10.7.09

Obszöne Geste

Michael Jackson streicht sich zwischen den Beinen. Was will er zeigen? Dass er sein Geschlechtsteil gerne hat, auf es aufmerksam machen will? Will er sexuelle Tabus brechen? Will er zeigen, dass er ein sexuelles Wesen ist? Ist es eine provokative Geste gegen die Infantilisierung seiner Person als Wunderkind? Will er sich von seiner Kindheit Kind absetzen? Ganz klar sein musikalischer Bruch zum Soul, Gospel und Rhythm & Blues seiner Kindheit?
Oder – wahrscheinlicher – ist es eine Geste, die etwas durch die Aufmerksamkeit der Fans real machen soll, was in der Selbstwahrnehmung gar nicht real ist. Irreal durch Schuldgefühle, unbewusste Selbsterfahrung eines zerstückelten und verunstalteten Körpers - klassische Kastrationsfantasie. Das Motiv des Exhibitionismus ist die Wiederzusammensetzung des kastrierten und verunstalteten Körpers durch das Auge des Beobachters. Etwa so: „Der andere sieht mich so, also bin ich so.“
Ebenso wie Michael Jackson de facto als Megastar bejubelt wird, aber sich gleichzeitig in seinen eigenen Augen als minderwertig fühlt, alles tut um sich zu perfektionieren, um am Ende bei der Verunstaltung anzukommen, von der er loskommen wollte.
1969 bei der Sprengung von Adornos Vorlesung – Krahl hatte sich zuvor im Abstraktionsgrad der freien Gegenrede über „Praxis“ als seinem Meister ebenbürtig erwiesen – zielte der Anführer der „Busenattacke“ – später gründete er ein Marktforschungsinstitut, das Reklamesprüche für Zigaretten- und Kaffeekonzerne entwarf – einem, der dagegen argumentierte, in dessen Weichteile, um von der Kastrationsangst zu reden, die man überwinden müsse und die der, der dümmlicherweise die Autorität Adornos verehre, immer noch habe. Frei nach dem Mauermotto, an dem ich täglich vorbeiging: „Lest Wilhelm Reich und handelt danach.“ Also „handeln“ meinte, irgendwas tun, Sex oder Sprengung von Vorlesungen, und dann wird alles gut.
Der oberflächliche Aktionismus war freilich nicht mehr als Geste, die Dominanzverhältnisse demonstrieren wollte. Ein junger Bock zeigte seine sexuelle Überlegenheit gegenüber dem alten Bock. Die Frauen waren Opfer bei beiden. Eine bekehrte sich in die Lehranalyse, eine andere versank in Schuld- und Schamgefühlen. Am Lauf der Dinge hat es nichts geändert, war vielmehr Lauf der Dinge. Bei „Freuds Totem und Tabu“ tötet die homosexuell verschworene Bruderhorde den Vater, verspeist ihn und baut damit in sich das kulturelle notwendige Schuldgefühl auf.
Das sexuelle Argument hat innerhalb der Konkurrenzgesellschaft einen aggressiv demütigenden Charakter und hatte damals ganz und gar nichts mit Aufklärung oder Emanzipation zu tun. Jenseits von Beziehung, Diskurs, Verständigung, Gefühlsausdruck, Katharsis und Versöhnung.

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