, wie er arbeitet – so wie meine Kollegen, schlampig und ineffektiv. Irgendwann wird es mir zuviel und ich zeige ihm, wie ich es mache und haben will. Ich bin in die Autoritätsrolle reingerutscht und behandle ihn so meckerig wie einen Sohn. Der Chef schickt ihn herum und ich hol ihn zurück, sag ihm, er solle sich nicht um den Chef kümmern; der verstehe ohnehin nichts. Ich wundere mich über mich, wie ich in diese Rolle komme.
Der Chef ärgert sich schon lange über mich. Ich zeige ihm, dass ich seine Eingriffe für dumm halte. Obwohl eher ängstlicher Menschentyp bin ich da respektlos. War aber auch schon bei Lehrern so. Sie witterten in mir trotz der braven Fassade immer den Rebellen und mochten mich nicht. – Der Chef versucht mich auszuschalten: nimmt mir die kleinen ehrenwerten Jobs ab, wie Computer abspeichern, ausschalten, gibt den Schlüssel an andere, obwohl der Nächste ich wäre. Besprechungen dann, wenn ich nicht da bin. Ich spüre das, vertraue aber auf meine Schlussrede und Abrechnung bei meinem Abschied.

Die Szene mit dem Ferienarbeiter, der nach einem neuen Anschiss von mir beleidigt sich in eine andere Abteilung verdrückt, erinnert mich an meine ersten Kämpfe mit Arbeitern, die ich mit 24 begann. Vorher hatte ich immer nur Respekt und Devotion für ihre Macken. Ließ mir einiges gefallen, wollte ihren Missmut verstehen. Dann hatte ich es mit einem Vorarbeiter zu tun, der mir wie üblich nichts richtig erklärte, dem ich es aber auch nie richtig machen konnte. Zugegeben, damals war ich körperlich überfordert. Aber ich habe ihn dann mal angeschrieen, war nicht nett. Er war dann ruhig, hat aber erreicht, dass ich in eine andere Abteilung kam: ein kollegiale Gruppe von 12 Arbeitern, Wechselschicht. Ich hatte Glück und es war eine gute Erfahrung. Ich ließ mir aber auch dort nichts mehr gefallen, weder von den Türken, noch von den Meistern. Nach einem dreiviertel Jahr wurde die erste Abteilung aufgelöst und mein ehemaliger Vorarbeiter kam in meine Gruppe. Jetzt war er der Lehrling. Erzählte von Stalingrad, wo er mit Pickeln die vereiste Erde aufhacken musste, um Leichen zu begraben. Sein Leben nach Stalingrad war wohl nur noch ein Versuch, aus dieser Todeszone heraus zu kommen. Mein Bild von ihm veränderte sich. Später rettete er sich als Pförtner in die Rente.

Mein Ferienarbeiter wird dann später irgendwo in diesem Medienbereich arbeiten, wo dieser Unterhaltungs- und Informationsschrott produziert wird, mit dem uns die Medienmogule unsere Gehirne zumüllen, dass wir nicht zu Sinnen und auf eigene Gedanken kommen. Weil nur passiv und nur arbeitsvermeidend anwesend, wird er mit dem Ergebnis, Arbeit sei schweißtreibend, monoton und laut, in das Leben gehen und seinen Herren danken, davon befreit zu sein.

27.8.08

ARBEITER - ERFAHRUNG

Was ist die spezifische Erfahrung, die die Arbeiterklasse von der bürgerlichen unterscheidet?
Wesentlich die Erfahrung von gesellschaftlicher Unterlegenheit, Ausgegrenztheit und Ohnmacht. „Wir da unten, die da oben“ hieß das einmal. Inzwischen ist diese Erfahrung durch die Individualisierungsprozesse in Schule und Betrieb zu einer Erfahrung von „Ich da unten, Ihr da oben“ geworden. Den Arbeitern wird durch beständige Drohung von Entlassung, durch die Lohnentwertung und die Lohnherabsetzung in Tarifverträgen gezeigt, dass man auf sie verzichten kann. Die, die sich relativ sicher fühlen können, sind es durch die Institutionen des Sozialstaats, Kündigungsschutzgesetzen, tariflichen Regelungen auf quasistaatlichen Ebenen, auf denen Arbeiter nur als Protestmaterial eingesetzt werden, aber keinen aktiven Einfluss nehmen. Die Selbsteinschätzung als gesellschaftlich bedeutungs- und einflusslos teilen die Arbeiter mit den Angestelltenschichten, die anders als die Wortführer der Mittelschicht nicht die Marktflexibilität und materielle Ressourcen besitzen um gegenüber ökonomischen Prozessen souverän zu sein.
Dieser Ohnmachtserfahrung wird gegengesteuert durch Identifikationen, wie sie dem friedensliebenden Gemüt von den bürgerlichen Institutionen dem unglücklichen Individuum angeboten werden: die Phrasen der Marktwirtschaft, über den unvermeidlichen technischen Fortschritt, die Notwendigkeit von Führung und Selektion und die hohe Bedeutung individueller Verantwortung.
Die gesellschaftliche Defiziterfahrung, also die von eigener Minderwertigkeit, Erfahrung von Ablehnung bis hin zur Verachtung, die Erfahrung Incommunicado zu sein, also einer, mit dem man nicht spricht, dem man nur Befehle erteilt, führt zu einer Verarbeitung, zu einer Reaktion. In der Regel ist das der Rückzug aus der Öffentlichkeit, aus dem bürgerlichen Diskurs, auch der Demokratie. Die Erfahrung, dass andere die gleiche teilen, wird durch die bürgerliche Öffentlichkeit und ihre Medien verhindert – ist ja ihre eigene Schuld, ihr Problem, ihr Defizit – und es kommt soweit, dass die minimalen Differenzen zwischen den Arbeitern als Vor- oder Nachteil empfunden werden und die gegenseitige Identifikation und Solidarität verhindern.
Die Versuche, das mit politischem Klassenbewusstsein zu korrigieren, sind durch deren Formen der Elitenbildung und Gewalt unglaubwürdig geworden.
Was bleibt, ist Skepsis, bis hin zu einem negativistischen Ressentiment, gegenüber allen Führern, Politikern und eine stille Weigerung, sich an deren Geschäften zu beteiligen.
Die bürgerliche Pädagogik und Psychologie definieren das als Misserfolgserwartung und negative Einstellung, die durch Passivität und Misstrauen die Resultate mitbewirkt, die sich dann in einer selffulfilling prophecy real einstellen. In diesen Theoremen wird individuellem Handeln unterstellt, es könne die Klassenlage verändern. (Aber von „Klasse“ darf man ja nicht reden, das ist „Ideologie“).

VOM SOZIALEN ZUM PHYSISCHEN TOD

Der Arbeiter erfährt durch diverse Qualifkationsprozesse seinen sozialen Tod. Zuerst hat er in der Schule nachzureden, was ihm vorgesagt wird. Wenn ihm das nicht glückt, wird er nach und nach zu einem, der nicht mehr gefragt wird und nicht mehr gefragt ist. Aus der Öffentlichkeit verschwindet er als Erfolgloser ohnehin, denn die Menschen interessieren sich nicht für die Fehler- und Mangelhaften. Das ist ein natürliches Gesetz der Evolution, einer Parodie des sich ständig revolutionierenden und weiterentwickelnden Kapitalismus. Gefragt ist Pfiffigkeit und Cleverness. Beim körperlich Arbeitenden wird nach und nach seine soziale Existenz überflüssig. Schon vom Chef gegrüßt zu werden, wird rar. Auch die eigenen Kinder merken bald, dass es kompetentere als die eigenen Eltern gibt. Wer noch bei etwas Verstand ist, weiß, dass es zu Geschichte und Sein nicht wirklich Intelligentes zu sagen gibt und das, worauf man als Eigentümer noch die Hand drauf hält, eine vorübergehende Beziehung ist. Als Teil einer Maschine mag man noch andere beeindrucken und das Gefühl von Bedeutung und Nutzen haben, aber sobald dieses Kapitel abgeschlossen ist, verkriechen sich die zu Rentnern gewordenen Arbeiter vollends in die Sprachlosigkeit. Der Körper, der nicht mehr gebraucht wird, zerfällt.
Die Lebenserwartung der gering Verdienenden liegt um 6 bis 10 Jahre niedriger – abhängig von der Klassifikation – gegenüber den besser Verdienenden.
Indem die Geringverdiener früher sterben, erweisen sie den Besserverdienenden einen nützlichen Dienst und subventionieren deren Renten und Pensionen. Die Gesellschaft könnte ihnen zumindest mit einer Plakette auf dem Grabstein danken. „Danke für den frühen Tod. – Der Bundespräsident im Namen der Besserverdienenden.“

SOZIALE ISOLIERUNG
gehört in diesen Zusammenhang. Die Gesellschaft, im aktuellen Fall die über Konsum und Qualifikation kapitalistisch strukturierte, grenzt die potentiell Nutzlosen aus ihrer Kommunikation aus. Da man sie dank Chinesen, Öl und Maschinen nicht mehr braucht, lässt man sie mit Sozialhilfe vergammeln. Das gibt ihnen zu fühlen, wie abhängig, gnädig und wohlwollend sie vom Sozialstaat behandelt werden.
Rebellen, die ihre linke politische Haltung nicht im Zusammenhang bürgerlicher Individualisierungsspielchen, sei es etwa Antifa oder Antideutsch, ausagieren, können sich als aussichtslos, bedeutungslos, negativistisch usw. ohnehin vergessen.

EIN NEUER
Seit einigen Tagen mit einem neuen Mitarbeiter konfrontiert, Ersatz für den Vorarbeiter, klanglos abgegangen ist. Ich nehme es ihm nicht übel.
Ich habe versucht, den Neuen anzusprechen. Wie denn die Arbeit wäre, ob es nicht anstrengend wäre, 8 Stunden lang zu hetzen. Aber er war nur kurz angebunden, er hätte vorher 16 Stunden am Tag gearbeitet, da wäre das keine Kunst. (Gescheiterter Selbständiger?). Und dann hatte er es eilig. Am Abend ergibt sich dann auch keine Gelegenheit mit ihm zu sprechen, weil er erst nach Arbeitsende im Umkleideraum auftaucht und ich dann schon bei der Stempeluhr bin. Auf Pünktlichkeit lege ich Wert. Inzwischen, nachdem ich sehe, wie er hetzt und springt, wie er – wahrscheinlich eingelernt durch den alten Vorarbeiter – die Maschinen unsinnig belädt, habe ich auch kein Interesse mehr, mit ihm viel zu reden. Ich trau ihm nicht. Meine Tage habe ich ohnehin schon gezählt.

Wie soll Solidarität möglich sein?

17.8.08

ver.di – BSIRSKE

Wenn ich schon nicht mehr weiß, wie es politisch weitergehen soll, so lebt in mir doch die alte Lust auf, die linken Institutionen zu kritisieren: Verrat, Betrug etc. Dieses Gefühl – man mag es Ressentiment nennen – und diese Klage, entspricht meinem Naturell und auch meiner defizitären Sozialisation am besten. Ich habe es von meiner Mutter gelernt: „Uns hat man hintangesetzt und wird uns benachteiligen, ein Leben lang. Da kannst Du machen, was Du willst.“ Mit viel Verve habe ich in meinen überpolitischen Jahren diese reaktionäre Resignation bekämpft, die den Fortgang der Verhältnisse durch Tatenlosigkeit unterstützt. Aber ich fühle heute dasselbe Lichtlein in mir glimmen – oder ist es mehr ein kleines schwarzes Loch?
Aber zur Sache: verdi-Chef Bsirske fliegt per Freiflug nach Los Angeles, na ja - Erste Klasse. Als stellvertretender Aufsichtsratvorsitzender der Lufthansa AG kein Problem. Ich reibe mir die Augen. Das wusste ich nicht, das hätte ich nicht mal erwartet. Ein FDPler meint: Das geht doch nicht: Aufsichtsrat und Streikleiter! („Streik“?? War das ein „Streik“? War eine tolle Idee, den Flugverkehr zusammenbrechen zu lassen. Jetzt weiß ich, warum daraus eine so miese Sache geworden ist.) Ich grüble nach und denke, dass es doch nicht Sinn einer Mitbestimmung sein kann, Fliegen auch nur in irgendeiner Form zu unterstützen.
Na klar, was ist ver.di doch für ein Verein: die letzten Tarifabschlüsse, bewirkt durch die Streikaktivität der einfachen Mitglieder und der Arbeiter – die besserverdienende Mehrheit wird man nicht dabei finden – begünstigen mit ihren Prozentklauseln wieder einmal die oberen Ränge, bescheissen die Arbeiter. Zwar wurden die Arbeitszeiten unten gehalten, aber gleichzeitig ein Tarifsystem unterstützt, das Neueinsteiger brutal benachteiligt.
Der marxistische Verstand in mir sagt zwar, dass Gewerkschaften eben Elemente des Kapitalismus sind, aber im gewerkschaftlichen Kampf ist doch mehr drin als (gutes) Überleben im Kapitalismus: Bildung eines politischen Bewusstseins, Kommunikationsorgan von Lohnabhängigen, Demokratisierung betrieblicher Strukturen. Aber Pustekuchen. Mit 14 habe ich als Ferienarbeiter mit Gewerkschaftsblättchen auf der Suche nach etwas Vorwärtsbringenden den Mittagsschlaf vorbereitet – Gewerkschaftsvertreter hatten durch das Austeilen der Zeitung und Einsammeln von Beiträgen noch Präsenz und Gesicht. Beim Studium habe ich noch an die Gewerkschaft geglaubt, lernte aber die professoralen Agenten der Böckler-Stiftung und ihr Beziehungsgeflecht und überflüssige Studien kennen und hatte genug davon. (Eberhard Schmidt ausgenommen). Zwar habe ich viele Jahre Gewerkschaftsbeiträge bezahlt, aber sehe heute keinen Sinn mehr, diesen Verein der Besserverdienenden zu unterstützen.
Was tun? Aussichtslose RGO-Projekte? In die Korruption geraten wie „plakat“? Konkurrierende Gewerkschaften wie in Frankreich, die um einiges mehr erreicht haben?
Ist doch hier alles sinnlos.

12.8.08

Blockade

Ich bin derzeit blockiert, zähle die Tag rückwärts bis zum Ende meines Jobs. Die Überlegungen über Simbabwe nehmen mich derzeit gefangen. Die Art und Weise, wie eine zukunftsfrohe und offene Gesellschaft in nicht vorhersehbare Barbarei zerfällt, ist für mich schockierend. In dem Konflikt dort wird auch etwas über unsere Verhältnisse klar: die Bedeutung der Lohnarbeit in der gesellschaftlichen Entwicklung. Gegenüber der „Barbarei“ der feudalen Verhältnisse scheint sie fortschrittlich zu sein, obwohl sie doch genauso Barbarei impliziert; die Verödung der Welt, die Mechanisierung des Menschen zum Teil einer arbeitsteiligen Maschinerie.
Ein „feudal“ denkender Simbabwer würde sagen: Die Welt ist nicht das Resultat von Arbeit und Intelligenz, sondern ist Natur die angeeignet und erlegt werden will. Der Begriff der „Aneignung“ gehört wesentlich zu dieser Gesellschaft. In der europäischen Geschichte hatte dieser Vorgang eine anderen Namen: Lehen und Gabe. Die Erde ist eine Gabe Gottes, die von Papst und Kaiser weiter geliehen werden. Diese reichen Teile davon als Lehen nach unten weiter. Die Religiösen tun sich noch heute dadurch hervor, dass sie Dankbarkeit betonen. Jede Mahlzeit umschließt ein Dankgebet, aber keinen Dank an den Bauer oder Arbeiter, der sich dafür abgeschuftet hat.
Diese so zustanden gekommenen Eigentumsverhältnisse sind andere als solche durch Arbeit (und dann Tausch). Es kommt zu einer anderen Legitimation; der durch Gewalt, durch Übermacht, auch durch eine politische Machtposition. „Wie kann ein Wahlzettel stärker sein als ein Gewehr?“ fragt Mugabe und da trifft er sich mit Lenin und Carl Schmitt. (Carl Schmitt soll mit seiner „Theorie des Partisanen“ Dutschkes und Krahls Organisationsthesen Pate gestanden haben). In Simbabwe trifft die Bevölkerung, die Lohn verdient und in Marktkategorien denkt, auf den Widerstand der „Traditionalisten“, die nimmt, was da ist, sich um Produktion nicht kümmert – Arbeit ist die Sache von Frauen und Kindern. Recht ist Vorrecht.
In unserer Gesellschaft liegen unterhalb der marktwirtschaftlichen Beziehungen („Bezahlung nach Leistung“) diese feudal-despotischen Bereicherungs- und Ermächtigungsstrukturen, man konnte sie mehr oder weniger offener auch in den „sozialistischen“ Gesellschaftsstrukturen erkennen. Anscheinend haben sich die Herzen der Menschheit nicht von ihrer vorbürgerlichen Strukturiertheit entfernt und neigen zu charismatischen Idealisierungen wie jüngst bei Obama oder brutaler Raffgier wie unter den Nazis oder legalisierter Bereicherung heute, wenn es das Pöstchen erlaubt. Adorno meint glaub ich irgendwo, das moderne Individuum neige dazu - da ständig unter dem Druck von Schuld und aggressiven Trieben – zu zerfallen, sei es unter Alkohol oder einer Identifizierung mit einer starken Masse, so als werde es wieder zurück zu einem „Naturzustand“ gezogen. Das Korrelat einer öffentlichen Barbarei ist der Rückzug der Individuen auf ihr Eigentum, ihr „Selbst“.
Der Kern des „Selbst“ ist aber nicht ein individuelles besitzbares Ding, sondern eine (vorübergehende) Kongruenz von gesellschaftlicher Erwartung und individueller Motivation.

17.7.08

DER GEIER - SIMBABWE

Kafka:
Es war ein Geier, der hackte in meine Füße. Stiefel und Strümpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Füße selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr vorüber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde. »Ich bin ja wehrlos«, sagte ich, »er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn natürlich wegtreiben, versuchte ihn sogar zu würgen, aber ein solches Tier hat große Kräfte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Füße. Nun sind sie schon fast zerrissen.« »Daß Sie sich so quälen lassen«, sagte der Herr, »ein Schuß und der Geier ist erledigt.« »Ist das so?« fragte ich, »und wollen Sie das besorgen?« »Gern«, sagte der Herr, »ich muß nur nach Hause gehn und mein Gewehr holen. Können Sie noch eine halbe Stunde warten?« »Das weiß ich nicht«, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: »Bitte, versuchen Sie es für jeden Fall.« »Gut«, sagte der Herr, »ich werde mich beeilen.« Der Geier hatte während des Gespräches ruhig zugehört und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, daß er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zurück, um genug Schwung zu bekommen und stieß dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zurückfallend fühlte ich befreit, wie er in meinem alle Tiefen füllenden, alle Ufer überfließenden Blut unrettbar ertrank.

SIMBABWE
Die Situation in Simbabwe ruft anscheinend nach militärischer Gewalt. Die Zanu hat alles in ihren Händen: die Armee, die Medien, weite Teile der Ökonomie, des Geldes, die Passivität Südafrikas und anderer Nachbarn, vor allem die Geschichte des Kampfs gegen die weißen Siedler. Was sie braucht: Öl für die Armee, Geld für ihre Ausrüstung. Ihre Shoppingtouren und Extravaganzen kann sich die Zanuelite mit den immer weniger werdenden Exportprodukten finanzieren: Gold, Tabak, andere Rohstoffe. Die Zanumiliz braucht nicht viel: Chibuku und Mbanje, Bier und Marijuana. Lastwagen werden von der Armee gestellt.
Für die Hungernden gibt es Hilfslieferungen aus den weißen imperialistischen Nationen. Wenn die Hälfte stirbt, umso besser, sagt Mutasa, der sich als Christ bekennt, jetzt einer der Drahtzieher der Gewalt gegen die Opposition. Pläne sind aufgetaucht, die MDC ganz zu vernichten. Mugabes Wahlparole hieß: 100% Empowerment - Ermächtigung.
Was sollen die Menschen machen? Auswandern, EXODUS, Gefangenenlager rund um Simbabwe, Mugabe und seinen Kriminellen das Land überlassen?
Mugabe wird von sich und seinen Gegnern als „Marxist“ betrachtet, als Kämpfer gegen „Imperialismus“. Er kombiniert das mit privater Bereicherung, Terror usw. usw. Und es gibt genug „Linke“ – in der Regel ohne Beziehung zu Arbeit und Arbeiterklasse – die ihn als ihren Mann betrachten. Der Feind meiner Feinde ist mein Freund. Abscheulich.
Als Gegner von Mugabe ist man in unguter Gesellschaft: multinationale Farming- und Miningkonzerne, den Machtspielern der USA. Sie reden von Menschenrechten und setzen damit ihren Kapitalismus durch.
Der Irrtum der gut gemeinten „Entwicklungshilfe“ war eine Grundannahme, dass sich ein Verhalten durch ein neues ersetzen lasse. Aber das archaische, despotische oder feudale System, das Mugabe repräsentiert, hat nicht nur politischen Charakter, sondern ist Teil einer Struktur, die alle Lebensbereiche umfasst: die Sprache, die Individuen, die Besitzverhältnisse, die sozialen Normen und Werte, die Ökonomie, die Religionen. Man kann nicht einen Teil verändern, ohne dass die anderen Aspekte betroffen sind. Eine Gesellschaft, die um Einheit, Community, Geselligkeit zentriert ist, kann stramm weder in den Individualisierungskapitalismus noch in eine Art von Sozialismus einmarschieren, der durch individualisierte Besitz- und Arbeitsverhältnisse den Gedanken auf Freiheit und Gleichheit erst möglich macht. Man hat sich wenig Gedanken gemacht, wie eine Gesellschaft funktioniert, wo der Glaube an den Rohrstock und die Gewalt die Gesellschaft mehr durchdringt als unser schwächlicher und doch nur oberflächlicher Glaube an die Vernunft der Individuen, wo es Besitzverhältnisse in unserem Sinne nicht gibt, sondern das Land von chiefs und headmen verteilt wird. Wo die körperliche Unversehrtheit nicht als bürgerliches unveräußerbares Recht gilt, sondern Resultat bestenfalls einer christlichen Einstellung ist. So wie bei der MDC.
Es ist nicht immer sinnvoll, die Sache nur moralisch zu betrachten, etwa in Mugabe nur eine üble Parodie von Hitler zu sehen, sondern „Entwicklung“ – als Alternative zur derzeitigen Barbarei – müsste allererst eine Reflexion der kulturellen Wurzeln, die tief in dem Unbewussten der Individuen verankert sind, und der ökonomischen Notwendigkeiten sein.

Mugabe derzeit im Bündnis mit China, Russland, Chávez und Ahmadinedschad. Lässt sich nur auf deren Korruptheit und Konsumgeilheit hoffen. Und ihre Probleme mit effektiver Arbeit.

Eine Nachricht aus
Zimbabwesituation
"Vier aus der gleichen Familie sind innerhalb von 4 Tagen gestorben. Am Dienstag starb Farai, saß auf einem Felsen neben seinem Grundstück. Er hatte seit Tagen nichts mehr zu essen. Am Donnerstag starb seine Schwägerin – Aids. Am Freitag starb sein Bruder, dann ihre Tante in der Nähe. Die überlebenden zwölf Waisen müssen nun für sich selber sorgen."

1.7.08

SIMABABWE - ÖLKRISE

SIMBABWE, EIN BLICK AUF UNSERE ZUKUNFT?

Einige nicht sehr relevante Überlegungen, die eben nur mich derzeit beschäftigen.
Hat das, was sich in Simbabwe abspielt, eine mehr als regionale Bedeutung? Szenen und Bilder aus Science Fictions tauchen auf: etwa die von Mad Max III, oder in Matmâta (Tattooine) in Star Wars. Doris Lessing in ihren Sufiromanen oder im 5.ten Kind verwendet diese Bilder.
Brutalitäten aller Art.
Wird die Welt nach dem Ölrausch so aussehen?
Dadurch, dass die riesige Warenansammlung beschränkt wird, werden sich soziale Konflikte verschärfen und spezifische Formen je nach Tradition annehmen, je nach Kompensationsmöglichkeiten, tödlich oder nur kriminell.

Was ist spezifisch an Simbabwe?
Die Krise in Simbabwe, seit ca. 95, geht wohl einher mit dem Rückgang der Entwicklungshilfegelder nach dem Ende der Apartheid in Südafrika. Die Ökonomie war an einen Stillstand gekommen, zwei Hoffnungen auf eine wesentliche Verbesserung der Lage haben sich als Täuschung erwiesen: Resettlement und Bildung.
Resettlement scheiterte daran, dass comercial farming ersetzt wurde durch subsistence farming auf Schrebergartenniveau. Die Bauern auf den Resettlementfarmen denken nicht marktbezogen; produzieren für ihr Überleben, den Brautpreis etc., vielleicht noch etwas Überschuss für Schulgebühren, Kochöl etc. Oder in Marxens Kategorien: Gebrauchswerte, nicht Tauschwerte.
Die Bildung orientierte sich an der Oberfläche der weißen Kultur, so wie es die Missionsschulen boten. Die lieferten Qualifikationen für Universitätsabschlüsse, vorwiegend Rechtsanwalt, Kaufmann, Lehrer, vielleicht noch Arzt – kaum Techniker, Handwerker, Farmer. Es fehlt die Vermittlung zwischen High-Tech-Industrie und Subsistencefarming.
Politisch und ökonomisch herrschend ist in dieser „mixed economy“ aber der Weltmarkt. Der bestimmende Bereich der Ökonomie ist Teil des Weltmarkts. Durch ihn werden auf dem Land viele Dinge des täglichen Lebens über dem Subsistenzniveau möglich: Busse, Schulen, Kleidung, Wholesalers, die ihre Produkte anbieten.

Die Gewalt von Seiten der Zanu ist möglich durch die hohe Rate der Arbeitslosen, der an der Bildung gescheiterten. Ihr Ziel ist die ethnische Reinheit, ihr Gegner der zivile Dissident, ihr Traum ein schwarzes Imperium. Gestört wird das durch die Gesetze der weißen Ökonomie, obgleich ihre Waren problemlos integriert werden können. Die Sache ist aussichtslos. Sie werden am Rande der Welt leben. Nicht ohne Vitalität, da sie – im Gegensatz zum modernen Arbeitslosen, Überflüssigen oder Prekären – in einer Gemeinschaft leben.


Inwieweit werden wir in diese Prozesse hineingezogen werden?

- Durch die modernen Medien leben wir in einer Welt. Die Standards unserer Welt beeinflussen auch die „Dritte“ Welt. Nicht nur Grace Mugabe geht in Rom oder Singapur shoppen, sondern tendenziell auch jeder Simbabwer. Es ist kein Problem, die Benzinrechnung eines Angehörigen vom Ausland aus zu bezahlen. Gleichzeitig werden so, ohne es zu wollen, Devisen für die Shoppingtouren der Mugabes beschafft. Der Weltmarkt schafft so allseitige Verantwortlichkeiten.
- Rohstoffe. Gerade plant die AngloAmerican ein Minenprojekt für 400 Mio. Dollar. Platin für die Katalysatoren der Autos, damit unsere Luft schön sauber bleibt.
- Flüchtlinge, die Rede ist von 3 Mio. - vor allem in Südafrika. Die Fußballfans werden sich in Wegschauen üben müssen.
- Die Abwehr der „Barbaren“ barbarisiert das eigene Land. Die moralische Verantwortlichkeit muss verleugnet werden, die Realität ausgeblendet. Definitionen von Gut und Böse, hochwertig und minderwertig sollen die Menschen der Dritten Welt ausgrenzen. Die Caritas wird zum scheinbaren Heilmittel, während man sich gleichzeitig der Rohstoffe bedient, die internationale Gesellschaften herausholen und damit die herrschenden Regimes unterstützen.


DIE ÖLKRISE UND MEINE ILLUSION

Analysiere ich die Ölkrise, sehe die Ereignisse in Zimbabwe und die Zusammenhänge, wird mir bewusst, dass ich einer Illusion aufgesessen bin; der, dass die Ölkrise zu einer gesellschaftlichen Krise führt, die nur durch Entglobalisierung, Dezentralisierung, Produktion auf Grasswurzelniveau gelöst werden kann. Also: Fahrrad, Energiesparen, regionale Produktion und regionale Warendistribution usw.
Das ist ähnlich der alten linken Illusion von der Erneuerung durch die Krise. In Wirklichkeit ist die Gesellschaft genauso so sehr auseinandergefallen in Klassen und Schichten, Hierarchien, genauso wie sie dadurch zusammenhängt und wie die Schichten voneinander abhängig sind; die Sozialarbeiter und die Armen, die Großkonzerne und die Arbeiter, die Intellektuellen und die Angestellten usw.. Es gibt keine Lösung ohne die gesamte Gesellschaft. Das aber wird dazu führen, dass die Krise nur die Klassengesellschaft auf niedrigerem Niveau reproduzieren wird. So wie sich in Zimbabwe die Gesellschaft in der Krise sich auf zwei verschiedenen Niveau reproduziert und neu formiert: die ärmliche Subsistenzwirtschaft auf der einen, die globalisierte Ökonomie der Städter, Flüchtlinge, Händler andererseits und dazwischen die politischen Eliten, die versuchen, möglichst viel ausländische Währung abzusahnen.

Die „Klimakatastrophe“ gibt zwar die Chance einer globalen humanen Politik, aber durchsetzen werden sich Konzepte von Klassen und Nationen, Kontinenten – ein Rennen um Vorteile und Überleben und Aussterben.

Genauso werden in Deutschland die Arbeiter fixiert auf das Kapital die notwendigen Einschränkungen in Kauf nehmen, gegebenenfalls Rad fahren und die Heizung herunterdrehen, aber nicht das Lohnarbeitsverhältnis selber in Frage stellen. Die Übergänge dazu erscheinen manchmal abrupt, wie jetzt beim Steigen des Ölpreis, aber normalerweise verlaufen sie schleichend, wie bei Entwertung der Arbeitskraft durch Inflation, Rentenverlust, Zeitarbeit, Teilzeitbeschäftigung.

Anders gesagt: Eines meiner Zukunftsbilder besteht oder bestand darin, dass die Menschen wie in der Nachkriegszeit oder in Afrika wieder anfangen müssen, sich auf einfachem Niveau zu reproduzieren – Garten, Landwirtschaft, vielleicht Kooperation, gegenseitige Hilfe (wie es bei Kropotkin so schön heißt). Bei Doris Lessing, geprägt durch die misslungenen Farmingversuche ihres Vaters, finden sich diese Bilder.
Daraus wird wohl nichts. Das System ist ein hoch arbeitsteiliger Betrieb. Jeder hat seine Teilfunktion und gleichzeitig immer weniger Anteil am kollektiven Gesamtarbeiter (von dem Krahl geträumt hat), ist auf sich fixiert und immer weniger in der Lage, die gesellschaftlichen Zusammenhänge in sich zu bündeln. Die Zukunft ist Sozialdemokratie, also eine Art „wohl“ geordneter Kapitalismus mit wechselnden Ideologien, mal der liberalen Selbstverantwortung, mal der Sozialfürsorge. Nicht Autonomie und Demokratie.

Was bleibt für linke Intellektuelle übrig, außer „Gute Nacht, Welt!“ zu sagen? Staunend zu begreifen versuchen, was und wie das vor sich geht? In die Theorie zurückfallen und die Ohnmacht der Kritik? Nach den Rissen zu forschen, den Pflänzchen der Autonomie im Beton? Irre werden wie Reich oder Korsch?

24.6.08

„GEGENSTANDPUNKT“

Von einem freien Radio höre ich einen Kommentar der MG („Marxistisch“!!) über Zimbabwe. Antiimperialistische Dümmlichkeiten. Antiimperialismus ist also: Menschen totschlagen, Hände abhacken, Füße, sie verhungern lassen, vergewaltigen.
Zu den Antiimperialisten zählt man wohl auch noch neben Mugabe: Chávez und Castro, Gaddafi. Alles, was die MG uns damit sagt, dass unser System immer noch das Beste ist. Ich verstehe nicht, wie eine „linke“ Site Host für solche Produkte sein kann.
Ein ähnlich dümmlicher Podcast von derselben Site lässt sich über die „Vertriebenen“ aus. - Gleichgültig, ob sie CDU sind oder nicht, haben auch sie ihre Rechte und verdienen, dass ihre Erfahrungen wahrgenommen werden. Als Kind habe ich das Mobbing der „Flüchtlinge“ erlebt. Die „Linke“ scheint nicht darüber hinausgekommen zu sein.

14.6.08

ENERGIE FÜR „MINDERLEISTER“

Seltsam wie in der Linken Entsolidarisierung und Rassismus tief verankert ist. Man muss nur moralisch hoch stehend genug sein – aus irgendwelchen Gründen – oder sich ungerecht genug behandelt darstellen, ist jede Art von Verächtlichkeit erlaubt.
So etwa W. Schmickler in einem satirischen Beitrag über „
Minderleister“, in dem er die neoliberale Kritik an linken Armutskampagnen parodiert:
„Es kann in Deutschland keine Armut geben …Fahren sie mal nach Afrika oder nach Indien oder Russland. Da sehen Sie mal, was richtige Armut ist. Für die Kohle, die hierzulande auch noch der letzte Hartz4Empfänger abgreift, für die setzen sich Tag für Tag Hunderte von Afrikanern in irgendwelche morschen Paddelbootchen und ersaufen jämmerlich im Meer.“
Sein Beitrag war ja ganz lustig und spricht aus dem
linken Herz, aber die Weltsituation zum Maßstab zu nehmen – und eben auch die afrikanische – das kann doch nicht Satire sein. Es wirkt in den obigen Sätzen so, als wollte er ganz und gar von der Hand weisen, was internationaler Standard ist. Standard, nicht durch die Dummheit und Faulheit der Afrikaner oder Inder, sondern durch ihre Übervorteilung auf dem Weltmarkt. Warum sollte ein Weißer eine größere Menge an Öl, CO2Ausstoß und andere Rohstoffe bekommen als ein Schwarzer? Da frisst sich die Minderleisterparodie in ihrem inhärenten Rassismus selber auf.
Es scheint so, dass in der Konsumlinken das Verwertungsprinzip des Kapitalismus, es müsse immer mehr werden, tief verinnerlicht ist - diese historische Illusion. Auch die Illusion, dass es immer eine technische Lösung für alles gäbe.
Na ja, wir sind wohl oder übel auf dem Weltmarkt angekommen, und können nicht so tun, als käme das Erdöl aus der norddeutschen Tiefebene, als wären Warenbewegungen Naturereignisse ohne politische Implikationen, ohne Konsequenzen für den Rest der Menschheit.

Angesichts der steigenden Gaspreise will Gabriel, der gute Onkel von der SPD, „Sozialtarife“ einführen. Also eine Art Verschmutzungsrecht für Arme. Die Konsequenz wäre, dass diese Leute, die ohnehin nichts im Griff haben, da voll ausgeliefert an und abhängig von der konsumistischen Mittelschicht, keinen Grund sähen, ihren ohnehin schon sinnlosen Energieverbrauch einzuschränken. (Ich kann das an meinem Arbeitsplatz jeden Tag beobachten). Sinnvoller der Vorschlag der Grünen
Höhn, bzw. der Verbraucherzentrale NRW, jedem Bürger eine Grundmenge an günstiger Energie bereitzustellen und das was darüber hinausgeht, effektiv zu verteuern. Als Maßstab würde Ich 3 to CO2 für jeden pro Jahr vorschlagen.

29.5.08

Sozialistischer Kapitalismus ? Flassbeck und Co

Im Umfeld der Linken, Albrecht Müller hört man öfter von Flassbeck, Exberater von SPD Regierung. Interessante Meinung etwa: Eine Gesamtwirtschaft kann sich nicht verschulden oder kann nicht sparen. Richtig dabei ist sicher, dass, was auf der einen Seite weggenommen wird, auf der anderen wieder auftaucht. Flassbeck, Müller usw. – eben der linke Keynesianismus glaubt aber, dass bei Belebung der wirtschaftlichen Kreisläufe – etwa durch höhere Löhne, Ausgaben für Konsum sich Kapitalismus, also wirtschaftliches Wachstum beliebig fortsetzen lässt. Läuft das gut gelenkt, ist Vollbeschäftigung möglich.
Soweit ich mich erinnern kann, wird von Marx das Problem im zweiten Band vom Kapital abgehandelt. Es geht um das Verhältnis von Produktion von Konsumgüter und Produktion von Investitionsgüter. Die beiden Abteilungen müssen im Gleichgewicht zueinander stehen. Am Ende ist es egal, von wem die Waren konsumiert werden: der herrschenden Klasse oder verdünnissiert von der arbeitenden Klasse. Je nach politischem Management haben wir dann entweder einen rechten oder linken Kapitalismus.
Marx sah das Problem des Kapitalismus eher darin, dass durch die Konkurrenz bedingt, über steigende organische Zusammensetzung des Kapitals die Profitrate tendenziell fällt. – An sich kein Problem, aber die Spielräume für Extraprofite werden immer enger. Die permanenten Revolutionen der Technik, der Konsumsphäre, der Bewegungen des Kapitals über die Welt, sind Resultat dieses Drucks zur Veränderung. Wo diese Innovationsfähigkeit ihre Grenzen hat, ist schwer zu sagen. Nach und nach werden alle Bereiche des Lebens dem Kapitalverhältnisse unterworfen, in Warenform gebracht, sei es menschliche Zuwendung, Bildung und Kultur oder Religion. Es ließe sich nun etwa hypothetisch annehmen, dass es zu dem Fall käme, dass alle menschlichen Bedürfnisse kapitalistisch befriedigt sind, und es keine Möglichkeit mehr gäbe, neue Produkte einzuführen, oder das Rohstoffe wie etwa Öl zu Ende gingen. Das würde natürlich soziale Krise bedeuten, aber nach den nötigen „Umwälzungen“ – weniger Menschen, ärmeres Leben, andere Verteilung – wäre auch ein Profitschöpfen auf einem primitiveren Niveau wieder möglich. Der Kapitalismus ist nun mal ein System von Verlierern und Gewinnern. Nach einer grandiosen Wertzerstörung wie etwa nach dem Weltkrieg kann das Akkumulations- und Bereicherungsspiel wieder munter von vorne beginnen.
Dennoch halte ich das Flassbecksche Modell von der endlosen Reproduktionsfähigkeit des Kapitalismus für falsch. Er sieht von seinen materiellen Voraussetzungen ab. Das sind einmal die Rohstoffe, andererseits die menschlichen Bedürfnisse, die miteinander in einem sinnvollen Verhältnis zueinander stehen müssen. Eine Verknappung des Öls wird eine Verknappung von Lebensmitteln, Verteuerung von Transport, Einschränkung des Handels und damit der Profitproduktion zur Folge haben – also Arbeitslosigkeit, soziale Krise und Konflikte.
Aber selbst, wenn man von dieser schwindenden materiellen Voraussetzung absieht, ist das nächste Problem einer keynesianisch gesteuerten Vollbeschäftigung die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, welche durch Technik etc. menschliche Arbeit immer mehr überflüssig macht. - Gut, würde Flassbeck jetzt sagen, dann müssen eben neue Bereiche in die Warenproduktion eingegliedert werden. Etwa Pflege alter Menschen, neue Dienstleistungen. Wie wird das finanziert? - Aus dem Mehrwert der profitablen Sektoren. Theoretisch kein Problem, ist eine politische Sache. Theoretisch kann der Mehrwert sogar unter die Arbeiter verteilt werden, der Kapitalismus dann unter scheinbar sozialistischen Bedingungen weitergeführt werden. Hauptsache, die Werterzeugung kann immer mehr ausgeweitet werden. Die profitabel erzeugten Produkte müssen schließlich nicht nur dingliche Güter sein, es können genauso „Dienstleistungen“ sein. Hauptsache, sie können verkauft werden und lassen sich als Mehrwert aneignen.
Obwohl dieses Vollbeschäftigungsmodell prinzipiell erfolgreich sein kann, verändert es doch an der Dominanz des Verwertungszwangs nichts.
Es ließen sich ökonomische Systeme denken wie derzeit am Milchmarkt mit der Milchquote. Das wäre aber ein wirklicher Systemwechsel. Merkwürdig, dass die linke Sozialdemokratie nicht auf dieser Schiene denkt. – Klar, sie hat Angst vor dem Vorwurf der Zwangsbewirtschaftung. Es müsste über Ressourcen und Verteilung diskutiert werden, ökonomische und gesellschaftliche Rationalität.

18.5.08

ZIMBABWE

Die Ereignisse in Zimbabwe schlagen ins Grauenhafte um. Mir zeigen sie die Zukunft der Menschheit. Gangs fallen über Dörfer her, die gegen die Regierung gestimmt haben, brennen Hütten ab, verprügeln die Menschen, schlagen sie tot, mit Stacheldraht, Schraubenzieher, Äxten. Eine Elite - jetzt abgekoppelt von dem globalen Warenstrom - finanziert das, antikoloniale und rassistische Ideologie im Munde. Einer der Initiatoren der Folterkampagne ist Mnangagwa, der sich wohl an seinen Landsleuten für die 1965 erlittene Folter rächt.

Wer Anstand hat, setzt sich für den Boykott der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika und der Olympiade in China ein. Mbeki unterstützt, was in Zimbabwe passiert, China liefert die Munition.

Vielleicht gibt das den deutschen Sympathisanten von China und Südafrika zu denken:
Gibson Nyandoro (Video des Guardian). (Viele Informationen auch hier.)

4.5.08

ILLUSIONEN

Die Generation der Facharbeiter stirbt aus. Sie wäre noch am ehesten der Idee einer an Autonomie orientierten sozialistischen Bewegung näher gekommen. Warum? Sie hat noch soviel Kenntnisse gehabt, mit der sie gesellschaftliche, technische und ökonomische Prozesse durchschauen konnte. Auf eine sehr vereinfachte Weise, aber praktisch orientiert und tendenziell universalistisch. Die eigene Arbeit war ein exemplarisches Modell für andere Vorgänge. So wie es bei einem Projektunterricht als Bildungsprogramm propagiert wird.
Das ist vorbei. Es war noch nie gut angesehen, spießig etc. Der Heimwerker – über ihn macht man sich heute lustig. (Ich gebe zu – manche Typen werkeln übel rum).
Oder der Kleingärtner. Ich bin in so einem Verein. Es stimmt schon; diese Mischung geht auf die Nerven. Ich kann die Ressentiments verstehen. Aber da war doch mehr dahinter: Ein Garten, Maschinen reparieren, zuhause ausbessern, selbst bauen. Diese Leute hatten nicht nur Ahnung von vielen Dingen, sie hatten deswegen auch ein politisches Interesse. Natürlich gezwungenermaßen, weil der Staat ihr Leben für Krieg und Frieden in der Hand hielt.
Was aber heute? Schaue ich mir meine Kollegen am Band an – was haben sie noch drauf? Professionell so gut wie gar nichts, es beschränkt sich auf ein paar Ritualien. Große Freude, wenn sie einen Fehler entdecken. Formal wird die Arbeit so gemacht, dass der Chef nicht klagen kann. Da aber auch er nicht wirklich durchblickt – im Großen Ganzen sind nur die externe Fachleute, Hunderte von Kilometern entfernt, kompetent – kann er an eigener Kompetenz nicht viel weitergeben. Fachlich am Qualifiziertesten ist bei mir der Vorarbeiter, aber er ist zu blöde, um Abläufe wirklich rational zu machen, er befriedigt sich mit Klugscheißereien.
Was also läuft in Wirklichkeit? Es geht um den Lohn. Mit dem kann man was anfangen. Mehr interessiert kaum. Die Menschen sind derart reduziert, dass sie sich nicht mehr dafür interessieren, was sich außerhalb ihres Horizonts abspielt, wollen nichts wissen, wie das, was sie konsumieren, hergestellt wird, welche Leute über ihr Leben bestimmen, welche Alternativen es gibt. Die einzige Alternative ist: mehr haben, fressen, kaufen etc. Keine Ahnung von Ökologie, von Politik, von Ökonomie, von Geschichte. „Eindimensionalität“ hat das Marcuse genannt.
Das Bewusstsein von Ökologie wird allgemein überschätzt. Wie beschrieben, besteht die Schule schon im Technikerbereich in der Hinsicht aus kompletten Trotteln. Ist aber keine Ausnahme, sondern die Regel. In den Zeiten von Privatfernsehen ist die Dummheit zum Allgemeingut geworden, die Tageschau zum Versammlungsort der Bildungselite. Wäre interessant, wie viel Lehrer noch Tageschau anschauen oder Zeitung lesen. Es gibt im Fernsehen eine Fülle von guten Informationssendungen. Aber es ist wie bei den Pisaanalphabeten: ist erstmal ein bestimmter Bildungsschritt nicht gemacht worden, geht der Anschluss, die Bildungsfähigkeit insgesamt verloren.
Wie geht es weiter? Die Vertrottelung wird weitergehen, Leben in Scheinwelten.
Wird die große Krise kommen, ein Ende des Autos, der Fresserei? Die Schichten werden sich abdichten. Die Proleten, jetzt nur noch oral abhängige Fettwanste al la New Orleans, werden mit Apolitik geködert, auf der Basis der asiatischen Sklavenarbeiter. Oder sie werden fallen gelassen, sie verwahrlosen. Das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Partizipation wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Reichen etc. ziehen sich in ihre Konzertpaläste und Villen zurück, in ihre exklusiven Welten.

Wie wird die weitere Entwicklung des Kapitalismus aussehen?
Die Produktion und Distribution wird weiter intelligenter werden, die Tätigkeiten werden weiter differenziert werden. Der Schwerpunkt der Arbeit wird sich von der Produktion ins Marketing verlagern. Es wird eine weitere Entkörperlichung der Arbeit stattfinden, dadurch dass körperliche Arbeit an Maschinen, ausländische Sklaven abgegeben wird. (Auf der anderen Seite dann eine Renaissance des Körpers durch Sport, Styling, Outfit.) Genauso wie die Autonomie des Individuums durch seine Integration in kapitalistische Verwertungsprozesse voranschreitet, genauso wird es parallel dazu eine scheinbare Individualisierung und Differenzierung geben. Die spannende Frage ist, wodurch individuelle Differenzierung und gesellschaftlicher Verwertungszwang außer durch Geld zusammengehalten werden. Dies im produktiven Sektor.
Der in Bezug auf Mehrwert nicht produktive Sektor, also Staat, der seine Einnahmen aus den Steuern bezieht, ist notwendig um soziale Konflikte, bedingt durch das kapitalistische Monopol in der Existenzversorgung, auszugleichen und die Grundlagen der Produktion bereitzustellen. Formal zwar demokratisch, muss er aber die kurzfristigen und egoistischen Teilinteressen der Klassen und Schichten, zu Ungunsten der kapitalistischen Gesamtgesellschaft unterdrücken. Dieses Gesamtinteresse stellt sich als technokratisches Gefüge von Wirtschaftsstimulierung – neoliberal oder keynesianisch – und Sozialarbeitertechnologie dar.

Wo wird es diesem System Konflikte geben? Vermute zunächst:
- Konkurrenz der Arbeit führt zu Lohnsenkungen
- Ende der Ölreserven führt zu einer allgemeinen Verteuerung der Lebenskosten
- Stärkere Verteilungskämpfe auch bei der Umverteilung der Profite untereinander
- Bindung an die Gesellschaft geht und zerfällt über Wachstum und Produkte, läuft über internationale Ausbeutung und Rassismus
- Sozialismus wird nicht möglich sein, da individuelle und gruppengebundene Interessen allgemeine überstimmen; Kampf ist angesagt.
- Alternative ist Nichtkampf, Rückzug, vielleicht genossenschaftliche Lösungen

27.4.08

DISKUSSION ÜBER ARBEITSEMIGRANTEN

MK: Du zeigst Dich in Deinem Blog als Rassist. Hinter diesem Facharbeitersozialismusgerede steckt tiefverwurzelt alter Natiosozialismus. Sozialismus ist dagegen für alle da.
Ich: Also Wurzeln habe ich schon, wer hat keine? Aber etwas zu den Arbeitsemigraten: Sie wurden importiert, um den Arbeitsmarkt für das Kapital kontrollierbar zu machen. Das Kapital setzt auf Internationalismus, wenn es damit politische Begrenzungen im nationalen Rahmen bekämpfen kann. Wie jetzt etwa bei den EU-Verträgen.

MK: Aber die deutsche Arbeiterklasse ist doch nur an einem gut funktionierenden Kapitalismus interessiert und hat kein Interesse an einer Systemveränderung. Für das politische System ist es außerdem gleichgültig, wer die Arbeit macht, Inländer oder Ausländer.
Ich: Das stimmt für den beharrenden Teil, also die Arbeiter, die ihren Horizont auf das Leben in ihrem beruflichen Milieu beschränkt haben, die, die nicht in gesellschaftlichen Bezügen denken, sondern sich auf gegebene Konsummöglichkeiten reduziert haben. Alle nehmen mehr oder weniger bewusst gesellschaftlichen Unterschiede und Ungerechtigkeit wahr. Die einen verarbeiten es politisch, die andere individuell. Das gesellschaftlich vorgegebene und dominante Muster ist das der Mittelschicht; nämlich individuell intelligente Anpassung, Fleiß und Aufstieg. Die Verbreitung politischer Lösungsformen hängt von Resonanz in einer Öffentlichkeit ab. Diese Öffentlichkeit gibt es derzeit nicht. Als nicht materiell und praktisch sich durchsetzende Lösung bleibt eine sozialistische Orientierung nur Bewusstsein, Einstellung aber auch Gerede, Attitüde, individuelle Macke.
Die „linke“ Fantasie vieler Arbeiter bleibt allerdings in einem nationalen Rahmen stecken, sei es als nationaler sozialer Kapitalismus oder als nationaler Sozialismus.
Es ist auch nicht übertrieben, zu behaupten, die deutschen Arbeiter hätten in den Gastarbeitern zunächst weniger eine Konkurrenz gesehen als vielmehr eine Möglichkeit, auf deren Rücken aufzusteigen, die unqualifizierte Arbeit an Billigarbeiter abzugeben. Ich selber habe erfahren, wie deutsche Arbeiter durch die Gastarbeiter automatisch zum Vorarbeiter und Industriemeister aufgestiegen sind.

MK: Marx geht davon aus, dass der Kapitalismus nationale Besonderheiten im Weltmarkt egalisiert und da er international agiert, notwendigerweise international mit ihm umgegangen werden muss.
Ich: Marx geht von der Erfahrung der Internationalität von 1830 und 1848 aus. Aber das waren historische Sonderfälle, bei denen die Arbeiterklasse auch keine führende Rolle gespielt hat. In Wirklichkeit macht dieser hohe Anspruch auf Internationalismus, der über Rhetorik und Demos hinausgeht, den Bewegungsrahmen nur kleiner.
Man muss stattdessen von dem Bezugssystem ausgehen, in dem sich für die Menschen die politischen Prozesse und Entscheidungen abspielen. Das ist der nationale Rahmen.

MK: Das ist doch klassische Sozialdemokratie, am Ende noch mit „Burgfrieden“.
Ich: Der Gedanke einer sozialen Demokratie muss doch nicht schlecht sein. Aber ich glaube nicht, dass die Sozialdemokraten den Bruch mit dem Kapitalismus wirklich wollen.

MK: Heißt das also Krieg am Band mit „Ostarbeitern?“ Das ist doch Rassismus! Du wirst von Ihnen mit Recht als arroganter Deutscher gesehen, der sie bevormunden will. Sie wollen nur so leben wie die anderen Deutschen und nicht wie Du mit Deinem Sparsamkeitszwang!
Ich: Krieg oder Kampagnen wären blödsinnig und asozial. Die Gastarbeiter haben zwar als konkurrierendes Element das Machtverhältnis zu Ungunsten der Arbeiterklasse geschwächt, aber gleichzeitig bei den deutschen Arbeitern – ohne es bewusst zu wollen - systemkonforme Haltungen befördert. Sie selber haben eine Erfahrung von Herabsetzung, Missachtung und Diskriminierung, aber beziehen das nur auf sich, ohne die sozialen Verhältnisse ändern zu wollen. Sie haben Angst, ihre materiellen Grundlagen zu verlieren, denken nicht in Alternativen sondern leben in dem Wunsch, das vorhandene deutsche Niveau zu erreichen. Auto, nicht Fahrrad.

MK: Eine NPD-Parolen lautet: „Volksgemeinschaft statt Globalisierung“.
Die NPD-Klientel entsteht aus dem Bereich der durch Konkurrenz und Globalisierung bedrohten oder ausgeschiedenen Gesellschaftsgruppen. Das nationale Argument ist das letzte, das sie noch für sich in Anspruch nehmen können. Es ist aber ein Skandal, dass nicht alle – ob Leistungsträger oder nicht – einen gesellschaftlichen Platz haben. Die Antifa vermute ich - ich kenn zu wenige - stammt aus dem Mittelschichtsmilieu, ist materiell nicht bedroht, nicht zur Konkurrenz mit Ausländern, Hartz4lern gezwungen.
Sie fühlt sich moralisch überlegen, und ist de facto genauso aggressiv wie ihr Gegner. Sinnvoller, statt gegen die NPD zu marschieren, wäre es, für einen menschlichen Umgang, ein realistisches Selbstbild und realisierbare gesellschaftliche Chancen dieser Klientel zu sorgen und die Institutionen anzugreifen, die Menschen diskriminieren und disqualifizieren: Schule und Betriebe, Gewerkschaften.

MK: Aber die politische Trennlinie besteht heute zwischen Faschisten und Antifaschisten.
Ich: Nein, das sind nur Profilierungskonzepte einer Elite, die kein soziales Programm mehr hat, die ihre „überlegene“ Identität durch eine Abgrenzung gegen moralisch, bildungsmäßige und andere Unterlegenheit konstruiert. Typisch dafür etwa
Storz im Freitag, der zu einem Bündnis von Parteien, Gewerkschaften und Kirchen gegen rechts aufruft, also gerade den Institutionen, die marktgläubig Differenzierung, Konkurrenz und Mittelschichtskultur als Leitbild haben. Wie wäre es, wenn Gewerkschaften Diskussion, Information, gleichwertige Bildungsabschlüsse und Löhne für alle zu ihrem Ziel machen würden und nicht Prozentforderungen, Versicherungsmentalität und Marktanpassung.
Die politische Trennlinie liegt in der politischen Intelligenz selber. Darin ob sie in der Lage ist, kollektive Konzepte wirksam werden zu lassen. Also statt technokratischen Konzepten der Existenz – die im Wesentlichen auf der intelligenten Anpassung an Märkte bestehen – politisierte Existenzformen, die die gesellschaftlichen Implikationen politischer Entscheidungen reflektieren können: Bildung, Tarifverträge, Konsumverhalten und Umgangsformen. Also: Markt oder Demokratie.