12.4.08

STAAT und DUTSCHKE

In der Taz schreibt Stefan Reinecke - dessen klare Schreibweise ich schätze - eine Kritik der antiautoritären Linken um Dutschke.
„Komplett auf den Müllhaufen der Geschichte gehört die Staatsskepsis“.“Wer dauerhaft sozialen Ausgleich und demokratische Verlässlichkeit will, kommt um Institutionen nicht herum“. Das sagt er zu Dutschke, der in einer rhetorischen Phrase, den „langen Marsch durch die Institutionen“ gefordert hatte. Gegen den Staat, so Reinecke, sind die (Neo-)Liberalen, die globalisierten Ausbeuter. Der Staat ist kein Obrigkeitsstaat mehr.
Ok – der Staat ist „Sozialstaat“, als er doch viele am Leben hält, die sonst in ihrer gesellschaftlichen Trostlosigkeit absaufen und vollkommen verwahrlosen würden. Darüberhinaus übt er sich in antifaschistischer Rhetorik (wie kürzlich im Bundestag anlässlich des Ermächtigungsgesetzes), und segnet die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse mit einem Anschein von Rechtmäßigkeit ab. Um diesen Anschein zu erhalten, geht er einige Kompromisse ein, kann diese aber im Konfliktfall auch leicht wieder aufgeben. Nur ein naiv Gläubiger kann sagen, dass der „Rechtsstaat“ im Grunde aus mehr als darin besteht, Verlässlichkeit und Gewohnheit zu garantieren. Zum Wesen des Rechts gehört die demokratische Kontrolle der Produktionsverhältnisse. Wie soll das hier funktionieren, wo Demokratie im Rederecht und Medienprivileg der herrschenden bürgerlichen Elite besteht? Der Staat ist nichts anderes als die Spielwiese der kapitalopportunistischen Mittelklasse, ihre Medium der Bereicherung, ein Theater der freien Rede angesichts der Diktatur in den Institutionen. Recht beschränkt sich auf minimale Schutzrechte, etwa körperliche Unversehrtheit. Aber auch die können durch Arbeitsverhältnisse, Umweltpolitik, Erziehung usw. leicht außer Kraft gesetzt werden. Gesund ist, was Geld bringt.
„Die Linke muss den Staat und auch supranationale Institutionen nutzen, um der blinden Macht des Marktes Gerechtigkeitspolitik abzutrotzen.“ – Heißt das, dass wir jetzt den Energieverbrauch auf 2 to CO2/Jahr/Person reduzieren, dass wir faire Preise für Rohstoffe und Waren zahlen? Natürlich nicht. Dieses Staatsmodell ist nur eine Lüge, mit der die Mittelklasse notwendige Konflikte vermeiden und sich seine Privilegien sichern kann.

Sicher – Reinecke hat in einer Kritik an Dutschke recht. Dutschke personifizierte ein religiöses Charisma; man denke nur an die Rhetorik einer machbaren Geschichte. Aber auch das gehört zum Sozialismus. Die Differenz zu früher liegt nur darin, dass wir an dieser Utopie als einzig richtiger festhalten und gleichzeitig mit Trauer und Verzweiflung wissen, dass es wohl nicht mehr möglich sein wird.
Reinecke spricht vom „blauäugige(n) Vertrauen in Selbstorganisationskräfte der Massen“. Ja – das ist dasselbe Paradoxon. Die Spontaneität der Menschen, ihre demokratische Selbstorganisation bedarf der institutionellen Voraussetzungen, der Aussicht auf Realisierbarkeit, die eben durch diese Institutionen verhindert wird.
Recht und Gerechtigkeit organisieren sich derzeit jenseits des Staats.

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