9.10.08

WAR MARX EIN GESCHICHTSOPPORTUNIST?

Marx gab bewusst keine Handlungsanweisungen, da er an eine Art naturwüchsiger Entwicklung der Gesellschaft glaubte – auch wenn er politisch immer versucht hat, auf diese Geschichte in interpretierender, politisierender Weise Einfluss zu nehmen.
Was ist aber, wenn sich als Sozialgeschichte nicht eine immer höhere Rationalität im Sinne Hegels, also soziale „Vernunft“ durchsetzt, sondern eben die Macht und Beherrschung der Menschen durch den Wert – weil mit dem Anwachsen der Technik auch die Mittel anwachsen, sich durch Technik die Macht zu erhalten.
Kann man also mit Marxens Kategorien wirklich optimistisch in die Zukunft blicken?
Was gibt seine Analyse her? Triviales vielleicht, etwa dass der Wert alles zerfrisst, alles käuflich, verwertbar und ausbeutbar macht und sich die Menschen in dem Zwang sich vergesellschaften zu müssen dem unterwerfen.
Gibt es eine andere Perspektive als die kapitalistische in Marxens Perspektive?
Eigentlich nicht. - Gut, es gibt Krisenelemente. Die Rebellion des Gebrauchswerts gegen den Tauschwert, die Entwertung des Kapitals durch die Krisen, die materielle Grundlage der Produktion bricht weg, neue Verteilungskämpfe müssen durchgestanden werden. Das klingt ja schon in dem von den Ml´rn gerne gelesenem „Lohn, Preis und Profit“ an, oder in seinen Ausführungen über den 10- oder 8- Stunden Tag. Das meint wohl: der Kapitalismus ist flexibler als man denkt. Da ist einiges drin, ohne dass das System dabei kaputtgeht und die Sozialisten sollen sich darin anstrengen, bis an die Grenzen des Systems zu gehen. Dabei freilich machen sie - ohne es zu wollen – das System immer perfekter. Perfekter in dem Sinne, nicht dass Krisen ausbleiben, sondern dass das System eindimensionaler wird. Derart, dass die Menschen sich nicht einmal fragen, warum sie ein System ändern sollen, in dem es doch allen mehr oder weniger gut geht.

Trotz der Darstellung der Verwertung als ständig krisenhaftem Prozess bleibt schlussendlich – sehen wir jetzt mal von den bei Marx unausgeführten Konzepten der Verelendungstheorie, Imperialismus- oder Zusammenbruchstheorie ab –die Marxsche Theorie doch eine Anpassungstheorie. Der Fortschritt besteht in der besseren Anpassung ans ökonomisch notwendige oder günstige vermittelt durch immer neue Krisen. Die Wirtschaft läuft wie das Wasser der Schwerkraft nach immer dahin, was ökonomisch zweckmäßig ist und man kann dann mit Hegel sagen „Es ist so, wie es ist“. Oder: die Vernunft ist die Wirklichkeit, und dergleichen mehr. Ökonomisch heißt: Rationalisierung, ökonomischer Einsatz von Rohstoffen und Arbeitskraft, Einsatz von Intelligenz, die Schaffung und Ausbeutung neuer Bedürfnisse und Moden, die immer höhere Konzentration, die Monopolbildung, die wachsende Interdependenz der Welt, Weltmarkt, intelligente Konfliktbewältigung oder intelligenter Klassenkampf durch den Staat usw.
Marx hat versucht aus der inneren Logik des Verwertungszwangs und der gesellschaftlichen Antagonismen die zukünftige Entwicklung zu entwickeln. Aber alles, was sich aus seiner Darstellung der Widersprüche ergibt, ist deren vorübergehende Aufhebung auf höherem Niveau, neuerlichen Entwicklung der ursprünglichen Widersprüche und so weiter und so fort. Zwar begleiten Krisen diese Entwicklung, aber jede Krise produziert neue Lösungsmechanismen. Etwa indem heute der Kapitalverwertungsprozess eine immer intensiver werdende Indienstnahme der Individuen, der Natur für die „kalte Vergesellschaftung“ durch das Geld verlangt. (In Zimbabwe lässt sich sehen, wie davon die Existenz oder Nichtexistenz eines ganzen Landes abhängt.) Die Logik des Kapitalismus sieht den Sozialismus nicht vor.
Zu Zeiten der frühen Sozialdemokratie wurde geglaubt, der Weg zum Sozialismus führe über Monopolisierung zum Staatskapitalismus hin zum Staatssozialismus. Und viele Linke sahen die Zwangsbewirtschaftung im ersten Weltkrieg als ersten Schritt zum Sozialismus. Aber diese Art der „mixed economy“ wird immer noch vom Verwertungszwang beherrscht. Ganz abgesehen davon, dass sie fundamental antidemokratisch und antiegalitär ist, wie es ihre Varianten – der Leninismus, der Faschismus und letztlich auch die bürgerliche Demokratie – zeigen.
Am Beispiel von Robert Owen erörtert Marx im ersten Band des Kapitals die Möglichkeiten des Kapitalismus. Owen hatte in seiner Fabrik die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter wesentlich verbessert, etwa 10-Stunden-Arbeitszeit eingeführt. Mit dem Erfolg, dass sich die Produktivität wesentlich erhöht hat. (Darüber hinaus organisierte Owen Genossenschaften und eine auf Arbeitsgeld basierte Warenbörse – nicht unähnlich den Konzepten der
GIK)

Kann man den großen Systemwechsel erwarten? Gibt es nach dem Zusammenbruch und der Barbarei – die es ja weltweit schon gibt, siehe Afrika, Tibet, Birma, Gaza, Irak – etwas historisch Neues, das man Sozialismus nennen könnte?
Derzeit gibt es zwei Logiken. Einmal die der Kapitalverwertung mit dem Zwang zur Mehrwertbildung gleichgültig, wer sich diesen Mehrwert aneignet: Staat, Arbeiter oder Kapitalisten. Und dann einer Option mit sozialen und politischen Vorgaben und Zielstellungen. Beispiel: soziale Gerechtigkeit, Arbeitszeitverkürzung, Ökologie, Bildung, Kultur. Bei den letzten Beispielen wird klar, dass sich eine solche politische Vorgabe nur wieder unter den Bedingungen der Kapitalverwertung durchsetzt. Aber es sind solche außerhalb der Verwertungslogik. Politik, auch wenn davon dominiert, löst sich nicht in Kapitalismus auf.

Peak Oil etwa wird zur Folge haben, dass sich alles verteuert. Bestimmte Branchen werden ganz verschwinden. Nahrungsmittel werden auf Grund von fehlendem Dünger, teurerem Transport teurer und knapper. Löhne werden also sinken, da es weniger zu verteilen gibt. Die Produktion insgesamt wird sinken, da die menschliche oder tierische Arbeitskraft die Ölenergien nicht ersetzen werden können. Eine Depression kann die Folge sein und die wirtschaftliche Spirale wird wieder auf niedrigerem Niveau beginnen müssen. Vielleicht wird sich die Zirkulation reduziert werden, eine Entglobalisierung stattfinden. Vielleicht wird die Wirtschaft mit Inflation in Gang gehalten, mit Hilfe derer die Löhne gesenkt, die Schulden abgebaut werden. Steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise weisen in diese Richtung.
Der Übergang zu einer Nachölwirtschaft und ihre Gestaltung könnte eine politische Angelegenheit sein. Da die Beteiligten bis jetzt zumindest relativ bewusstlos in die Krise hineingehen – kaum vorwärtsweisende Fantasien – und die Sache nicht aktiv angehen, werden ökonomische Kurzschlusshandlungen („Rette sich wer kann“), private Bereicherungslösungen und Überlebensstrategien – „marktadäquates“ Handeln – vorwiegen.
Da die Linke das Problem weitgehend ignoriert, keine eigenen Konzepte entwickelt, werden die Verfechter des Marktes weiter die Zukunft bestimmen. Es wird also keine allgemeinen politischen Lösungen geben. Bestenfalls individuelle Einwände.

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