3.10.07

Abschied von André Gorz

Die Frage nach der Nachricht von seinem Tod war, was er mir bedeutet hat. Zunächst habe ich nichts Markantes gefunden. Einiges von ihm habe ich gelesen, einiges hat sich im Gedächtnis gehalten. Etwa die Beschreibung des Trends, die verfügbare Zeit in Lohnarbeit umzuwandeln, um damit wieder belohnte Dienste zu bezahlen. – Aber gefehlt hat mir der aggressive Angriff auf die Verantwortlichen dieser Tendenzen.
Da war sein Buch „Ökologie und Politik“. Entweder habe ich es mit blindem Verstand gelesen, oder da es stand nichts Entscheidendes drin.
Dabei – lese ich die Nachrufe – hat er einiges gesagt, was ich selber praktiziere: die Reduktion der Lohnarbeitszeit, die Übernahme normalerweise bezahlter Arbeit in Eigentätigkeit. Das reicht vom Brotbacken, Kochen über Kinderbetreuung, Mobilität, Garten bis zum Hausbau.
Gorz, so Martin Kempke in der taz, beschreibt „den unvermeidlichen Niedergang des männlichen, vollzeitbeschäftigten Lohnarbeiters … und (empfahl) der Linken …, ihre Fixierung auf die traditionelle Lohnarbeit aufzugeben. Eine emanzipatorische, auf individuelle und soziale Freiheiten zielende politische Strategie müsse über die inhaltlichen und sozialen Grenzen der traditionellen Arbeiterbewegung hinausreichen und die Anregungen der Frauen- und der Ökologiebewegung berücksichtigen.“

Was ist daraus geworden?
Der männliche Lohnarbeiter, hat sich seine Lage grundsätzlich verändert? Er ist genauso in der Krise, wie die anderen. Betroffen sind vor allem die „Unqualifizierten“.
Die Frauenbewegung hat sich in dem Verlangen nach Job und Lohn dem Konkurrenzprinzip des Kapitalismus unterworfen und angepasst, es nicht verändert, sondern verschärft. Dabei wurde nicht einmal geschafft, Zeit für Erziehung von Kindern, die Beteiligung der Väter etwa durch Überstundenverbot usw. einzufordern. Stattdessen läuft das Projekt der Rationalisierung der Erziehung in kapitalistische Verwertungszusammenhänge. Erziehungszeit und –Geld wurden von der CDU eingeführt.
Und die Ökologie? Sie ist da relevant geworden, wo sich mit ihr ein Geschäft machen lässt. Etwa im Bereich der Energie, bei der Erzeugung und Einsparung im Baubereich. Aber das hängt mit der Verteuerung der Energie zusammen. Wo die Verschmutzung und Zerstörung der Erde billig ist, läuft sie ungehemmt weiter.
War das ein Grund, sich vom Proletariat zu verabschieden? Bringt uns die neue „immaterielle Produktion“ den Sozialismus? Kann man da neue selbstbestimmte, demokratische Arbeitsstrukturen erkennen? Leben die „Produzenten“ in diesem Bereich bescheiden und genügsam von nachhaltig erzeugten Produkten?
Es hat keinen Sinn, sich vom „Proletariat“ zu verabschieden. Genauso kann man sich vom Leben selber verabschieden. Der Reichtum, von dem die Intelligenz lebt, wird von der Arbeiterklasse erzeugt, sei sie männlich, weiblich, chinesisch oder deutsch.
Es mag Individuen geben, die das Bewusstsein von Ungerechtigkeit und Unfreiheit, das Verlangen nach anderen Beziehungen im Kopf haben, aber Sozialismus ist nur als der einer Arbeiterklasse möglich.
Die Vorstellung von Gorz einer dualen Ökonomie, auf der einen Seite der „sozialistisch“, befreite Freizeitbereich, auf der anderen Seite die immer mehr reduzierte Arbeit im kapitalistischen Verwertungszwang, ist ein Denkspiel - von Heinz Weinhausen nicht schlecht mit „Sphärenklänge“ beschrieben. Unter den gegebenen Voraussetzungen bin ich notgedrungen ein praktizierender Anhänger dieses Modells. Aber es muss durch die Konfrontation mit der Realität ergänzt werden. Es sollte mehr als ein Diskurs unter Intellektuellen sein.

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