15.4.07

06.12.06

Mich am Wochenende mit "Nahtoderfahrungen" beschäftigt. Die Politischen werden jetzt sagen, jetzt haben wir ihn. Man stelle sich einen von der RAF oder MG vor, der sich damit beschäftigt. Ist das nicht kleinbürgerlich? Eine individuelle Chose? Hat sich sich Adorno dazu geäußert? Seit 1966 gibt es im Rundfunk Berichte darüber. Was hat das mit der Arbeiterklasse zu tun? Ist das nicht Eskapismus? Flucht vor dem Kampf? Vertröstung auf ein Leben nach dem Tode? Sollte der Arbeiter nicht zuerst ans Fressen (und immer mehr Fressen) und an Sex denken?
Ich denke Fressen oder sagen wir: gutes Essen und Sex müssen der Idee von einem erfüllten und glücklichen Leben nicht widersprechen. Gerade in den glücklichsten Erfahrungen der Sexualität gibt es einen Hinweis auf die Begrenztheit des menschlichen Lebens, auf ein Glück, das noch größer sein muss als das erreichbare.
Die Arbeiterklasse ist keine Religion. Es ist nur eine historische Existenzform. Es ist auch keine Inkarnation einer dialektischen Seite des Weltgeistes. Es ist nur eine Chance zu einer Wahrheit zu kommen, die Bedeutung von gesellschaftlicher Arbeit und wie diese Gesellschaft in Widerspruch zum Glücksverlangen der Einzelnen steht. Jeder bekommt sein Recht.
Was ist also so schlimm an den Nahtoderfahrungen? Dass die ganze Plackerei, die Frustrationen der Arbeit, keine Bedeutung mehr haben? (Was man natürlich nicht weiß. Es ist nur eine mögliche und beliebte Interpretation).
Religion wird von der linken und so genannten marxistischen Seite nur noch als negativ betrachtet. Obwohl von Marx anfangs noch anders gesehen, einerseits Pfaffenwerk, andererseits Aufschrei der gequälten Kreatur. („Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt“) Etwas böse ließe sich sagen: mit dem Verschwinden der Religion ist auch das menschliche Elend verschwunden und damit der Antrieb für die Revolution. Am intensivsten wird die Religion ja in den südamerikanischen Favelas und im aidszerstörten Afrika betrieben. Das hieße der „Atheismus“ der Arbeiter ist nur Ausdruck ihrer materiellen Saturiertheit. Sie sind ihrem Gott, einem vollen Bauch, schon ganz nahe.

Ich spüre, wie die Realisten, Aktivisten, solche Denkereien als akademisches Schwätzertum ablehnen. Oder andere könnten sagen, ich wäre eben ein notorischer Zweifler, der die die Diskussion und das dialektische Gedankenspiel mehr liebt als Wahrheit oder die zu vollbringende Tat - "Praxis". Es kömmt drauf an, nicht verschieden zu interpretieren, sondern zu verändern. Au waia.

Die Gehirnforschung glaubt sich auf dem Wege - zumindest tut sie so - zu den Grundlagen unseres Ich-Bewusstseins, Seele und dergleichen. Sie glaubt, irgendwann werden sie in irgendwelchen Nervenzellen oder in irgendwelchen chemischen Prozessen das Ich finden. An dem rumzumanipulieren ist ihnen ja schon längst gelungen. Denke da an den Gehirnschrittmacher bei den Parkinsonpatienten. Sie wissen nur nicht, warum das so funktioniert. Aber die ganze Suche ist blödsinnig. Sie werden sicher interessante Details finden, aber das Bewusstsein als solches lässt sich nicht dinglich isolieren. Ich kann nicht genau begründen warum. Aber es hat etwas mit dem ewigen Spiegel zu tun, wir reflektieren immer nur die Wirklichkeit. Aber zwischen Wirklichkeit und Reflexion ist eine Differenz, die sich nie einholen lässt. – Oder noch anders formuliert. Wir begreifen uns in Begriffen, die uns die Gesellschaft schon vorgegeben hat. Wir drücken unser Ichbewusstsein in ihren vorgegebenen Begriffen, Schemata, Rollen usw. aus. Alles (so der Strukturalismus) lässt sich soziologisieren. Trotzdem ist da eine Differenz zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, eine produktive, repressive oder destruktive. Andererseits aber können wir uns nur in diesen vorgegebenen gesellschaftlichen Kategorien begreifen, auch durch die Sinne hindurch, weil wir mit den anderen und der Welt um uns herum identisch sind. Also müsste man Plato Recht geben, wenn er meint, dass alles Erkennen Wiedererkennen ist. Das meint: Bewusstsein ist etwas außer uns, das durch uns hindurchgeht, durch unsere Sinne, unsere Gefühle als Antrieb und Richtunggeber benutzend.
Die Nahtoderfahrungen stellen auch die Rolle des sprachlichen und rationalen Bewusstseins in Frage. Man denke nur an die Macht der Bilder darin, an ihre Attraktivität, ihre hohe komplexe Symbolik und Verbindung von verschiedensten Aussagen und Gefühlen, und schließlich ihr unmittelbar eingängiger, teilweise schon zwingender Gefühlsgehalt. Bilder, wie Träume sprechen das Kreatürliche in uns an, ebenso wie das Animalische. "Kreatürlich" hier in Wortverwandtschaft zur Kreativität und zum Tier.

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