6.1.09

GAZA

Der Krieg von Israel gegen Gaza löst bei mir Gefühle von Wut und Ohnmacht aus – eine Frase, die ich derzeit zu präzisieren nicht die Gelegenheit habe. In dem Versuch, eine Stellungnahme zu schreiben, die ohnehin kaum jemand liest, stoße ich auf Schwierigkeiten in mir. Die Sache ist moralisch gesehen ganz einfach: Israel ist ein Staat des organisierten Raubmords. Die Araber, die sich ihrer Vertreibung und der Landnahme widersetzen, werden ermordet. Gaza, in der Bevölkerungsdichte Berlin vergleichbar, ist wirtschaftlich nicht autonom lebensfähig. Es ist ein großzügiges Flüchtlingslager. Daraus ein Manhattan, ein Hongkong oder Singapur zu machen, fehlen die Voraussetzungen – wie sie eben überall in der Welt fehlen. Glücklicherweise.
Was aber hält mich auf der einen Seite ab, dazu Stellung zu nehmen, bewegt mich aber auf der anderen Seite, dazu Stellung nehmen zu wollen? Was sich in Palästina ereignet, ist doch dasselbe, was auch an der Arbeiterklasse bei der ursprünglichen Akkumulation vollzogen worden ist, was sich bei den kolonisierten Völkern abgespielt hat und noch heute, wo Menschen mit Gewalt oder Tricks vertrieben werden.
Der Unterschied bei Gaza liegt in dem antisemitischen „Komplex“, in dem wir uns bewegen. Wie kommt es, dass die deutsche Elite proisraelisch ist, bestenfalls von Frieden faselt? Ist es ihre instinktive Verbundenheit mit Klassenherrschaft, die in abgewandelter Form im Nahen Osten praktiziert wird? Sicher. Aber während andere europäische Regierungen immer noch etwas Distanz waren – die ekelhaften Umarmungen der EU-Repräsentanten mit Livni vergess ich mal –so zeigt sich doch Merkel mit ihrer Schuldzuschreibung an Hamas scheinbar gnadenlos blöd. 20 Tote durch die Kassamraketen, 1200 durch die Israelis in der gleichen Zeit. Das zu übersehen, ist durch mehr bedingt als durch Klasseninstinkt oder Zynismus.
Ich entdecke in mir, wenn ich gegen diesen Block anschreibe, die Angst, als Antisemit denunziert zu werden. Es ist so. dass jeder, der hier in Deutschland nicht proisraelisch ist, als potentieller Nachfolger der Nazis behandelt werden kann. Diese Schuld, die sich die Deutschen aufgeladen hat, zwingt zu Verdrängung oder zur Distanzierung. Die nachfolgende Generation hat anscheinend nur die Chance zu demonstrieren: „Nein, wir hassen die Juden nicht, wir fürchten sie nicht, wir lieben und verehren sie.“ In meiner Jugendzeit war ein Autor für mich allein durch sein Judentum interessanter, verehrenswerter. Nicht immer, dass ich vorher darum wusste. Es ergab sich auf Grund des speziellen Ambiente der jüdischen Literatur und Philosophie: das Individuum in einem kritischen und gebrochenen Verhältnis zu seiner sozialen Umgebung. Und so schätzte ich hoch ein: Freud, Neumann, Parin, Adorno, Horkheimer, Marcuse, Marx, Kafka, Döblin, Zweig, Mahler usw. usw.
Es war also nicht nur dieser geheime Versuch, sich der Schuldfrage zu entledigen, was mich in diese Richtung führte, sondern auch ein ähnliches Lebensgefühl. Damals war ich aus der mir bis dahin eminent wichtigen Religion ausgetreten und befand mich in einer kulturell isolierten Lage.
Heute denke ich, dass ich falschen Vorbildern aufgehockt bin. Die realen Probleme der Arbeiterklasse, beschreibbar durch Klassengesellschaft, Demütigung in Arbeit, gesellschaftliche Beherrschung durch Marktkapitalismus, Medien und Intelligenz, und wie sie sich daraus lösen kann, werden durch sie nicht gelöst. Ihre Methode ist die individuelle Emanzipation, etwas, was einer Arbeiterklasse insgesamt nicht möglich ist, eine bürgerliche Sackgasse.
Das andere Problem der Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld besteht darin, dass der Faschismus, dem ja auch ein Teil der Arbeiterklasse folgte, nicht nur eine moralisch zu beseitigende Erscheinung ist, sondern es gilt, seine berechtigten Ursachen zu begreifen - also die Bedeutung der Gemeinschaft und Gesellschaft für das individuelle Handeln.

Wie kommt es nun, dass eine Kritik Israels in Verbindung mit diesem Schuldkomplex eine solche Angst erzeugt? Die psychoanalytischen Antisemitismustheorien verankern diese Angst im Unbewussten. Auf die Juden wird die eigene Aggression projiziert und kehrt als Gefahrenangst wieder ins Bewusstsein. Aber ich denke, dass diese „Realangst“, in der die Juden Kindermörder, Brunnenvergifter usw. sind, immer eine durchsichtig demagogisch geschürte war.
Wenn ich vor den Juden Angst habe, dann im Zusammenhang mit dem Holocaust. Dieser verlangt Rache und Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeit durch Gericht ist nicht möglich, teilweise weil die Massenmörder entkommen sind, die Schuldfrage nicht klärbar ist, ein Mord nie gesühnt werden kann. Es der Gerechtigkeit eines Gottes zu überlassen, bleibt real folgenlos. Sühne und Rache wie auch immer stehen noch aus.
Der Kalte Krieg hat die Fantasie der Auslöschung Deutschlands enthalten. Das wäre eine adäquate Rache gewesen. Seit 1989 hat sich die Situation verändert. Die Rache muss eine andere Richtung annehmen. Jetzt tritt der Plan von Großisrael in Kraft; die allmähliche Einverleibung von Syrien, Jordanien, Libanon, zuerst durch die Armee, dann durch Siedler, dann endgültige Annektion. Die Friedensabkommen haben nur das Ziel, die Weltöffentlichkeit zu täuschen und Waffen vom Westen zu bekommen. Nützliche Idioten wie Merkel usw.spielen brav mit. Die auf dem Gebiet lebenden Palästinenser werden in Ghettos untergebracht, schändlicherweise - so die Meinung von Antideutschen – am Leben gehalten von UNO.
Was kommt nach Großisrael? Die Rachsucht verselbständigt sich und wird nie ein Ende finden. Auch wenn sich die mehrfache Zahl von Deutschen zu den Toten von Auschwitz legt.
Ein Hauptmoment in der Konstruktion des Antisemitismus spielt die Übernahme der christlichen Religion durch den Westen. Weniger weil das paulinische Christentum, als was es sich durchgesetzt hat, selber antijüdisch war („die Synagoge des Satans“), sondern weil es das in ihm enthaltene jüdische Erbe verraten hat. Nicht nur dass der jüdische Gott allein der des Volkes Israel, seines auserwählten Volkes, war und sonst keines anderen. Es war – jeder Christ muss das wissen – die Intention von Jesus, nicht ein Jota des jüdischen „Gesetzes“ zu verändern.
So hat sich der Westen eine Religion angeeignet, die er sich vorher aufklärerisch vernünftig zurechtgelegt hat – dazu bieten die Evangelien ja viel Material. Aber er hat sich bei der „Bekehrung“ nicht von dem gefährlichen und dogmatischen Kern der jüdischen Religion trennen können: der Auserwähltheit, der Rachsucht, den Dogmen, dem Opfer, dem Antihumanismus. Diese Bestandteile kehren als Antisemitismus wieder.
Es sind gerade die Juden, die sich von ihrer Religion getrennt haben, die etwa wie Freud einen neuen Humanismus begründet haben, die den Schritt aus der Gewissheit und Geborgenheit der Ethnie in eine neue Welt gegangen sind. Dass ihr Modell für die Weltpolitik folgenlos blieb, dass sich solche Monster ausbreiten können, hätten sie nicht erwartet, außer im Spiel der Fantasie und der Alpträume.

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