17.5.09

Kleiner Tyrann

In der Bahn beobachte ich eine Frau mit ihren zwei Kindern, einem etwa vierjährigen Jungen und ein 7 Jahre altes Mädchen. Es handelt sich wohl um eine Marrokanerin aus Marrkesch auf dem Weg von Frankreich nach Spanien. Sie ist ohne Kopftuch etc., voll geschminkt, mit Handy, die Augen sofort am Monitor, wo „Inside Man“ abgespielt wird, spricht laut und ungehemmt arabisch. Doch entspricht sie ganz dem arabischen Muttertyp: immer besorgt um ihre Kinder, ohne begleitenden Mann, schon in jungen Jahren in die Breite gegangen. Es ist viel Bewegung um sie. Zu Recht beansprucht sie den nichtgebuchten Viererplatz mit Tisch. Die Kinder bewegen sich ungehemmt in alle Richtungen. Dann wird es sehr laut. Der Kleine will etwas und fängt laut zu plärren an, weil er das Gleiche wie seine Schwester will. Er bekommt es. So setzt er mehr und mehr durch. Zuerst sind es die Süßigkeiten, die die Mutter bei sich führt, dann muss sie in die Bar, um Cola zu besorgen, dann muss sie auf einer Station Überraschungseier kaufen – die Überraschung landet schnell auf dem Boden. Dann holt sich der Junge die herumliegenden Kopfhörer für die Bahnfahrer und zerreißt sie, schmeißt sie auf den Boden. Immer mit freudig-kindlichem Blick zur Mutter. Die sagt nichts. Marsriegel sind dran, dann Pipas, dann Popcorn. Nee von den mitgeführten belegten Brötchen will er nichts. Er reißt zurückgelassene Zeitungen usw. aus den Netzen und schmeißt sie auf den Boden.
Die Schwester bemüht sich während dessen um die Bildung ihres Bruders. Er darf französische Grammatikübungen nachsprechen. Sie will wohl Lehrerin werden. Der Kleine ist aber immun. Er benimmt sich wie er will. Im Gegensatz zu seiner Schwester, die sich zurückhält, immer die Augen aufmerksam auf die Mutter gerichtet. Doch bei irgendeinem Moment muss sie wohl ein falsches Wort gesagt haben. Denn die Mutter schimpft jetzt laut auf sie ein, drohend und eindringlich erklärt sie ihr Gut und Böse. Kneift sie dabei immer wieder in die Backe, bis auch sie zu schreien anfängt. Währenddessen liegt der Junge mit Schuhen auf dem Tisch, in keiner Weise betroffen und hüpft dann munter auf den Sitzen herum.
Als sich jemand einmischt und den Jungen zurechtweist, kniet sich die Mutter auf den Boden, um den ganzen Dreck einzusammeln, den er verursacht hat. Dann gibt sie den Kindern spanische Kommandos, sie sollten sich setzen und ruhig sein. Merkwürdigerweise ist die erste Intervention gegenüber dem Jungen in einer Fremdsprache. In Marrakesch gibt es dafür vielleicht nicht einmal eine Sprache.
? Die Frau arbeitet vielleicht als Putzfrau in einem spanischen Hotel. Ihr Ziel ist nur, besser zu leben als im ärmlichen Marrakesch. Trotzdem ist vieles an der Sache faul: Sie erzieht einen Terroristen, sie verrät ihre Landeskultur und ist nicht in der Lage, sich mit der europäischen mehr als äußerlich und oberflächlich zu verständigen. Die einzige Gemeinsamkeit wird die globalisierte konsumistische Kultur sein, Handy und Cola – und die Lohnarbeit unter allen Bedingungen. Der Junge wird sich entsprechend seiner Kultur davon nicht angesprochen fühlen und die Integration in diese „Arbeitswelt“ verweigern, wird wohl versuchen, von der Ausbeutung und Demütigung anderer zu leben.
Ich wüsste nicht, wie unter solchen Voraussetzungen ein solidarisches und gerechtes Zusammenleben möglich sein soll.

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