3.11.06

Noch mal zum Kollegen: heute überlege ich mir wieder, was mich an ihm und anderen stört, und kommen zu einem für mich zunächst befriedigenden Fazit: „Er macht seine Arbeit nicht richtig“, deswegen die allgemeine Ignoranz, die politische Apathie, das soziale Desengagement, der Rückzug aufs Träumen vom Lottoglück , deswegen macht er alles schlampig und ohne Interesse, eben wie ein schlechter Schüler. Und schon bewege ich mich mit solchen Statements im bildungsbürgerlichen Schuledenken von „seine Hausaufgaben machen“, „sich anstrengen“, „Interesse zeigen“ und wie die ganzen Laberphrasen heißen.
Warum mein blöder Affekt, der mich nur als Bildungsbürger demaskiert und solche trostlose Typen am Schluss noch als revolutionär darstellt? Ist dieser Affekt nur bildungsbürgerlich? Oder haben die Bildungsbürger doch Recht? Natürlich mein ganzes Unternehmen ist eine vielleicht bildungsbürgerliche Veranstaltung. Selbsterfahrung am Fließband, zu komisch.
Meine Gedankengänge nach dem „Er macht seine Arbeit nicht richtig“ gingen schon in die Richtung, dass eben der alte gute (deutsche) Facharbeiter noch Perspektiven hatte: Politik, Verein, Selbstverwaltung, Informationen durch Zeitung und Radio - und dass diese ganze Bande von Ausländern, Ostlern in ihrem Opportunismus alles zuschanden reiten.
Mein Affekt ist „blöd“, weil ich auch nicht sagen kann, was sie stattdessen machen sollen. Meinetwegen Konsumverzicht wie ich: kein Auto, politische Interessiertheit und Diskussion (mehr als Ressentiment, das eigentlich nicht verändern will, sondern nur den moralischen Dünkel des Unterlegenen pflegt), Solidarität unter den Arbeitern untereinander, Distanz zu den Herrschenden, ökologisch bewusstes Verhalten, historische Perspektiven, die Bemühung um eine bessere, gerechtere Zukunft (jetzt reicht es aber mit den Phrasen), eben über seinen individuellen Vorteil hinaus denken, sich entwickeln.

In der taz ausnahmsweise ein sehr guter Artikel von Stefan Reinecke über die Unterschicht: http://www.taz.de/pt/2006/11/03/a0168.1/text