15.10.08

URSACHEN DER FINANZKRISE

  1. Übergreifender Grund liegt in der Wertabstraktion durch das Geld. Dabei wird die gesellschaftliche Arbeit als abstrakte Größe dargestellt, die ihre Beziehung zur Produktion nicht mehr erkennen lässt. Als Geldfetisch scheint es unabhängig über der Produktion von Waren zu schweben, ja diese sogar als Verwertungsstimulus zu dominieren und in Gang zu setzen. Finanzsystem und produktiver Sektor scheinen auseinander zu fallen, sich verselbständigen zu können. In den Krisen, nämlich dann wenn Geld nicht wieder in Ware, also reelle Gebrauchswerte, umgetauscht werden soll, bricht der Schein des Geldfetischs zusammen. Auch der Schein, dass das Geld durch den Zins selbst produktiv sein könne.
    Ursachen der jetzigen Krise sind mehrere:
  2. - es gibt zuviel Liquidität durch: überteuerte Produkte, hohe Gewinne, mangelnde Konkurrenz, Monopole, Managergehälter, Gelder durch Ölgewinne ohne Produktion, Kapitalisierung der Renten und Pensionen –
    - dann auf dem Finanzmarkt durch Derivatsysteme aufgeblähte Geldmenge, aufgeblähter Geldverleih ohne adäquate reale Gegenleistung in der Gegenwart.
    - das Derivatsystem verschiebt die Produktionsverpflichtung, die durch die Verschuldung eingegangen wird, immer mehr in die Zukunft, der Gewinn eilt sozusagen der Zeit voraus. Durch die Optionen auf langfristig erwartbare Profite, Wetten auf die Zukunft wird scheinbar die Zirkulation beschleunigt, aber ohne dass der Umschlag im produktiven Sektor genauso schnell erfolgt.
    - wachsende Liquidität durch zu niedrige Zinsen. In den USA sollten die niedrigen Zinsen die Konjunktur beleben, die Klassen- und Einkommensunterschiede verschleiern. Weltweit gibt es infolge der keynesianischen Politik eine Verschuldung ganzer Volkswirtschaften. Die USA betreiben diese keynesianische Politik mit ihren Kriegen. Die dadurch verursachte Verschuldung muss jetzt international bezahlt werden.
    - im Verhältnis zur angewachsenen Liquidität gibt es nicht genügend profitable Anlagemöglichkeiten in der Produktion, hier wirkt der tendenzielle Fall der Profitrate
    - steigende Energiekosten schränken die Profitabilität der Produktion ein, die erwarteten Zinsen können nicht realisiert werden, peak oil macht sich bemerkbar
    - genauso schränken steigende Sozialkosten die Profite ein, erhöhen die Kosten der Produktion. Sozialkosten werden verursacht durch Arbeitslosigkeit, Krankheitssektor, Erziehung und Bildung, Rente und Pflege. Dazu gehören auch die Kosten einer teuren Mittelklasse, die notwendig ist, um zwischen herrschender und arbeitender Klasse zu vermitteln, eine Scheinwelt des Individualismus vorzuspielen, den Schein von Demokratie, die Aufrechterhaltung von bürgerlichen Motivationen und Orientierungen.
  3. Eine permanente Inflation bedingt durch Staatsverschuldung (deficit spending) zwingt zur ständigen Suchen nach profitablen Anlagen. Eine grundlegende ökonomische Unsicherheit für alle Schichten bewirkt einen Hang nach Sicherheit: Sparen für die Zukunft. Diese Sparsamkeit zerreißt aber gerade den Zusammenhang zwischen Produktion und Konsumtion, zwischen Geld und Ware. Ökonomien, die wie ökologisch auch immer brutal destruktiv oder nachhaltig, den Kreislauf zwischen Produktion und Konsumtion kurz halten, sind weniger gefährdet. In Spanien etwa wird wenig gespart, die Hypothekenlast ist immens. Der Zustand ist (sehr!) labil, aber solange die Menschen arbeiten und ackern, um ihre Schulden zu bedienen, boomt die Wirtschaft. Die Verschuldung ist ein notwendiger Stimulus der kapitalistischen Wirtschaft und wirkt politischer effizienter als Normenerhöhung, Jahrespläne, Zwangsbewirtschaftung wie in den ehemals „sozialistischen“ Ländern. Die Individuen dürfen von einem kleinen Vorteil träumen und spüren nicht, wie sie durch den Verwertungszwang des Kapitals angepeitscht werden.


Welche Lösungen gibt es für die Kreditkrise?
- Kapitalistische und kurzfristige wirkende staatliche Intervention:
Geldmengen mit Warenmengen durch Staatsverschuldung, also Inflation und höhere Steuern, in Übereinstimmung bringen. Abzahlen der faulen Kredite und Gewinne durch die Arbeiterklasse. Der Kapitalismus wird sich auf einem primitiveren Lebensniveau reproduzieren. Die Aneignung von Mehrwert und die Klassenverhältnisse werden wie auch immer krisenhaft fortgesetzt.

- Staatskapitalistische und staatssozialistische Lösungen
Begrenzung der Liquidität durch Begrenzung von Gewinnen und Spitzengehältern, Kontrolle der Gewinne aus dem Energiehandel.
Regulierung der Konvertibilität, Abkoppelung von Öl und internationalen Märkten (Integration nur bei möglicher sozialer Kontrolle der Märkte).
Sicherung der Zukunftserwartungen bei Renten durch Grundeinkommen und Arbeitsgarantie statt durch Konsumzurückhaltung und Sparen.
Disproportionalitäten zwischen Sektoren verhindern: produktiv – konsumtiv, „sozial“ – produktiv etwa Arbeitszeitverteilung, Abbau der Mittelklasse durch Bildung, „demokratische“ Betriebsstrukturen, Beteiligung durch Politisierung, integrierende Erziehung statt selektierender und desintegrierender.

- Sozialistische:
Sind eigentlich keine absehbar. Es gibt keine autonomen Produktions- und Lebensgenossenschaften. Sie bleiben Gedankenmodelle, sind bestenfalls im Randbereich von Kommunen, Sekten, im privaten Bereich (Gärtnern, nachhaltiges Wirtschaften, ökologisches Verkehrs- und Verbraucherverhalten) als mehr oder weniger fantasiegebundene Spielchen möglich.
Weiterhin mögliche bleibt eine moralische Kritik, die sich an Kriterien einer Basisdemokratie, des Werts der Arbeit, der Ökologie orientiert, die aufklärt über die Beziehungen zwischen Ressourcen, Bedürfnissen und kapitalistischer Produktion.

Ganz groß tönt jetzt Kurz; er hat es ja immer schon gewusst. Um Alternativen braucht er sich nicht zu bemühen. Angesichts der Aussichtslosigkeit, dass Alternativen jenseits von Kapitalismus überhaupt andiskutiert werden, ist das ja nicht unclever. Er würde sich ja selber sofort schwach und angreifbar zeigen, würde er wie auch immer leise einen Vorschlag machen. Das ist aber das Problem der Marxisten: sie wollen genauso unangreifbar und stark aussehen wie die herrschende Meute. Sie sind eben durch und durch bürgerlich. Von ihnen ist nichts zu erwarten. Kein Wunder, dass die Diskutanten dann abdrehen mit dem Gedanken, dass aus der Ecke auch nichts zu erwarten ist. – Wenn Kurz sagt:

„Erforderlich wäre eine autonome soziale
Gegenbewegung jenseits des nationalen Rahmens, die sich die Lebensinteressen
nicht von den Krisenverwaltern ausreden lässt, und die jede soziale,
geschlechtliche, ethnische oder "rassische" Ausgrenzung radikal negiert.“
(
Telepolis)

so ist das so nichtssagend wie die Predigt eines Pfarrers über Gnade und Heilserwartung. Und wie in der Kirche mündet es in eine gläubige Gemeinde, die brav Sprüche nachbetet und sich um praktische Konsequenzen nicht mehr kümmert. Die einzige Praxis, die daraus folgt, ist zur Gemeinde dazuzugehören oder nicht. Das wurde ja bei den diversen linken Parteien in aller Brutalität durchgespielt.
Falsch halte ich ohnehin, dass eine Krise den Kapitalismus allein zerbrechen kann. Er wird sich auf einem einfachen Niveau wieder reproduzieren. Wie nach dem zweiten Weltkrieg. Zwar mögen die Leute hungern, aber das wird sie motivieren, umso mehr zu schuften. Ohne Öl wird es wieder genug Arbeit geben und damit profitable Anlagemöglichkeiten. Man kann einwenden, dass das politische System an die Garantie eines gewissen Wohlstandsniveau gebunden ist und wenn das nicht erreicht wird, ein Umdenken stattfindet – so wie jetzt die Forderung nach Verstaatlichung der Banken überhaupt nicht mehr lächerlich ist. Aber auch wenn die Mittelklasse – Politiker, Journalisten, Kultureliten etc. – umdenkt, um sich als führende Klasse zu erhalten, so werden auch in einem Staatskapitalismus die Klassenverhältnisse als solche erhalten bleiben

9.10.08

WAR MARX EIN GESCHICHTSOPPORTUNIST?

Marx gab bewusst keine Handlungsanweisungen, da er an eine Art naturwüchsiger Entwicklung der Gesellschaft glaubte – auch wenn er politisch immer versucht hat, auf diese Geschichte in interpretierender, politisierender Weise Einfluss zu nehmen.
Was ist aber, wenn sich als Sozialgeschichte nicht eine immer höhere Rationalität im Sinne Hegels, also soziale „Vernunft“ durchsetzt, sondern eben die Macht und Beherrschung der Menschen durch den Wert – weil mit dem Anwachsen der Technik auch die Mittel anwachsen, sich durch Technik die Macht zu erhalten.
Kann man also mit Marxens Kategorien wirklich optimistisch in die Zukunft blicken?
Was gibt seine Analyse her? Triviales vielleicht, etwa dass der Wert alles zerfrisst, alles käuflich, verwertbar und ausbeutbar macht und sich die Menschen in dem Zwang sich vergesellschaften zu müssen dem unterwerfen.
Gibt es eine andere Perspektive als die kapitalistische in Marxens Perspektive?
Eigentlich nicht. - Gut, es gibt Krisenelemente. Die Rebellion des Gebrauchswerts gegen den Tauschwert, die Entwertung des Kapitals durch die Krisen, die materielle Grundlage der Produktion bricht weg, neue Verteilungskämpfe müssen durchgestanden werden. Das klingt ja schon in dem von den Ml´rn gerne gelesenem „Lohn, Preis und Profit“ an, oder in seinen Ausführungen über den 10- oder 8- Stunden Tag. Das meint wohl: der Kapitalismus ist flexibler als man denkt. Da ist einiges drin, ohne dass das System dabei kaputtgeht und die Sozialisten sollen sich darin anstrengen, bis an die Grenzen des Systems zu gehen. Dabei freilich machen sie - ohne es zu wollen – das System immer perfekter. Perfekter in dem Sinne, nicht dass Krisen ausbleiben, sondern dass das System eindimensionaler wird. Derart, dass die Menschen sich nicht einmal fragen, warum sie ein System ändern sollen, in dem es doch allen mehr oder weniger gut geht.

Trotz der Darstellung der Verwertung als ständig krisenhaftem Prozess bleibt schlussendlich – sehen wir jetzt mal von den bei Marx unausgeführten Konzepten der Verelendungstheorie, Imperialismus- oder Zusammenbruchstheorie ab –die Marxsche Theorie doch eine Anpassungstheorie. Der Fortschritt besteht in der besseren Anpassung ans ökonomisch notwendige oder günstige vermittelt durch immer neue Krisen. Die Wirtschaft läuft wie das Wasser der Schwerkraft nach immer dahin, was ökonomisch zweckmäßig ist und man kann dann mit Hegel sagen „Es ist so, wie es ist“. Oder: die Vernunft ist die Wirklichkeit, und dergleichen mehr. Ökonomisch heißt: Rationalisierung, ökonomischer Einsatz von Rohstoffen und Arbeitskraft, Einsatz von Intelligenz, die Schaffung und Ausbeutung neuer Bedürfnisse und Moden, die immer höhere Konzentration, die Monopolbildung, die wachsende Interdependenz der Welt, Weltmarkt, intelligente Konfliktbewältigung oder intelligenter Klassenkampf durch den Staat usw.
Marx hat versucht aus der inneren Logik des Verwertungszwangs und der gesellschaftlichen Antagonismen die zukünftige Entwicklung zu entwickeln. Aber alles, was sich aus seiner Darstellung der Widersprüche ergibt, ist deren vorübergehende Aufhebung auf höherem Niveau, neuerlichen Entwicklung der ursprünglichen Widersprüche und so weiter und so fort. Zwar begleiten Krisen diese Entwicklung, aber jede Krise produziert neue Lösungsmechanismen. Etwa indem heute der Kapitalverwertungsprozess eine immer intensiver werdende Indienstnahme der Individuen, der Natur für die „kalte Vergesellschaftung“ durch das Geld verlangt. (In Zimbabwe lässt sich sehen, wie davon die Existenz oder Nichtexistenz eines ganzen Landes abhängt.) Die Logik des Kapitalismus sieht den Sozialismus nicht vor.
Zu Zeiten der frühen Sozialdemokratie wurde geglaubt, der Weg zum Sozialismus führe über Monopolisierung zum Staatskapitalismus hin zum Staatssozialismus. Und viele Linke sahen die Zwangsbewirtschaftung im ersten Weltkrieg als ersten Schritt zum Sozialismus. Aber diese Art der „mixed economy“ wird immer noch vom Verwertungszwang beherrscht. Ganz abgesehen davon, dass sie fundamental antidemokratisch und antiegalitär ist, wie es ihre Varianten – der Leninismus, der Faschismus und letztlich auch die bürgerliche Demokratie – zeigen.
Am Beispiel von Robert Owen erörtert Marx im ersten Band des Kapitals die Möglichkeiten des Kapitalismus. Owen hatte in seiner Fabrik die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter wesentlich verbessert, etwa 10-Stunden-Arbeitszeit eingeführt. Mit dem Erfolg, dass sich die Produktivität wesentlich erhöht hat. (Darüber hinaus organisierte Owen Genossenschaften und eine auf Arbeitsgeld basierte Warenbörse – nicht unähnlich den Konzepten der
GIK)

Kann man den großen Systemwechsel erwarten? Gibt es nach dem Zusammenbruch und der Barbarei – die es ja weltweit schon gibt, siehe Afrika, Tibet, Birma, Gaza, Irak – etwas historisch Neues, das man Sozialismus nennen könnte?
Derzeit gibt es zwei Logiken. Einmal die der Kapitalverwertung mit dem Zwang zur Mehrwertbildung gleichgültig, wer sich diesen Mehrwert aneignet: Staat, Arbeiter oder Kapitalisten. Und dann einer Option mit sozialen und politischen Vorgaben und Zielstellungen. Beispiel: soziale Gerechtigkeit, Arbeitszeitverkürzung, Ökologie, Bildung, Kultur. Bei den letzten Beispielen wird klar, dass sich eine solche politische Vorgabe nur wieder unter den Bedingungen der Kapitalverwertung durchsetzt. Aber es sind solche außerhalb der Verwertungslogik. Politik, auch wenn davon dominiert, löst sich nicht in Kapitalismus auf.

Peak Oil etwa wird zur Folge haben, dass sich alles verteuert. Bestimmte Branchen werden ganz verschwinden. Nahrungsmittel werden auf Grund von fehlendem Dünger, teurerem Transport teurer und knapper. Löhne werden also sinken, da es weniger zu verteilen gibt. Die Produktion insgesamt wird sinken, da die menschliche oder tierische Arbeitskraft die Ölenergien nicht ersetzen werden können. Eine Depression kann die Folge sein und die wirtschaftliche Spirale wird wieder auf niedrigerem Niveau beginnen müssen. Vielleicht wird sich die Zirkulation reduziert werden, eine Entglobalisierung stattfinden. Vielleicht wird die Wirtschaft mit Inflation in Gang gehalten, mit Hilfe derer die Löhne gesenkt, die Schulden abgebaut werden. Steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise weisen in diese Richtung.
Der Übergang zu einer Nachölwirtschaft und ihre Gestaltung könnte eine politische Angelegenheit sein. Da die Beteiligten bis jetzt zumindest relativ bewusstlos in die Krise hineingehen – kaum vorwärtsweisende Fantasien – und die Sache nicht aktiv angehen, werden ökonomische Kurzschlusshandlungen („Rette sich wer kann“), private Bereicherungslösungen und Überlebensstrategien – „marktadäquates“ Handeln – vorwiegen.
Da die Linke das Problem weitgehend ignoriert, keine eigenen Konzepte entwickelt, werden die Verfechter des Marktes weiter die Zukunft bestimmen. Es wird also keine allgemeinen politischen Lösungen geben. Bestenfalls individuelle Einwände.

24.9.08

FINANZKRISE - Warum mich das nicht interessiert

Die Konkurrenz der bürgerlichen Klasse, innerhalb der bürgerlichen Klasse, also jene, die Kritik an den herrschenden Politikern und Medien betreiben – meist von links, oft auch nur von irgendwoher – kann derzeit befriedigt feststellen, dass es so kommen musste, dass es nicht anders zu erwarten war und dass sie es schon immer so gesagt hätten. Bis in die Faz ist von der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus die Rede. Manche Mutige munkeln gar was von Zusammenbruch.
?
Krise? Vielleicht sieht es so aus. Aber solange die von unten nicht die Krise produzieren, durch ihre Kritik, ihre Aktionen und ihre konkreten Alternativen, ihren Willen, die Produktion in die Hand zu nehmen, ihr eine selbstbestimmte Richtung zu geben, sich auf eine gerechte Verteilung von Arbeit, Produkten, Ressourcen verständigen – solange kann von wirklicher Krise keine Rede sein.

Eine solche „Krise“ ist nur Anlass für konkurrierende Machtspielchen, kluge Kommentare von Besserwissern. Mit dieser Krise wird die Intelligenz des Kapitalismus locker fertig, mal ein bisschen staatskapitalistisch, mal ein bisschen neoliberal. Nicht dass sie nichts kostet und dass nicht „die da unten“ sie zu bezahlen hätten - vielleicht trifft es auch ein paar da oben oder welche mittendrin – aber das ist eben der Preis der proletarischen Abhängigkeit vom Kapital, seinen Waren, seiner wunderbaren Welt.

15.9.08

MODERNER RASSISMUS

In einer harmlosen Meldung meldet der DLF am 8.9.08 um 12 Uhr:
„Elterngeld wird in jedem zweiten Fall als Mindestsatz gezahlt
Rund die Hälfte aller Bezieher von Elterngeld erhält lediglich den gesetzlichen Mindestsatz von 300 Euro monatlich. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte, haben seit Einführung des Elterngeldes im Januar 2007 etwa 350.000 Mütter und Väter diesen Betrag bezogen. Das entspricht einem Anteil von 47 Prozent. Bei den übrigen 53 Prozent berechnete sich das Elterngeld nach dem vorherigen Einkommen und lag damit höher. - Das bis zu 14 Monate lang gezahlte Elterngeld löste das Erziehungsgeld für Geringverdiener ab, das bis zu drei Jahre lang gezahlt wurde.“
Es bedeutet, dass mit dem bei den unteren Einkommensklassen gesparten Geld die oberen finanziert werden. Es ist die gleiche Mafiastruktur wie in der Dritten Welt. Nur wird hier Besitz, Reichtum und Macht mit legalen Mitteln, unblutig, an die herrschende Klasse transportiert. Medien, Besitz und Parlament ersetzen Kalaschnikow oder Axt.


Was dagegen tun?

7.9.08

EIN FERIENARBEITER

Letzte Woche hatte ich es mit einem Ferienarbeiter zu tun, Student in irgendeinem technischen Fach. Zuerst nervt mich allein seine Anwesenheit, dann schließlich die Art, wie er arbeitet – so wie meine Kollegen, schlampig und ineffektiv. Irgendwann wird es mir zuviel und ich zeige ihm, wie ich es mache und haben will. Ich bin in die Autoritätsrolle reingerutscht und behandle ihn so meckerig wie einen Sohn. Der Chef schickt ihn herum und ich hol ihn zurück, sag ihm, er solle sich nicht um den Chef kümmern; der verstehe ohnehin nichts. Ich wundere mich über mich, wie ich in diese Rolle komme.
Der Chef ärgert sich schon lange über mich. Ich zeige ihm, dass ich seine Eingriffe für dumm halte. Obwohl eher ängstlicher Menschentyp bin ich da respektlos. War aber auch schon bei Lehrern so. Sie witterten in mir trotz der braven Fassade immer den Rebellen und mochten mich nicht. – Der Chef versucht mich auszuschalten: nimmt mir die kleinen ehrenwerten Jobs ab, wie Computer abspeichern, ausschalten, gibt den Schlüssel an andere, obwohl der Nächste ich wäre. Besprechungen dann, wenn ich nicht da bin. Ich spüre das, vertraue aber auf meine Schlussrede und Abrechnung bei meinem Abschied.

Die Szene mit dem Ferienarbeiter, der nach einem neuen Anschiss von mir beleidigt sich in eine andere Abteilung verdrückt, erinnert mich an meine ersten Kämpfe mit Arbeitern, die ich mit 24 begann. Vorher hatte ich immer nur Respekt und Devotion für ihre Macken. Ließ mir einiges gefallen, wollte ihren Missmut verstehen. Dann hatte ich es mit einem Vorarbeiter zu tun, der mir wie üblich nichts richtig erklärte, dem ich es aber auch nie richtig machen konnte. Zugegeben, damals war ich körperlich überfordert. Aber ich habe ihn dann mal angeschrieen, war nicht nett. Er war dann ruhig, hat aber erreicht, dass ich in eine andere Abteilung kam: ein kollegiale Gruppe von 12 Arbeitern, Wechselschicht. Ich hatte Glück und es war eine gute Erfahrung. Ich ließ mir aber auch dort nichts mehr gefallen, weder von den Türken, noch von den Meistern. Nach einem dreiviertel Jahr wurde die erste Abteilung aufgelöst und mein ehemaliger Vorarbeiter kam in meine Gruppe. Jetzt war er der Lehrling. Erzählte von Stalingrad, wo er mit Pickeln die vereiste Erde aufhacken musste, um Leichen zu begraben. Sein Leben nach Stalingrad war wohl nur noch ein Versuch, aus dieser Todeszone heraus zu kommen. Mein Bild von ihm veränderte sich. Später rettete er sich als Pförtner in die Rente.

Mein Ferienarbeiter wird dann später irgendwo in diesem Medienbereich arbeiten, wo dieser Unterhaltungs- und Informationsschrott produziert wird, mit dem uns die Medienmogule unsere Gehirne zumüllen, dass wir nicht zu Sinnen und auf eigene Gedanken kommen. Weil nur passiv und nur arbeitsvermeidend anwesend, wird er mit dem Ergebnis, Arbeit sei schweißtreibend, monoton und laut, in das Leben gehen und seinen Herren danken, davon befreit zu sein.

27.8.08

ARBEITER - ERFAHRUNG

Was ist die spezifische Erfahrung, die die Arbeiterklasse von der bürgerlichen unterscheidet?
Wesentlich die Erfahrung von gesellschaftlicher Unterlegenheit, Ausgegrenztheit und Ohnmacht. „Wir da unten, die da oben“ hieß das einmal. Inzwischen ist diese Erfahrung durch die Individualisierungsprozesse in Schule und Betrieb zu einer Erfahrung von „Ich da unten, Ihr da oben“ geworden. Den Arbeitern wird durch beständige Drohung von Entlassung, durch die Lohnentwertung und die Lohnherabsetzung in Tarifverträgen gezeigt, dass man auf sie verzichten kann. Die, die sich relativ sicher fühlen können, sind es durch die Institutionen des Sozialstaats, Kündigungsschutzgesetzen, tariflichen Regelungen auf quasistaatlichen Ebenen, auf denen Arbeiter nur als Protestmaterial eingesetzt werden, aber keinen aktiven Einfluss nehmen. Die Selbsteinschätzung als gesellschaftlich bedeutungs- und einflusslos teilen die Arbeiter mit den Angestelltenschichten, die anders als die Wortführer der Mittelschicht nicht die Marktflexibilität und materielle Ressourcen besitzen um gegenüber ökonomischen Prozessen souverän zu sein.
Dieser Ohnmachtserfahrung wird gegengesteuert durch Identifikationen, wie sie dem friedensliebenden Gemüt von den bürgerlichen Institutionen dem unglücklichen Individuum angeboten werden: die Phrasen der Marktwirtschaft, über den unvermeidlichen technischen Fortschritt, die Notwendigkeit von Führung und Selektion und die hohe Bedeutung individueller Verantwortung.
Die gesellschaftliche Defiziterfahrung, also die von eigener Minderwertigkeit, Erfahrung von Ablehnung bis hin zur Verachtung, die Erfahrung Incommunicado zu sein, also einer, mit dem man nicht spricht, dem man nur Befehle erteilt, führt zu einer Verarbeitung, zu einer Reaktion. In der Regel ist das der Rückzug aus der Öffentlichkeit, aus dem bürgerlichen Diskurs, auch der Demokratie. Die Erfahrung, dass andere die gleiche teilen, wird durch die bürgerliche Öffentlichkeit und ihre Medien verhindert – ist ja ihre eigene Schuld, ihr Problem, ihr Defizit – und es kommt soweit, dass die minimalen Differenzen zwischen den Arbeitern als Vor- oder Nachteil empfunden werden und die gegenseitige Identifikation und Solidarität verhindern.
Die Versuche, das mit politischem Klassenbewusstsein zu korrigieren, sind durch deren Formen der Elitenbildung und Gewalt unglaubwürdig geworden.
Was bleibt, ist Skepsis, bis hin zu einem negativistischen Ressentiment, gegenüber allen Führern, Politikern und eine stille Weigerung, sich an deren Geschäften zu beteiligen.
Die bürgerliche Pädagogik und Psychologie definieren das als Misserfolgserwartung und negative Einstellung, die durch Passivität und Misstrauen die Resultate mitbewirkt, die sich dann in einer selffulfilling prophecy real einstellen. In diesen Theoremen wird individuellem Handeln unterstellt, es könne die Klassenlage verändern. (Aber von „Klasse“ darf man ja nicht reden, das ist „Ideologie“).

VOM SOZIALEN ZUM PHYSISCHEN TOD

Der Arbeiter erfährt durch diverse Qualifkationsprozesse seinen sozialen Tod. Zuerst hat er in der Schule nachzureden, was ihm vorgesagt wird. Wenn ihm das nicht glückt, wird er nach und nach zu einem, der nicht mehr gefragt wird und nicht mehr gefragt ist. Aus der Öffentlichkeit verschwindet er als Erfolgloser ohnehin, denn die Menschen interessieren sich nicht für die Fehler- und Mangelhaften. Das ist ein natürliches Gesetz der Evolution, einer Parodie des sich ständig revolutionierenden und weiterentwickelnden Kapitalismus. Gefragt ist Pfiffigkeit und Cleverness. Beim körperlich Arbeitenden wird nach und nach seine soziale Existenz überflüssig. Schon vom Chef gegrüßt zu werden, wird rar. Auch die eigenen Kinder merken bald, dass es kompetentere als die eigenen Eltern gibt. Wer noch bei etwas Verstand ist, weiß, dass es zu Geschichte und Sein nicht wirklich Intelligentes zu sagen gibt und das, worauf man als Eigentümer noch die Hand drauf hält, eine vorübergehende Beziehung ist. Als Teil einer Maschine mag man noch andere beeindrucken und das Gefühl von Bedeutung und Nutzen haben, aber sobald dieses Kapitel abgeschlossen ist, verkriechen sich die zu Rentnern gewordenen Arbeiter vollends in die Sprachlosigkeit. Der Körper, der nicht mehr gebraucht wird, zerfällt.
Die Lebenserwartung der gering Verdienenden liegt um 6 bis 10 Jahre niedriger – abhängig von der Klassifikation – gegenüber den besser Verdienenden.
Indem die Geringverdiener früher sterben, erweisen sie den Besserverdienenden einen nützlichen Dienst und subventionieren deren Renten und Pensionen. Die Gesellschaft könnte ihnen zumindest mit einer Plakette auf dem Grabstein danken. „Danke für den frühen Tod. – Der Bundespräsident im Namen der Besserverdienenden.“

SOZIALE ISOLIERUNG
gehört in diesen Zusammenhang. Die Gesellschaft, im aktuellen Fall die über Konsum und Qualifikation kapitalistisch strukturierte, grenzt die potentiell Nutzlosen aus ihrer Kommunikation aus. Da man sie dank Chinesen, Öl und Maschinen nicht mehr braucht, lässt man sie mit Sozialhilfe vergammeln. Das gibt ihnen zu fühlen, wie abhängig, gnädig und wohlwollend sie vom Sozialstaat behandelt werden.
Rebellen, die ihre linke politische Haltung nicht im Zusammenhang bürgerlicher Individualisierungsspielchen, sei es etwa Antifa oder Antideutsch, ausagieren, können sich als aussichtslos, bedeutungslos, negativistisch usw. ohnehin vergessen.

EIN NEUER
Seit einigen Tagen mit einem neuen Mitarbeiter konfrontiert, Ersatz für den Vorarbeiter, klanglos abgegangen ist. Ich nehme es ihm nicht übel.
Ich habe versucht, den Neuen anzusprechen. Wie denn die Arbeit wäre, ob es nicht anstrengend wäre, 8 Stunden lang zu hetzen. Aber er war nur kurz angebunden, er hätte vorher 16 Stunden am Tag gearbeitet, da wäre das keine Kunst. (Gescheiterter Selbständiger?). Und dann hatte er es eilig. Am Abend ergibt sich dann auch keine Gelegenheit mit ihm zu sprechen, weil er erst nach Arbeitsende im Umkleideraum auftaucht und ich dann schon bei der Stempeluhr bin. Auf Pünktlichkeit lege ich Wert. Inzwischen, nachdem ich sehe, wie er hetzt und springt, wie er – wahrscheinlich eingelernt durch den alten Vorarbeiter – die Maschinen unsinnig belädt, habe ich auch kein Interesse mehr, mit ihm viel zu reden. Ich trau ihm nicht. Meine Tage habe ich ohnehin schon gezählt.

Wie soll Solidarität möglich sein?

17.8.08

ver.di – BSIRSKE

Wenn ich schon nicht mehr weiß, wie es politisch weitergehen soll, so lebt in mir doch die alte Lust auf, die linken Institutionen zu kritisieren: Verrat, Betrug etc. Dieses Gefühl – man mag es Ressentiment nennen – und diese Klage, entspricht meinem Naturell und auch meiner defizitären Sozialisation am besten. Ich habe es von meiner Mutter gelernt: „Uns hat man hintangesetzt und wird uns benachteiligen, ein Leben lang. Da kannst Du machen, was Du willst.“ Mit viel Verve habe ich in meinen überpolitischen Jahren diese reaktionäre Resignation bekämpft, die den Fortgang der Verhältnisse durch Tatenlosigkeit unterstützt. Aber ich fühle heute dasselbe Lichtlein in mir glimmen – oder ist es mehr ein kleines schwarzes Loch?
Aber zur Sache: verdi-Chef Bsirske fliegt per Freiflug nach Los Angeles, na ja - Erste Klasse. Als stellvertretender Aufsichtsratvorsitzender der Lufthansa AG kein Problem. Ich reibe mir die Augen. Das wusste ich nicht, das hätte ich nicht mal erwartet. Ein FDPler meint: Das geht doch nicht: Aufsichtsrat und Streikleiter! („Streik“?? War das ein „Streik“? War eine tolle Idee, den Flugverkehr zusammenbrechen zu lassen. Jetzt weiß ich, warum daraus eine so miese Sache geworden ist.) Ich grüble nach und denke, dass es doch nicht Sinn einer Mitbestimmung sein kann, Fliegen auch nur in irgendeiner Form zu unterstützen.
Na klar, was ist ver.di doch für ein Verein: die letzten Tarifabschlüsse, bewirkt durch die Streikaktivität der einfachen Mitglieder und der Arbeiter – die besserverdienende Mehrheit wird man nicht dabei finden – begünstigen mit ihren Prozentklauseln wieder einmal die oberen Ränge, bescheissen die Arbeiter. Zwar wurden die Arbeitszeiten unten gehalten, aber gleichzeitig ein Tarifsystem unterstützt, das Neueinsteiger brutal benachteiligt.
Der marxistische Verstand in mir sagt zwar, dass Gewerkschaften eben Elemente des Kapitalismus sind, aber im gewerkschaftlichen Kampf ist doch mehr drin als (gutes) Überleben im Kapitalismus: Bildung eines politischen Bewusstseins, Kommunikationsorgan von Lohnabhängigen, Demokratisierung betrieblicher Strukturen. Aber Pustekuchen. Mit 14 habe ich als Ferienarbeiter mit Gewerkschaftsblättchen auf der Suche nach etwas Vorwärtsbringenden den Mittagsschlaf vorbereitet – Gewerkschaftsvertreter hatten durch das Austeilen der Zeitung und Einsammeln von Beiträgen noch Präsenz und Gesicht. Beim Studium habe ich noch an die Gewerkschaft geglaubt, lernte aber die professoralen Agenten der Böckler-Stiftung und ihr Beziehungsgeflecht und überflüssige Studien kennen und hatte genug davon. (Eberhard Schmidt ausgenommen). Zwar habe ich viele Jahre Gewerkschaftsbeiträge bezahlt, aber sehe heute keinen Sinn mehr, diesen Verein der Besserverdienenden zu unterstützen.
Was tun? Aussichtslose RGO-Projekte? In die Korruption geraten wie „plakat“? Konkurrierende Gewerkschaften wie in Frankreich, die um einiges mehr erreicht haben?
Ist doch hier alles sinnlos.

12.8.08

Blockade

Ich bin derzeit blockiert, zähle die Tag rückwärts bis zum Ende meines Jobs. Die Überlegungen über Simbabwe nehmen mich derzeit gefangen. Die Art und Weise, wie eine zukunftsfrohe und offene Gesellschaft in nicht vorhersehbare Barbarei zerfällt, ist für mich schockierend. In dem Konflikt dort wird auch etwas über unsere Verhältnisse klar: die Bedeutung der Lohnarbeit in der gesellschaftlichen Entwicklung. Gegenüber der „Barbarei“ der feudalen Verhältnisse scheint sie fortschrittlich zu sein, obwohl sie doch genauso Barbarei impliziert; die Verödung der Welt, die Mechanisierung des Menschen zum Teil einer arbeitsteiligen Maschinerie.
Ein „feudal“ denkender Simbabwer würde sagen: Die Welt ist nicht das Resultat von Arbeit und Intelligenz, sondern ist Natur die angeeignet und erlegt werden will. Der Begriff der „Aneignung“ gehört wesentlich zu dieser Gesellschaft. In der europäischen Geschichte hatte dieser Vorgang eine anderen Namen: Lehen und Gabe. Die Erde ist eine Gabe Gottes, die von Papst und Kaiser weiter geliehen werden. Diese reichen Teile davon als Lehen nach unten weiter. Die Religiösen tun sich noch heute dadurch hervor, dass sie Dankbarkeit betonen. Jede Mahlzeit umschließt ein Dankgebet, aber keinen Dank an den Bauer oder Arbeiter, der sich dafür abgeschuftet hat.
Diese so zustanden gekommenen Eigentumsverhältnisse sind andere als solche durch Arbeit (und dann Tausch). Es kommt zu einer anderen Legitimation; der durch Gewalt, durch Übermacht, auch durch eine politische Machtposition. „Wie kann ein Wahlzettel stärker sein als ein Gewehr?“ fragt Mugabe und da trifft er sich mit Lenin und Carl Schmitt. (Carl Schmitt soll mit seiner „Theorie des Partisanen“ Dutschkes und Krahls Organisationsthesen Pate gestanden haben). In Simbabwe trifft die Bevölkerung, die Lohn verdient und in Marktkategorien denkt, auf den Widerstand der „Traditionalisten“, die nimmt, was da ist, sich um Produktion nicht kümmert – Arbeit ist die Sache von Frauen und Kindern. Recht ist Vorrecht.
In unserer Gesellschaft liegen unterhalb der marktwirtschaftlichen Beziehungen („Bezahlung nach Leistung“) diese feudal-despotischen Bereicherungs- und Ermächtigungsstrukturen, man konnte sie mehr oder weniger offener auch in den „sozialistischen“ Gesellschaftsstrukturen erkennen. Anscheinend haben sich die Herzen der Menschheit nicht von ihrer vorbürgerlichen Strukturiertheit entfernt und neigen zu charismatischen Idealisierungen wie jüngst bei Obama oder brutaler Raffgier wie unter den Nazis oder legalisierter Bereicherung heute, wenn es das Pöstchen erlaubt. Adorno meint glaub ich irgendwo, das moderne Individuum neige dazu - da ständig unter dem Druck von Schuld und aggressiven Trieben – zu zerfallen, sei es unter Alkohol oder einer Identifizierung mit einer starken Masse, so als werde es wieder zurück zu einem „Naturzustand“ gezogen. Das Korrelat einer öffentlichen Barbarei ist der Rückzug der Individuen auf ihr Eigentum, ihr „Selbst“.
Der Kern des „Selbst“ ist aber nicht ein individuelles besitzbares Ding, sondern eine (vorübergehende) Kongruenz von gesellschaftlicher Erwartung und individueller Motivation.

17.7.08

DER GEIER - SIMBABWE

Kafka:
Es war ein Geier, der hackte in meine Füße. Stiefel und Strümpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Füße selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr vorüber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde. »Ich bin ja wehrlos«, sagte ich, »er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn natürlich wegtreiben, versuchte ihn sogar zu würgen, aber ein solches Tier hat große Kräfte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Füße. Nun sind sie schon fast zerrissen.« »Daß Sie sich so quälen lassen«, sagte der Herr, »ein Schuß und der Geier ist erledigt.« »Ist das so?« fragte ich, »und wollen Sie das besorgen?« »Gern«, sagte der Herr, »ich muß nur nach Hause gehn und mein Gewehr holen. Können Sie noch eine halbe Stunde warten?« »Das weiß ich nicht«, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: »Bitte, versuchen Sie es für jeden Fall.« »Gut«, sagte der Herr, »ich werde mich beeilen.« Der Geier hatte während des Gespräches ruhig zugehört und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, daß er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zurück, um genug Schwung zu bekommen und stieß dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zurückfallend fühlte ich befreit, wie er in meinem alle Tiefen füllenden, alle Ufer überfließenden Blut unrettbar ertrank.

SIMBABWE
Die Situation in Simbabwe ruft anscheinend nach militärischer Gewalt. Die Zanu hat alles in ihren Händen: die Armee, die Medien, weite Teile der Ökonomie, des Geldes, die Passivität Südafrikas und anderer Nachbarn, vor allem die Geschichte des Kampfs gegen die weißen Siedler. Was sie braucht: Öl für die Armee, Geld für ihre Ausrüstung. Ihre Shoppingtouren und Extravaganzen kann sich die Zanuelite mit den immer weniger werdenden Exportprodukten finanzieren: Gold, Tabak, andere Rohstoffe. Die Zanumiliz braucht nicht viel: Chibuku und Mbanje, Bier und Marijuana. Lastwagen werden von der Armee gestellt.
Für die Hungernden gibt es Hilfslieferungen aus den weißen imperialistischen Nationen. Wenn die Hälfte stirbt, umso besser, sagt Mutasa, der sich als Christ bekennt, jetzt einer der Drahtzieher der Gewalt gegen die Opposition. Pläne sind aufgetaucht, die MDC ganz zu vernichten. Mugabes Wahlparole hieß: 100% Empowerment - Ermächtigung.
Was sollen die Menschen machen? Auswandern, EXODUS, Gefangenenlager rund um Simbabwe, Mugabe und seinen Kriminellen das Land überlassen?
Mugabe wird von sich und seinen Gegnern als „Marxist“ betrachtet, als Kämpfer gegen „Imperialismus“. Er kombiniert das mit privater Bereicherung, Terror usw. usw. Und es gibt genug „Linke“ – in der Regel ohne Beziehung zu Arbeit und Arbeiterklasse – die ihn als ihren Mann betrachten. Der Feind meiner Feinde ist mein Freund. Abscheulich.
Als Gegner von Mugabe ist man in unguter Gesellschaft: multinationale Farming- und Miningkonzerne, den Machtspielern der USA. Sie reden von Menschenrechten und setzen damit ihren Kapitalismus durch.
Der Irrtum der gut gemeinten „Entwicklungshilfe“ war eine Grundannahme, dass sich ein Verhalten durch ein neues ersetzen lasse. Aber das archaische, despotische oder feudale System, das Mugabe repräsentiert, hat nicht nur politischen Charakter, sondern ist Teil einer Struktur, die alle Lebensbereiche umfasst: die Sprache, die Individuen, die Besitzverhältnisse, die sozialen Normen und Werte, die Ökonomie, die Religionen. Man kann nicht einen Teil verändern, ohne dass die anderen Aspekte betroffen sind. Eine Gesellschaft, die um Einheit, Community, Geselligkeit zentriert ist, kann stramm weder in den Individualisierungskapitalismus noch in eine Art von Sozialismus einmarschieren, der durch individualisierte Besitz- und Arbeitsverhältnisse den Gedanken auf Freiheit und Gleichheit erst möglich macht. Man hat sich wenig Gedanken gemacht, wie eine Gesellschaft funktioniert, wo der Glaube an den Rohrstock und die Gewalt die Gesellschaft mehr durchdringt als unser schwächlicher und doch nur oberflächlicher Glaube an die Vernunft der Individuen, wo es Besitzverhältnisse in unserem Sinne nicht gibt, sondern das Land von chiefs und headmen verteilt wird. Wo die körperliche Unversehrtheit nicht als bürgerliches unveräußerbares Recht gilt, sondern Resultat bestenfalls einer christlichen Einstellung ist. So wie bei der MDC.
Es ist nicht immer sinnvoll, die Sache nur moralisch zu betrachten, etwa in Mugabe nur eine üble Parodie von Hitler zu sehen, sondern „Entwicklung“ – als Alternative zur derzeitigen Barbarei – müsste allererst eine Reflexion der kulturellen Wurzeln, die tief in dem Unbewussten der Individuen verankert sind, und der ökonomischen Notwendigkeiten sein.

Mugabe derzeit im Bündnis mit China, Russland, Chávez und Ahmadinedschad. Lässt sich nur auf deren Korruptheit und Konsumgeilheit hoffen. Und ihre Probleme mit effektiver Arbeit.

Eine Nachricht aus
Zimbabwesituation
"Vier aus der gleichen Familie sind innerhalb von 4 Tagen gestorben. Am Dienstag starb Farai, saß auf einem Felsen neben seinem Grundstück. Er hatte seit Tagen nichts mehr zu essen. Am Donnerstag starb seine Schwägerin – Aids. Am Freitag starb sein Bruder, dann ihre Tante in der Nähe. Die überlebenden zwölf Waisen müssen nun für sich selber sorgen."

1.7.08

SIMABABWE - ÖLKRISE

SIMBABWE, EIN BLICK AUF UNSERE ZUKUNFT?

Einige nicht sehr relevante Überlegungen, die eben nur mich derzeit beschäftigen.
Hat das, was sich in Simbabwe abspielt, eine mehr als regionale Bedeutung? Szenen und Bilder aus Science Fictions tauchen auf: etwa die von Mad Max III, oder in Matmâta (Tattooine) in Star Wars. Doris Lessing in ihren Sufiromanen oder im 5.ten Kind verwendet diese Bilder.
Brutalitäten aller Art.
Wird die Welt nach dem Ölrausch so aussehen?
Dadurch, dass die riesige Warenansammlung beschränkt wird, werden sich soziale Konflikte verschärfen und spezifische Formen je nach Tradition annehmen, je nach Kompensationsmöglichkeiten, tödlich oder nur kriminell.

Was ist spezifisch an Simbabwe?
Die Krise in Simbabwe, seit ca. 95, geht wohl einher mit dem Rückgang der Entwicklungshilfegelder nach dem Ende der Apartheid in Südafrika. Die Ökonomie war an einen Stillstand gekommen, zwei Hoffnungen auf eine wesentliche Verbesserung der Lage haben sich als Täuschung erwiesen: Resettlement und Bildung.
Resettlement scheiterte daran, dass comercial farming ersetzt wurde durch subsistence farming auf Schrebergartenniveau. Die Bauern auf den Resettlementfarmen denken nicht marktbezogen; produzieren für ihr Überleben, den Brautpreis etc., vielleicht noch etwas Überschuss für Schulgebühren, Kochöl etc. Oder in Marxens Kategorien: Gebrauchswerte, nicht Tauschwerte.
Die Bildung orientierte sich an der Oberfläche der weißen Kultur, so wie es die Missionsschulen boten. Die lieferten Qualifikationen für Universitätsabschlüsse, vorwiegend Rechtsanwalt, Kaufmann, Lehrer, vielleicht noch Arzt – kaum Techniker, Handwerker, Farmer. Es fehlt die Vermittlung zwischen High-Tech-Industrie und Subsistencefarming.
Politisch und ökonomisch herrschend ist in dieser „mixed economy“ aber der Weltmarkt. Der bestimmende Bereich der Ökonomie ist Teil des Weltmarkts. Durch ihn werden auf dem Land viele Dinge des täglichen Lebens über dem Subsistenzniveau möglich: Busse, Schulen, Kleidung, Wholesalers, die ihre Produkte anbieten.

Die Gewalt von Seiten der Zanu ist möglich durch die hohe Rate der Arbeitslosen, der an der Bildung gescheiterten. Ihr Ziel ist die ethnische Reinheit, ihr Gegner der zivile Dissident, ihr Traum ein schwarzes Imperium. Gestört wird das durch die Gesetze der weißen Ökonomie, obgleich ihre Waren problemlos integriert werden können. Die Sache ist aussichtslos. Sie werden am Rande der Welt leben. Nicht ohne Vitalität, da sie – im Gegensatz zum modernen Arbeitslosen, Überflüssigen oder Prekären – in einer Gemeinschaft leben.


Inwieweit werden wir in diese Prozesse hineingezogen werden?

- Durch die modernen Medien leben wir in einer Welt. Die Standards unserer Welt beeinflussen auch die „Dritte“ Welt. Nicht nur Grace Mugabe geht in Rom oder Singapur shoppen, sondern tendenziell auch jeder Simbabwer. Es ist kein Problem, die Benzinrechnung eines Angehörigen vom Ausland aus zu bezahlen. Gleichzeitig werden so, ohne es zu wollen, Devisen für die Shoppingtouren der Mugabes beschafft. Der Weltmarkt schafft so allseitige Verantwortlichkeiten.
- Rohstoffe. Gerade plant die AngloAmerican ein Minenprojekt für 400 Mio. Dollar. Platin für die Katalysatoren der Autos, damit unsere Luft schön sauber bleibt.
- Flüchtlinge, die Rede ist von 3 Mio. - vor allem in Südafrika. Die Fußballfans werden sich in Wegschauen üben müssen.
- Die Abwehr der „Barbaren“ barbarisiert das eigene Land. Die moralische Verantwortlichkeit muss verleugnet werden, die Realität ausgeblendet. Definitionen von Gut und Böse, hochwertig und minderwertig sollen die Menschen der Dritten Welt ausgrenzen. Die Caritas wird zum scheinbaren Heilmittel, während man sich gleichzeitig der Rohstoffe bedient, die internationale Gesellschaften herausholen und damit die herrschenden Regimes unterstützen.


DIE ÖLKRISE UND MEINE ILLUSION

Analysiere ich die Ölkrise, sehe die Ereignisse in Zimbabwe und die Zusammenhänge, wird mir bewusst, dass ich einer Illusion aufgesessen bin; der, dass die Ölkrise zu einer gesellschaftlichen Krise führt, die nur durch Entglobalisierung, Dezentralisierung, Produktion auf Grasswurzelniveau gelöst werden kann. Also: Fahrrad, Energiesparen, regionale Produktion und regionale Warendistribution usw.
Das ist ähnlich der alten linken Illusion von der Erneuerung durch die Krise. In Wirklichkeit ist die Gesellschaft genauso so sehr auseinandergefallen in Klassen und Schichten, Hierarchien, genauso wie sie dadurch zusammenhängt und wie die Schichten voneinander abhängig sind; die Sozialarbeiter und die Armen, die Großkonzerne und die Arbeiter, die Intellektuellen und die Angestellten usw.. Es gibt keine Lösung ohne die gesamte Gesellschaft. Das aber wird dazu führen, dass die Krise nur die Klassengesellschaft auf niedrigerem Niveau reproduzieren wird. So wie sich in Zimbabwe die Gesellschaft in der Krise sich auf zwei verschiedenen Niveau reproduziert und neu formiert: die ärmliche Subsistenzwirtschaft auf der einen, die globalisierte Ökonomie der Städter, Flüchtlinge, Händler andererseits und dazwischen die politischen Eliten, die versuchen, möglichst viel ausländische Währung abzusahnen.

Die „Klimakatastrophe“ gibt zwar die Chance einer globalen humanen Politik, aber durchsetzen werden sich Konzepte von Klassen und Nationen, Kontinenten – ein Rennen um Vorteile und Überleben und Aussterben.

Genauso werden in Deutschland die Arbeiter fixiert auf das Kapital die notwendigen Einschränkungen in Kauf nehmen, gegebenenfalls Rad fahren und die Heizung herunterdrehen, aber nicht das Lohnarbeitsverhältnis selber in Frage stellen. Die Übergänge dazu erscheinen manchmal abrupt, wie jetzt beim Steigen des Ölpreis, aber normalerweise verlaufen sie schleichend, wie bei Entwertung der Arbeitskraft durch Inflation, Rentenverlust, Zeitarbeit, Teilzeitbeschäftigung.

Anders gesagt: Eines meiner Zukunftsbilder besteht oder bestand darin, dass die Menschen wie in der Nachkriegszeit oder in Afrika wieder anfangen müssen, sich auf einfachem Niveau zu reproduzieren – Garten, Landwirtschaft, vielleicht Kooperation, gegenseitige Hilfe (wie es bei Kropotkin so schön heißt). Bei Doris Lessing, geprägt durch die misslungenen Farmingversuche ihres Vaters, finden sich diese Bilder.
Daraus wird wohl nichts. Das System ist ein hoch arbeitsteiliger Betrieb. Jeder hat seine Teilfunktion und gleichzeitig immer weniger Anteil am kollektiven Gesamtarbeiter (von dem Krahl geträumt hat), ist auf sich fixiert und immer weniger in der Lage, die gesellschaftlichen Zusammenhänge in sich zu bündeln. Die Zukunft ist Sozialdemokratie, also eine Art „wohl“ geordneter Kapitalismus mit wechselnden Ideologien, mal der liberalen Selbstverantwortung, mal der Sozialfürsorge. Nicht Autonomie und Demokratie.

Was bleibt für linke Intellektuelle übrig, außer „Gute Nacht, Welt!“ zu sagen? Staunend zu begreifen versuchen, was und wie das vor sich geht? In die Theorie zurückfallen und die Ohnmacht der Kritik? Nach den Rissen zu forschen, den Pflänzchen der Autonomie im Beton? Irre werden wie Reich oder Korsch?

24.6.08

„GEGENSTANDPUNKT“

Von einem freien Radio höre ich einen Kommentar der MG („Marxistisch“!!) über Zimbabwe. Antiimperialistische Dümmlichkeiten. Antiimperialismus ist also: Menschen totschlagen, Hände abhacken, Füße, sie verhungern lassen, vergewaltigen.
Zu den Antiimperialisten zählt man wohl auch noch neben Mugabe: Chávez und Castro, Gaddafi. Alles, was die MG uns damit sagt, dass unser System immer noch das Beste ist. Ich verstehe nicht, wie eine „linke“ Site Host für solche Produkte sein kann.
Ein ähnlich dümmlicher Podcast von derselben Site lässt sich über die „Vertriebenen“ aus. - Gleichgültig, ob sie CDU sind oder nicht, haben auch sie ihre Rechte und verdienen, dass ihre Erfahrungen wahrgenommen werden. Als Kind habe ich das Mobbing der „Flüchtlinge“ erlebt. Die „Linke“ scheint nicht darüber hinausgekommen zu sein.

14.6.08

ENERGIE FÜR „MINDERLEISTER“

Seltsam wie in der Linken Entsolidarisierung und Rassismus tief verankert ist. Man muss nur moralisch hoch stehend genug sein – aus irgendwelchen Gründen – oder sich ungerecht genug behandelt darstellen, ist jede Art von Verächtlichkeit erlaubt.
So etwa W. Schmickler in einem satirischen Beitrag über „
Minderleister“, in dem er die neoliberale Kritik an linken Armutskampagnen parodiert:
„Es kann in Deutschland keine Armut geben …Fahren sie mal nach Afrika oder nach Indien oder Russland. Da sehen Sie mal, was richtige Armut ist. Für die Kohle, die hierzulande auch noch der letzte Hartz4Empfänger abgreift, für die setzen sich Tag für Tag Hunderte von Afrikanern in irgendwelche morschen Paddelbootchen und ersaufen jämmerlich im Meer.“
Sein Beitrag war ja ganz lustig und spricht aus dem
linken Herz, aber die Weltsituation zum Maßstab zu nehmen – und eben auch die afrikanische – das kann doch nicht Satire sein. Es wirkt in den obigen Sätzen so, als wollte er ganz und gar von der Hand weisen, was internationaler Standard ist. Standard, nicht durch die Dummheit und Faulheit der Afrikaner oder Inder, sondern durch ihre Übervorteilung auf dem Weltmarkt. Warum sollte ein Weißer eine größere Menge an Öl, CO2Ausstoß und andere Rohstoffe bekommen als ein Schwarzer? Da frisst sich die Minderleisterparodie in ihrem inhärenten Rassismus selber auf.
Es scheint so, dass in der Konsumlinken das Verwertungsprinzip des Kapitalismus, es müsse immer mehr werden, tief verinnerlicht ist - diese historische Illusion. Auch die Illusion, dass es immer eine technische Lösung für alles gäbe.
Na ja, wir sind wohl oder übel auf dem Weltmarkt angekommen, und können nicht so tun, als käme das Erdöl aus der norddeutschen Tiefebene, als wären Warenbewegungen Naturereignisse ohne politische Implikationen, ohne Konsequenzen für den Rest der Menschheit.

Angesichts der steigenden Gaspreise will Gabriel, der gute Onkel von der SPD, „Sozialtarife“ einführen. Also eine Art Verschmutzungsrecht für Arme. Die Konsequenz wäre, dass diese Leute, die ohnehin nichts im Griff haben, da voll ausgeliefert an und abhängig von der konsumistischen Mittelschicht, keinen Grund sähen, ihren ohnehin schon sinnlosen Energieverbrauch einzuschränken. (Ich kann das an meinem Arbeitsplatz jeden Tag beobachten). Sinnvoller der Vorschlag der Grünen
Höhn, bzw. der Verbraucherzentrale NRW, jedem Bürger eine Grundmenge an günstiger Energie bereitzustellen und das was darüber hinausgeht, effektiv zu verteuern. Als Maßstab würde Ich 3 to CO2 für jeden pro Jahr vorschlagen.

29.5.08

Sozialistischer Kapitalismus ? Flassbeck und Co

Im Umfeld der Linken, Albrecht Müller hört man öfter von Flassbeck, Exberater von SPD Regierung. Interessante Meinung etwa: Eine Gesamtwirtschaft kann sich nicht verschulden oder kann nicht sparen. Richtig dabei ist sicher, dass, was auf der einen Seite weggenommen wird, auf der anderen wieder auftaucht. Flassbeck, Müller usw. – eben der linke Keynesianismus glaubt aber, dass bei Belebung der wirtschaftlichen Kreisläufe – etwa durch höhere Löhne, Ausgaben für Konsum sich Kapitalismus, also wirtschaftliches Wachstum beliebig fortsetzen lässt. Läuft das gut gelenkt, ist Vollbeschäftigung möglich.
Soweit ich mich erinnern kann, wird von Marx das Problem im zweiten Band vom Kapital abgehandelt. Es geht um das Verhältnis von Produktion von Konsumgüter und Produktion von Investitionsgüter. Die beiden Abteilungen müssen im Gleichgewicht zueinander stehen. Am Ende ist es egal, von wem die Waren konsumiert werden: der herrschenden Klasse oder verdünnissiert von der arbeitenden Klasse. Je nach politischem Management haben wir dann entweder einen rechten oder linken Kapitalismus.
Marx sah das Problem des Kapitalismus eher darin, dass durch die Konkurrenz bedingt, über steigende organische Zusammensetzung des Kapitals die Profitrate tendenziell fällt. – An sich kein Problem, aber die Spielräume für Extraprofite werden immer enger. Die permanenten Revolutionen der Technik, der Konsumsphäre, der Bewegungen des Kapitals über die Welt, sind Resultat dieses Drucks zur Veränderung. Wo diese Innovationsfähigkeit ihre Grenzen hat, ist schwer zu sagen. Nach und nach werden alle Bereiche des Lebens dem Kapitalverhältnisse unterworfen, in Warenform gebracht, sei es menschliche Zuwendung, Bildung und Kultur oder Religion. Es ließe sich nun etwa hypothetisch annehmen, dass es zu dem Fall käme, dass alle menschlichen Bedürfnisse kapitalistisch befriedigt sind, und es keine Möglichkeit mehr gäbe, neue Produkte einzuführen, oder das Rohstoffe wie etwa Öl zu Ende gingen. Das würde natürlich soziale Krise bedeuten, aber nach den nötigen „Umwälzungen“ – weniger Menschen, ärmeres Leben, andere Verteilung – wäre auch ein Profitschöpfen auf einem primitiveren Niveau wieder möglich. Der Kapitalismus ist nun mal ein System von Verlierern und Gewinnern. Nach einer grandiosen Wertzerstörung wie etwa nach dem Weltkrieg kann das Akkumulations- und Bereicherungsspiel wieder munter von vorne beginnen.
Dennoch halte ich das Flassbecksche Modell von der endlosen Reproduktionsfähigkeit des Kapitalismus für falsch. Er sieht von seinen materiellen Voraussetzungen ab. Das sind einmal die Rohstoffe, andererseits die menschlichen Bedürfnisse, die miteinander in einem sinnvollen Verhältnis zueinander stehen müssen. Eine Verknappung des Öls wird eine Verknappung von Lebensmitteln, Verteuerung von Transport, Einschränkung des Handels und damit der Profitproduktion zur Folge haben – also Arbeitslosigkeit, soziale Krise und Konflikte.
Aber selbst, wenn man von dieser schwindenden materiellen Voraussetzung absieht, ist das nächste Problem einer keynesianisch gesteuerten Vollbeschäftigung die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, welche durch Technik etc. menschliche Arbeit immer mehr überflüssig macht. - Gut, würde Flassbeck jetzt sagen, dann müssen eben neue Bereiche in die Warenproduktion eingegliedert werden. Etwa Pflege alter Menschen, neue Dienstleistungen. Wie wird das finanziert? - Aus dem Mehrwert der profitablen Sektoren. Theoretisch kein Problem, ist eine politische Sache. Theoretisch kann der Mehrwert sogar unter die Arbeiter verteilt werden, der Kapitalismus dann unter scheinbar sozialistischen Bedingungen weitergeführt werden. Hauptsache, die Werterzeugung kann immer mehr ausgeweitet werden. Die profitabel erzeugten Produkte müssen schließlich nicht nur dingliche Güter sein, es können genauso „Dienstleistungen“ sein. Hauptsache, sie können verkauft werden und lassen sich als Mehrwert aneignen.
Obwohl dieses Vollbeschäftigungsmodell prinzipiell erfolgreich sein kann, verändert es doch an der Dominanz des Verwertungszwangs nichts.
Es ließen sich ökonomische Systeme denken wie derzeit am Milchmarkt mit der Milchquote. Das wäre aber ein wirklicher Systemwechsel. Merkwürdig, dass die linke Sozialdemokratie nicht auf dieser Schiene denkt. – Klar, sie hat Angst vor dem Vorwurf der Zwangsbewirtschaftung. Es müsste über Ressourcen und Verteilung diskutiert werden, ökonomische und gesellschaftliche Rationalität.

18.5.08

ZIMBABWE

Die Ereignisse in Zimbabwe schlagen ins Grauenhafte um. Mir zeigen sie die Zukunft der Menschheit. Gangs fallen über Dörfer her, die gegen die Regierung gestimmt haben, brennen Hütten ab, verprügeln die Menschen, schlagen sie tot, mit Stacheldraht, Schraubenzieher, Äxten. Eine Elite - jetzt abgekoppelt von dem globalen Warenstrom - finanziert das, antikoloniale und rassistische Ideologie im Munde. Einer der Initiatoren der Folterkampagne ist Mnangagwa, der sich wohl an seinen Landsleuten für die 1965 erlittene Folter rächt.

Wer Anstand hat, setzt sich für den Boykott der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika und der Olympiade in China ein. Mbeki unterstützt, was in Zimbabwe passiert, China liefert die Munition.

Vielleicht gibt das den deutschen Sympathisanten von China und Südafrika zu denken:
Gibson Nyandoro (Video des Guardian). (Viele Informationen auch hier.)

4.5.08

ILLUSIONEN

Die Generation der Facharbeiter stirbt aus. Sie wäre noch am ehesten der Idee einer an Autonomie orientierten sozialistischen Bewegung näher gekommen. Warum? Sie hat noch soviel Kenntnisse gehabt, mit der sie gesellschaftliche, technische und ökonomische Prozesse durchschauen konnte. Auf eine sehr vereinfachte Weise, aber praktisch orientiert und tendenziell universalistisch. Die eigene Arbeit war ein exemplarisches Modell für andere Vorgänge. So wie es bei einem Projektunterricht als Bildungsprogramm propagiert wird.
Das ist vorbei. Es war noch nie gut angesehen, spießig etc. Der Heimwerker – über ihn macht man sich heute lustig. (Ich gebe zu – manche Typen werkeln übel rum).
Oder der Kleingärtner. Ich bin in so einem Verein. Es stimmt schon; diese Mischung geht auf die Nerven. Ich kann die Ressentiments verstehen. Aber da war doch mehr dahinter: Ein Garten, Maschinen reparieren, zuhause ausbessern, selbst bauen. Diese Leute hatten nicht nur Ahnung von vielen Dingen, sie hatten deswegen auch ein politisches Interesse. Natürlich gezwungenermaßen, weil der Staat ihr Leben für Krieg und Frieden in der Hand hielt.
Was aber heute? Schaue ich mir meine Kollegen am Band an – was haben sie noch drauf? Professionell so gut wie gar nichts, es beschränkt sich auf ein paar Ritualien. Große Freude, wenn sie einen Fehler entdecken. Formal wird die Arbeit so gemacht, dass der Chef nicht klagen kann. Da aber auch er nicht wirklich durchblickt – im Großen Ganzen sind nur die externe Fachleute, Hunderte von Kilometern entfernt, kompetent – kann er an eigener Kompetenz nicht viel weitergeben. Fachlich am Qualifiziertesten ist bei mir der Vorarbeiter, aber er ist zu blöde, um Abläufe wirklich rational zu machen, er befriedigt sich mit Klugscheißereien.
Was also läuft in Wirklichkeit? Es geht um den Lohn. Mit dem kann man was anfangen. Mehr interessiert kaum. Die Menschen sind derart reduziert, dass sie sich nicht mehr dafür interessieren, was sich außerhalb ihres Horizonts abspielt, wollen nichts wissen, wie das, was sie konsumieren, hergestellt wird, welche Leute über ihr Leben bestimmen, welche Alternativen es gibt. Die einzige Alternative ist: mehr haben, fressen, kaufen etc. Keine Ahnung von Ökologie, von Politik, von Ökonomie, von Geschichte. „Eindimensionalität“ hat das Marcuse genannt.
Das Bewusstsein von Ökologie wird allgemein überschätzt. Wie beschrieben, besteht die Schule schon im Technikerbereich in der Hinsicht aus kompletten Trotteln. Ist aber keine Ausnahme, sondern die Regel. In den Zeiten von Privatfernsehen ist die Dummheit zum Allgemeingut geworden, die Tageschau zum Versammlungsort der Bildungselite. Wäre interessant, wie viel Lehrer noch Tageschau anschauen oder Zeitung lesen. Es gibt im Fernsehen eine Fülle von guten Informationssendungen. Aber es ist wie bei den Pisaanalphabeten: ist erstmal ein bestimmter Bildungsschritt nicht gemacht worden, geht der Anschluss, die Bildungsfähigkeit insgesamt verloren.
Wie geht es weiter? Die Vertrottelung wird weitergehen, Leben in Scheinwelten.
Wird die große Krise kommen, ein Ende des Autos, der Fresserei? Die Schichten werden sich abdichten. Die Proleten, jetzt nur noch oral abhängige Fettwanste al la New Orleans, werden mit Apolitik geködert, auf der Basis der asiatischen Sklavenarbeiter. Oder sie werden fallen gelassen, sie verwahrlosen. Das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Partizipation wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Reichen etc. ziehen sich in ihre Konzertpaläste und Villen zurück, in ihre exklusiven Welten.

Wie wird die weitere Entwicklung des Kapitalismus aussehen?
Die Produktion und Distribution wird weiter intelligenter werden, die Tätigkeiten werden weiter differenziert werden. Der Schwerpunkt der Arbeit wird sich von der Produktion ins Marketing verlagern. Es wird eine weitere Entkörperlichung der Arbeit stattfinden, dadurch dass körperliche Arbeit an Maschinen, ausländische Sklaven abgegeben wird. (Auf der anderen Seite dann eine Renaissance des Körpers durch Sport, Styling, Outfit.) Genauso wie die Autonomie des Individuums durch seine Integration in kapitalistische Verwertungsprozesse voranschreitet, genauso wird es parallel dazu eine scheinbare Individualisierung und Differenzierung geben. Die spannende Frage ist, wodurch individuelle Differenzierung und gesellschaftlicher Verwertungszwang außer durch Geld zusammengehalten werden. Dies im produktiven Sektor.
Der in Bezug auf Mehrwert nicht produktive Sektor, also Staat, der seine Einnahmen aus den Steuern bezieht, ist notwendig um soziale Konflikte, bedingt durch das kapitalistische Monopol in der Existenzversorgung, auszugleichen und die Grundlagen der Produktion bereitzustellen. Formal zwar demokratisch, muss er aber die kurzfristigen und egoistischen Teilinteressen der Klassen und Schichten, zu Ungunsten der kapitalistischen Gesamtgesellschaft unterdrücken. Dieses Gesamtinteresse stellt sich als technokratisches Gefüge von Wirtschaftsstimulierung – neoliberal oder keynesianisch – und Sozialarbeitertechnologie dar.

Wo wird es diesem System Konflikte geben? Vermute zunächst:
- Konkurrenz der Arbeit führt zu Lohnsenkungen
- Ende der Ölreserven führt zu einer allgemeinen Verteuerung der Lebenskosten
- Stärkere Verteilungskämpfe auch bei der Umverteilung der Profite untereinander
- Bindung an die Gesellschaft geht und zerfällt über Wachstum und Produkte, läuft über internationale Ausbeutung und Rassismus
- Sozialismus wird nicht möglich sein, da individuelle und gruppengebundene Interessen allgemeine überstimmen; Kampf ist angesagt.
- Alternative ist Nichtkampf, Rückzug, vielleicht genossenschaftliche Lösungen

27.4.08

DISKUSSION ÜBER ARBEITSEMIGRANTEN

MK: Du zeigst Dich in Deinem Blog als Rassist. Hinter diesem Facharbeitersozialismusgerede steckt tiefverwurzelt alter Natiosozialismus. Sozialismus ist dagegen für alle da.
Ich: Also Wurzeln habe ich schon, wer hat keine? Aber etwas zu den Arbeitsemigraten: Sie wurden importiert, um den Arbeitsmarkt für das Kapital kontrollierbar zu machen. Das Kapital setzt auf Internationalismus, wenn es damit politische Begrenzungen im nationalen Rahmen bekämpfen kann. Wie jetzt etwa bei den EU-Verträgen.

MK: Aber die deutsche Arbeiterklasse ist doch nur an einem gut funktionierenden Kapitalismus interessiert und hat kein Interesse an einer Systemveränderung. Für das politische System ist es außerdem gleichgültig, wer die Arbeit macht, Inländer oder Ausländer.
Ich: Das stimmt für den beharrenden Teil, also die Arbeiter, die ihren Horizont auf das Leben in ihrem beruflichen Milieu beschränkt haben, die, die nicht in gesellschaftlichen Bezügen denken, sondern sich auf gegebene Konsummöglichkeiten reduziert haben. Alle nehmen mehr oder weniger bewusst gesellschaftlichen Unterschiede und Ungerechtigkeit wahr. Die einen verarbeiten es politisch, die andere individuell. Das gesellschaftlich vorgegebene und dominante Muster ist das der Mittelschicht; nämlich individuell intelligente Anpassung, Fleiß und Aufstieg. Die Verbreitung politischer Lösungsformen hängt von Resonanz in einer Öffentlichkeit ab. Diese Öffentlichkeit gibt es derzeit nicht. Als nicht materiell und praktisch sich durchsetzende Lösung bleibt eine sozialistische Orientierung nur Bewusstsein, Einstellung aber auch Gerede, Attitüde, individuelle Macke.
Die „linke“ Fantasie vieler Arbeiter bleibt allerdings in einem nationalen Rahmen stecken, sei es als nationaler sozialer Kapitalismus oder als nationaler Sozialismus.
Es ist auch nicht übertrieben, zu behaupten, die deutschen Arbeiter hätten in den Gastarbeitern zunächst weniger eine Konkurrenz gesehen als vielmehr eine Möglichkeit, auf deren Rücken aufzusteigen, die unqualifizierte Arbeit an Billigarbeiter abzugeben. Ich selber habe erfahren, wie deutsche Arbeiter durch die Gastarbeiter automatisch zum Vorarbeiter und Industriemeister aufgestiegen sind.

MK: Marx geht davon aus, dass der Kapitalismus nationale Besonderheiten im Weltmarkt egalisiert und da er international agiert, notwendigerweise international mit ihm umgegangen werden muss.
Ich: Marx geht von der Erfahrung der Internationalität von 1830 und 1848 aus. Aber das waren historische Sonderfälle, bei denen die Arbeiterklasse auch keine führende Rolle gespielt hat. In Wirklichkeit macht dieser hohe Anspruch auf Internationalismus, der über Rhetorik und Demos hinausgeht, den Bewegungsrahmen nur kleiner.
Man muss stattdessen von dem Bezugssystem ausgehen, in dem sich für die Menschen die politischen Prozesse und Entscheidungen abspielen. Das ist der nationale Rahmen.

MK: Das ist doch klassische Sozialdemokratie, am Ende noch mit „Burgfrieden“.
Ich: Der Gedanke einer sozialen Demokratie muss doch nicht schlecht sein. Aber ich glaube nicht, dass die Sozialdemokraten den Bruch mit dem Kapitalismus wirklich wollen.

MK: Heißt das also Krieg am Band mit „Ostarbeitern?“ Das ist doch Rassismus! Du wirst von Ihnen mit Recht als arroganter Deutscher gesehen, der sie bevormunden will. Sie wollen nur so leben wie die anderen Deutschen und nicht wie Du mit Deinem Sparsamkeitszwang!
Ich: Krieg oder Kampagnen wären blödsinnig und asozial. Die Gastarbeiter haben zwar als konkurrierendes Element das Machtverhältnis zu Ungunsten der Arbeiterklasse geschwächt, aber gleichzeitig bei den deutschen Arbeitern – ohne es bewusst zu wollen - systemkonforme Haltungen befördert. Sie selber haben eine Erfahrung von Herabsetzung, Missachtung und Diskriminierung, aber beziehen das nur auf sich, ohne die sozialen Verhältnisse ändern zu wollen. Sie haben Angst, ihre materiellen Grundlagen zu verlieren, denken nicht in Alternativen sondern leben in dem Wunsch, das vorhandene deutsche Niveau zu erreichen. Auto, nicht Fahrrad.

MK: Eine NPD-Parolen lautet: „Volksgemeinschaft statt Globalisierung“.
Die NPD-Klientel entsteht aus dem Bereich der durch Konkurrenz und Globalisierung bedrohten oder ausgeschiedenen Gesellschaftsgruppen. Das nationale Argument ist das letzte, das sie noch für sich in Anspruch nehmen können. Es ist aber ein Skandal, dass nicht alle – ob Leistungsträger oder nicht – einen gesellschaftlichen Platz haben. Die Antifa vermute ich - ich kenn zu wenige - stammt aus dem Mittelschichtsmilieu, ist materiell nicht bedroht, nicht zur Konkurrenz mit Ausländern, Hartz4lern gezwungen.
Sie fühlt sich moralisch überlegen, und ist de facto genauso aggressiv wie ihr Gegner. Sinnvoller, statt gegen die NPD zu marschieren, wäre es, für einen menschlichen Umgang, ein realistisches Selbstbild und realisierbare gesellschaftliche Chancen dieser Klientel zu sorgen und die Institutionen anzugreifen, die Menschen diskriminieren und disqualifizieren: Schule und Betriebe, Gewerkschaften.

MK: Aber die politische Trennlinie besteht heute zwischen Faschisten und Antifaschisten.
Ich: Nein, das sind nur Profilierungskonzepte einer Elite, die kein soziales Programm mehr hat, die ihre „überlegene“ Identität durch eine Abgrenzung gegen moralisch, bildungsmäßige und andere Unterlegenheit konstruiert. Typisch dafür etwa
Storz im Freitag, der zu einem Bündnis von Parteien, Gewerkschaften und Kirchen gegen rechts aufruft, also gerade den Institutionen, die marktgläubig Differenzierung, Konkurrenz und Mittelschichtskultur als Leitbild haben. Wie wäre es, wenn Gewerkschaften Diskussion, Information, gleichwertige Bildungsabschlüsse und Löhne für alle zu ihrem Ziel machen würden und nicht Prozentforderungen, Versicherungsmentalität und Marktanpassung.
Die politische Trennlinie liegt in der politischen Intelligenz selber. Darin ob sie in der Lage ist, kollektive Konzepte wirksam werden zu lassen. Also statt technokratischen Konzepten der Existenz – die im Wesentlichen auf der intelligenten Anpassung an Märkte bestehen – politisierte Existenzformen, die die gesellschaftlichen Implikationen politischer Entscheidungen reflektieren können: Bildung, Tarifverträge, Konsumverhalten und Umgangsformen. Also: Markt oder Demokratie.

20.4.08

Kleiner Eklat am Band

Der Kollege hat nun eine private Sache schon fast eine Stunde in der Maschine laufen lassen. Mir geht es langsam auf den Wecker. Und als er es wieder lädt, platze ich. Mein Protest lässt ihn nach Luft schnappen: „Was bist Du für ein Mensch“. Sein Ton macht mich fühlbar zum kalten Ungeheuer. „Keiner will mit dir arbeiten“. Das stimmt, mein Tempo, meine Ökonomie etc. machen es anderen schwer. Oder von mir aus gesehen: Ich kann ihren Trott, die Energieverschwendung kaum aushalten. Überall Lichter an, auch wo nicht gearbeitet wird, Heizungen auch bei 25°an, stundenlang laufen energieaufwendig Maschinen für kleinste Mengen. Wäre ich Chef der Firma, würde ich gleich 15% der Kosten allein mit Energiesparmaßnahmen reduzieren. (Ich verrate mich; ich denke schon wie ein Chef).
Aber ich bin dann doch geschockt über diesen Hassausbruch und mir ist klar, dass ich nun die ganze Ostmafia gegen mich habe. Darin Unterchefin und Gewerkschaften. Sie haben dank ihrer relativen Zuverlässigkeit, vor allem der Frauen, eine Bastion in der Abteilung errichtet und sind überzeugt, dass die Firma ökonomisch eine Art Staatsbetrieb ist, den man gnadenlos für sich nutzen kann. (Vielleicht haben sie Recht, aber de facto ist es asozial, so asozial wie ihr politisches und gewerkschaftliches Verhalten). Weil sie spüren, dass sie potentiell überflüssig sein könnten – durch Rationalisierung, die Maschinerie – versuchen sie möglichst langsam und wenig zu arbeiten.
Für mich Halbzeitler und obwohl älter als die Kollegen, ist die Arbeit am Band eher eine Art Sport und Herausforderung, vor allem am Abend wenn ich dann allein bin ein positiver Stress . (Gut, es gab auch schon Tage, an denen ich durchgehangen habe.) Den Kollegen dagegen in der Routine eines Ganztagesjobs steckend fehlt ein Ausgleich neben der Arbeit, wie bei mir etwa Internet, Schreiben, Lesen, Garten, Sport usw. Schon Radfahren finden sie lächerlich. Die Arbeit und der Hass gegen die Arbeit frisst ihre Seele auf.
Zunächst war ich kaltgestellt. Schlaflose Stunden. Aber ich fühle mich im Recht und brauche ihre Kollegialität nicht. Den deutschen Eliten ist mit dem Import der Arbeiter aus dem Osten gelungen, sich eine abhängige Klientel zu schaffen. Das, was ihr an Verantwortungsgefühl fehlt – ein Korrelat politischer Kritikfähigkeit -, das macht sie mit ihrer Angst, Feigheit und Mobbingbereitschaft umso leichter manipulierbar.
Jetzt beginne ich mir zu überlegen, wie mein Abschied nächstes Jahr aussehen soll. Werde versuchen, einige Unfreundlichkeiten rüberzubringen. Der Chef mit seiner Arroganz soll auch drankommen. Die letzten Abteilungsbesprechungen legt er immer so, dass ich nicht dabei bin.

15.4.08

Zu einem Kommentar

Ein Kommentator meint, Staat wäre auch in Zeiten von Neoliberalismus und Globalisierung notwendigerweise autoritär. - Es ging mir aber bei der Kritik an Reinecke nicht darum, Staat und gesellschaftliche Institutionen grundsätzlich für schlecht zu halten. Ich denke, Reinecke hat darin Recht, als er die spontane Selbstorganisationskraft der Massen kritisch sieht. Das Problem liegt darin, dass sie, will sie wirksam werden, in sich selber staatsähnliche Strukturen ausbildet bis hin zur formellen oder informellen Strafjustiz. – Man kann das zwar durch die permanente Revolution oder Diskussion aufheben, wie es ja wohl auch von Dutschke in seinem „langen Marsch“ gemeint war, aber woher kommt diese kritische Bewegung? Aus der Moral, der Religion, der Vernunft, dem Naturrecht, der Widersprüchlichkeit der Institutionen, menschlichen (biologische) Bedürfnissen, natürlichem Gerechtigkeitssinn, von den „unterdrückten“ Menschen, ihrer Klassenlage, aus den Feindschaftsverhältnissen zwischen Mensch und Staat oder innerhalb der Gesellschaft, dem erreichten neuen Konsumniveau, den Grenzen in der Produktion oder der Geldökonomie, der Energie- und Rohstoffressourcen, Grenzen der Natur oder, oder …??
Das ist ein ziemlich widersprüchliches Geflecht. Warum ist die Bewegung ab dem 11.4.68 totgelaufen? Weil sie versucht hat, dieses Wirrwarr auf ein Feindschaftsverhältnis zu reduzieren.

Zur Plattform von Google: Hier ist es die gleiche Problematik wie bei Aldi, einfach zu handhaben, aber im Sog eines Monopols. Bei meinem Blog geht es neben der Abfuhr von Wut eher um Selbstreflexion als darum, auf andere Einfluss zu nehmen. Oder eher um eine Aufforderung mitzudenken, als um Bestätigung von Übereinstimmungen. Eine freie, offene und nicht polemische Diskussion ist schwierig.
Die gegebene Ohnmacht kann auch die Basis eines neuen Denkens sein. Soll sich wirklich etwas ändern – etwas sehr utopisches – müssen die Bedingungen überlegt werden, worauf es ankommt, wo die Fundamente, oder Quellen, die Wurzeln einer sozialistischen Gesellschaft sind.
Parteibildung, Lagerbildung ist schon deswegen problematisch, weil ich genauso wie andere – nimmt man etwa den berühmten „proletarischen Menschen“ (ein „Begriff“ von 67/68) – ein widersprüchliches Wesen bin. Und das ist zunächst jenseits von Gut und Böse zu denken, oder irgendeinem Lager, diesem Begriff aus der Militärsprache.

Die Neue Linke ist als Praxis gescheitert und muss neu durchdacht werden. Zentraler Mangel war ihre Bindung an die Mittelschicht. Falsch wäre eine Fixierung auf: Ausgrenzungen und Eingrenzungen, sei es Partei, (Anti-)Parlamentarismus, Gewerkschaft, linke Subkultur, linke Philosophie, linke Milieus usw. anstelle eines vernünftigen Diskussion aller mit allen. Ohne eine Einheit der Gegensätze geht es nicht, sie muss nur immer neu gefunden werden. (Reinecke dagegen will, wenn er die Staatsskepsis streichen will, die Dialektik stillstellen).

Aber ich werde mich interessieren, was bei blogsport.com läuft.

12.4.08

STAAT und DUTSCHKE

In der Taz schreibt Stefan Reinecke - dessen klare Schreibweise ich schätze - eine Kritik der antiautoritären Linken um Dutschke.
„Komplett auf den Müllhaufen der Geschichte gehört die Staatsskepsis“.“Wer dauerhaft sozialen Ausgleich und demokratische Verlässlichkeit will, kommt um Institutionen nicht herum“. Das sagt er zu Dutschke, der in einer rhetorischen Phrase, den „langen Marsch durch die Institutionen“ gefordert hatte. Gegen den Staat, so Reinecke, sind die (Neo-)Liberalen, die globalisierten Ausbeuter. Der Staat ist kein Obrigkeitsstaat mehr.
Ok – der Staat ist „Sozialstaat“, als er doch viele am Leben hält, die sonst in ihrer gesellschaftlichen Trostlosigkeit absaufen und vollkommen verwahrlosen würden. Darüberhinaus übt er sich in antifaschistischer Rhetorik (wie kürzlich im Bundestag anlässlich des Ermächtigungsgesetzes), und segnet die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse mit einem Anschein von Rechtmäßigkeit ab. Um diesen Anschein zu erhalten, geht er einige Kompromisse ein, kann diese aber im Konfliktfall auch leicht wieder aufgeben. Nur ein naiv Gläubiger kann sagen, dass der „Rechtsstaat“ im Grunde aus mehr als darin besteht, Verlässlichkeit und Gewohnheit zu garantieren. Zum Wesen des Rechts gehört die demokratische Kontrolle der Produktionsverhältnisse. Wie soll das hier funktionieren, wo Demokratie im Rederecht und Medienprivileg der herrschenden bürgerlichen Elite besteht? Der Staat ist nichts anderes als die Spielwiese der kapitalopportunistischen Mittelklasse, ihre Medium der Bereicherung, ein Theater der freien Rede angesichts der Diktatur in den Institutionen. Recht beschränkt sich auf minimale Schutzrechte, etwa körperliche Unversehrtheit. Aber auch die können durch Arbeitsverhältnisse, Umweltpolitik, Erziehung usw. leicht außer Kraft gesetzt werden. Gesund ist, was Geld bringt.
„Die Linke muss den Staat und auch supranationale Institutionen nutzen, um der blinden Macht des Marktes Gerechtigkeitspolitik abzutrotzen.“ – Heißt das, dass wir jetzt den Energieverbrauch auf 2 to CO2/Jahr/Person reduzieren, dass wir faire Preise für Rohstoffe und Waren zahlen? Natürlich nicht. Dieses Staatsmodell ist nur eine Lüge, mit der die Mittelklasse notwendige Konflikte vermeiden und sich seine Privilegien sichern kann.

Sicher – Reinecke hat in einer Kritik an Dutschke recht. Dutschke personifizierte ein religiöses Charisma; man denke nur an die Rhetorik einer machbaren Geschichte. Aber auch das gehört zum Sozialismus. Die Differenz zu früher liegt nur darin, dass wir an dieser Utopie als einzig richtiger festhalten und gleichzeitig mit Trauer und Verzweiflung wissen, dass es wohl nicht mehr möglich sein wird.
Reinecke spricht vom „blauäugige(n) Vertrauen in Selbstorganisationskräfte der Massen“. Ja – das ist dasselbe Paradoxon. Die Spontaneität der Menschen, ihre demokratische Selbstorganisation bedarf der institutionellen Voraussetzungen, der Aussicht auf Realisierbarkeit, die eben durch diese Institutionen verhindert wird.
Recht und Gerechtigkeit organisieren sich derzeit jenseits des Staats.

11.4.08

ROMAN HERZOG: PLÜNDERER

Einer, der das Zigfache eines Durchschnittsrentners erhält, erlaubt sich die Rentenerhöhung von 1,1% - de facto im Laufe der letzten Jahre durch Inflation eine Senkung um rund 10 % - eine “Ausplünderung“ der Jungen durch die Alten zu nennen. Also einer der Chefplünderer.
Keine Plünderung ist die neoliberale Reform, von ihm in seiner Ruckrede angefordert, die eine Rentenbeitragserhöhung durch Riester um 4 % bedeutet, 2% Entlastung der Arbeitgeber. Arbeit soll billig sein, ist die Devise der Plünderer.
Dieser Typ aus dem Milieu der Befürworter des Ermächtigungsgesetzes, Assistent des Nazijuristen Maunz, machte sich populär, als er von der „Kuschelpädagogik“ redete, diesen misslungenen Versuchen, Menschlichkeit in die Schule zu bringen. Erfolgreich stiefeln jetzt die Produkte der Herzogschen Antikuschelpädagogik durch die Lande. Man versteht sich.
Sein Demokratieverständnis offenbarte er nach den Wahlerfolgen der Linken: Wahlrecht ändern! Jawoll, Herr Herzog!
George Orwell stellt in seiner Animal Farm die Plünderer als Schweine dar. - Welche Beleidigung für Tiere, die für das Wohlergehen der Menschen millionenfach den Opfertod von Jesus wiederholen müssen.

Der größte Skandal an den Äußerungen von Herzog ist aber das kommentarlose Schweigen der Presse. Da ist keiner, der ihm endlich das Maul stopft.

9.4.08

KONSUMKOTZMASCHINE

Ich träume, wie ich an einer Maschine arbeite, auf deren Band die vollgefüllten Teller gestellt werden. Sie spuckt alles wieder kleingehäckselt wieder aus. Es stinkt nach Kotze.

Eine Maschine, die die konsumierenden Menschen überflüssig macht. Wichtig ist aber, dass diese Maschine noch von Menschen bedient wird. Ohne Ausbeutung lebendiger Arbeitskraft kein Mehrwert und kein Profit. Die Konsumkotzmaschine würde die Suche nach Komapatienten, die jahrelang mit Astronautennahrung dahingepflegt werden, überflüssig machen. Aber wer bezahlt die Maschine? Man könnte folgende Lösung finden: die Angehörigen eines medizinisch gut versorgten Komapatienten bekommen die Erlaubnis zum Sterben ihres Angehörigen unter der Bedingung einer Zahlung.

Oder anders: Es wird durch neue Maschinerie zuviel produziert – Überakkumulationskrise! Wer frisst den ganzen Dreck? Also: eine Konsummaschine. Wer zahlt sie? Die, die die restlichen Lebensmittel konsumieren.

Oder ein Kapitalismus ohne Kapitalisten. Da die Klasse fehlt, die den Mehrwert aufbraucht, verfrisst usw., muss diese Arbeit von einer Maschine übernommen werden.

Eine philosophische Interpretation: ein Großteil des konsumierenden Lebens könnte auch von einer Maschine übernommen werden. Oder die, die ihren Lebenssinn aus dem Konsumieren von Waren beziehen, ihr Leben ist so leer wie eine Maschine. Ihren Lebenssinn füllen sie mit dem Besitz von Dingen. Dinge, die sie in Kotze verwandeln. Die großen Taktgeber der Medien führen ihnen vor, was sie zu haben haben. Sie konsumieren mit anderem auf dem Level von Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zur menschlichen Spezies über den Besitz der zu habenden Waren. Wie eine Konsumkotzmaschine funktionieren zu können, definiert ihren Lebenssinn. Die durch einen Tauschwert gesellschaftlich objektiv gewordenen Waren vermitteln dem Konsumenten den Anschein gesellschaftlicher Werthaftigkeit. Damit auch Austauschbarkeit und Identitätslosigkeit. Wesen ohne Seele: Maschine.

Der Geruch oder Gestank? Obwohl an sich körpereigen stößt die Kotze doch ab. Und ist gleichzeitig eine biologische Aufforderung, selber zu kotzen. Die Maschine nimmt damit einen lebendigen, mehr noch unangenehm kollegialen und menschlichen Charakter an. Auch bei Kindern kann man diese Gerüche kennenlernen.

Meine eigene Arbeit steht in diesem Kreislauf von Rein und Raus. Teils stehe ich vor, teils hinter der Maschine.

7.4.08

LINKS GELÖSCHT

Zuerst die „Junge Welt“. – Was hier an Blödsinn über Mugabe und Tsvangirai geschrieben wurde, zeigt, dass hier immer noch die alten Kämpfer am Werk sind: alte Konfrontationen ohne Rücksicht auf menschliche Werte und Rechte, eben Stalinismus. Es gibt zwar gewichtige Argumente gegen Tsvangirai – etwa ein fehlendes Programm, das die Autonomie wiederherstellt ohne die alten kolonialen Wirtschaftsstrukturen wiederzubeleben – aber ihn nur als Agenten von Großbritannien darzustellen, ist destruktive und dümmliche Polemik. Offensichtlich sind die faschistischen Beerhallveteranen, die sich jetzt wieder breit machen wollen, ihre politischen Anverwandten.
Dann der SpiegelOnline. Bedauerlicherweise werde ich damit auf einigen politischen Klatsch verzichten müssen; vor allem werde ich nun nicht mehr sehen können, wie die Gehirnreste der deutschen „Intelligentsia“ mit neoliberalen Ressentiments blödgeknetet werden, dem Ethnozentrismus der Erfolgreichen. Dafür brauche ich mich über die Ersetzung von Diskussion und Argumentation durch polemische Anmache nicht mehr zu ärgern.
Aber klinkt man sich da nicht auf wichtigen „Diskussionszusammenhängen“ aus und begibt sich ins Sektierertum?
Warum soll man aber immer auf die halblinke Intelligentsia, bzw. auf die lautstärkste Fraktion des Bürgertums starren?
Man sieht, dass man bewusst oder unbewusst großen Respekt vor dieser Medienmacht hat. Dagegen helfen all die guten Argumente nicht, die man sich als politisch-philosophischer Heimwerker mühsam zusammenbastelt. Denn sie haben ja Kapital und Macht und damit in der Hand, was „Realität“ ist.
Manchmal oder oft, wenn ich an linke Ohnmacht denke, fällt mir nur die Vision ein, wie alles zusammenbricht, Bilder wie in manchen von Romanen Doris Lessing.
Aber das ist zu kurz gedacht. Wo immer es Elemente von Krisenhaftigkeit gibt, etwa Finanzsystem, Energie, gesellschaftliche Moral, internationale Beziehungen, gibt es doch für den Kapitalismus ein enormes Reservoir an Lösungsmöglichkeiten, die gerade durch die Krise seine immanenten Methoden unterstützen und ihn sogar noch expandieren lassen. Das wären Wissenschaft, Technik, bürgerliche Medien, die Macht der Gewohnheit, der Individualismus der Menschen, die individuelle Bedürftigkeit und Not.
Dagegen wirken unsere Konzepte von: Diskurs, gesellschaftlicher Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Priorität von Beziehungen vor Individualität, die Selbstverständigung der menschlichen Seele durch ihre Entfaltung in der Kunst, Weg nach innen und außen statt Besitznahme von möglichst vielen Dingen – als veraltet, „romantisch“. Und noch viele andere abschätzige Formeln ließen sich finden.
Manchmal denke ich an militante Aktionen. Sie würden die Gefühle von vielen – voll Wut über die tägliche Diskriminierung, Ohnmacht – ausdrücken, aber doch nichts Neues bringen.
Manchmal denke ich, die Menschheit muss erst am Abgrund angelangt sein, um sich bewusst zu werden, was sie alles verpasst hat. Das ist dann der einzige wahre revolutionäre Moment. Die Erkenntnis kommt dann aber zu spät.

In einem
Blog lese ich ein Gedicht dieser etwas katholisierenden Chr. Busta:

"Ich glaube, daß jeder Mensch
mit einer unerfüllten Sehnsucht
von dieser Erde scheidet.
Aber ich glaube auch,
daß die Treue zu dieser Sehnsucht
die Erfüllung unseres Lebens ist."

31.3.08

BLOCKADE

Manche glauben, sie bräuchten solche Überlegungen, wie ich sie in diesem Blog unternehme, nicht ernst zu nehmen. Sie glauben, meine Meinung wäre nur eine absonderliche Minderheitsmeinung und von daher nicht relevant. Man bräuchte sich also keine Gedanken zu machen über Alternativen zu diesem Wirtschafts- ung Gesellschaftssystem. Im Großen und Ganzen wäre ja alles in Ordnung. Die Probleme gingen nicht von der Autorität, den herrschenden Instanzen, seien es Staat oder Unternehmer aus, sondern eher von der Seite der Mitläufer, seien es Gleichaltrige oder Kollegen. (Da ist was dran. No doubt.) Und sie projizieren ein Leben mit Beruf und Konsumgütern, sehen sich als materiell gut ausgestattet und wohl versorgt an. Eigentlich hätten sie keinen Grund zu klagen. (Ohne Begriff für ihr Unbehagen, dieses KeinBockaufNichts, die in Panik treibende Angst vor jeder Änderung, die Wüste, in der sie leben.) Vorgelebt wird ihnen dieses safe life in Fernsehen und Internet. Katastrophen sind individuell verschuldet. Eine starke Persönlichkeit kann mit Beziehungsabbrüchen und Existenzbrüchen leben. Man kämpft sich durch und braucht nicht mit Unmöglichem auffallen. Mit der Religion ist auch das Verlangen nach Transzendenz und der Aufbruch zu etwas Neuem abgeschafft. Das Leben steckt in einer Sauce von Schokolade und Pommes Frittes. Daneben ist der Warenhimmel voll mit Dingen, die es noch zu erreichen gibt. So wie für die Völker der Dritten Welt die Erste das Paradies darstellt und es keinen Grund gibt, durch ein System von Arbeit, Begrenzungen und Zumutungen hindurchzugehen.
Vielleicht sind die Utopien meiner Kindheit: Religion als Versprechen von lebensvoller Ordnung, Musik als Verbindung von individueller Seele und Gemeinschaft, Wissen und Arbeit als kollektive Autonomie – obsolet geworden und können ersetzt werden durch: Job, Geld, Freizeitindustrie - statt: Leben in Unzufriedenheit, Reflexion des Unglücks, Versuche, Gedanken und Experimente von Alternativen, das „gute Leben“ wenigstens denken.
Zugegeben; ich moralisiere mit solchen Begriffen. Es ist zu klar, was besser ist. Ich werde damit meinen Kontrahenten nicht gerecht.
Aber ihr System ist auf Sand gebaut. Der Markt, der ihnen die schönen Dinge verspricht, nimmt ihnen oder anderen über kurz oder lang die Existenzgrundlagen, macht sie bestenfalls zum Teil eines langfristig gesehen überflüssigen parasitären Systems. Parasitär im Energieverbrauch, im Verbrauch von Ressourcen. Produktiv nur in den Finten, sich die Arbeit anderer Menschen anzueignen, sich in den Waren- und Geldstrom einzuklinken.

30.3.08

PENDLERPAUSCHALE

Mit CSU-Huber ist Lafontaine für die Einführung der Pendlerpauschale. Damit macht er die ökologischen Ansprüche der Linken unglaubwürdig und unterstützt die ökologisch bewusstlose Idiotie.
Die Zumutbarkeitsregelung für Arbeitslose, nötigenfalls 1 Stunde zur Arbeit mit dem Auto zu fahren, in Frage zu stellen, das hätte Sinn, ist aber nicht populär.
Es zeigt, wie das Verlangen nach Macht korrumpiert. – Schade, ich habe mehr erwartet.

19.3.08

„TEUFELSBRATEN“

Der Film hat mich bewegt. Dieser wütende Vater, ein eifersüchtiger Gott. Die keifende Mutter, der abergläubische Katholizismus. Das kenne ich so. Am Ende verlässt das Mädchen das Milieu. Sie hat ihr Milieu, vielleicht sogar ihre Klasse, verraten, kann die Destruktivität nicht mehr ertragen. Mit Elias Kultur- und Zivilisationstheorie zeichnet Frau Hahn ihre Herkunft als rückständig und barbarisch. Da ist das Essen nicht mit Messer und Gabel, da ist die körperliche Gewalt , da ist der Dreck überall, der Alkoholismus, die Unfreundlichkeit, das Unverständnis, eine zugebretterte Welt mit vielen Tabus. Auf der anderen Seite aber die Welt der Freundin aus der Mittelschicht mit dem guten Benehmen, Verständnis, Toleranz und Freundlichkeit, Schönheit, Geschmack. Und dazwischen die Heldin der Geschichte, die hochbegabt und einem natürlichem Instinkt für Kultur durch Demütigungen und Beschämungen durchgeht, um endlich mit Hilfe von Literatur, Bildung und Schule ihr Milieu hinter sich zu lassen.
Und landet dann bei einem Mann wie Dohnanyi, landet in diesem bürgerlichen Zentrum moralischer Arroganz und Heuchelei, das sich der SPD zur Machterhaltung bedient. Irgendwas ist da wohl falsch gelaufen. Die Sentiments, Ressentiments und Gefühle – die in dem Vater wabern, in den Frauen ihr Unwesen treiben – sind nicht zum aufgeklärten Gedanken geworden, sind nicht durch das Fegefeuer des Diskurses gegangen, sondern im Narzissmus der Selbstbestätigung im sozialdemokratisch manipulierbaren Warenkonsum stecken geblieben: Fernseher, Kleider, Alkohol.
Zwar finden sich im Film Versuche diesen Vater zu verstehen, aber das begangene Unrecht verunmöglicht ein Verständnis. Es bleibt nur der Weg in die Sackgasse der Distinktion, der Hochkultur, der schönen Künste. Wir haben keinen Einblick in das Leben und Arbeitsleben des Vaters, angedeutet nur wird was von Streik usw. Es ist nicht erkennbar, dass sein Leben die Kehrseite der guten Geschäfte des Bürgertums ist, der Januskopf des freundlichen Händlers. Sein Verhalten in Konfliktsituationen orientiert sich an Entweder-Oder, Freund-Feind, Alles oder Nichts, bewegt von der Angst und Bedrohung der sozialen Existenz, steht im Gegensatz zum bürgerlichen Kaufmanns- und Kulturmilieu, in dem Konflikte durch Verständigung, nicht mit Gehorsamsforderungen, sondern Verhandlungen gelöst werden. Die Kinder stehen dort als Nachfolger und Mitarbeiter im Geschäft schon fest.
Nun gut, diese Geschichte ist vorbei. Ihre Generation stirbt langsam weg. Ihre Barbarei, Unglück, Gewalttätigkeit entfernt sich von der Gegenwart wie ein brodelnder Stern und genauso entfernen sich von uns ihre Energie und ihr innerstes Verlangen nach einer wirklich menschlichen Gesellschaft, in der die anfallenden Lasten gerecht verteilt werden.

16.3.08

MARX - 125.Todestag

Ein paar Offizielle durften im SWR-Funk über Marx diskutieren. Schreckliches Niveau. Einer, der immer meint, man könne Jesus auch nicht für die Inquisition verantwortlich machen. – Natürlich kann man das. Wer aber von der Bibel schon nichts versteht, wie soll der Marx verstehen?Marx entfaltet im „Kapital“ den Begriff des Kapitals nicht nur als ökonomischen Prozess, sondern gleichzeitig als eine zunehmende Verblendung über den wahren Charakter der Mehrwertproduktion. Der Warenfetisch verschleiert mit den ökonomischen Kategorien immer mehr den Ausbeutungs- und Herrschaftscharakter. Wie dieser Schleier zerreißen soll (Mt 27,51), ist bei Marx nur unzureichend entwickelt. Ja, die ökonomische Krise, - aber die haben und hatten wir ja schon in allen Varianten – und können nur hoffen, dass keine große kommt. Denn ohne die Vorstellung von einer neuen Gesellschaft führt die Krise nur zu wachsender Konkurrenz und Barbarei. Deren brutalste Form war die kommunistische Partei.

14.3.08

KOCHKUNST

Am Beispiel von Kochen und Essen lässt sich die gesellschaftliche Verlagerung von der Produktionsgesellschaft zur Distributions- und Konsumgesellschaft betrachten.
Kochen erfordert eine gewisse praktische Intelligenz. inzwischen geht diese Kunst anscheinend in breitem Ausmaße verloren und wird zu einer Angelegenheit von Spezialisten, Kochshows, Hobby in immer teureren Einbauküchen.
Die neue Esskultur ersetzt die biedere Handarbeit des Arbeiterhaushalts durch individuellen Geschmack mit vulgären (Currywurst) oder erlesenen Varianten („mediterrane“ etc.).
Das Geld wirkt als Zaubermittel, das die Arbeit überflüssig macht. An die Stelle von Arbeit mit den eigenen Händen tritt eine magische Beziehung zur Wirklichkeit, die über das Geld. Die Wirklichkeit als Konstruktion durch Handarbeit wird ersetzt durch Rituale des Gelderwerbs. Basis dafür sind Bildungsabschlüsse, ein gewisses Auftreten, Zertifikate, ist der Kauf magischer Produkte (Handy, Filme, Spiele, Bilder), Spekulationen an der Börse, „Geschäfte“, Markenartikel mit Aura und einem „Image“, das weit über Funktion und Realität eines Produktes hinausgeht. Das, was Marx auch mit „Warenfetisch“ gemeint hat.
Während die schulische Ausbildung immer toller wird, die Spezialisierung sich ausweitet, nimmt gleichzeitig praktische Intelligenz immer mehr ab.
Es ist nicht nur der Facharbeiter, der verschwindet, sondern es gehen gleichzeitig soziale Zusammenhänge im Fortschreiten der Individualisierung verloren. Mit der Abnahme der praktischen Fähigkeiten – sei es Haushalt, Reparatur, Garten, Produktion – schwindet die Autonomie der Menschen trotz des Wachsens der Individualisierung.
Autonomie bestand darin, die Gegenstände des Alltags tendenziell selber herstellen zu können - in einem ökonomischen Umgang mit diesen Dingen. Individualisierung dagegen bedeutet die individuelle Auswahl von Marktprodukten nach Lust und Laune vermittelt über das Geld, das man sich durch Einklinken in die Geldströme über Zertifikate, Positionen „erwirbt“. Ein Telefon ist noch begreifbar und potentiell nachbaubar, ein bisschen Strom und mechanische Teile, ein Handy dagegen ist geballte und nicht mehr nachvollziehbare Intelligenz. Man kann es nur noch erwerben. Selbst für die Arbeiter in der Handyproduktion bleibt der Kern nicht mehr verstehbar.
Eine Veränderung des Bildes von Wirklichkeit geht damit einher. An die Stelle eines konstruktiven Wirklichkeitsverständnis („Machbarkeit“) tritt das sich anpassende Denken, das nicht mehr die Welt aus Teilen zusammensetzt, sondern die Wirklichkeit so wie sie ist laufen lässt – das ist ja die neoliberale Illusion – und nur versucht, die vorhandenen Bewegungen und Ströme in die privaten Häfen fließen zu lassen.
Wie kann angesichts dieser neuen Art von Wirklichkeitskonstitution Autonomie, Sozialismus, Revolution aussehen? Kann man damit rechnen, dass die neokapitalistische Welt in eine Krise gerät? Bis jetzt wird die Bankenfinanzkrise ja recht elegant gemanagt. Aber ist eine solche Krise überhaupt wünschenswert angesichts der Verkommenheit der Linken, die über keinen Begriff von freier Produktion verfügt? Deren Denken bestenfalls ordoliberal ist, keynesianisch?

Habermas hat in seinen Schriften um 68 den Primat von gesellschaftlicher Interaktion und Politik gegenüber Arbeit und Technik betont. Alle Linken haben ihn damals mit Recht des Revisionismus geziehen, ohne freilich Alternativen dazu entwerfen zu können. Letztlich sind die linken Modelle, ML oder Sponti, im Großen und Ganzen doch auf politische Konfigurationen fixiert geblieben. Die wenigen praktischen Versuche wie etwa LIP in Besançon waren ohne allgemeine Bedeutung. Der Abgrund zwischen produktionsorientierter und an der Verteilung orientierten Politik wurde nicht aufgearbeitet. Inzwischen hat sich die Produktion durch Auslagerung und intelligente Mechanisierung vollständig verändert. Die distributionszentrierte Sicht macht Arbeit, Arbeiter und die Produkte zum Teil von Geld- und Warenströmen und setzt diese Sicht durch. (Man kann das derzeit gut an der Rentendiskussion studieren). Die materielle Seite der Produktion ist zwar nicht unproblematisch – Arbeitslosigkeit, Rohstoffprobleme, Naturzerstörung – aber ihre Bedeutung ist im Hinblick auf ihren Tauschwertcharakter nur noch relativ.

Angesichts des Siegeszugs des Warenfetischs und der gleichzeitigen Lächerlichkeit von linken Produktionsutopien stellen sich Fragen nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit, nach einer Moral, nach der Entwicklung des gesellschaftlichen Ganzen. Sie werden aber, da auf die Basis der individuellen Ohnmacht und Isoliertheit fixiert, nur der Beliebigkeit und der Faktizität der Vormacht und des Vorrechts überlassen. Mit der Aufgabe des autonomen Produzenten und der freien Assoziation der Produzenten wird auch der Begriff von Recht aufgegeben. Das war sogar Hermann Heller, dem Theoretiker der sozialdemokratischen Staatslehre (Sozialstaat plus Wirtschaftsdemokratie), klar. Deswegen hat er den Rechts- und Sozialstaat an die Idee einer Wirtschaftsdemokratie gebunden. Aber das war nur angedacht. Die daraus erfolgte Montanmitbestimmung – ohnehin nur in den Händen der Eliten – war nur eine misslungene Form der Produzentendemokratie. Der Gegner Hellers C. Schmitt hat sich mit der Macht des Vorrechts der herrschenden Klassen wieder durchgesetzt.

Die Produzentendemokratie war eine Art, die Wirklichkeit zu begreifen und zu beurteilen. Sie gab den Maßstab für Recht und Unrecht, Mehrwert und Ausbeutung, produktiv und unproduktiv. In der Gesellschaft, in der die „Teilhabe“ über die Distribution erfolgt, gelten ganz neue Kriterien. Einwenden ließe sich, dass auch hier die Produktion noch „Basis“ wäre. Aber es ist eine „Basis“, die ihren materiellen Charakter verliert: importierte Produkte, Arbeitsemigranten, Ölökonomie. Vorwiegend wird das „Sozialprodukt“ – einen Begriff, den man nur satirisch verwenden kann – verteilt über Staatsausgaben, Zinsen, Gewinne und erst am Ende in einem kleinen Anteil von Löhnen aus der Mehrwertproduktion.

Soll man als Linker, wo sich die Möglichkeit einer autonomen Produzentengesellschaft immer mehr von ihrer Realisierbarkeit entfernt, das Denken aufhören, die Kritik einstellen, die Utopie vergessen, das Projekt Geschichte als beendet ansehen? Oder soll man sich darauf kaprizieren, an den Ereignissen immer wieder die Sinnlosigkeit ihres Fortschritts nachzuweisen, da doch solche „Dinge“ wie Autonomie, Verantwortung, Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Zusammenleben, Versöhnung schon längst auf dem Müllhaufen der Romantik gelandet sind, weil es sich um nicht käufliche Dinge handelt? „Sozialromantik“.


2.3.08

LITTELL

Nachdem, was zuerst über Littells Buch berichtet wurde, spürte ich Abwehr dagegen, Verdacht auf die französische Neobürgerlichkeit, Bedienung der Ressentiments gegen den Boche. Auch halte ich es nicht für möglich, authentisch vom Gesichtspunkt eines anderen zu schreiben.
Beim Lesen dieser ersten 120 Seiten bin ich dann still geworden. Zuerst sind es viele dicke Sätze – man schluckt sie – dann werde ich in das Subjekt des Romans hineingestoßen: Selbstmordfantasien, jemand ist ehrlich, will die Wahrheit, will nicht verleugnen. Man nimmt ihm die Bekenntnisse, die Gefühle ab – Nichtigkeit, Ekel, Erbrechen. Gleichzeitig wird klar, dass es einen solchen SSler nicht gibt. Diese Leute hätten sich nur herausgeredet, hätten die Verantwortung abgelehnt, hätten sich als sauber, harmlos oder wenigstens banal dargestellt. Wer steckt also hinter diesem erzählenden Subjekt? Man erinnert sich an die existenzialistische Literatur; „Ekel“, „Die Fliegen“. - Ich meine: das Subjekt sind wir. Wir die Nachgeborenen, die, die überlebt haben. Was passiert ist, stellt jede positive Zukunft in Frage. Die Gerechtigkeit würde ein Ende der menschlichen Geschichte verlangen.
Dem Autor ist das wohl nicht klar. Denn sonst hätte er das nicht schreiben können. Er hat sich auf ein Spiel eingelassen und weiß vielleicht nicht, wie ernst es ist. Zumindest verraten seine Interviews nicht viel davon. Angesichts des Bösen wird das eigene Böse zum Guten.
Also doch eine Lüge? Wir werden mit der Fragilität von Moral und gutem Selbst konfrontiert. Wir hätten an die Stelle von Aue geraten können, bzw. er ist uns nicht mehr so fern.
Da sind Bildungsfetzen, irgendwelche zerstückelte Bildungstrümmer, Phrasen, Worte. Was als "humanistisch“ läuft, eine Vorform der
Barbarei. Der zentrale Punkt der griechischen Tragödie, ihr Ziel, aber war die Katharsis. Ist die noch möglich?
Jedenfalls ist „geistvoll“ oder „kultiviert“ mehr als mit Zitaten zu spielen.

Dann die Sendung in Arte. Von Großereignis ist die Rede. Stolz präsentieren sich Beteiligte. Schirrmacher, der wohl ehrlich meint, so oder irgendwie ließe sich Vergangenheit bewältigen. Dazu passt, dass der Autor die Ursache des Bösen im Staat sieht, wie Hilberg in der Bürokratie usw., im Totalitarismus. Die Beteiligten sind nur durch ein zufälliges Schicksal Verstrickte. Das ist die Lüge.
Sie besteht in der Ausschaltung des Subjekts, die im Roman vollzogen wird – ein Trick dazu ist die Homosexualität des Berichtenden. Natürlich sind die begangenen Taten Folge von für den „normalen“ Menschen wesensfremden Motiven, „ichfremd“. Aber gerade deswegen kommt der „Roman“ uns auch so nahe – weil er diese für uns fremden Motive in uns selbst anspricht. Wir sind ja auf demselben Mist wie unsere Väter gewachsen.
Aber die Bürokratie, der Staatsterror hat eine subjektive und individuelle Seite. Solange sie strukturalistisch entfremdet bleibt, oder Verantwortung negiert wird wie bei der Nazigeneration, wird diese Seite nicht adäquat bewusst. Es bleibt bei Ausreden und potentiellem Wiederholungszwang. Die Ohnmacht schafft die Allmacht.

Die Identifikation des Lesers erfolgt paradoxerweise über die Homosexualität des Roman-Ichs: „Es interessiert mich, aber es bin nicht ich“. Sie führt den Roman zu verschiedenen Aspekten. Als Homosexueller ist er außerhalb der Gesellschaft, es gibt keine Bindungen an andere Menschen. Das ist ein übles Klischee, aber es funktioniert. Dieser Status ermöglicht dem Berichtenden die Wahrheit ungeschminkt zu sagen. Durch seine Homosexualität gerät er schließlich wider Willen in den verbrecherischen Sicherheitsdienst. Darüber hinaus lässt sich durch die Homosexualität des Berichtenden die Komplexität menschlicher Beziehungen auf Männerbeziehungen und Gewalt reduzieren. Der Homosexuelle, zur ständigen Tarnung gezwungen, führt ein Innenleben, das dem Roman die Form gibt und Identifikation erzwingt. Endlich bietet – wieder ungerecht - die Homosexualität dem Roman das männliche Material zur Verfügung: Sperma, Blut, Scheiße, Gestank, Leichen. Wie überhaupt männliches Denken sich äußert in den Zahlen und Berechnungen, Beschreibung von Maschinen und Maschinerien, bürokratischen Apparaten.
Apropos Maschine: Schuld wird von Aue abgestritten und erdrückt ihn doch als Gefühl, kehrt als Sehnsucht nach dem schuldlosen Urzustand negativ wieder, als ein verstecktes Verlangen nach Jungfräulichkeit in der Spitzenfabrik, mit deren Produkte Brautkleider dekoriert werden.
Interessant wäre, ob der männliche Blick gesprengt wird, ob das Andere (Geschlecht) auftaucht. Aber ich werde das Buch nicht weiterlesen. Es fehlt mir die Perspektive der Wende, der Revolution – Umkehr -, die Katharsis, die Versöhnung. Bücher dieser Art bringen Publikum und Retter nur in Wartestellung für das nächste Auschwitz. Man gewöhnt sich daran. Es führt nicht darüber hinaus. Er missbraucht die Geschichte für eine coole Attitüde, die Konstruktion der eigenen Güte angesichts des Bösen.

Die bisher einzig authentische Annäherung an den Judenmord bleibt „Shoa“ von Lanzmann.