Eine Person, die einige Zeit arbeitslos war, fasst ihre Erfahrungen in diesen Statements zusammen:
Verabschiede Dich als erstes von Fachgeschäften oder Supermärkten mit Markenartikeln
Du wirst an Gewicht zunehmen
verabschiede Dich von Deinem Auto
Du wirst Freunde verlieren
Du hast einen Kredit laufen
Du wirst weniger und/oder recht ausgefallenen Sex haben
Du wirst einen Imagewandel durchleben
Kleidung kannst Du ab jetzt nicht mehr kaufen
Dein Wesen wird sich verändern. Moral und Ethik werden Dir sehr zweitrangig erscheinen. Du hast keine Skrupel mehr, schwarz zu arbeiten
Du wirst sehr kreativ und einfallsreich werden
Was hier beklagt wird, zeigt das Elend zeigen, in das Menschen, präpariert durch die Mittelstandskultur geschult, hineingeraten. Dabei besteht das Elend nicht darin, von Hartz IV leben zu müssen – das ist möglich – sondern in der Unfähigkeit, damit produktiv umzugehen. Einmal privat, dann politisch. Privat wird die Zeit der Arbeitslosigkeit als Durchgangsphase erlebt, als individuelles Unvermögen. Dann ist es Abstieg, Imageverlust, gesellschaftlicher Ausschluss. Der, der es so erlebt, denkt in individuellen Kategorien, er hat keinen gesellschaftlichen Maßstab, keine Ordnungsidee. Hätte er das Prinzip, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat, dass keiner ausgeschlossen werden darf, jeder „teilhaben“ soll (so die Sprache der Erben- und Besitzergeneration), dann würde sich aus seiner Lage die Forderung nach Gesellschaftskritik und politischer Praxis zwingend ergeben.
Das bedeutet, dass für den, der die Arbeitslosigkeit „erleidet“, wohl gilt, dass er in seinem Charakter dadurch geprägt ist, dass er zugehörig ist zu denen, die stolz auf ihre individuelle Leistungen, Persönlichkeit usw. sind, mit der sie sonst immer so schön im gesellschaftlichen Mainstream gelebt haben. Dieser Mainstream bedeutet: gehobenen Konsum (Fachhandel, Markenartikel), Kredit, nicht Vorsorge, teure Kleidung als wichtig für das Selbstbewusstsein, Essen als Zeichen von sozialem Status. Die Hierarchisierung der Supermärkte dient der gesellschaftlichen Differenzierung und um sich als gehoben abzugrenzen.
So wird die Arbeitslosigkeit zum Elend. Geht sie vorüber, bleibt sie ein Schock, meist nur individuell verarbeitet. Entweder als Angst, dass es wieder passieren könnte, oder als Stolz, diese Situation durch eigene Leistung wieder gemeistert zu haben, mit Verachtung für jene, die darin hängen bleiben.
Wie könnte die Arbeitslosigkeit positiv bewältigt werden kann. Ein Beispiel wäre etwa die Besetzung der Kölner Arge. Aber auch eine solche Aktion, auch die der Überflüssigen, gerät in den Sog von Armutskampagnen. Hartz IV muss zwar erweitert werden, vor allem im Erziehungs- und Bildungsbereich, aber letztlich muss die Forderung nach Hartz IV für alle gestellt werden. Arbeitslosigkeit müsste Anlass sein, sich kollektiv Gedanken zu machen über
- gerechte Verteilung von Arbeit
- sinnvolle und sinnlose Arbeit
- Leben außerhalb des konsumistischen Mainstreams der Mittelschicht
- Aktionsformen gegen die Agenturen der sozialen Differenzierung.
Allerdings ist Arbeitslosigkeit für die einen ein Durchgangsstadium, deswegen kein politischer Bezugspunkt. Die anderen, für die Arbeitslosigkeit ein Dauerzustand ist, sind nicht in der Lage, politisch aktiv zu werden. Bei ihnen läuft die Interessenvertretung nur über Ersatz-Ichs, Sozialarbeiter, Alkohol usw.
Von Arbeitslosen lancierte Themen hätten nur dann eine Chance, von den Menschen als seriös behandelt zu werden, wenn sie in den Medien präsent wären. Eine schöne Idee hat keinen Wert, wenn sie nicht in den Medien als seriös dargestellt wird. Aber die Öffentlichkeit ist an die Mittelklasse verfallen. Deswegen haben solche Ideen, wie ich sie hier überlege, keine Chance. Nie.
Was bleibt, ist unter Protest von den herrschenden Verhältnissen Abstand zu nehmen und individuelle Lösungen zu suchen. Das, was sich in der Realität abspielt, kann doch nicht die Wahrheit sein.
FRAUENKOMMENTAR
Im Radio wird ein Kommentar zu der Forderung nach Verlängerung des ALG I für Ältere angekündigt. Eine Frau soll kommentieren. Ich kenne sie nicht, die Frau Sabrina Fritz, aber sofort weiß ich, was ich zu erwarten habe: neoliberales Geschwätz.
Und tatsächlich erfahre ich: Hartz IV ist gut, weil damit dafür gesorgt wird, dass die Leute jede Arbeit annehmen. Hartz IV ist dafür da, die Löhne nach unten zu drücken… - Aber warum sind Frauen, die in solche Positionen kommen, so reaktionär? Sicher, sie haben eine bürgerliche Herkunft. Nur solche, die besonders aggressiv und konkurrenzgeil sind, kommen in solche Jobs. Sie haben die richtigen Beziehungen. Sie haben sich mit vielen Opfern – etwa Beziehungen, Kinder usw. - hochgearbeitet und glauben sich jetzt im Recht, das von den anderen auch zu fordern. Oder sie spielen jetzt ihren Vorteil aus und genießen es, an andere Forderungen zu stellen, denen nur sie selbst nachkommen konnten. Außerdem werden sie gerne von Männern im Hintergrund als Sprachrohr ihrer Meinungskampagnen benutzt.
Ein solcher Rundfunkjob erfordert übrigens folgende Qualifikationen: In Arbeitsmarktfragen liegt eine weitere Kompetenz von Ihnen. Sie sind sicher in der Moderation und haben Liveerfahrung. Nichts steht drin über Erfahrungen, mit Hartz IV zu leben, Teilzeit, 1 Euro und 400 € Jobs, im Niedriglohnsektor, in dem Frauen die Mehrheit bilden. Live ist nicht reales Leben.
Vielleicht sind diese Frauen aber nur so reaktionär wie die Männer um sie herum Mir fallen sie aber besonders negativ auf, weil in mir vielleicht doch die Illusion versteckt lebt, dass sie als das „schwächere“ oder „weichere“ Geschlecht weniger barbarisch als die gewöhnlich ohnehin gedankenlos in ihre Triumphe verliebten Männer sind.
Aber das war eine Illusion, mit der schon viele Kinder gescheitert sind.
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