27.12.07

IDEALE EINES IDEALISTISCHEN LEHRERS

Die taz berichtet von einem Lehrer, der mit 59 nach 35 Jahren Hauptschule in Berlin aufgibt. Er „wollte den Kindern etwas beibringen, die am ärmsten dran sind“.

Sympathisch wirkt sein Versuch, sich mit den Underdogs zu befassen, ihre ganzen Störversuche in Kauf zu nehmen und sich mit ihren Problemen auf einer menschlichen Ebene zu befassen. Dabei wird ihm klar, dass der linke Multikultikult heuchlerisch ist, dass entgegen der linksliberalen Ideologie gesellschaftliche Überlebensfähigkeit eines Menschen von einer Familie abhängt, die im bürgerlichen Sinne funktioniert.

Doch nachdem er nun clever mit Burnout (und damit gut gesicherter und nicht durch eine mögliche Altersteilzeit reduzierte Rente) aussteigt, stelle ich doch die Frage, inwieweit Schule als linkes Projekt überhaupt möglich sein kann. Schule innerhalb eines linken Projekts sollte sein:
- demokratische Schule. Das bedeutet, Beziehungen herstellen, Äußerung von Interessen ermöglichen, demokratische Abstimmung. Prüfungen müssen extern, Unterricht von Benotung getrennt sein.
- ohne Schulpflicht. Das dürfte als eine gefährliche Utopie erscheinen, mit der Konsequenz von faulen, asozialen Analphabeten. Übergangsweise läuft die Demokratisierung aber zumindest über Wahlmöglichkeiten, Projekte etc. Die Tour über die Staatsautorität, die auch dieser Lehrer eingeschlagen hat, geht nicht. Wie soll er als Beamter ernst genommen werden können?
- positives Klassenbewusstsein. Schule soll nicht primär Über- und Unterlegenheitsgefühl, sondern Fähigkeiten vermitteln. Das Bewusstsein von Klassengesellschaft, ihren Mechanismen der Ausgrenzung und Unterdrückung ist essentiell. Zum Klassenbewusstsein gehört das Bewusstsein von der historischen Niederlage der Arbeiterklasse. Die Alternative liegt nicht in Siegparolen, Suche nach individuellem Vorsprung, sondern im intelligenten Umgang mit der Frustration
- Lehrer sind nicht linke Caritas, brauchen keinen „DemVolkeDienen“-Komplex, auch Helfersyndrom genannt. Das ist nur Kehrseite von Herablassung und Herrschaft.

Ich selber hatte die Option, Lehrer zu werden. Blauäugig wie ich war, wurde mir bald klargemacht, dass „Lehren“ eine Form der Herrschaft ist. Während ich als Schüler die Aussicht hatte, durch die Schule an dieser Herrschaft zu partizipieren, war Schule für andere (meine Schüler) eine Möglichkeit, nicht um der „Macht“ zu widerstehen, sondern sie scheinbar - in einer oft blödsinnigen und niederträchtigen Form – selbst zu übernehmen. Ich habe nach Lehrern gesucht, die mit ihren demokratischen Vorstellungen ähnlich gescheitert sind, aber der Typ des „guten Lehrers“ hat die Szene beherrscht. Der „gute Lehrer“ begeistert die Klasse mit seiner Persönlichkeit, er hat die Klasse im „Griff“. Genauso wie er eine individuelle Lösung auf die Legitimationsprobleme der Schule ist (Zwang kontra Demokratie), so kann er seinen Schülern auch nur individuelle Lösungen anbieten.
Ich jedenfalls kam zur Erkenntnis, dass Schule als linkes Projekt nicht möglich ist. Bitter war, meine eigenen Kinder in diesen Laden schicken zu müssen, sie zu absurden und sinnlosen Dingen drängen zu müssen. Was ich dabei an Lehrertypen so kennen gelernt habe, ist entmutigend und macht misanthropisch:
- die Grundschullehrerin, mit der ich und mein Sohn es 4 Jahre lang zu tun hatte
- der Lehrer, der stolz von seiner Menschenkenntnis erzählt, wie er von Beginn an weiß, wie der Schüler abschließen wird,
- die Lehrer, deren Unterricht daraus besteht, dünne Sätzchen von der Tafel abschreiben zu lassen
- die Lehrer, die monatelang zur Korrektur von Arbeiten brauchen – eben faule Säcke
- die Lehrer ohne Fachwissen, aber sehr, sehr viel Selbstbewusstsein
- der Lehrer, der in einer halben Stunde die Trigonometrie einführt, die restliche Zeit Erzählungen über seine Autos, womit er zu den „guten“ Lehrern zählt.
- die Lehrer, die viele Tests schreiben lassen, ohne aus deren fatalen Ergebnisse Konsequenzen ziehen
- viele Lehrer lassen die Klassenarbeiten in den letzten Wochen vor den Ferien, Zeugnissen schreiben
- schon in den ersten Grundschulklassen werden Klassenarbeiten geschrieben. Während ich meine ersten Klassenarbeiten in der vierten Grundschulklasse geschrieben habe – weiß der Teufel, wie die Noten vorher zustande kamen – soll heute der Selektionsdruck die bei mir noch üblichen Schläge ersetzen. Der geheuchelten Menschenfreundlichkeit antworten die so Disqualifizierten mit Zynismus.

12.12.07

LINKSPARTEI UND KULTUR

Die Linke forderte eine "Entscheidung des Bundestages für ein Staatsziel Kultur": Zunächst löst das bei mir Empörung aus. Ich denke an diese Kuturmafia, die die linke Szene mit ihrem Selbstdarstellungsdrang und Eitelkeit beherrscht. In der Regel kommen diese Künstler aus gutem Hause oder wenn nicht, dann betreiben sie doch das Geschäft der bürgerlichen Eliten. Sie geben ihnen ein Gefühl der Überlegenheit. Die so genannte Kultur geht oft in die Verehrung von außerordentlichen Persönlichkeiten über im Verhältnis zu denen die Normalsterblichen sich als miserabel und unfähig fühlen.
Gleichzeitig, durch die Verwobenheit mit dem bürgerlichen Publikum, das sich mit ihren Leistungen ziert und über große Summen von Geld verfügt, werden hier exorbitante Gelder verdient. Es entsteht ein Preislevel, der der breiten Masse, selbst wenn sie Interesse daran hätte, Ausbildung und Praktizieren und Teilnahme an einer so genannten Kulturaktivität schwer macht.
Ein großer Teil der künstlerischen Aktivitäten besteht zudem darin, sich von den breiten Massen abzugrenzen und durch Auserlesenheit fernzuhalten. Zudem aber verfügt die bildungsbürgerliche Klasse über die öffentlichen Einnahmen und weiß die Ausgaben in ihre Richtung zu lenken und für ihre Interessen zu nutzen. Auf Kosten der Allgemeinheit werden zahllose teure esoterische Kultureinrichtungen finanziert.

Letzten Freitag konnte man in Arte die Direktübertragung aus der Scala von Wagners Tristan sehen und hören. Angesichts der Leistung von W. Meier – besonders im letzten Teil - kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Perfekt gesungen, ganz in der Musik, ohne Eitelkeit und Stargehabe. Abgesehen vom Inhalt der Oper: die Nacht und ihre Ruf zum Untergang des Bewusstseins, zum Versinken in Nacht, Schlaf und Tod, unbedingte Liebe, Verschmelzung, Auflösung des Ichs. Dargestellt durch ein düster graues Bühnenbild, Kleidung, wenige aber passende Farben. Das Orchester mit Barenboim drückt die die seelischen Vorgänge präsent und perfekt aus, ohne im Vordergrund zu sein.
Fragen über die Ambivalenz Wagners, seinen Antisemitismus etc. lasse ich hier weg. Warum etwa reduziert er „Liebe“ - vielleicht unabsichtlich? - im Liebestrank auf einen Hormoncocktail und folglich falschen Zauber? Warum ziehen seine Opern die politische Prominenz an? Köhler, Craxi, Napolitani (
Cossiga?). Der widerliche Bock Fischer führt seiner neuen Dame vor, welche fatalen Folgen ein zeitweiliger Hormonstau haben kann. Oder will er am Lebensabend von ewiger Treue, unbedingter Liebe sprechen: „Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit“ Finden sich diese Herren in der Scala ein, weil sie sich eben gerne in Kultur, Geschichte und großen Leistungen baden. Oder weil sie zwar viel beschäftigt sind, aber in Wirklichkeit selber nichts Gescheites zustandekriegen? Warum zieht Wagner die Hitlers und Merkels an? Ist es die Theatralik des großen Individuums, das tragisch zum Scheitern verurteilt ist? Ist es der Todes- und Tötungsdrang? Die Verbindung von solchem mit Elitenambiente? Würde man diese Leute auch finden bei „Wozzek“ und „Lulu“?

Diese Leistungen sind möglich durch Künstler, die durch die Welt jetten, einer Weltelite, aus sehr speziellen Familien. Begabung reicht nicht, Arbeit auch nicht. Mit Neid und gegen meine Überzeugungen verfalle ich in Bewunderung, etwa der W. Meier, ob meine Verehrung ihr oder der Musik, die sie singt, gilt. Solche Leistung ist nur möglich auf dem Hintergrund der Existenz einer privilegierten Bildungselite, großzügigen materiellen Ressourcen. Es braucht die Möglichkeit, sich materiell abgesichert zurückziehen zu können, der Konkurrenz mehrer Opernhäuser usw. Und nach der geschmäcklerischen Meinung eines Rezensenten war es doch nur „
Mittelklasse, mit einigen Glanzpunkten und den Defiziten des Wagnergesangs, die heute scheinbar auch an großen Häusern schwer zu überbrücken sind“.

Wie vereinbare ich diese meine Bewunderung mit meinem Affekt gegen die Kulturhimmelei der Linken? Ich denke, Kultur muss heruntergeschraubt werden. Die (kritische) Aneignung der traditionellen bürgerlichen Kultur ist wichtig, etwa Theater und Musik. Aber auf einer breiten Basis – nicht als Privileg. (Ich denke hier an die vielen Chöre in Kuba). Die Frage, warum „Kultur“ zum Zuschaufernsehen verkommt, müsste erörtert werden.

11.12.07

MUGABE, MERKEL UND BISMARCK

Der zimbabweanische Informationsminister Ndlovu im Herald: „Germany, he said, needed a leader like Otto von Bismarck, who fought for its unification and eradication of injustices.” Diese Lächerlichkeit aus dem Mund eines “Marxisten“ ist für Außenstehende nur schwer zu verstehen. Anders, wenn man weiß, dass eine der Lieblingstopics zimbabweanischer Schulerziehung Bismarcks Außenpolitik und die Aushebung von Schützengräben im ersten Weltkrieg ist. Jeder Unsinn von Bildungsgut soll recht sein, Hauptsache, es dient dem Zweck der Differenzierung von Eliten und Massen. Etwas Ähnliches findet ja auch unseren Schulen statt. Der Blödsinn wird bei den Afrikanern nur offensichtlich.
Natürlich ähnlich blödsinnig der Vorwurf an Merkel, sie hätte ihre „Nazi inclination“ mit einem angeblichen Verbot von Scientology und Drehverbot für Cruise gezeigt. Aber es zeigt das Niveau der herrschenden Banditen in Zimbabwe.
Die gute Merkel hat in Lissabon ihr moralisch Bestes versucht. Nicht bekannt wird aber die Essenz der Lissabonner Verträge: weiterhin gute Geschäfte mit Afrika (Edelmetalle, Erdöl, Tierfutter etc.). Auch die der Export von Atomkraft ist schon vorgesehen. Die afrikanische Oberschicht darf also weiter auf europäischem Konsumniveau bleiben, schon dank der Hintermänner Merkels.

8.12.07

HEILSVERSPRECHEN: PAPST UND MARX

Was hat der Papst auf einer Seite verloren, deren Thema eigentlich das Leben am Fließband sein sollte? Weil er den Sozialismus angreift? Weil so vieles so leicht kritisierbar ist, von dem was er schreibt? Als Ex-Katholik reizt mich die kirchliche Phraseologie, der Anspruch auf große Wahrheiten, dieses Spiel mit Grenzen, die zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch gesetzt werden. Der exklusive Wahrheitsanspruch ist verletzend, eine Anmaßung.
Frage des Papstes: Was können wir hoffen?
Hoffen ist etwas wünschen und verlangen, was nicht sicher ist. Der auf etwas Hoffende ist voll gespannter Erwartung, teils mit Freude, teils mit Angst. Er weiß aber, dass seine Hoffnung auch enttäuscht werden kann. Er weiß um sein Nichtwissen, die Ungewissheit. Hoffen ist etwas anderes als glauben, also etwas für wahr halten, obwohl es nicht beweisbar ist. Glauben aber hat in der Regel eine erfahrungsbezogene Basis, bezieht sich auf ein Vertrauen, das sich in der Vergangenheit bewährt hat. Man kann jemandem Vertrauen und Glauben schenken, wenn man sich seines Verhaltens nicht sicher ist. Einem erwiesenen Übeltäter wird man aber nicht glauben.
Die Atheisten etc. leben laut Papst „hoffnungslos“, ohne den Glauben an die katholischen Versprechungen von ewigem Leben, himmlischer Gerechtigkeit und Belohnung für die Entbehrungen im irdischen Leben. Na ja – warum soll Hoffnung unbedingt christliche Hoffnung sein? Man kann sich die Wiederkehr von Jesus wünschen, genauso wie die eines anderen Propheten. Man kann aber auch hoffen, dass es eine Gerechtigkeit gibt, die allen gerecht wird und nicht nur ein paar dogmatischen Sektierern. Also so „wahrhaft menschlich“.
Für den Papst ist die Sache allerdings einfach: Irdische Gerechtigkeit gibt es nicht und wird es nie geben und die metaphysische, die ist sein Metier. Zu versuchen irdische Gerechtigkeit herzustellen, das führe zu nur zu größerer Ungerechtigkeit. Unglaublich aber wahr: der Papst ist der Überzeugung, Menschen können nie Gerechtigkeit herstellen, das kann nur der himmlische Jesus mit Gericht und Fegefeuer. „
Eine Welt, die sich selbst Gerechtigkeit schaffen muß, ist eine Welt ohne Hoffnung.“
Gerechtigkeit ist dem Papst sogar die zentrale Frage der Theologie.
„Ich bin überzeugt, daß die Frage der Gerechtigkeit das eigentliche, jedenfalls das stärkste Argument für den Glauben an das ewige Leben ist.“
Denn:
„Nur Gott kann Gerechtigkeit schaffen.“
Wir wissen, dass der Vater des Papstes ein Polizeiobermeister war. Seine Haltung dürfte eine obrigkeitsstaatliche gewesen sein, natürlich arbeiterfeindlich, schon durch die ständigen Ortswechsel in misstrauischer Distanz zu den Untertanen. Der Sohn will und muss schon deswegen etwas Besseres werden. Man kann ahnen, welche Erfahrung sich hier mit dem Begriff von Gerechtigkeit verbindet, und man kann sich vorstellen, was da über den Sozialismus gedacht wurde. Die
Münchner Räterepublik hatte die Konfrontation zwischen Arbeitern und Bürgertum blutig verschärft. Kein Wunder, wenn der Sohn dann so über Marx urteilt: Die Hoffnung auf eine menschliche Gerechtigkeit wird immer enttäuscht werden. Marx „hat zwar sehr präzise gezeigt, wie der Umsturz zu bewerkstelligen ist. Aber er hat uns nicht gesagt, wie es dann weitergehen soll.“ [Wo hat Ratzinger von Marxens „präzisen“ Umsturzplänen gelesen? Man sieht hier die Oberflächlichkeit seiner Argumentation.] Es mag stimmen, dass sich der Marx wenig mit den institutionellen Grundlagen einer neuen sozialistischen Gesellschaft beschäftigt hat. Nicht nur weil ihm deren Probleme – sieht man von dem sehr kurzen Zwischenspiel der Pariser Kommune ab – sehr fern lagen, vielleicht aber auch, weil der Anwaltsohn Marx die Arbeiter in seinen innersten Überzeugung noch gar nicht für fähig hielt, eine neue Gesellschaft zu begründen und sich deswegen auf die politische Opposition beschränkt hat.
Gerechtigkeit ist also nicht erreichbar – das sagt der Sohn eines Polizisten. Aber vielleicht ist die bürgerliche Ungerechtigkeit besser als die sozialistische. Der christliche Gott ist ohnehin ein bürgerlicher Gott. Er sagt: arrangier dich, geb dem Kaiser, was des Kaisers ist; wenn du Sklave oder Sklavenhalter bist, bleib es; im Herrn sind wir alle Brüder.
Marxhat vergessen, daß der Mensch immer ein Mensch bleibt. Er hat den Menschen vergessen, und er hat seine Freiheit vergessen. Er hat vergessen, daß die Freiheit immer auch Freiheit zum Bösen bleibt.“
Hier wird das Menschenbild des Papstes deutlich: dem freien Mensch ist nicht zu trauen. „Weil der Mensch immer frei bleibt und weil seine Freiheit immer auch brüchig ist, wird es nie das endgültig eingerichtete Reich des Guten in dieser Welt geben. Wer die definitiv für immer bleibende bessere Welt verheißt, macht eine falsche Verheißung; er sieht an der menschlichen Freiheit vorbei.“
Also Freiheit tut nicht gut. Besser der Mensch unterwirft sich [oder wird unterworfen?], etwa der Lehre einer Kirche, ihrem Credo und ihren Ritualien. - Angst [diesen Begriff mag der Papst wohl nicht], Furcht ist gut, hat „in der Liebe ihren Ort“. „Wir alle wirken unser Heil ,mit Furcht und Zittern’ (Phil 2, 12)

Was aber ist die richtige Liebe? Der gute Mensch liebt nicht die Menschen direkt. Er lebt zölibatär, braucht die
sexuelle Abstinenz, um an seine religiösen Vorstellung gebunden zu bleiben. Liebe ist nicht schmutzige und geile Materie, nein: „über allem steht ein persönlicher Wille, steht Geist, der sich in Jesus als Liebe gezeigt hat
Liebe ist also Geist, Wille – aber nur wahrhaft gut als Gottes Liebe. Glauben wir uns von Gott geliebt, dann lieben wir auch automatisch ihn. Dieses Tauschgeschäft der Liebe sieht der Papst höchst realistisch, urbürgerlich. Dann kommt der nächste Schritt: Lieben wir Gott, erst dann können wir wahrhaft auch andere lieben, sind ja auch Kinder Gottes [wahrscheinlich mehr oder weniger …] „Aus der Liebe zu Gott folgt die Teilnahme an Gottes Gerechtigkeit und Güte den anderen gegenüber.“
Man sieht hier die gnostischen Wurzeln des Christentums. Würde der Papst – eingesperrt in das Gefängnis seiner einsamen Seele – seine Missachtung der „materialistischen“ Menschen aufgeben, wäre es notwendig, die Menschen als hier und jetzt einzig reale und bedeutsame Wesen zu begreifen und nicht nur als schlechte Gestalten idealer, geistiger und abstrakter Wesen, missratene Abkömmlinge irgendwelcher Ideen.
Wie soll Liebe ohne ihre materielle Basis möglich sein, angefangen beim Säugling, als Fest der Natur in der freudigen sexuelle Erwartung und Befriedigung? Wir Menschen sind doch an Erfahrung, an Lust, an Glücksverlangen gebunden. - Eine Theologie, die ihre materiellen Wurzeln abstreitet und verleugnet, ist eine Theologie der Lüge.
Die Ungerechtigkeiten der Welt, das Leiden daran, die Versagungen und Entbehrungen – sie werden durch die Hoffnung auf gerechte Entlohnung im Jenseits kompensiert. Deswegen auch diese Liebe zum Leiden. Wiederholt zitiert der Papst Märtyrer. Man spürt, wie er gerne ein Szenario von Sadomasochismus ausbreiten würde. Die Welt als Hölle und mittendrin der Christ mit dem verzückten Blick zum Himmel. Und man findet hier wieder die katholische Liebe zum Getto, zur Mauer gegen die Welt, gegen alle, die nicht so denken, wie sie. Schlecht sind: Fernseher, Naturwissenschaften, moderne Literatur, der Protestantismus, die Stadt und so weiter und so fort. Es ist das alte Landmädchengetto. Im Leiden ist Sinn.
Wenn ich so richtig leide, dann bin ich gut. Meine Rache wird mein Glaube und meine Hoffnung sein.

Es wundert nicht, dass der Hoffnungsenzyklika des Papstes mit einem Marienhymnus abschließt. Freud hat 1912 die Psychologie des Marienkults in seiner Betrachtung „Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens“ beschrieben. Auf der einen Seite Idealisierung der Frau zur „unbefleckten“ Göttlichkeit, auf der anderen die Erniedrigung der Sexualität.

Warum eine Auseinandersetzung mit einer Papstenzyklika in einem Fabrikblog? Die Kirche drückt ein allgemeines Denken aus, eine allgemeinmenschliche Art, sich mit den Verhältnissen abzufinden und sie zu rechtfertigen. Mit Blick auf ihre moralischen Ansprüche ließe sich hoffen, dass die katholische Kirche sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Als Trägerin einer sozialen Idee, einer Gemeinschaftskultur und als moralische Instanz hat sie öffentlichen Einfluss. Aber sie verteidigt nur die bürgerlichen Verhältnisse, ist Teil der repressiven Kräfte und trägt zur allgemeinen Hoffnungslosigkeit bei.

1.12.07

PISA, IGLU

Bei indymedia eine Erläuterung zur Selektion gemessen bei der Iglu-Studie: Arbeiterkinder müssen um Einiges bessere Leistungen zeigen, um für das Gymnasium würdig befunden zu werden. Diesbezügliche Ergebnisse von Kindern an- und ungelernter Arbeiter werden erst gar nicht bewusst gemacht.
Aber ob das bürgerliche Gymnasium ein Ort für Arbeiterkinder ist? Verdrängung der Arbeitswelt, Rechtfertigung der Selektion und Ungleichheit. Andererseits lernen, mit Sprache umzugehen, Geschichte, Naturwissenschaften. Ob man aber im Gymnasium wirklich lernt, wahrhaftiger zu denken?

30.11.07

ALTERSTEILZEIT

Nachdem ich 2003 diesen Job angenommen habe oder annehmen musste, war ich entschieden, meine Arbeitslaufbahn so bald wie möglich zu beenden. Durch Änderung der Gesetzeslage gezwungen, schloss ich bald darauf den Vertrag über Alterteilzeit ab. Jetzt trete ich sie an und werde also in 18 Monaten zu arbeiten aufhören und 18 Monate später in Rente gehen.
Ich gehe damit einen Weg des geringsten Einsatzes. Mit schlechtem Gewissen, wenn auch einigen Argumenten.
Zwar werde ich in der mir verbleibenden darauf folgenden Lebenszeit nicht viel erreichen, vielleicht nicht einmal Sinnvolles tun können, aber das wird immer noch mehr Bedeutung haben, als ein kleines und ersetzbares Rädchen in einer fragwürdigen Produktion zu sein.
Meine Arbeit hat wenig mit dem zu tun, was zu tun notwendig wäre. Die politischen Verhältnisse sind durch die Zersplitterung der Gesellschaft in miteinander konkurrierende Individuen so zementiert, dass eine Politisierung und Demokratisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse – ohne dass es nur zum Nutzen einer Elite wird – unwahrscheinlich ist.

Wie man das aus dem Blog ersehen kann, ist das eine von mir immer wieder gemachte Erfahrung, auch Selbsterfahrung. Man kann sich Gedanken machen, unter welchen Bedingungen sich das verändern könnte, welche Komplexe Sozialismus entgegenstehen, unter welchen Bedingungen eine sozialistische Bewegung möglich wäre. Die Praktiker würden einwenden, the proof of the pudding ist the eating. Oder nur bei der Veränderung werden die Verhältnisse klar. Ich dagegen bin isoliert, kommuniziere mit der „Gesellschaft“ bestenfalls über diesen Blog. Andererseits meine Ich dagegen: was möglich oder nicht möglich ist, lässt sich auch heute schon erkennen.

Derzeit laufe ich unter Urlaub und werde keiner Arbeit zugeordnet. Suche mir selber also Arbeit, schleiche durch die Fabrik auf der Suche nach Arbeiten. Verstecke mich für Denkpausen. Das Gefühl überflüssig zu sein. Wie schön wäre es doch, meine Arbeit am Band zu haben. Dort kann ich mich nützlich fühlen. Hetzen. Stapeln. Rennen.

Der Mensch ist ein sehr flexibles Wesen. Der Kapitalismus ist zwar ein krisenhafter Prozess, aber wenn die Menschen in seinen Krisen keine Alternative finden, gewinnt er aus den Krisen neue Kraft und ein neues Verwertungsfeld. Die Hoffnung auf eine Krise ist umsonst, wenn die Menschen nicht bereit sind, die Krise in ihrem Sinne zu bewältigen. So wird also die Geschichte weitergehen, ohne dass elementare Bedürfnisse des Menschen historisch bedeutsam werden: Gerechtigkeit, menschliches Zusammenleben ohne Übervorteilung oder Benachteiligung, ein verantwortliches Leben, Autonomie.

Ein Krisenelement, an dem meine Argumentation oft ansetzt, ist die Moral und die moralische Rede und Geste im Widerspruch zur Realität. Recht und Gerechtigkeit hängen damit zusammen. Aber ist das nicht ein falscher und autoritätsorientierter Ansatz? Ist es nicht typisch für Autoritären mit der Moral und gegen die Lust zu argumentieren? Führt nicht diese Moralfixierung zu dem aggressiven Krampf innerhalb der Linken, zu der Konkurrenz der Radikalität und Militanz? (Oder ist es so, dass die aggressive Lust sich moralischer Argumente bedient?) Wie lustfeindlich ist diese Argumentation für Beschränkung, Ökonomie und Ökologie?

Wie würde eine lustorientierte linke Argumentation und Politik aussehen? Es geht um die Beteiligung von allen, gelebte Solidarität, Gemeinsamkeit und Gerechtigkeit, es geht um Vernunft und gegen Zerstörung, Entfaltung des Menschen, Friede und Zusammenleben statt Konkurrenz und Krieg. Eine linke Argumentation kann sich nicht mehr an biologischen Bedürfnissen orientieren, das schafft der Kapitalismus mit seiner „Biopolitik“ besser. Abgesehen davon bedeutet Sozialismus heute Begrenzung der „biologischen“ Bedürfnisse zugunsten von sozialem Zusammenleben. Ökonomie und Vernunft bedeuten aber auch Selbstbeschränkung.

Was hat das mit der empirischen Arbeiterklasse zu tun? Sie stellt ja keine großen Ansprüche, ordnet sich den Gegebenheiten unter, beschränkt sich in ihren Forderungen auf das erreichbare Materielle (träumt nebenbei vom großen Lottoglück - für das Geschäft der Privatsender und staatlichen Lotterie). Sie ist gewissermaßen „wunschlos unglücklich“. Ihr wird ja von klein an gezeigt, dass sie kein Recht auf mehr hat, dass sie nichts bringt und nicht mehr als ihr Schicksal verdient. Übrig bleibt nur eine stumme Verbitterung, eine schweigende Abgrenzung und ein Rückzug auf das konfliktlos Erreichbare. Die Bescheidenheit, der Realismus auf der einen Seite bedingt aber eine Verantwortungslosigkeit in anderen Bereichen, wie Faschismus, internationaler Rassismus und Ökologie zeigen.

Ich werde nach der Teilzeit mein letztes Lebensdrittel anfangen. Ohne das Gefühl, etwas wirklich Positives geleistet zu haben. Meine Ressentiments und Abneigungen gegenüber dem, was läuft und gelaufen ist, sind größer als irgendwelche positiven Leistungen. Das, was hätte sein sollen, die Umdrehung der 68er Bewegung in eine positive gesellschaftliche Kraft hin zu Demokratie und Sozialismus in allen wesentlichen gesellschaftlichen Institutionen, ist misslungen. Mit den „Grünen“ wurde nur eine neue Variante des bürgerlichen Liberalismus generiert. Mir übrig geblieben ist nur eine Schwäche, eine individuelle Vernarrtheit, dann ein unbegriffener historischer Prozess, der alle solche Ideen schluckt und eine nachwachsende Generation, die dem Gedanken an Autonomie entfremdet ist durch das verlockende Angebot eines bedenkenlosen Konsumkapitalismus, sich einordnet oder darunter leidet, wenn sie nicht ein Rädchen im Getriebe sein kann.

Eigentlich angebracht wäre dann das Leben eines Kynikers, der im öffentlichen Raum die unanständigen Wahrheiten demonstriert, zu der sich die Abhängigen und um ihren Ruf besorgten nicht mehr bekennen können: die globale Ungerechtigkeit einer rassistischen Weltpolitik, die Umweltzerstörung durch den Konsumblödsinn, die Arroganz der Kulturmafia, die moralische Idiotie des Arbeitsplätze Schaffens.
Die Schweine sollten bei ihrer Schweinerei wenigstens ein schlechtes Gewissen bekommen.

26.11.07

ANTISEMITISMUS ZUHAUSE

Zum Kaffeekränzchen eingeladen. Die Dame des Hauses hat sich ein Buch gekauft, „Die Israellobby“. Man sehe eben, dass die Amerikaner auch langsam wach werden. Ich meine etwas provokativ, die Amis wären immer schon antisemitisch gewesen. Ihre Freundin springt ihr zur Seite – beide waren zu Hitlers Zeiten Lazarettschwestern - :“Die Juden und das Kapital, die gehören zusammen. Die haben alles in ihren Händen.“ Usw. Wir bekommen einen tiefen Einblick in die deutsche Seele. „In Berlin da waren nach dem Krieg 2 Tausend Juden, heute sind es 20 000 und alle bekommen Renten von uns bezahlt.“ Die arme Rentnerin, ich schätze ihre Rente auf über 2000 €, leidet also wieder mal unter den Juden. Die Zahl von 170 Tausend Juden in Berlin vor Hitler war mir in dem Moment leider nicht präsent. In solchen Momenten wäre ich gerne Antideutscher. Aber Israel und seine Apologeten machen es unmöglich.
Es geht weiter mit einer verkorksten Diskussion über die Schule. Mein Plädoyer für eine Schule, die sich um alle kümmert und sich an die unterschiedlichsten Voraussetzungen anpasst, hat keine Chance. Ohne Schulpflicht nur Faulheit und Dummheit. Die Versager sind selbst schuld, ihnen ist nicht zu helfen.
Obwohl diese Unteroffiziersschicht des Kapitals selbst nur eine untergeordnete Funktion innehat, wiegt doch das kleine Überlegenheitsbewusstsein, geschafft zu haben, was anderen nicht geglückt ist, das Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit auf.

22.11.07

ENTSCHEIDUNG ÜBER LEBEN UND TOD

Merkwürdig wie die Mittelschicht, die Ärzte und Pfarrer, den Menschen das eigenbestimmte Sterben verbieten wollen. Es soll ihr Vorrecht bleiben, darüber zu entscheiden, wann jemand sterben darf oder weiterleben soll. Traditionell war es immer schon das Vorrecht von Richtern, Offizieren und Pfarrer über das Leben der Untertanen zu entscheiden. Dieses Recht soll aufrechterhalten werden. Mit allen Mitteln wird gegen die Schweizer Dignitas gekämpft. Das Argument der Geldgier ist allerdings angesichts der Einnahmen in Hospizen und Krankenhäusern lächerlich. Dass sich die Verzweifelten auf Parkplätzen töten wird als unwürdig bezeichnet, dass man ihnen nur noch diesen Ort lässt, ist es scheinbar nicht. Und dass Tausende in Verkehrsunfällen auf diesen angeblich unwürdigen Plätzen sterben, das ist in Ordnung. Das Krankenhaus aber scheint der ideale Platz zum Sterben sein. Hier ist man ja den Göttern am nächsten, zumindest den Halbgöttern in Weiß.

13.11.07

TÖTEN OHNE TRAUMATISIERUNG

Im SWR gab es eine Sendung über einen in Afghanistan durch ein Attentat traumatisierten Soldaten, der jetzt nicht mehr „arbeitsfähig“ ist. Die Sendung war ein Plädoyer für mehr staatliche Nachsorge für solche Fälle. Merkwürdige Politik dieses Senders: einerseits wird schon kampagnenartig für den Afghanistaneinsatz mobilisiert, andererseits soll für den Kriegsfall ein vom Sozialstaat versichertes Normalleben aufrechterhalten werden. Der von einem katholischen Prälaten kontrollierte Sender, der sich sonst für Besinnung und Besinnlichkeit stark macht, verfolgt hier eine Politik, die den Staatskult und seine tödliche Gewalt nicht in Frage stellt.
Den Krieg zu einem Versicherungsfall zu machen entspricht der gleichen moralisch verkommenen Haltung, mit der Soldaten von der Regierung in den Krieg geschickt werden. Man packt sie sicher ein, umgibt sie mit Panzern, lässt sie mit Flugzeugen über den Ländern jagen und umsorgt sie mit heimischen Sicherheitsdiensten.
Was machen sie eigentlich dort? Ich höre nur immer wieder Verharmlosendes von „Sicherung des zivilen Aufbaus“. Aber die deutsche Armee ist inzwischen längst verstrickt in den Krieg, sogar mit einer
Militäroperation unter deutschem Kommando. Zum Töten und nicht zum Bäumepflanzen wird ja auch die KSK. Die Tornados machen nicht nur hübsche Luftbilder, sondern liefern den „Verbündeten“ Ziele zum Töten. Wie soll auch eine „Sicherung“ ohne militärische Drohung vor sich gehen? Es geht natürlich darum, die Taliban letzten Endes wegzuputzen.
Der in der Sendung mit viel Mitgefühl beschriebene Soldat soll zwar das Recht haben, andere zu töten, aber Angst um das eigene Leben soll nicht aufkommen dürfen. Diese Traumatisierung wäre doch eine erste menschliche Erkenntnis, die uns alle vielleicht weiterbringen könnte. Anscheinend aber ist der Taliban kein uns gleichwertiger Mensch, des Mitgefühls nicht wert, nur zum Töten gut. Die deutsche Politik macht nicht einmal den Umweg über das Böse, den Bush für seine Politik nötig hat. Es ist hier self-evident. Tödliche Feindschaften sind in Deutschland Bestandteil der allgemeinen Sozialisation, ein Problem nur, wenn sie etwa wie gegen Schleyer in die falsche Richtung gehen.
Dieser „traumatisierte“ Soldat entblödet sich nicht, vom Spaß bei seiner Arbeit zu reden, von dem guten Verhältnis zu den anderen Nationen. Gemeint sind dabei: Italiener, Spanier, Niederländer und andere Europäer. Von Afghanen oder Taliban ist keine Rede.

Was soll hier eine Traumatherapie? Verhindern von Flashbacks, die existenzielle Unsicherheit, in die jemand gestürzt wurde, wieder in ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit zurückführen. „Es ist ja alles gut.“

Aber nichts ist gut. Das sollten die Traumatisierten und vor allem die Gesellschaft, die sie vorschiebt, begreifen. Es kann nur gut gemacht werden.
Wie würde eine Friedenstruppe aussehen? Sie würden einmal die Sprache der Menschen dort lernen, sich mit ihrer Kultur beschäftigen, sich im Islam vertiefen. Sie würden die Argumente der Taliban verstehen lernen und aus ihrer Argumentation für den Westen Konsequenzen ziehen. Sie würden sich in Ortschaften abseits von Straßen und die Flüchtlingslager in Pakistan begeben, um dort ihre Anliegen vorzutragen. Es gäbe dort sicher auch nützliche Jobs für sie: in Küchen, Gärtnereien, beim Bau von Toiletten usw. Am Ende hätten alle dazugelernt und wären vielleicht bereit, sich zu verändern, Privilegien aufzugeben.
Stattdessen wird fünfmal soviel in das Militär investiert wie in eine so genannte Entwicklungshilfe, die nur dazu dient, die Entwickler zu bereichern. Sogar Tomaten werden aus Deutschland eingeflogen. Abseits von Kabul sterben täglich 900 Kinder.

3.11.07

VERMISCHTES

Bei meiner Arbeit gibt es keine erwähnenswerte Bewegung, in den Medien aber scheinbar aufregende Dinge, die mit einem Kommentar hier eine Bedeutung bekommen, die sie eigentlich nicht verdienen. Da sind Mosebach, Loriot, Mahler, Nina Hagen, Merkel in Indien und eine kleine Diskussion.

BÜCHNERS ERBEN
Mosebach wurde der Büchnerpreis verliehen. Man fragt sich, wie ist das möglich, dass ein Literat, der um skurrile Fantasien kreist und diese im bildungsbürgerlichen Jargon bedeutungsvoll aufbläst, einen Preis bekommt, der den Namen von Büchner trägt? Was man sieht, ist, wie das Bürgertum alles vereinnahmt; Hauptsache es bleiben selbstromantisierende Geschichtchen.
Mosebach wünscht sich im Rahmen der modischen Nostalgie die lateinische Messe zurück. Als Johannes XXIII. das „Aggiornamento“ forderte, also dass es Tag werde in der Kirche und sie sich „aufkläre“, konnte man hoffen, dass die Kirche ihre Fantasien und Riten mit der Realität konfrontiert und mit den Menschen solidarisch wird. Aber Bewahrer von Plüsch, Pomp und
Sopha haben schnell wieder Macht und Sagen übernommen.
Wie hat Büchner gesagt? Friede den Hütten! Krieg den Palästen!
Die Preisverleihung und die Diskussion drumherum zeigt aber den elitären und antidemokratischen Trend im herrschenden Bildungsbürgertum. Oder soll man es auf dessen Hang zum Theatralischen und Übertrumpfenden zurückführen?

FERNSEHEN
Das Fernsehen ist eine Art Bewunderungsmaschine. Wir gucken zu, wie toll andere sind und vergessen unsere eigene Mickrigkeit und Ohnmacht.
Vor kurzem ein „Gespräch“ mit Loriot. Richtig spannend wird es, als das Gespräch auf seine Militärzeit in Russland kommt – natürlich als Offizier. Da war der arme Mann also alleine und denkt über seine Lage nach und er memoriert die Shakespeareschen Monologe über Schicksal und Tragik. Gerne hätte ich gewusst, was er über die ermordeten Russen gedacht hat, etwa wie es
Horst-Eberhard Richter reflektiert hat. Aber wahrscheinlich hat unser Staatskomiker überhaupt nicht an sie gedacht. Er war nur froh, als die Amerikaner dann auf sie geschossen haben.
Also dieser Unterhaltungskünstler spielt in Russland sein privates Theater, er denkt nicht nach über die Folgen seiner Tätigkeit, Desertieren, Widerstand usw. Nein, er betet gläubig zur selben Vorsehung, die auch von seinem Führer angerufen wurde und die für viele andere nur den Tod „vorgesehen“ hatte.

MERKEL IN INDIEN
Merkel vertritt in Indien die Sache des Klimaschutzes. Eine
Ost-Zeitung, in westdeutscher Hand (WAZ, Ottoversand), schreibt, es wäre schon richtig den Indern Klimapolitik zu lehren. Zwar wäre der durchschnittliche CO2-Ausstoß gering, aber in der Summe „erstickend“. Man vergleiche: Indien mit ø 1,2 to/Person/Jahr, Deutschland mit ungefähr der 10 fachen Menge.
Als Entwicklungshilfe versucht „Alice“ Merkel den Indern noch 120 Eurofighter zu verkaufen. Schmutziger geht es nicht mehr. Es nennt sich Friedens-, Entwicklungs- und Klimapolitik.

REALITÄT
Ein Jugendlicher wirft gegen mich ein: Wofür bist Du eigentlich? Bist Du für die Linkspartei oder nicht? Ich: Ich wähle die Linke, weil es nichts Besseres gibt, aber Parteien interessieren mich eigentlich nicht. Ich setze auf Demokratisierung von Institutionen in Betrieb, Schule usw.
Damit kann er nicht viel anfangen. Denkt wohl, wozu sich um den ganzen Kram kümmern, wenn es dafür Fachleute gibt. Als Einzelner kann ich doch ohnehin nichts ausrichten.
Demokratie oder Technokratie?
Es fällt ihm auch schwer, an die Kraft von Argumente und Vernunft zu glauben. Diskussionen, schon gar nicht politische, werden in der Schule nicht mehr geübt. Es zählt, was Fakt ist. Und Fakt ist, was in Medien, im Freundeskreis zur Tatsache wird.
Eigene Tätigkeit zählt nicht. Das können andere besser.
Leben gibt es in der virtuellen Welt. In Spielen und Internet kann man sich als Normal- oder Besserverdiener fühlen. Lehrer erklären der Klasse, die meisten würden später über der Beitragsbemessungsgrenze liegen und deswegen privat versichert sein (63 000 € jährlich).
Welches Konzept habe ich? Ich setze, kann man mir vorwerfen, auf politische Apathie, das Unbehagen und Misstrauen gegen das politische Lügentheater. Irgendwie entwickelt sich dabei – so eine Hoffnung - einmal eine neue politische Praxis der „Basis“. (Dabei ist die „Basis“ selber Teil des herrschenden repressiven Überbaus).
Was könnte ich ihm als alternative Praxis empfehlen? Das „Kapital“ lesen, Hegel, einen Garten halten, alternative Technik studieren, versuchen, Gleichdenkende suchen und nicht die Konkurrenz um technische Größenfantasien, das survival of the fittest, mitzumachen.

TRAUM
Ich absolviere eine Prüfung. Mir wird bescheinigt, dass ich nicht die Kompetenz habe, andere zu beurteilen. - Ich fühle mich vollkommen gedemütigt und beschämt.

NINA HAGEN
Sie denkt das Abseitige und Widersprechende nicht nur, sie schlüpft in es hinein. Nicht ohne ihre ironisch kritische Haltung dazu spüren zu lassen. Weil sie aber braver Medienmensch ist, unterhaltsames Theater anbietet, kann man ihre Spielereien zwar witzig finden, aber nicht richtig ernst nehmen. Interessant nur, wie viele Jugendliche über sie empört sind, wie also plumpe Bürgerlichkeit sich wieder durchsetzt.
„Gruppentherapie“ ist ein Schimpfwort, entnehme ich dieser Diskussion. Es zeigt, wie diese in ihrer Erziehung schockgefrosteten Typen panische Angst haben vor dem Anderen hinter der ordentlichen bürgerlichen Welt ihrer ritualhaft reproduzierten „Fakten“.

HORST MAHLER
Es muss ein suizidaler Hang der Vaterlosen sein, der ihn antreibt. Wie könnte er sich sonst von Friedmann so zum Affen machen lassen. Er bringt einen von Marx nicht angekratzten Hegel mit seiner Verehrung eines idealisiertes deutsches Reichs, das aber im Gegensatz zu seiner Rede, sich nur ethnozentrisch negativ verhält zum „Jüdischen“. Statt konkret zu kritisieren, hält er eine Abstraktion gegen die andere. Und Friedmann, nicht dumm, unterstellt ihm Neid auf die jüdische Rasse. Eine Rasse, die ja um im
Nazijargon zu bleiben, die arische besiegt hat und damit ihre historische Überlegenheit bewiesen hat.

18.10.07

EIN ELTERNABEND

Anfangs der 13ten Klasse soll eine Klassenfahrt stattfinden. Wozu, und warum nicht nach dem Abitur, hat keiner erklärt. Das ist eben immer so. Die Schüler dürfen über Ziele abstimmen. Es steht Istanbul gegen Sorrent. 9 stimmen für Sorrent, 8 für Istanbul. Die Mehrheit stimmt fürs Fliegen, gegen Bus und Bahn. Der Lehrer hat sich schon über Flugpreise kundig gemacht.
Beim Elternabend kommt es zu einer Diskussion. Die Frage ist, wie die Schule einerseits von Umweltschutz redet, dann aber als Krönung zum Baden fliegt, ohne dass es auch nur irgendwie in einem Zusammenhang mit einem Lernprojekt steht, sei es Geschichte oder Sprache. Die anderen Eltern fühlen sich angegriffen: Man könne ja sonst was für die Umwelt tun, etwa Papierchen im Wald sammeln. So ein Jäger. „Haben Sie etwa eine umweltfreundliche Heizung?“ – Ja, wir haben. Ein anderer meint: Die Schüler haben demokratisch darüber abgestimmt. Ich frage: Sind sie über die Konsequenzen ihres Verhaltens informiert, ist es ihr Geld? Ein anderer meint, vor kurzem wäre das mit Al Gore gewesen. Der würde auch jährlich für 30 000 $ Energie verbrauchen und sie selber würden nur einmal im Jahr fliegen. Das alles schlagende Argument wird aber ein Satz einer Mutter: Das Flugzeug fliegt, auch wenn unsere Kinder nicht mitfliegen.
Der Klassenlehrer, vom Typ des Pro und Contra, räsoniert: Ja er wisse um die Problematik der Billigflieger. Früher sei er auch immer mit dem Auto nach England gefahren, aber die Preise wären aber inzwischen so unschlagbar günstig. Er hätte sich auch überlegt, wozu überhaupt eine solche Klassenfahrt sein solle und ob man es nicht auch in der Nähe machen könnte. Aber ach … usw.
Diese Schule bildet vorwiegend zukünftige Techniker aus. Von „Technikfolgen“, sozialen und ökologischen Konsequenzen ist keine Rede. Es gibt Projekte zum Stirlingmotor, zur Wiederverwendung von Frittenöl im Autotank, ökologische irrelevante Spielereien. Aber diese Schule fühlt sich als Elite, zählt sich zu denen, die Ahnung haben und vermittelt dieses Gefühl auch ihren Schülern. Das soziale Modell, das sie vermittelt, ist sozialdarwinistisch. Man darf daraus keine Demokraten erwarten, die jedem Menschen die gleichen Rechte zubilligen.
Nach dem Abend bleibt bei mir das Gefühl, unzulänglich argumentiert zu haben, hoffnungslos zu einer ganz kleinen Minderheit zu gehören. Nicht angekommen ist etwa, dass jeder Mensch nur ein begrenztes und gleiches Anrecht auf Energieverbrauch hat. Oder dass die Schule die Aufgabe hat, über zukünftige gesellschaftliche Probleme zu informieren und nach neuen Handlungsmöglichkeiten zu suchen.
Bei den Lehrern und Eltern im Raum gab es:
- Dummheit - am meisten verbreitet. Motto: wir machen das immer so und werden das immer so machen, alles andere interessiert uns nicht. Das Nichtwissen ist hier gekoppelt mit dem Nichtwissenwollen. Stupidity is no handicap. Die Mehrheit gehört in diese Gruppe.
- Ignoranten, die fachidiotisch zugenagelt sind, sich aber trotzdem überlegen fühlen
- „Demokraten“, d.h. die die verstehen, die Meinungen und Bequemlichkeiten für sich zu instrumentalisieren. Das sind die Demagogen, die den Jargon der herrschenden Mediensprache beherrschen: „Ideologie“, „Mehrheit“ usw.
- Opportunisten - nicht dumm – passen sich aber an die jeweiligen Mehrheiten an. Sie lassen andere Standpunkte zu, nehmen sie wahr. Sie sind sozial am höchsten entwickelt.

Sind Autobahnen faschistisch?

Wieder taucht derzeit das Autobahnargument auf. Es diente in der Nachkriegszeit denen, die angegriffen sich gezwungen sahen, die Nazizeit zu verteidigen. Inzwischen ist es obsolet geworden. Wer es verwendet, stellt sich in die rechte Ecke. Das geht soweit, dass Wikipedia die Rolle Hitlers beim Bau der Autobahnen schlichtweg wegredet, obwohl er immerhin für den Ausbau eines Drittels der heutigen Strecken verantwortlich war. H.M. Broder, der sich für die Beurteilung des korrekten Antifaschismus als letzte Instanz zuständig fühlt, sieht keinen Zusammenhang zwischen Faschismus und Autobahn. Er darf sich das schon deswegen nicht zulassen, weil sich Israel mit einer Trans-Israel-Autobahn schmückt - zuungunsten palästinensischer Gebiete. Meine Frage ist also offen.

Man kann eine Autobahn aus zwei verschiedenen Punkten betrachten: als Entfernung oder als Annäherung.
Als Mittel der Entfernung ist sie Mittel für die rasende Bewegung, von den Futuristen als
angriffslustige Bewegung, Schönheit der Geschwindigkeit bejubelt, als Teil einer allgemeinen Militarisierung gefordert. Die im Auto erreichte Geschwindigkeit, das passive Vorwärtsbewegtwerden durch den Motor, ist eine Regression auf einen kindlichen Zustand, in dem man getragen wird, ein Wohl- und Glücksgefühl, das wohl viele oft vermissen mussten. Die Faschisten haben es verstanden dieses Defizit an positiven Selbstgefühlen durch ein Repertoire von Größenphantasien anzusprechen: die überlegene Rasse, der Blitzkrieger, die Luftwaffe und Raketentechnik, die Wunderwaffe, die grandiosen Masseninszenierungen, die Architektur, die Schlachtschiffe usw.
Der Faschismus, sei er rot oder braun, lebt von der Substanz der größenbedürftigen Individuen. Er bietet ihnen Erlebnisse von Grandiosität. Obwohl zur Nazizeit die Autobahnen eigentlich leer waren, haben sie doch durch ihre Grandiosität beeindruckt.

Das Andere ist die Überwindung der Grenzen von Raum und Zeit. Eigentlich gehört es mit zum Projekt des Größenwahnsinns. Es ist der metaphysische Traum, immer und überall sein zu können. Das, was bisher die Religionen versprochen haben, muss jetzt nach der Verstandeskritik die Technik einlösen. Durch die schnelle Verbindung entfernt liegender Orte mit Hilfe des modernen Verkehrs sollen die Grenzen und Unterschiede beseitigt werden. Die Landschaft, die am Auge vorbeizieht, verliert ihre Unterschiede. Es wird sogar nötig, um dem Fahrer ein Gefühl der Geschwindigkeit, mit der er rast, zu geben, die Ränder der Autobahn speziell zu bepflanzen.
In dem Maße, in dem die Raumgrenzen erweitert werden, wird die Besonderheit der Landschaft überwunden, Steigungen, Untergrund, Wendungen werden ausgeglichen. Eigentlich sollte es immer nur flach geradeaus gehen. Die faschistische Bewegung mag nicht das Relief, die mäandernde Bewegung. Tendenziell ist sie gerade, der Raketenflug das Optimum. Historisch ist das nicht neu, schon das römische Imperium hat das mit seinen Heerstraßen vorgemacht. Auf diesen römischen Straßen hat sich das Christentum ausgebreitet. Geradewegs hat es die Linie des Lebens ins Jenseits verlängert - die Himmelfahrt nahm den Raketenflug vorweg.
Die imperiale Bewegung gehört mit zur Zentralisierung und Gleichschaltung des Reichs. Während aber die Weiten erobert werden, etwa die unendlichen des Ostens, wird ein Heimatkult als kitschige Lüge zelebriert. Ebenso sentimentaler Mutterkult, während gleichzeitig in der Erziehung der Kinder durch Hitlerjugend, Schule, Gestapospitzelei, Eugenik, Armee und Napola die Familie zerstört wird. Dasselbe bei der Rolle der Frau: einerseits Mutterkult, andererseits die Verschickung der Frauen in Arbeitsdienst und Rüstungsindustrie. Wie immer, besteht Politik aus der Kunst der Lüge zur Ausweitung der Macht.
Die Faschisten haben nur das Projekt weitergeführt, das der moderne Rationalismus schon in der Aufklärung begonnen hat. Etwa in der Kanalisierung der Flüsse, der Städtearchitektur von Versailles, Berlin oder Barcelona. Das Besondere, Willkürliche, Individuelle und Unberechenbare soll zugunsten eines höheren Allgemeinen beseitigt werden. Es nennt sich „Ordnung“. Der Unterschied des faschistischen Projekts zum rationalen der Aufklärung besteht darin, dass es die imperiale Praxis mit gefühlvollen Phrasen verschönt: Heimat, Familie, Mütterlichkeit. So wie heute die Unterwerfung unter Moden, die Zwänge der Kapitalverwertung und Konkurrenz als „Individualität“ gefeiert werden.

Doch was hat damit einer zu tun, der auf der Autobahn fährt? Hat die AB heute doch eine andere Funktion, ist Teil der kapitalistischen Warenproduktion geworden. Die meisten dürften darauf „geschäftlich“ unterwegs sein. Das faschistische Erlebnis der schnellen Raumeroberung haben vielleicht noch die Urlaubsfahrer. Allerdings bleiben auch die oft im Stau stecken. Der Erlebnischarakter der AB schrumpft wie das religiöse Erlebnis im Rosenkranz. Das moderne Reisen gibt dem Reisenden das Gefühl, schnell überall sein zu können, aber genauso wie Landschaft gleichen sich auch die Ziele an, zu denen die Autos fahren. Das Erlebnis des Reisens reduziert sich bei dem heutigen Touristen oft auf das Suchen von Bildern, die er vor der Reise schon gesehen hat, auf das erwartbar andere Klima etc. Er kommt ohne Sprachkenntnisse durch, ohne sich mit der bereisten Region bekannt zu machen.
Was da sich historisch entwickelt hat, ist eine abstrakte kollektive Identität. Man kann sie von verschiedenen Seiten betrachten: etwa von der der Entwicklung der Wege und Straßen, des Verkehrs – oder in der Herausbildung eines mehr und mehr überregionalen Warenverkehr,
Kennzeichnend für eine solche abstrakte kollektive Identität ist, dass die Menschen dabei nur in einer sehr beschränkten Funktion aktiv sind. So ist etwa das moderne städtische Leben gegenüber dem vergangenen dörflichen Leben in seinen Beziehungen distanziert, bis hin zur Anonymität und dem Ausweichen vor näherem Kennenlernen. Weil sich aber jeder an allgemeine Regeln hält, ist trotzdem ein Zusammenleben möglich. Der moderne Bürger tritt in seinen Kontakten mit einer beschränkten Identität auf. Etwa in seiner geschäftlichen Funktion, oder in seiner privaten usw. Gerade im Internet mit weitgehend anonymen Schreibern und Lesern wird diese abstrakte kollektive Identität deutlich. Stellt man die Ausdrucksmöglichkeiten dem innerhalb des dörflichen Lebens gegenüber, wo jeder (beinahe) alles vom anderen weiß, wird klar, dass das Verhältnis von Vertrauen und Misstrauen, von Distanz und Nähe in den Beziehungen sich grundsätzlich geändert hat.
Es kann nun nicht darum gehen, wieder zum dörflichen Leben und zum Reisen zu Fuß als alleinigem Fortbewegungsmittel zurückzugehen, sondern zu begreifen, welche Veränderungen im Zusammenleben und im Selbstverständnis der Menschen stattgefunden haben. Die faschistische Identität bringt nur die Krisenhaftigkeit dieser Entwicklung zum Ausdruck. Es hat keinen Sinn, es nur als Ausdruck des Bösen zu denunzieren. Offensichtlich ist eine Dynamik am Werk – Resultat einer in sich gegensätzlichen menschlichen Natur, etwa von Verlangen nach Nähe und Distanz – die sich hier entfaltet und nach einem neuen Gleichgewicht unter veränderten historischen Bedingungen verlangt.

Wenn die Menschen in Funktionen der Warenproduktion auf der AB fahren, werden sie dadurch menschlicher? Dass einer Geld verdienen muss, wirkt selfevident und einleuchtend. Trotzdem kann es eine humane Grenze überschreiten, etwa in dem ungerechten Verbrauch energetischer Ressourcen, den ökologischen Folgen, den zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Warenproduktion hat sich faschistische Elemente einverleibt, sie marktgerecht scheinbar assimiliert und gebändigt.
Die objektive Funktion – Transport von Waren – hat sich von den subjektiven Motivationen – Geschwindigkeitsrausch, der imperialen Geste – gelöst. Die alten faschistischen Ziele sind als nützliche Elemente vom globalisierten Kapitalismus integriert worden. Das Imperium hat die Grundlagen für den Weltmarkt geliefert. Der große Führer ist von vielen kleinen Imperatoren abgelöst worden.

8.10.07

NATURSCHUTZ MIT DEM AUTO

Seit einigen Jahren interessiert mich die Fauna in der Umgebung und ich mache immer wieder neue Entdeckungen. Deswegen fahre ich 30 km mit dem Rad zu einer Führung durch ein spezielles Biotop. Dort wird mir vom Leiter gesagt, dass es zwecklos wäre mit dem Rad zu fahren. Immerhin fahre man 8 km weg und bis ich mit dem Rad an den Treffpunkten wäre, wären die Erklärungen schon gelaufen. Den Fall hatte ich eigentlich erwartet und mir vorgenommen, in dem Fall gleich wieder zurückzufahren, aber die unverhohlen verächtliche Abneigung gegenüber Radfahrern provoziert mich nun doch an der Führung teilzunehmen. Bei jedem Treffpunkt bin ich zuerst da, sehe die Tiere, die dann durch die Autos wieder verscheucht werden oder nicht gesehen werden können.
Ich erfahre dann auch viel über die Bedeutung der Gene und dass die Erde zuwenig Platz für alle Menschen bietet, weswegen Hunger unausweichlich ist. Als ich meine, dass mindest so viele an Überfettung sterben wie an Hunger, ernte ich strengsten Widerspruch. Gerne hätte ich noch erwähnt, dass inzwischen mehr Lebensmittel weggeworfen als gegessen werden.
Die Zerstörung von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen hängt weitgehend zusammen mit der Produktion von Überfluss, mit der Angst vor körperlicher Bewegung und Arbeit. Obwohl die Naturschützer an Natur immerhin interessiert sind, sehen sie nicht ihre eigene Rolle an der Naturzerstörung, geben stattdessen die Schuld den Bauern, eingewanderten Tierarten usw.

7.10.07

LEIDEN AN HARTZ IV

Eine Person, die einige Zeit arbeitslos war, fasst ihre Erfahrungen in diesen Statements zusammen:

Verabschiede Dich als erstes von Fachgeschäften oder Supermärkten mit Markenartikeln
Du wirst an Gewicht zunehmen
verabschiede Dich von Deinem Auto
Du wirst Freunde verlieren
Du hast einen Kredit laufen
Du wirst weniger und/oder recht ausgefallenen Sex haben
Du wirst einen Imagewandel durchleben
Kleidung kannst Du ab jetzt nicht mehr kaufen
Dein Wesen wird sich verändern. Moral und Ethik werden Dir sehr zweitrangig erscheinen. Du hast keine Skrupel mehr, schwarz zu arbeiten
Du wirst sehr kreativ und einfallsreich werden


Was hier beklagt wird, zeigt das Elend zeigen, in das Menschen, präpariert durch die Mittelstandskultur geschult, hineingeraten. Dabei besteht das Elend nicht darin, von Hartz IV leben zu müssen – das ist möglich – sondern in der Unfähigkeit, damit produktiv umzugehen. Einmal privat, dann politisch. Privat wird die Zeit der Arbeitslosigkeit als Durchgangsphase erlebt, als individuelles Unvermögen. Dann ist es Abstieg, Imageverlust, gesellschaftlicher Ausschluss. Der, der es so erlebt, denkt in individuellen Kategorien, er hat keinen gesellschaftlichen Maßstab, keine Ordnungsidee. Hätte er das Prinzip, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat, dass keiner ausgeschlossen werden darf, jeder „teilhaben“ soll (so die Sprache der Erben- und Besitzergeneration), dann würde sich aus seiner Lage die Forderung nach Gesellschaftskritik und politischer Praxis zwingend ergeben.
Das bedeutet, dass für den, der die Arbeitslosigkeit „erleidet“, wohl gilt, dass er in seinem Charakter dadurch geprägt ist, dass er zugehörig ist zu denen, die stolz auf ihre individuelle Leistungen, Persönlichkeit usw. sind, mit der sie sonst immer so schön im gesellschaftlichen Mainstream gelebt haben. Dieser Mainstream bedeutet: gehobenen Konsum (Fachhandel, Markenartikel), Kredit, nicht Vorsorge, teure Kleidung als wichtig für das Selbstbewusstsein, Essen als Zeichen von sozialem Status. Die Hierarchisierung der Supermärkte dient der gesellschaftlichen Differenzierung und um sich als gehoben abzugrenzen.
So wird die Arbeitslosigkeit zum Elend. Geht sie vorüber, bleibt sie ein Schock, meist nur individuell verarbeitet. Entweder als Angst, dass es wieder passieren könnte, oder als Stolz, diese Situation durch eigene Leistung wieder gemeistert zu haben, mit Verachtung für jene, die darin hängen bleiben.

Wie könnte die Arbeitslosigkeit positiv bewältigt werden kann. Ein
Beispiel wäre etwa die Besetzung der Kölner Arge. Aber auch eine solche Aktion, auch die der Überflüssigen, gerät in den Sog von Armutskampagnen. Hartz IV muss zwar erweitert werden, vor allem im Erziehungs- und Bildungsbereich, aber letztlich muss die Forderung nach Hartz IV für alle gestellt werden. Arbeitslosigkeit müsste Anlass sein, sich kollektiv Gedanken zu machen über
- gerechte Verteilung von Arbeit
- sinnvolle und sinnlose Arbeit
- Leben außerhalb des konsumistischen Mainstreams der Mittelschicht
- Aktionsformen gegen die Agenturen der sozialen Differenzierung.

Allerdings ist Arbeitslosigkeit für die einen ein Durchgangsstadium, deswegen kein politischer Bezugspunkt. Die anderen, für die Arbeitslosigkeit ein Dauerzustand ist, sind nicht in der Lage, politisch aktiv zu werden. Bei ihnen läuft die Interessenvertretung nur über Ersatz-Ichs, Sozialarbeiter, Alkohol usw.
Von Arbeitslosen lancierte Themen hätten nur dann eine Chance, von den Menschen als seriös behandelt zu werden, wenn sie in den Medien präsent wären. Eine schöne Idee hat keinen Wert, wenn sie nicht in den Medien als seriös dargestellt wird. Aber die Öffentlichkeit ist an die Mittelklasse verfallen. Deswegen haben solche Ideen, wie ich sie hier überlege, keine Chance. Nie.
Was bleibt, ist unter Protest von den herrschenden Verhältnissen Abstand zu nehmen und individuelle Lösungen zu suchen. Das, was sich in der Realität abspielt, kann doch nicht die Wahrheit sein.


FRAUENKOMMENTAR
Im Radio wird ein Kommentar zu der Forderung nach Verlängerung des ALG I für Ältere angekündigt. Eine Frau soll kommentieren. Ich kenne sie nicht, die Frau Sabrina Fritz, aber sofort weiß ich, was ich zu erwarten habe: neoliberales Geschwätz.
Und tatsächlich erfahre ich: Hartz IV ist gut, weil damit dafür gesorgt wird, dass die Leute jede Arbeit annehmen. Hartz IV ist dafür da, die Löhne nach unten zu drücken… - Aber warum sind Frauen, die in solche Positionen kommen, so reaktionär? Sicher, sie haben eine bürgerliche Herkunft. Nur solche, die besonders aggressiv und konkurrenzgeil sind, kommen in solche Jobs. Sie haben die richtigen Beziehungen. Sie haben sich mit vielen Opfern – etwa Beziehungen, Kinder usw. - hochgearbeitet und glauben sich jetzt im Recht, das von den anderen auch zu fordern. Oder sie spielen jetzt ihren Vorteil aus und genießen es, an andere Forderungen zu stellen, denen nur sie selbst nachkommen konnten. Außerdem werden sie gerne von Männern im Hintergrund als Sprachrohr ihrer Meinungskampagnen benutzt.
Ein solcher Rundfunkjob erfordert übrigens folgende Qualifikationen:
In Arbeitsmarktfragen liegt eine weitere Kompetenz von Ihnen. Sie sind sicher in der Moderation und haben Liveerfahrung. Nichts steht drin über Erfahrungen, mit Hartz IV zu leben, Teilzeit, 1 Euro und 400 € Jobs, im Niedriglohnsektor, in dem Frauen die Mehrheit bilden. Live ist nicht reales Leben.

Vielleicht sind diese Frauen aber nur so reaktionär wie die Männer um sie herum Mir fallen sie aber besonders negativ auf, weil in mir vielleicht doch die Illusion versteckt lebt, dass sie als das „schwächere“ oder „weichere“ Geschlecht weniger barbarisch als die gewöhnlich ohnehin gedankenlos in ihre Triumphe verliebten Männer sind.
Aber das war eine Illusion, mit der schon viele Kinder gescheitert sind.

3.10.07

Abschied von André Gorz

Die Frage nach der Nachricht von seinem Tod war, was er mir bedeutet hat. Zunächst habe ich nichts Markantes gefunden. Einiges von ihm habe ich gelesen, einiges hat sich im Gedächtnis gehalten. Etwa die Beschreibung des Trends, die verfügbare Zeit in Lohnarbeit umzuwandeln, um damit wieder belohnte Dienste zu bezahlen. – Aber gefehlt hat mir der aggressive Angriff auf die Verantwortlichen dieser Tendenzen.
Da war sein Buch „Ökologie und Politik“. Entweder habe ich es mit blindem Verstand gelesen, oder da es stand nichts Entscheidendes drin.
Dabei – lese ich die Nachrufe – hat er einiges gesagt, was ich selber praktiziere: die Reduktion der Lohnarbeitszeit, die Übernahme normalerweise bezahlter Arbeit in Eigentätigkeit. Das reicht vom Brotbacken, Kochen über Kinderbetreuung, Mobilität, Garten bis zum Hausbau.
Gorz, so Martin Kempke in der taz, beschreibt „den unvermeidlichen Niedergang des männlichen, vollzeitbeschäftigten Lohnarbeiters … und (empfahl) der Linken …, ihre Fixierung auf die traditionelle Lohnarbeit aufzugeben. Eine emanzipatorische, auf individuelle und soziale Freiheiten zielende politische Strategie müsse über die inhaltlichen und sozialen Grenzen der traditionellen Arbeiterbewegung hinausreichen und die Anregungen der Frauen- und der Ökologiebewegung berücksichtigen.“

Was ist daraus geworden?
Der männliche Lohnarbeiter, hat sich seine Lage grundsätzlich verändert? Er ist genauso in der Krise, wie die anderen. Betroffen sind vor allem die „Unqualifizierten“.
Die Frauenbewegung hat sich in dem Verlangen nach Job und Lohn dem Konkurrenzprinzip des Kapitalismus unterworfen und angepasst, es nicht verändert, sondern verschärft. Dabei wurde nicht einmal geschafft, Zeit für Erziehung von Kindern, die Beteiligung der Väter etwa durch Überstundenverbot usw. einzufordern. Stattdessen läuft das Projekt der Rationalisierung der Erziehung in kapitalistische Verwertungszusammenhänge. Erziehungszeit und –Geld wurden von der CDU eingeführt.
Und die Ökologie? Sie ist da relevant geworden, wo sich mit ihr ein Geschäft machen lässt. Etwa im Bereich der Energie, bei der Erzeugung und Einsparung im Baubereich. Aber das hängt mit der Verteuerung der Energie zusammen. Wo die Verschmutzung und Zerstörung der Erde billig ist, läuft sie ungehemmt weiter.
War das ein Grund, sich vom Proletariat zu verabschieden? Bringt uns die neue „immaterielle Produktion“ den Sozialismus? Kann man da neue selbstbestimmte, demokratische Arbeitsstrukturen erkennen? Leben die „Produzenten“ in diesem Bereich bescheiden und genügsam von nachhaltig erzeugten Produkten?
Es hat keinen Sinn, sich vom „Proletariat“ zu verabschieden. Genauso kann man sich vom Leben selber verabschieden. Der Reichtum, von dem die Intelligenz lebt, wird von der Arbeiterklasse erzeugt, sei sie männlich, weiblich, chinesisch oder deutsch.
Es mag Individuen geben, die das Bewusstsein von Ungerechtigkeit und Unfreiheit, das Verlangen nach anderen Beziehungen im Kopf haben, aber Sozialismus ist nur als der einer Arbeiterklasse möglich.
Die Vorstellung von Gorz einer dualen Ökonomie, auf der einen Seite der „sozialistisch“, befreite Freizeitbereich, auf der anderen Seite die immer mehr reduzierte Arbeit im kapitalistischen Verwertungszwang, ist ein Denkspiel - von Heinz Weinhausen nicht schlecht mit „Sphärenklänge“ beschrieben. Unter den gegebenen Voraussetzungen bin ich notgedrungen ein praktizierender Anhänger dieses Modells. Aber es muss durch die Konfrontation mit der Realität ergänzt werden. Es sollte mehr als ein Diskurs unter Intellektuellen sein.

1.10.07

ARBEITSERFAHRUNG

J. Schmierer, der 1970 mit Maozitaten, Ruf nach Partei usw. tönte, inzwischen zum Berater im Außenministerium aufgestiegen, will in einer Betrachtung der 68er ihre Internationalität herausstreichen. – OK -. Dabei berichtet er von einem Erlebnis auf einer Baustelle, wohl in Berlin August 61. Es gibt eine Diskussion über Hitler. Dabei stellt sich heraus, „dass der ganze Trupp das hohe Lied auf Hitler sang, außer dem Polier“, dieser Polier aber meint dann, 6 Millionen wären zuwenig gewesen, man hätte noch mehr Juden umbringen müssen.
Die Geschichte hat mehrere Seiten.
Zuerst verweist Schmierer auf Erfahrungen mit der realen Arbeiterklasse. Er unterstreicht damit, so wie ich in diesem Blog, die Bedeutung seiner Aussagen.
Dann aber beschreibt er ein moralisches Defizit der Arbeiter. Es hat aber zwei Aspekte: Einerseits ist es real, andererseits dient es als Rechtfertigung für die Herrschaft der sich über sie stellenden Mittelklasse. Sie schafft sich dadurch die moralische Hoheit und Überlegenheit in Medien, als Pfarrer, Lehrer etc, aber auch in linken leninistischen Parteien und Ideologien von Lukacs bis Mao.
Der Faschismus war keine Sache einer bestimmten Schicht oder Klasse, hatte aber einen signifikanten Mittelstandsbauch. Nach der Niederlage wurde reingewaschen. Hitler wurde zum Proleten erklärt und der Philosemitismus zur Eintrittskarte in die reformierte bürgerliche Gesellschaft, die von Hitler abrückte und sich den Siegern anschloss. Die neue politische Form, sich seine Privilegien zu sichern, war jetzt die parlamentarische Demokratie.
Es ist nicht so, wie mit Schmierer viele nahe legen wollen, dass die Eliten faschistisch waren, etwa die prügelnden Lehrer. Nein - die hatten sich bis auf Ausnahmen in der Regel reorientiert, reedukiert, hatten sich an die neuen politischen Verhältnisse angepasst. Man sehe sich nur die Leutnants von Augstein bis Strauß an. Diese Neuorientierung geschah häufig mit Hilfe der Projektion und Verfolgung eigener faschistischen Anteile auf andere: die Kinder, die Arbeiter, die Rechten usw. Gerne wurde von den Eliten später etwa Klemperers Bild von Hitler als kulturlosen Proleten aufgenommen.
Dazu kommt, dass die Arbeiter oft an dem Syndrom der heteronomen Sekundärtugenden: Treue, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit usw. leiden. Ein Grund, weswegen sie im Gegensatz zu den beweglicheren Eliten zu einem Mann hielten, dem eine ganze Nation die Treue geschworen hatte und viele Millionen von Deutschen ihr Leben geopfert hatten.
War Hitler ein Prolet? Er hatte sicher proletarische Züge: das Geschrei des in Rage geratenen - die Rage ein psychotisch-hysterischer Fantasiezustand -, die Phrasen, die kleinbürgerliche Sucht nach Großbürgerlichkeit, die Orientierung an Rache und Revanche, das aggressiv brutale Auftreten. Aber er war kein Arbeiter, hat sich nicht als Teil einer Gesellschaft verstanden, die sich ihr Leben und Zusammenleben über Arbeit organisiert. Seine Motive waren Raub und Ausbeutung, Überlegenheit und Dominanz, waren von Anfang an Rache und Vernichtung.
Weswegen identifizieren sich Arbeiter noch 61 und auch später mit Hitler, mit Forderungen nach Todesstrafe, mit Antikommunismus, mit einer Bereitschaft zu Unterdrückung? Es ist die Identifikation mit der erfahrenen eigenen Unterdrückung, der unbarmherzigen Härte in Erziehung und Arbeit. Die unterdrückte Wut sucht nach Gelegenheiten zur Rache an anderen Opfern, vor allem bei denen, die nicht das gleiche Schicksal ertragen mussten.

Aber auch die Identifikation mit Opfern, sei es mit Jesus oder Luxemburg, verrät eine Geschichte der immer noch bestehenden Gewalt gegen Menschen. Sie ist solange nicht beendet. als sie als Drang nach Apokalypse, Tod und Rache fortbesteht. Immer wieder taucht der Wunsch nach der großen Abrechnung, einem Jüngsten Gericht auf. Die scheinbare Identifikation mit den Opfern des Faschismus, wie sie zur Phraseologie des neuen Deutschlands gehört, verweist auf neue Gewaltverhältnisse.

Wie gesagt, leben viele Arbeiter in einer heteronomen Welt, d.h. in einer Welt von Abhängigkeit mit dem Bedürfnis nach Anerkennung durch Autoritäten, sei es der Arbeitgeber oder Familie oder Öffentlichkeit. Gemischt ist dieses Bedürfnis freilich mit der Realität der Enttäuschungen, der Konfrontation mit Misstrauen und Ablehnung, Ausbeutung, Entlassung oder Drohungen. Moralische Autonomie kann nur dort idealtypisch existieren, wo weder Druck von außen noch von innen ist, also ein entspanntes Verhältnis zur sozialen Umwelt besteht. Die Erfahrung von permanenten Demütigungen macht einen objektive Moral schwierig. Es ist nicht so, dass dies der Mittelschicht alles fremd wäre, aber ein befriedigenderes Leben macht Moralisieren leichter.
Dass es bei den Arbeiten - und anderen Schichten - auch 15 Jahre nach Ende des Faschismus immer noch Verteidiger Hitlers gab, zeigt auch, dass eine offene Diskussion über die Werte des Faschismus nicht stattgefunden hat, auch nicht über die neue Gesellschaft. An die Stelle der Auseinandersetzung um gesellschaftlicher Werte ist die ökonomische Entwicklung, das „Wirtschaftswunder“ getreten.
Wie aber ist es dem Faschismus gelungen, die Arbeiter so an sich zu binden? Ein Großteil der bis 1945 30jährigen, also Jahrgänge 1915 und jünger, hat im Faschismus seine Lehre und Ausbildung gemacht. Anschließend waren sie in der Regel als Soldaten im Krieg. 1961 waren sie ungefähr um die 40. Sie haben keine Beziehung mehr zu Gewerkschaften und linken Parteien gehabt. Die faschistische Arbeitsorganisation hat den Arbeitern zwar ihre Köpfe genommen, aber die Arbeiter eher pfleglich und mit Respekt behandelt. Auch ist es den Faschisten gelungen, rebellische und antibürgerliche Motive zu integrieren. So weitgehend, dass heute nichtbürgerliche Verhaltensweisen (Nähe statt Distanz, Inhalte vor Form, Ehrlichkeit vor Höflichkeit, Volksmeinung statt Elitenkultur) schnell als „faschistisch“ denunziert werden können.
Die betonte neue „Bürgerlichkeit“ – auch in der Begründung mit Elias´ Kulturtheorie - versucht, den Faschismus in einer falschen Weise ungeschehen zu machen. So als ob darin nicht Probleme und Motive aufgebrochen sind, die die bürgerliche Gesellschaft in sich enthält, aber unterdrückt hat.
Offensichtlich ist es den Faschisten gelungen, Lebensmotive anzusprechen, die den Rahmen ordentlicher Arbeit, mechanisierter und maschinisierter Beziehungen überschritten haben: Eroberungen ins Neue, Siege, Triumphe. Ich denke hier nicht weiter, es ist ein gefährliches Gebiet. Offensichtlich ist es eine treibende Kraft in Geschichte und Gesellschaft. Es hat keinen Sinn, es nur moralisch zu diskreditieren und zu glauben, sein Bann wäre damit gebrochen.

25.9.07

Die konsumistische Identität

In der taz von gestern gab es eine Apologie des Konsumismus. Derart: „Was immer wir tun, wir shoppen“. „Wir sind, was wir kaufen (oder eben nicht kaufen)“. „Dass wir mit den Waren, die wir konsumieren, …unser Ich … konstituieren“. „Das ‚Selbst’ ist schließlich nicht vor den Produkten da, sondern wird mit deren Hilfe erst modelliert“. Es wird auch eine Kritik am Konsumismus erwähnt, der Suchtcharakter des Shoppings – aber am Ende bleibt es: Alles ist Shopping.
Oder wie Marx im Kapital den Warenfetischimus an: „Der Reichtum der Gesellschaften … erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung’“. Dahinter versteckt sind die gesellschaftlichen Beziehungen in der Produktion, die Ausbeutung und Zurichtung von Mensch und Natur.
Davon will der Autor nichts wissen. Konsumieren ist Freiheit, „Selbst“, Identität, „Ich“. Die Kehrseite interessiert ihn nicht.

Ich drehe die Sache einfach um. Unsere Identität besteht im Wesentlichen daraus, was die anderen in uns sehen und wie wir auf diese Sicht zu antworten vermögen. Da ist etwa „unsere“ Schulkarriere, Berufslaufbahn, Arbeitstätigkeit, Familienstellung. Je mehr uns das nicht passt, je unbefriedigender „unser“ gesellschaftlichen und produktives Dasein, desto mehr weichen wir auf Konsum aus und benutzen die käuflichen Zeichen, um uns eine Schein- oder Fantasieidentität zu „konstituieren“.

Die Definition des Konsumismus zum universellen Lebensprinzip schließt von vorneherein eine kritische Betrachtung des Konsumismus aus: die Unfähigkeit mit den gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen zu haushalten; der Mangel an langfristigem Denken, das schwache Ich, das sich vom Lustprinzip beherrschen lässt, das Ignorieren von internationaler Ausbeutung und Naturzerstörung; das einsame Ich, das den Triumph von Moden und Produkten braucht, um sich Geltung zu verschaffen. Oder anders formuliert: Zu einer vernünftigen Identität gehört die rationale Aneignung der gesellschaftlichen Beziehungen, in denen wir leben und arbeiten.

16.9.07

BLOCH UND DIE MORAL

Mich durch einige Sachen von Bloch durchgelesen. Ich schätze ihn sehr, wie er die Geistesgeschichte nach ihren utopischen Überschüssen durchforscht. Dabei bin ich auf ein Interview über Moral gestoßen. Was wird er sagen, er der einmal Stalin verehrt und hoch gepriesen hat? Aber er enttäuscht. Wieder wird Stalin zitiert: „Der Überbau aktiviert den Unterbau.“ Ausgerechnet Stalin, der – wie H. Weber beschreibt – fast die ganze Arbeiterklasse von 1917 in der Sowjetunion ausgerottet hat. Heißt das, den „Unterbau“ „aktivieren“?
Ich frage mich, welches Verhältnis hatte denn Bloch zum empirischen Arbeiter, er der nach Klappentext „wie kaum ein anderer Autor unserer Zeit die Fähigkeit besitzt, ‚dem Volk aufs Maul zu schauen’“. Ich kann mich erinnern, 1974 – als dieses Interview (s.u.) geführt wurde – habe ich in der Chemieindustrie gearbeitet. Fast keine deutschen Arbeiter haben direkt in der Produktion gearbeitet, sie waren in der Regel Vorarbeiter, Meister usw., beschäftigt mit ihren Familien, Autos und Motorrädern. Die Arbeit wurde von Arbeitsemigranten gemacht – der Multikultikult war die Begleitmusik dazu. Ein Teil der Deutschen war im Kopf geprägt durch die Erlebnisse in Stalingrad, die Vertreibung aus Tschechien usw. Die meisten Arbeitsemigranten waren Türken und dabei, sich wieder zu islamisieren. Ich kann nicht erkennen, dass denen allen irgendeiner aufs Maul geschaut hätte, schon gar nicht Bloch.
Und das war nicht nur 1974 so. Wo spielt die empirische Arbeiterklasse bei Bloch eine Rolle? Die KP als Sprachrohr der Arbeiterklasse? Ich glaube, nicht einmal Bloch hat das geglaubt. Sicher, er befasst sich mit dem Kleinbürgertum und ihren rückwärtsgewandten Ideologien, aber mit den Arbeitern selber?
Jetzt zur Moral. Was sagt er auf die Frage, es gäbe Leute, die sagten die 68-er hätten hauptsächlich moralische Gründe für ihre Politik? Er könnte jetzt diese Kritik materialistisch aufnehmen, in dem Sinne, dass ein Unterschied zwischen Motiven aus materieller Lage und Erfahrung und moralischen Gründen bestehe. Aber nein – das erste ist nach ihm „Ökonomismus“ – und das zweite das scheinbar allein richtige. Denn auch Lenin hätte nur „moralische“ Motive gehabt. Hier hätte man Bloch doch etwas mehr Vertiefung in Nietzsches Kritik der Moral – ohne sie gleich zu akzeptieren – gewünscht, um hinter moralischen Phrasen etwas weniger wertvolle Motive zu vermuten. Wie kommt es, dass viele Teilnehmer der hochmoralischen Studentenbewegung man heute wiederfindet im akademischen Establishment, als Kriegstreiber, in Positionen, wo sie Tausende entlassen usw. usw.? Doch nicht, weil sie damals moralisch waren und heute nicht – sondern weil da in ihnen eine Kontinuität ist, und die Worte nur darüber wegtäuschen wollen.

Und so ist es auch bei Lenin. Er benutzt die Forderungen der Arbeiterklasse (und des Volkes: „Brot und Frieden“), um an die Macht zu gelangen. Eine „Modernisierung“ der SU wird mit allen Mitteln durchgesetzt, Tscheka, Lügen, Verbrechen, Arbeitslager. Hatten die Arbeiter dabei etwas zu sagen? Lenin hat die Grundlagen für das Wirken von Stalin geschaffen. Moralische Grenzen wurden durchbrochen, der Weg für einen gnadenlosen Massenmord freigemacht.
Nietzsche hat Moral auf den Willen zur Macht reduziert und als wahre Natur des Menschen glorifiziert, wie dubios dieser Begriff des Willens zur Macht auch immer sein mag. Aber Bloch mag diese aufdeckende Psychologie nicht. Adorno meinte in dem Zusammenhang einmal, Antipsychologismus wäre eine Eigenschaft der autoritären Persönlichkeit. Psychologie ist ihr deswegen so verhasst, weil sie auf individuelle Motive eingeht, also ein Individuum zulässt, das sich weder mit dem Gesagten noch der Gesellschaft deckt. Warum verweigert Bloch einen Blick auf die unfeinen Hintergründe der Leninschen Moral? Sicher, weil er sich mit dieser „Moral“ identifiziert – diese Moral, die von Revolution, Arbeiterklasse, Sozialismus spricht aber die Selbstherrlichkeit einer anderen Klasse als der der Arbeiterklasse meint. Eine Revolution der Worte also, die sich „moralisch“, d.h. selbstlos und sich aufopfernd für andere, die Gesellschaft usw. darstellen will.
Bloch identifiziert Moral in gewisser Weise mit Selbstlosigkeit, mit Aufopferung für die anderen, für ein gesellschaftlich Gutes – und stellt diese Moral den partikulären Eigeninteressen einer Klasse gegenüber. Die können seiner Meinung nach nur „ökonomische“ sein. Deswegen sein Verweis auf den Ökonomismus. Aber es ist nicht sinnvoll, dieses materielle Interesse dem moralischen entgegenzustellen. Eine materialistische Kritik der Moral würde vielmehr bezwecken, das materielle Interesse anzuerkennen und seine Realisierung in der Gesellschaft in eine balancierte Form zu bringen.
Bloch dagegen setzt der Moral den Nihilismus entgegen. Damit verhält er sich den moralischen Selbstbegründungen (und auch sich selber gegenüber) unkritisch.
Warum aber diese Anlehnung an Stalin und Lenin? Es ist die dem Intellektuellen zu Grunde liegende Erfahrung - und gleichzeitig ihre Verdrängung – gewissermaßen ein „Nichts“ zu sein. Durch Parteilichkeit mit diesen „Kräften“, will er die Bedeutung und Wirksamkeit seiner Gedanken unterstreichen.
Diese „Nichts“ - Erfahrung ernst zu nehmen, sie nicht mit falschen Identifikationen zu überspielen, durchzugehen durch die Depression und den Nihilismus, vielleicht wäre das ehrlicher gewesen, als das schöne Projekt Hoffnung. Vielleicht wäre es auch Anlass gewesen, sich mit dem wirklichen Arbeiter und seiner Situation zu beschäftigen.

„Rosa Luxemburg, Lenin und die Lehren oder Marxismus als Moral“ in: „Gespräche mit Ernst Bloch“, Hrsg. Rainer Traub und Harald Wieser, Ffm 1975.

13.9.07

ARBEITERAUTONOMIE STATT SOZIALSTAAT

Die Schwierigkeiten syndikalistischer Politik


In „Freitag 32“ formuliert J. Bischoff als Alternative zum neoliberalen Kapitalismus die Erwartung seiner sozialen Regulierung im Sinne des Sozialstaats, Bekämpfung der sozialen Ungleichheiten in der Einkommensverteilung, „langfristig ausgelegte Strukturpolitik“, „Herausbildung einer sozial und ökologisch verträglichen Lebensweise“, Entwicklung von Individualität sowie des Anspruchs auf Selbstbestimmung und Partizipation“ mit neuen Ansätzen indirekter Wirtschaftssteuerung und eines demokratischen Aufbruchs“ (in:
Freitag 32 - Über Zombies und Voodoo-Kult)


Das Hoffen auf den Sozialstaat erfolgt aus einer realistischen Sicht der Machtverhältnisse. Mit ihm ist es teilweise gelungen, Verteilung politisch zu organisieren. Autonome Arbeit ist keine Basis der Gesellschaft, vielmehr ist sie abhängig von Kapital, politischen Vorgaben, Bewegungen des Weltmarkts. Sie ist abhängige Arbeit und so erscheint es dem Bewusstsein. Folgerichtig orientiert sich also auch das menschliche Handeln daran und es wird gefragt: wie kann ich Geld verdienen, was muss ich dafür tun usw.? Es passt sich an die Gegebenheiten des Abhängig-Beschäftigt-Seins an. Autonomie beschränkt sich auf die Anpassung des Körpers, der Intelligenz an die vorgegebenen Ziele des Kapitals.


Freilich baut der Sozialstaat ein Rechtsverhältnis auf: Recht auf Gerechtigkeit, Arbeit, Unterhalt usw. Damit ist dieses homo homini lupus-Prinzip, das Wolfsprinzip unter den Menschen, abgelöst und rechtlich Solidarität ein Maßstab politischer Entscheidungen.
Weil aber die kapitalistische Grundstruktur der Produktion und Eigentumsverhältnisse weiter besteht, stehen ökonomische und soziale, politische Verhältnisse in Gegensatz zueinander. Das vom Staat ausgegebene Geld - zurzeit zwischen 45% und 50% - muss zuerst im „produktiven“, d.h. Profit erzeugenden privaten Sektor erwirtschaftet werden. Der vom Staat verwaltete und finanzierte Sektor ist zwar nicht „unproduktiv“ - garantiert er doch durch Bildung, Infrastruktur, Militär, Polizei, Gesundheit, sozialen Frieden usw. Bedingungen und Erweiterung der Profitproduktion – aber sein Geld bezieht er aus der Profitproduktion des privaten Sektors. Der eine Sektor lässt sich von dem anderen nicht trennen.
Länder mit einer geringen Staatsquote wie die USA (34%) oder Spanien (38%) erzwingen die Finanzierung dieser Leistungen entweder mit Mehrarbeit oder durch Vernachlässigung öffentlicher Strukturen, Verarmung.
Die „Sozialstaatsillusion“ will von dieser notwendigen Bedingung – etwa den Profit auf dem Weltmarkt gewinnen zu müssen - abstrahieren. Sie macht sich weder Gedanken um den Gebrauchswertcharakter der Produktion (Was wird hergestellt, mit welchen Mitteln und Ressourcen), noch um die sozialen Verhältnisse, wie dieser Profit produziert wird. Sie überlässt das dem privaten Sektor.

Dieser Sozialstaatspolitik steht die Idee der Produktion durch selbstbewusste Produzenten diametral gegenüber. Als eher traditionalistische Produktionsmoral steht sie in Gegensatz zu der Idee der Verteilung des „Reichtums“ durch soziale Wohlfahrt, der Schenkungsmentalität der Sozialarbeiter, Ideen von „Grundeinkommen“, Klage über Hartz IV und „Armuts“-Kampagnen.



Man wird aber sofort Einwände gegen diese Arbeiterautonomie erheben: Hat sie doch Voraussetzungen, die nicht mehr gegeben sind: Vollbeschäftigung in einem politisch kontrollierbaren nationalen Rahmen, Arbeitsteilung und Qualifikation auf gehobenem Facharbeiterniveau, Verwissenschaftlichung der Prozesse.
Dagegen ist heute der Markt internationalisiert, die Arbeit ist zerstückelt, die Einzelarbeit lässt keinen sinnvollen Bezug mehr zu einer Gesamtgesellschaft erkennen – ist nur individualisierter Lohn, während die produktive Kraft einer Gesellschaft sich in der Öffentlichkeit als Markenprodukt, ökonomische und technische Potenz von privaten Konzernen darstellt.
Die Deutschen mögen einer Umfrage zufolge vor allem Autofirmen, aber auch den Siemens-Konzern und die Discounter Aldi und Lidl.
Also das „Arbeiterbewusstsein“, das produktive Klassenbewusstsein ist untergraben von dem Bewusstsein der eigenen Schwäche, dem Gefühl der eigenen Ohnmacht einerseits und der Potenz und Kraft des Kapitals andererseits.
Im Gegensatz zu den „Aufbaujahren“ der Nachkriegszeit und ihren Mythen –tatsächlich läuft der Laden nur, wenn die Finanzierung gesichert ist und die Geldströme sich bewegen – scheint heute die Konjunktur von internationalen Finanzströmen abhängig zu sein, ganz und gar nicht von der Produktivität des Einzelnen, auch wenn der Einzelne trotzig vor sich hersagen mag: „Wer Arbeit will, bekommt auch eine.“

Welche Chancen bestehen unter solchen Umständen für eine sozialistische Perspektive?
Eine veränderte Gesellschaft, Sozialismus, Autonomie lassen sich nicht denken ohne produktionsbezogenes gesellschaftliches Bewusstsein. Also einen Produzenten, der sich als arbeitsteiliges Element einer Produktionsgesellschaft weiß, der die den natürlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen seiner Produkte und Arbeit kennt, einer der sich beteiligt und mitverantwortlich sieht in dem, was er tut. Einer, der weiß, dass das, was er verbraucht, auch hergestellt werden muss, der darin zuerst eine zu erbringende produktive Leistung sieht, und nicht primär eine Geldfrage. Dieses Bewusstsein ist aber eines von Lernen und Erfahrung, von der Erfassung komplexer technischer Zusammenhänge, also von Schule, Erfahrung in Produktion und Ausbildung. (Das ist der Mittelklasse, insbesondere den Lehrern, völlig fremd und das kann sie überhaupt nicht vermitteln. Für sie ist Wissen Mittel der Differenzierung, mit dem die Individuen miteinander in Konkurrenz treten, mehr wissen als andere, - nicht das Teilen von produktivem Wissen und Erfahrung.)

Denkt man dieses Konzept weiter, stellt sich die Frage, wer und wo denn das bewusste und aktive Subjekt dieses idealen produktiven Gesamtarbeiters sein soll?
Auf der einen Seite ist dieses Subjekt nicht sichtbar, auf der anderen Seite wird eine menschliche Gesellschaft nur unter der Prämisse von Arbeiterautonomie und produktionsbezogenem Bewusstsein möglich sein. Die Idee des Sozialstaats, obwohl populär und für politische Parteien stimmenbringend, führt in die Irre. Einmal ist diese Bindung an die Notwendigkeiten der Profitproduktion, das andere ist die Zerstörung der Autonomie der Menschen, die Herr über ihre Lebensverhältnisse nur über den Schein von Größenfantasien über sich selber werden. Ich werde diesen heute stattfindenden Prozess der gesellschaftlichen Blasenbildung als Ersatz für Autonomie weiter unten beschreiben.


Was wären die Angriffspunkte dieses produktiven Gesamtarbeiters?
- die Betriebe, wo die Arbeit verteilt und Ausbildung organisiert wird
- die Gewerkschaften, die sich in diesem Prozess passiv verhalten
- die technischen Hochschulen, wo Art und Richtung der Produktion determiniert wird
- die Medien, die bestimmte Gesellschaftsbilder reproduzieren und autonom-produktive Ideen und Bilder blockieren
- Schulen, in denen die Selektion, Konformität und Hierarchie erzeugt und nur die Anpassung an zersplittertes arbeitsteiliges Wissen vorbereitet wird

Objekt des Angriffs wäre nicht primär der Staat, weil er nicht das Subjekt der Veränderung sein kann. Subjekt sind die (arbeitenden oder arbeitslosen) Menschen. Überhaupt stünde nicht der „Kampf“ im Vordergrund, sondern die Ausarbeitung produktiver Alternativen.


Soweit, so gut. Denkt man dieses syndikalistische Konzept von Arbeiterautonomie wie oben durch, springt aber zunächst die reale Verflochtenheit von Politik und Staat („Sozialstaat“) und Ökonomie ins Auge. Da gibt es diesen politischen Sektor, in dem Gesetze der Aneignung, der Macht, des Überredens, der Massenpsychologie, der Medienmaschinerie usw. usw. herrschen, - auf der anderen Seite den produktiven Sektor, wo einer brav, fleißig und intelligent vor sich hinarbeiten mag, aber doch abhängig ist von Entscheidungen verschiedenster Institutionen: Märkte, Investoren, staatlicher Interventionen in Form von Geldern oder Gesetzen.

Der gute Marx ist in seinen Grundtheoremen ja noch davon ausgegangen, dass es in der Ökonomie und der darauf aufbauenden Gesellschaft um materielle Reproduktion, also biologisches Überleben ginge. Aber das ist heute nur noch eine Funktion neben anderen. Denn schaut man sich die „Produkte“ an, um die es in der Produktion geht, sind das Dinge wie: Telekommunikation, Auto, Moden der verschiedensten Art – alles Dinge, die eine Fantasie befriedigen, aber kaum mehr mit körperlichen Bedürfnissen verbunden sind. Diese Fantasien ersetzen aber die alte Idee des selbstbewussten autonomen Produzenten.

Wenn jemand ein T-Shirt kauft und statt einer Massenware eines von Nike etc. kauft, um mit deren Logo zu posieren – und als unbezahlter Werbeträger zu fungieren - , dann befriedigt er etwa seine Fantasie, ein sportlicher Gewinner zu sein, so auszusehen wie die Werbebildchen, Qualität zu besitzen, wie es ihm die Mittelschicht der Aldiverächter einredet, aber die Funktion, seine Blöße zu bedecken und den Verlust von Körperwärme zu verhindern, erfüllt das billige T-Shirt genauso. Und seine Fantasie – „Individualität“ – hat ihn einen schönen Batzen gekostet. Ich schätze, dass ca. Zwei Drittel der Produktion Fantasieproduktion und Fantasiearbeit ist. Allerdings Fantasie, die das Profitsystem am Laufen hält. Und insofern höchst „real“ wird (mehr als das zu Fleisch gewordene Wort in der Bibel).

Gleichzeitig geht diese Fantasieproduktion eine Verbindung oder besser Vermischung ein mit dem „politischen“ und öffentlichen Sektor. Um zu etwas zu kommen, um ein gewünschtes Selbst zu entfalten oder zu realisieren, muss ich in eine gewisse Position kommen, mich mit einem gewissen Outfit – Kleidung, Dinge wie Auto, Haus etc. – ausstatten, zu einer gewissen Kaste gehören, an gewisse Geldströme mich ansaugen, an Profitströmen anschließen.
Dabei kommt es zu folgendem Paradox: Das materielle Überleben wird mit Hartz-IV abgesichert - also ohne Arbeit -, während die Fantasie – das was dem Leben im Kapitalismus seinen Pep gibt – über die „Arbeit“ realisiert und gespeist wird. Arbeit ist jetzt ein Glück, eine Gabe der Gesellschaft (wie es das Wort vom „Arbeitgeber“ ja schon immer nahe legen will) – und erscheint nicht als Mittel zur Ausbeutung. Man kann froh sein, Arbeit zu haben und ausgebeutet zu werden. Mit Arbeit kann man sich dann was „leisten“. Aber es ist nur noch am Rande mit materieller Reproduktion verbunden. In dem Sinne des biologischen Überlebens ist Arbeit überflüssig geworden.
Damit ist aber auch Arbeit als Grundlage von Klassenbewusstsein bedeutungslos geworden. „Politik“ spielt sich in ganz anderen Sphären ab, abseits nicht nur der klassischen linken Klientel – mal „Arbeiterklasse“ genannt (der Begriff ist heute nur noch ironisch verwendbar) – also in der Mittelschicht (Akademiker, Kirchenmenschen), auch ihr Maßstab hat sich vollkommen verändert. War linke Politik einmal gerichtet gegen materielle Verelendung, effektiver Produktion, Entfesselung de Produktivkräfte, die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus, hat heute linke Politik darin keine positiven Ziele über Kapitalismus hinaus zu bieten. Schwerpunkt linker Politik wird die perfektere Einlösung der Versprechen des Sozialstaats. Darüber hinaus lebt sie von der ethnozentrischen Gruppenbildung, deren Schwerpunkt darin liegt, sich positiv von anderen Gruppen abzugrenzen. Es herrscht ein diffuses Bedürfnis nach Identität, nach Gemeinschaft, nach Aufbesserung von Selbstbewusstsein, was nur befriedigbar ist durch Konstruktionen von Gut und Böse („Antifaschismus“), Projektionen, apokalyptischen Visionen (Klimakatastrophe, Atomkrieg). Jeder Tote wird in irgendeine politisch verwertbare Konstruktion verwurstet. Alle politischen Gruppen bedienen sich solcher ethnozentrischer Taktiken. Um was es essentiell mal ging - die freie Assoziation autonomer Produzenten - zerfließt unter diesen Diskursen schon lange. Stattdessen geht es um Gruppenbildungen, Identitäten, gehobenes und beleidigtes Selbstbewusstsein.

Betrachtet man also die Bewegungen an der politischen Oberfläche, dann kann man einen selbstbewussten Gesamtarbeiter, der über Produkte und Produktionsprozesse autonom bestimmt, nicht erkennen.
Grundbedürfnisse befriedigt, Überleben gesichert, der Rest ist überflüssig? Reicht das nicht schon?
Trotzdem gibt es ein Leiden an der Gesellschaft. Zeigt nicht gerade die Fantasieproduktion dieses unbefriedigte Bedürfnis nach gesellschaftlicher Wirksamkeit wie es in dem konkurrenzorientierten Konsum- und Freizeitverhalten, bei Auto, Moden, Repräsentation usw. zum Ausdruck kommt? (Zu fragen wäre, inwieweit hier eine narzisstische Natur zum Ausdruck kommt oder inwiefern eine gerechte und demokratische Gesellschaft diesen Individualisierungs- und Fantasiezwang reduzieren könnte.) Dieses Thema ist m. E. nicht genügend behandelt.
Dieses Leiden an der Gesellschaft hat folgende Erscheinungsformen:
- die Erfahrung von Ungleichheit als Erfahrung von Über- und Unterlegenheit, der Sozialangst und des sozialen Rückzugs
- eine materielle Unsicherheit und berechtigte Angst vor der Zukunft. Denn auf die Dauer wird sich das heutige Niveau nicht halten lassen und die unteren Schichten werden als erste davon betroffen sein.
Aus diesem Leiden, diesen Ängsten – mehr wieder in der Fantasie und nicht dominant real – gibt es aber keine erkennbare Tendenz zu etwas gesellschaftlich Anderem. Als eher konservative Bedürfnisse verweisen sie auf die Aufrechterhaltung des Sozialstaats in der heutigen Form. Die, die manifest an der Gesellschaft leiden, gehören ohnehin zu denen, denen man öffentliche Rede und Auftreten vorenthält, - und schon das Schamgefühl verbietet es ihnen. Ich spüre es jedes Mal, wenn ich in Formularen nach meinem Beruf gefragt, „Arbeiter“ eintrage und habe das Gefühl, dass das schon ziemlich das Letzte ist, was man sein kann. Auch meine Angehörigen haben Probleme, darüber in ihrer Umgebung zu reden


Die wirklich notwendige Arbeit dürfte nur noch ein Drittel der insgesamt geleisteten Arbeit darstellen. Die „materielle Reproduktion“, d.h. die notwendige Arbeit, ist nicht mehr ein Anliegen der sozialistischen Politik, sondern ist zum Geschäft bürgerlicher Politiker geworden, der Agenten dessen, was man „Sozialstaat“ nennt.
Die objektive Krisenhaftigkeit und Labilität des Systems – man denke an die Folgen des 11ten Septembers, der Immobilienkrise in den USA – schlägt sich im Bewusstsein der Menschen als diffuse Angst und Unsicherheit nieder. Und genauso diffus und politisch manipulierbar sind die Reaktionen darauf. Je mehr den Menschen die Kontrolle über die gesellschaftlichen Verhältnisse entgleitet, desto irrationaler wird ihr Verhalten, desto mehr investieren sie in die Fantasieproduktion.

Wie Arbeitsdemokratie eine Idee und politisches Modell werden kann? - Oder soll man die Idee vergessen und eben das Schlimmste zu verhindern versuchen?
Auch wenn man jetzt die heutige Gesellschaft für noch erträglich hält, - sieht man ab von den unlösbaren Problemen mit der Ökologie, der notwendigen Ausbeutung anderer Völker, einer immer noch bedrohlichen ökonomischen Krisenhaftigkeit – ist sie letztlich immer noch weit entfernt von einem zwischenmenschlich akzeptablen, einem demokratischen und gerechten Zustand. Und für die, die an humanen Standards festhalten und denen die Profitzwangstrukturen der Gesellschaft bewusst sind, besteht eine moralische Pflicht, an die Realität hinter dem glänzenden Schleim und Schein zu erinnern. Was bedeutet, dass der Kern menschlicher Verhältnisse die Art und Weise der Arbeit ist.