Mich durch einige Sachen von Bloch durchgelesen. Ich schätze ihn sehr, wie er die Geistesgeschichte nach ihren utopischen Überschüssen durchforscht. Dabei bin ich auf ein Interview über Moral gestoßen. Was wird er sagen, er der einmal Stalin verehrt und hoch gepriesen hat? Aber er enttäuscht. Wieder wird Stalin zitiert: „Der Überbau aktiviert den Unterbau.“ Ausgerechnet Stalin, der – wie H. Weber beschreibt – fast die ganze Arbeiterklasse von 1917 in der Sowjetunion ausgerottet hat. Heißt das, den „Unterbau“ „aktivieren“?
Ich frage mich, welches Verhältnis hatte denn Bloch zum empirischen Arbeiter, er der nach Klappentext „wie kaum ein anderer Autor unserer Zeit die Fähigkeit besitzt, ‚dem Volk aufs Maul zu schauen’“. Ich kann mich erinnern, 1974 – als dieses Interview (s.u.) geführt wurde – habe ich in der Chemieindustrie gearbeitet. Fast keine deutschen Arbeiter haben direkt in der Produktion gearbeitet, sie waren in der Regel Vorarbeiter, Meister usw., beschäftigt mit ihren Familien, Autos und Motorrädern. Die Arbeit wurde von Arbeitsemigranten gemacht – der Multikultikult war die Begleitmusik dazu. Ein Teil der Deutschen war im Kopf geprägt durch die Erlebnisse in Stalingrad, die Vertreibung aus Tschechien usw. Die meisten Arbeitsemigranten waren Türken und dabei, sich wieder zu islamisieren. Ich kann nicht erkennen, dass denen allen irgendeiner aufs Maul geschaut hätte, schon gar nicht Bloch.
Und das war nicht nur 1974 so. Wo spielt die empirische Arbeiterklasse bei Bloch eine Rolle? Die KP als Sprachrohr der Arbeiterklasse? Ich glaube, nicht einmal Bloch hat das geglaubt. Sicher, er befasst sich mit dem Kleinbürgertum und ihren rückwärtsgewandten Ideologien, aber mit den Arbeitern selber?
Jetzt zur Moral. Was sagt er auf die Frage, es gäbe Leute, die sagten die 68-er hätten hauptsächlich moralische Gründe für ihre Politik? Er könnte jetzt diese Kritik materialistisch aufnehmen, in dem Sinne, dass ein Unterschied zwischen Motiven aus materieller Lage und Erfahrung und moralischen Gründen bestehe. Aber nein – das erste ist nach ihm „Ökonomismus“ – und das zweite das scheinbar allein richtige. Denn auch Lenin hätte nur „moralische“ Motive gehabt. Hier hätte man Bloch doch etwas mehr Vertiefung in Nietzsches Kritik der Moral – ohne sie gleich zu akzeptieren – gewünscht, um hinter moralischen Phrasen etwas weniger wertvolle Motive zu vermuten. Wie kommt es, dass viele Teilnehmer der hochmoralischen Studentenbewegung man heute wiederfindet im akademischen Establishment, als Kriegstreiber, in Positionen, wo sie Tausende entlassen usw. usw.? Doch nicht, weil sie damals moralisch waren und heute nicht – sondern weil da in ihnen eine Kontinuität ist, und die Worte nur darüber wegtäuschen wollen.
Und so ist es auch bei Lenin. Er benutzt die Forderungen der Arbeiterklasse (und des Volkes: „Brot und Frieden“), um an die Macht zu gelangen. Eine „Modernisierung“ der SU wird mit allen Mitteln durchgesetzt, Tscheka, Lügen, Verbrechen, Arbeitslager. Hatten die Arbeiter dabei etwas zu sagen? Lenin hat die Grundlagen für das Wirken von Stalin geschaffen. Moralische Grenzen wurden durchbrochen, der Weg für einen gnadenlosen Massenmord freigemacht.
Nietzsche hat Moral auf den Willen zur Macht reduziert und als wahre Natur des Menschen glorifiziert, wie dubios dieser Begriff des Willens zur Macht auch immer sein mag. Aber Bloch mag diese aufdeckende Psychologie nicht. Adorno meinte in dem Zusammenhang einmal, Antipsychologismus wäre eine Eigenschaft der autoritären Persönlichkeit. Psychologie ist ihr deswegen so verhasst, weil sie auf individuelle Motive eingeht, also ein Individuum zulässt, das sich weder mit dem Gesagten noch der Gesellschaft deckt. Warum verweigert Bloch einen Blick auf die unfeinen Hintergründe der Leninschen Moral? Sicher, weil er sich mit dieser „Moral“ identifiziert – diese Moral, die von Revolution, Arbeiterklasse, Sozialismus spricht aber die Selbstherrlichkeit einer anderen Klasse als der der Arbeiterklasse meint. Eine Revolution der Worte also, die sich „moralisch“, d.h. selbstlos und sich aufopfernd für andere, die Gesellschaft usw. darstellen will.
Bloch identifiziert Moral in gewisser Weise mit Selbstlosigkeit, mit Aufopferung für die anderen, für ein gesellschaftlich Gutes – und stellt diese Moral den partikulären Eigeninteressen einer Klasse gegenüber. Die können seiner Meinung nach nur „ökonomische“ sein. Deswegen sein Verweis auf den Ökonomismus. Aber es ist nicht sinnvoll, dieses materielle Interesse dem moralischen entgegenzustellen. Eine materialistische Kritik der Moral würde vielmehr bezwecken, das materielle Interesse anzuerkennen und seine Realisierung in der Gesellschaft in eine balancierte Form zu bringen.
Bloch dagegen setzt der Moral den Nihilismus entgegen. Damit verhält er sich den moralischen Selbstbegründungen (und auch sich selber gegenüber) unkritisch.
Warum aber diese Anlehnung an Stalin und Lenin? Es ist die dem Intellektuellen zu Grunde liegende Erfahrung - und gleichzeitig ihre Verdrängung – gewissermaßen ein „Nichts“ zu sein. Durch Parteilichkeit mit diesen „Kräften“, will er die Bedeutung und Wirksamkeit seiner Gedanken unterstreichen.
Diese „Nichts“ - Erfahrung ernst zu nehmen, sie nicht mit falschen Identifikationen zu überspielen, durchzugehen durch die Depression und den Nihilismus, vielleicht wäre das ehrlicher gewesen, als das schöne Projekt Hoffnung. Vielleicht wäre es auch Anlass gewesen, sich mit dem wirklichen Arbeiter und seiner Situation zu beschäftigen.
„Rosa Luxemburg, Lenin und die Lehren oder Marxismus als Moral“ in: „Gespräche mit Ernst Bloch“, Hrsg. Rainer Traub und Harald Wieser, Ffm 1975.
Ich frage mich, welches Verhältnis hatte denn Bloch zum empirischen Arbeiter, er der nach Klappentext „wie kaum ein anderer Autor unserer Zeit die Fähigkeit besitzt, ‚dem Volk aufs Maul zu schauen’“. Ich kann mich erinnern, 1974 – als dieses Interview (s.u.) geführt wurde – habe ich in der Chemieindustrie gearbeitet. Fast keine deutschen Arbeiter haben direkt in der Produktion gearbeitet, sie waren in der Regel Vorarbeiter, Meister usw., beschäftigt mit ihren Familien, Autos und Motorrädern. Die Arbeit wurde von Arbeitsemigranten gemacht – der Multikultikult war die Begleitmusik dazu. Ein Teil der Deutschen war im Kopf geprägt durch die Erlebnisse in Stalingrad, die Vertreibung aus Tschechien usw. Die meisten Arbeitsemigranten waren Türken und dabei, sich wieder zu islamisieren. Ich kann nicht erkennen, dass denen allen irgendeiner aufs Maul geschaut hätte, schon gar nicht Bloch.
Und das war nicht nur 1974 so. Wo spielt die empirische Arbeiterklasse bei Bloch eine Rolle? Die KP als Sprachrohr der Arbeiterklasse? Ich glaube, nicht einmal Bloch hat das geglaubt. Sicher, er befasst sich mit dem Kleinbürgertum und ihren rückwärtsgewandten Ideologien, aber mit den Arbeitern selber?
Jetzt zur Moral. Was sagt er auf die Frage, es gäbe Leute, die sagten die 68-er hätten hauptsächlich moralische Gründe für ihre Politik? Er könnte jetzt diese Kritik materialistisch aufnehmen, in dem Sinne, dass ein Unterschied zwischen Motiven aus materieller Lage und Erfahrung und moralischen Gründen bestehe. Aber nein – das erste ist nach ihm „Ökonomismus“ – und das zweite das scheinbar allein richtige. Denn auch Lenin hätte nur „moralische“ Motive gehabt. Hier hätte man Bloch doch etwas mehr Vertiefung in Nietzsches Kritik der Moral – ohne sie gleich zu akzeptieren – gewünscht, um hinter moralischen Phrasen etwas weniger wertvolle Motive zu vermuten. Wie kommt es, dass viele Teilnehmer der hochmoralischen Studentenbewegung man heute wiederfindet im akademischen Establishment, als Kriegstreiber, in Positionen, wo sie Tausende entlassen usw. usw.? Doch nicht, weil sie damals moralisch waren und heute nicht – sondern weil da in ihnen eine Kontinuität ist, und die Worte nur darüber wegtäuschen wollen.
Und so ist es auch bei Lenin. Er benutzt die Forderungen der Arbeiterklasse (und des Volkes: „Brot und Frieden“), um an die Macht zu gelangen. Eine „Modernisierung“ der SU wird mit allen Mitteln durchgesetzt, Tscheka, Lügen, Verbrechen, Arbeitslager. Hatten die Arbeiter dabei etwas zu sagen? Lenin hat die Grundlagen für das Wirken von Stalin geschaffen. Moralische Grenzen wurden durchbrochen, der Weg für einen gnadenlosen Massenmord freigemacht.
Nietzsche hat Moral auf den Willen zur Macht reduziert und als wahre Natur des Menschen glorifiziert, wie dubios dieser Begriff des Willens zur Macht auch immer sein mag. Aber Bloch mag diese aufdeckende Psychologie nicht. Adorno meinte in dem Zusammenhang einmal, Antipsychologismus wäre eine Eigenschaft der autoritären Persönlichkeit. Psychologie ist ihr deswegen so verhasst, weil sie auf individuelle Motive eingeht, also ein Individuum zulässt, das sich weder mit dem Gesagten noch der Gesellschaft deckt. Warum verweigert Bloch einen Blick auf die unfeinen Hintergründe der Leninschen Moral? Sicher, weil er sich mit dieser „Moral“ identifiziert – diese Moral, die von Revolution, Arbeiterklasse, Sozialismus spricht aber die Selbstherrlichkeit einer anderen Klasse als der der Arbeiterklasse meint. Eine Revolution der Worte also, die sich „moralisch“, d.h. selbstlos und sich aufopfernd für andere, die Gesellschaft usw. darstellen will.
Bloch identifiziert Moral in gewisser Weise mit Selbstlosigkeit, mit Aufopferung für die anderen, für ein gesellschaftlich Gutes – und stellt diese Moral den partikulären Eigeninteressen einer Klasse gegenüber. Die können seiner Meinung nach nur „ökonomische“ sein. Deswegen sein Verweis auf den Ökonomismus. Aber es ist nicht sinnvoll, dieses materielle Interesse dem moralischen entgegenzustellen. Eine materialistische Kritik der Moral würde vielmehr bezwecken, das materielle Interesse anzuerkennen und seine Realisierung in der Gesellschaft in eine balancierte Form zu bringen.
Bloch dagegen setzt der Moral den Nihilismus entgegen. Damit verhält er sich den moralischen Selbstbegründungen (und auch sich selber gegenüber) unkritisch.
Warum aber diese Anlehnung an Stalin und Lenin? Es ist die dem Intellektuellen zu Grunde liegende Erfahrung - und gleichzeitig ihre Verdrängung – gewissermaßen ein „Nichts“ zu sein. Durch Parteilichkeit mit diesen „Kräften“, will er die Bedeutung und Wirksamkeit seiner Gedanken unterstreichen.
Diese „Nichts“ - Erfahrung ernst zu nehmen, sie nicht mit falschen Identifikationen zu überspielen, durchzugehen durch die Depression und den Nihilismus, vielleicht wäre das ehrlicher gewesen, als das schöne Projekt Hoffnung. Vielleicht wäre es auch Anlass gewesen, sich mit dem wirklichen Arbeiter und seiner Situation zu beschäftigen.
„Rosa Luxemburg, Lenin und die Lehren oder Marxismus als Moral“ in: „Gespräche mit Ernst Bloch“, Hrsg. Rainer Traub und Harald Wieser, Ffm 1975.
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