14.4.07

14.2.06

Ein Buch der Irene Dische geschenkt bekommen, gezwungen es zu lesen, muss ich kommentieren:
Unappetitlich der Anfang: abfällige witzelnde Bemerkungen einer Großmutter über ihren toten Mann. „Dass meine Enkeltochter so schwierig ist, hängt vor allem mit Carls geringen Spermiendichte zusammen.“ Wenn man sich zwingt weiterzulesen, kommt dann erst mal eine Familiengeschichte, anscheinend aus der Perspektive der Großmutter Dische, die aber mehr und mehr eine History, sprich Nabelschau der Irene Dische wird. Schon der angeblich schnoddrige Sprachstil dieses von Naumann, Heidenreich, Enzensberger und auch Mattussek hochgelobten Buches - ich werde auf die Adelung durch diesen Kreis zurückkommen - ist unglaubwürdig. Er witzelt in der Art: „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“. Der oberflächlich beschreibende Ton, ohne in die ambivalente Tiefen einer Subjektivität einzugehen, erlaubt es immerhin eine Familiengeschichte zu erzählen, aber da die Ereignisse nur als objektive Fakten dargestellt werden, ohne Innenansicht, verkommen sie immer mehr zu Tratsch und Klatsch, Geschichten eben, die man über sich und seine Angehörigen in einer heiteren Runde erzählt. Vielleicht ist diese Oberflächlichkeit und Unernstheit, die individuelle Gefühle nicht ernst nimmt und zulässt, etwas typisch Katholisches. Ansonsten kann man bis auf Rosenkranz und andere Rituale in großer Not wenig Katholisches erkennen, vergleiche ich das mit dem Katholizismus, wie ich ihn kenne und erlebt habe - und der ist dann gar nicht mehr lustig.
Die Autorin bringt sehr schnell sich ins Spiel und das sehr ausgiebig. Wieder sehen wir sie mit ihren Eskapaden, eine Pubertät mit Exzentritäten und erfolgreichen Spielen zur Erhaltung der Jungfräulichkeit - katholisch? - und es scheint, als wären der Autorin ihr Leben so fremd, dass es egal ist, ob sie oder die Omma das Subjekt der Geschichte ist. Vielleicht kann sie nur tratschen, vielleicht kann sie sich nicht mitteilen. Es ist bedauerlich, es bringt uns in unserem Selbstverständnis nicht weiter. Es lässt uns auch nicht diese Omma verstehen: ihre arrogante, sich anderen überlegen dünkende Art, mag sie auch noch so sympathisch dargestellt werden, entschieden und herrisch im Umgang mit den Nazis. Schließlich ist es das überlegene Auftreten, der Charakterzug, den die Nazis gerne vermittelt hätten, aber nicht konnten, weil er ihnen wie dieser Tante nicht von Geburt aus gegeben war. Man findet diese Herrenart in dem Verhalten der Autorin wieder, etwa wenn sie andere ständig benutzt. Aber es wird bei ihr zum willkürlichen und scheinbar exzentrischen Verhalten ohne politische und gesellschaftliche Reflexion oder Verbindlichkeit. Zwar spielt sie 68 Hippie, aber die Ereignisse in Vietnam bleiben für sie bedeutungslos. Man spielt eben die neuesten Moden mit.
Nicht zu wundern braucht man sich, wenn ihr Enzensberger, Naumann und Spiegel zujubeln. Das ist doch die gleiche bürgerliche Gemengelage, garniert mit ein bisschen Philosemitismus als Legitimation für affirmative bürgerliche Mittelschichtspolitik. Jeder versucht sein Geld zu verdienen, wie asozial auch immer, und darf sich dabei so fühlen als wäre er ein jüdisches Opfer der Nazis; das ist ja die Gründungsideologie der verbürgerlichten Ex-68er.
Gern hätte man mehr erfahren über das subjektive Erleben dieses Kulturbruchs einer katholisierten jüdischen Existenz, da wo sie sich nicht mehr verleugnen und unterdrücken lässt. Gern hätte ich gelesen von einem Verlangen nach einer Gesellschaft, in der man mit einer gebrochenen oder zerbrochenen jüdischen Identität leben kann, ohne dass sie wie die israelische rassistisch wird. Stattdessen wird diese jüdische Genealogie benutzt, um ein literarisches Geschäft zu machen.

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