14.3.08

KOCHKUNST

Am Beispiel von Kochen und Essen lässt sich die gesellschaftliche Verlagerung von der Produktionsgesellschaft zur Distributions- und Konsumgesellschaft betrachten.
Kochen erfordert eine gewisse praktische Intelligenz. inzwischen geht diese Kunst anscheinend in breitem Ausmaße verloren und wird zu einer Angelegenheit von Spezialisten, Kochshows, Hobby in immer teureren Einbauküchen.
Die neue Esskultur ersetzt die biedere Handarbeit des Arbeiterhaushalts durch individuellen Geschmack mit vulgären (Currywurst) oder erlesenen Varianten („mediterrane“ etc.).
Das Geld wirkt als Zaubermittel, das die Arbeit überflüssig macht. An die Stelle von Arbeit mit den eigenen Händen tritt eine magische Beziehung zur Wirklichkeit, die über das Geld. Die Wirklichkeit als Konstruktion durch Handarbeit wird ersetzt durch Rituale des Gelderwerbs. Basis dafür sind Bildungsabschlüsse, ein gewisses Auftreten, Zertifikate, ist der Kauf magischer Produkte (Handy, Filme, Spiele, Bilder), Spekulationen an der Börse, „Geschäfte“, Markenartikel mit Aura und einem „Image“, das weit über Funktion und Realität eines Produktes hinausgeht. Das, was Marx auch mit „Warenfetisch“ gemeint hat.
Während die schulische Ausbildung immer toller wird, die Spezialisierung sich ausweitet, nimmt gleichzeitig praktische Intelligenz immer mehr ab.
Es ist nicht nur der Facharbeiter, der verschwindet, sondern es gehen gleichzeitig soziale Zusammenhänge im Fortschreiten der Individualisierung verloren. Mit der Abnahme der praktischen Fähigkeiten – sei es Haushalt, Reparatur, Garten, Produktion – schwindet die Autonomie der Menschen trotz des Wachsens der Individualisierung.
Autonomie bestand darin, die Gegenstände des Alltags tendenziell selber herstellen zu können - in einem ökonomischen Umgang mit diesen Dingen. Individualisierung dagegen bedeutet die individuelle Auswahl von Marktprodukten nach Lust und Laune vermittelt über das Geld, das man sich durch Einklinken in die Geldströme über Zertifikate, Positionen „erwirbt“. Ein Telefon ist noch begreifbar und potentiell nachbaubar, ein bisschen Strom und mechanische Teile, ein Handy dagegen ist geballte und nicht mehr nachvollziehbare Intelligenz. Man kann es nur noch erwerben. Selbst für die Arbeiter in der Handyproduktion bleibt der Kern nicht mehr verstehbar.
Eine Veränderung des Bildes von Wirklichkeit geht damit einher. An die Stelle eines konstruktiven Wirklichkeitsverständnis („Machbarkeit“) tritt das sich anpassende Denken, das nicht mehr die Welt aus Teilen zusammensetzt, sondern die Wirklichkeit so wie sie ist laufen lässt – das ist ja die neoliberale Illusion – und nur versucht, die vorhandenen Bewegungen und Ströme in die privaten Häfen fließen zu lassen.
Wie kann angesichts dieser neuen Art von Wirklichkeitskonstitution Autonomie, Sozialismus, Revolution aussehen? Kann man damit rechnen, dass die neokapitalistische Welt in eine Krise gerät? Bis jetzt wird die Bankenfinanzkrise ja recht elegant gemanagt. Aber ist eine solche Krise überhaupt wünschenswert angesichts der Verkommenheit der Linken, die über keinen Begriff von freier Produktion verfügt? Deren Denken bestenfalls ordoliberal ist, keynesianisch?

Habermas hat in seinen Schriften um 68 den Primat von gesellschaftlicher Interaktion und Politik gegenüber Arbeit und Technik betont. Alle Linken haben ihn damals mit Recht des Revisionismus geziehen, ohne freilich Alternativen dazu entwerfen zu können. Letztlich sind die linken Modelle, ML oder Sponti, im Großen und Ganzen doch auf politische Konfigurationen fixiert geblieben. Die wenigen praktischen Versuche wie etwa LIP in Besançon waren ohne allgemeine Bedeutung. Der Abgrund zwischen produktionsorientierter und an der Verteilung orientierten Politik wurde nicht aufgearbeitet. Inzwischen hat sich die Produktion durch Auslagerung und intelligente Mechanisierung vollständig verändert. Die distributionszentrierte Sicht macht Arbeit, Arbeiter und die Produkte zum Teil von Geld- und Warenströmen und setzt diese Sicht durch. (Man kann das derzeit gut an der Rentendiskussion studieren). Die materielle Seite der Produktion ist zwar nicht unproblematisch – Arbeitslosigkeit, Rohstoffprobleme, Naturzerstörung – aber ihre Bedeutung ist im Hinblick auf ihren Tauschwertcharakter nur noch relativ.

Angesichts des Siegeszugs des Warenfetischs und der gleichzeitigen Lächerlichkeit von linken Produktionsutopien stellen sich Fragen nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit, nach einer Moral, nach der Entwicklung des gesellschaftlichen Ganzen. Sie werden aber, da auf die Basis der individuellen Ohnmacht und Isoliertheit fixiert, nur der Beliebigkeit und der Faktizität der Vormacht und des Vorrechts überlassen. Mit der Aufgabe des autonomen Produzenten und der freien Assoziation der Produzenten wird auch der Begriff von Recht aufgegeben. Das war sogar Hermann Heller, dem Theoretiker der sozialdemokratischen Staatslehre (Sozialstaat plus Wirtschaftsdemokratie), klar. Deswegen hat er den Rechts- und Sozialstaat an die Idee einer Wirtschaftsdemokratie gebunden. Aber das war nur angedacht. Die daraus erfolgte Montanmitbestimmung – ohnehin nur in den Händen der Eliten – war nur eine misslungene Form der Produzentendemokratie. Der Gegner Hellers C. Schmitt hat sich mit der Macht des Vorrechts der herrschenden Klassen wieder durchgesetzt.

Die Produzentendemokratie war eine Art, die Wirklichkeit zu begreifen und zu beurteilen. Sie gab den Maßstab für Recht und Unrecht, Mehrwert und Ausbeutung, produktiv und unproduktiv. In der Gesellschaft, in der die „Teilhabe“ über die Distribution erfolgt, gelten ganz neue Kriterien. Einwenden ließe sich, dass auch hier die Produktion noch „Basis“ wäre. Aber es ist eine „Basis“, die ihren materiellen Charakter verliert: importierte Produkte, Arbeitsemigranten, Ölökonomie. Vorwiegend wird das „Sozialprodukt“ – einen Begriff, den man nur satirisch verwenden kann – verteilt über Staatsausgaben, Zinsen, Gewinne und erst am Ende in einem kleinen Anteil von Löhnen aus der Mehrwertproduktion.

Soll man als Linker, wo sich die Möglichkeit einer autonomen Produzentengesellschaft immer mehr von ihrer Realisierbarkeit entfernt, das Denken aufhören, die Kritik einstellen, die Utopie vergessen, das Projekt Geschichte als beendet ansehen? Oder soll man sich darauf kaprizieren, an den Ereignissen immer wieder die Sinnlosigkeit ihres Fortschritts nachzuweisen, da doch solche „Dinge“ wie Autonomie, Verantwortung, Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Zusammenleben, Versöhnung schon längst auf dem Müllhaufen der Romantik gelandet sind, weil es sich um nicht käufliche Dinge handelt? „Sozialromantik“.


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