1.10.07

ARBEITSERFAHRUNG

J. Schmierer, der 1970 mit Maozitaten, Ruf nach Partei usw. tönte, inzwischen zum Berater im Außenministerium aufgestiegen, will in einer Betrachtung der 68er ihre Internationalität herausstreichen. – OK -. Dabei berichtet er von einem Erlebnis auf einer Baustelle, wohl in Berlin August 61. Es gibt eine Diskussion über Hitler. Dabei stellt sich heraus, „dass der ganze Trupp das hohe Lied auf Hitler sang, außer dem Polier“, dieser Polier aber meint dann, 6 Millionen wären zuwenig gewesen, man hätte noch mehr Juden umbringen müssen.
Die Geschichte hat mehrere Seiten.
Zuerst verweist Schmierer auf Erfahrungen mit der realen Arbeiterklasse. Er unterstreicht damit, so wie ich in diesem Blog, die Bedeutung seiner Aussagen.
Dann aber beschreibt er ein moralisches Defizit der Arbeiter. Es hat aber zwei Aspekte: Einerseits ist es real, andererseits dient es als Rechtfertigung für die Herrschaft der sich über sie stellenden Mittelklasse. Sie schafft sich dadurch die moralische Hoheit und Überlegenheit in Medien, als Pfarrer, Lehrer etc, aber auch in linken leninistischen Parteien und Ideologien von Lukacs bis Mao.
Der Faschismus war keine Sache einer bestimmten Schicht oder Klasse, hatte aber einen signifikanten Mittelstandsbauch. Nach der Niederlage wurde reingewaschen. Hitler wurde zum Proleten erklärt und der Philosemitismus zur Eintrittskarte in die reformierte bürgerliche Gesellschaft, die von Hitler abrückte und sich den Siegern anschloss. Die neue politische Form, sich seine Privilegien zu sichern, war jetzt die parlamentarische Demokratie.
Es ist nicht so, wie mit Schmierer viele nahe legen wollen, dass die Eliten faschistisch waren, etwa die prügelnden Lehrer. Nein - die hatten sich bis auf Ausnahmen in der Regel reorientiert, reedukiert, hatten sich an die neuen politischen Verhältnisse angepasst. Man sehe sich nur die Leutnants von Augstein bis Strauß an. Diese Neuorientierung geschah häufig mit Hilfe der Projektion und Verfolgung eigener faschistischen Anteile auf andere: die Kinder, die Arbeiter, die Rechten usw. Gerne wurde von den Eliten später etwa Klemperers Bild von Hitler als kulturlosen Proleten aufgenommen.
Dazu kommt, dass die Arbeiter oft an dem Syndrom der heteronomen Sekundärtugenden: Treue, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit usw. leiden. Ein Grund, weswegen sie im Gegensatz zu den beweglicheren Eliten zu einem Mann hielten, dem eine ganze Nation die Treue geschworen hatte und viele Millionen von Deutschen ihr Leben geopfert hatten.
War Hitler ein Prolet? Er hatte sicher proletarische Züge: das Geschrei des in Rage geratenen - die Rage ein psychotisch-hysterischer Fantasiezustand -, die Phrasen, die kleinbürgerliche Sucht nach Großbürgerlichkeit, die Orientierung an Rache und Revanche, das aggressiv brutale Auftreten. Aber er war kein Arbeiter, hat sich nicht als Teil einer Gesellschaft verstanden, die sich ihr Leben und Zusammenleben über Arbeit organisiert. Seine Motive waren Raub und Ausbeutung, Überlegenheit und Dominanz, waren von Anfang an Rache und Vernichtung.
Weswegen identifizieren sich Arbeiter noch 61 und auch später mit Hitler, mit Forderungen nach Todesstrafe, mit Antikommunismus, mit einer Bereitschaft zu Unterdrückung? Es ist die Identifikation mit der erfahrenen eigenen Unterdrückung, der unbarmherzigen Härte in Erziehung und Arbeit. Die unterdrückte Wut sucht nach Gelegenheiten zur Rache an anderen Opfern, vor allem bei denen, die nicht das gleiche Schicksal ertragen mussten.

Aber auch die Identifikation mit Opfern, sei es mit Jesus oder Luxemburg, verrät eine Geschichte der immer noch bestehenden Gewalt gegen Menschen. Sie ist solange nicht beendet. als sie als Drang nach Apokalypse, Tod und Rache fortbesteht. Immer wieder taucht der Wunsch nach der großen Abrechnung, einem Jüngsten Gericht auf. Die scheinbare Identifikation mit den Opfern des Faschismus, wie sie zur Phraseologie des neuen Deutschlands gehört, verweist auf neue Gewaltverhältnisse.

Wie gesagt, leben viele Arbeiter in einer heteronomen Welt, d.h. in einer Welt von Abhängigkeit mit dem Bedürfnis nach Anerkennung durch Autoritäten, sei es der Arbeitgeber oder Familie oder Öffentlichkeit. Gemischt ist dieses Bedürfnis freilich mit der Realität der Enttäuschungen, der Konfrontation mit Misstrauen und Ablehnung, Ausbeutung, Entlassung oder Drohungen. Moralische Autonomie kann nur dort idealtypisch existieren, wo weder Druck von außen noch von innen ist, also ein entspanntes Verhältnis zur sozialen Umwelt besteht. Die Erfahrung von permanenten Demütigungen macht einen objektive Moral schwierig. Es ist nicht so, dass dies der Mittelschicht alles fremd wäre, aber ein befriedigenderes Leben macht Moralisieren leichter.
Dass es bei den Arbeiten - und anderen Schichten - auch 15 Jahre nach Ende des Faschismus immer noch Verteidiger Hitlers gab, zeigt auch, dass eine offene Diskussion über die Werte des Faschismus nicht stattgefunden hat, auch nicht über die neue Gesellschaft. An die Stelle der Auseinandersetzung um gesellschaftlicher Werte ist die ökonomische Entwicklung, das „Wirtschaftswunder“ getreten.
Wie aber ist es dem Faschismus gelungen, die Arbeiter so an sich zu binden? Ein Großteil der bis 1945 30jährigen, also Jahrgänge 1915 und jünger, hat im Faschismus seine Lehre und Ausbildung gemacht. Anschließend waren sie in der Regel als Soldaten im Krieg. 1961 waren sie ungefähr um die 40. Sie haben keine Beziehung mehr zu Gewerkschaften und linken Parteien gehabt. Die faschistische Arbeitsorganisation hat den Arbeitern zwar ihre Köpfe genommen, aber die Arbeiter eher pfleglich und mit Respekt behandelt. Auch ist es den Faschisten gelungen, rebellische und antibürgerliche Motive zu integrieren. So weitgehend, dass heute nichtbürgerliche Verhaltensweisen (Nähe statt Distanz, Inhalte vor Form, Ehrlichkeit vor Höflichkeit, Volksmeinung statt Elitenkultur) schnell als „faschistisch“ denunziert werden können.
Die betonte neue „Bürgerlichkeit“ – auch in der Begründung mit Elias´ Kulturtheorie - versucht, den Faschismus in einer falschen Weise ungeschehen zu machen. So als ob darin nicht Probleme und Motive aufgebrochen sind, die die bürgerliche Gesellschaft in sich enthält, aber unterdrückt hat.
Offensichtlich ist es den Faschisten gelungen, Lebensmotive anzusprechen, die den Rahmen ordentlicher Arbeit, mechanisierter und maschinisierter Beziehungen überschritten haben: Eroberungen ins Neue, Siege, Triumphe. Ich denke hier nicht weiter, es ist ein gefährliches Gebiet. Offensichtlich ist es eine treibende Kraft in Geschichte und Gesellschaft. Es hat keinen Sinn, es nur moralisch zu diskreditieren und zu glauben, sein Bann wäre damit gebrochen.

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