8.12.07

HEILSVERSPRECHEN: PAPST UND MARX

Was hat der Papst auf einer Seite verloren, deren Thema eigentlich das Leben am Fließband sein sollte? Weil er den Sozialismus angreift? Weil so vieles so leicht kritisierbar ist, von dem was er schreibt? Als Ex-Katholik reizt mich die kirchliche Phraseologie, der Anspruch auf große Wahrheiten, dieses Spiel mit Grenzen, die zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch gesetzt werden. Der exklusive Wahrheitsanspruch ist verletzend, eine Anmaßung.
Frage des Papstes: Was können wir hoffen?
Hoffen ist etwas wünschen und verlangen, was nicht sicher ist. Der auf etwas Hoffende ist voll gespannter Erwartung, teils mit Freude, teils mit Angst. Er weiß aber, dass seine Hoffnung auch enttäuscht werden kann. Er weiß um sein Nichtwissen, die Ungewissheit. Hoffen ist etwas anderes als glauben, also etwas für wahr halten, obwohl es nicht beweisbar ist. Glauben aber hat in der Regel eine erfahrungsbezogene Basis, bezieht sich auf ein Vertrauen, das sich in der Vergangenheit bewährt hat. Man kann jemandem Vertrauen und Glauben schenken, wenn man sich seines Verhaltens nicht sicher ist. Einem erwiesenen Übeltäter wird man aber nicht glauben.
Die Atheisten etc. leben laut Papst „hoffnungslos“, ohne den Glauben an die katholischen Versprechungen von ewigem Leben, himmlischer Gerechtigkeit und Belohnung für die Entbehrungen im irdischen Leben. Na ja – warum soll Hoffnung unbedingt christliche Hoffnung sein? Man kann sich die Wiederkehr von Jesus wünschen, genauso wie die eines anderen Propheten. Man kann aber auch hoffen, dass es eine Gerechtigkeit gibt, die allen gerecht wird und nicht nur ein paar dogmatischen Sektierern. Also so „wahrhaft menschlich“.
Für den Papst ist die Sache allerdings einfach: Irdische Gerechtigkeit gibt es nicht und wird es nie geben und die metaphysische, die ist sein Metier. Zu versuchen irdische Gerechtigkeit herzustellen, das führe zu nur zu größerer Ungerechtigkeit. Unglaublich aber wahr: der Papst ist der Überzeugung, Menschen können nie Gerechtigkeit herstellen, das kann nur der himmlische Jesus mit Gericht und Fegefeuer. „
Eine Welt, die sich selbst Gerechtigkeit schaffen muß, ist eine Welt ohne Hoffnung.“
Gerechtigkeit ist dem Papst sogar die zentrale Frage der Theologie.
„Ich bin überzeugt, daß die Frage der Gerechtigkeit das eigentliche, jedenfalls das stärkste Argument für den Glauben an das ewige Leben ist.“
Denn:
„Nur Gott kann Gerechtigkeit schaffen.“
Wir wissen, dass der Vater des Papstes ein Polizeiobermeister war. Seine Haltung dürfte eine obrigkeitsstaatliche gewesen sein, natürlich arbeiterfeindlich, schon durch die ständigen Ortswechsel in misstrauischer Distanz zu den Untertanen. Der Sohn will und muss schon deswegen etwas Besseres werden. Man kann ahnen, welche Erfahrung sich hier mit dem Begriff von Gerechtigkeit verbindet, und man kann sich vorstellen, was da über den Sozialismus gedacht wurde. Die
Münchner Räterepublik hatte die Konfrontation zwischen Arbeitern und Bürgertum blutig verschärft. Kein Wunder, wenn der Sohn dann so über Marx urteilt: Die Hoffnung auf eine menschliche Gerechtigkeit wird immer enttäuscht werden. Marx „hat zwar sehr präzise gezeigt, wie der Umsturz zu bewerkstelligen ist. Aber er hat uns nicht gesagt, wie es dann weitergehen soll.“ [Wo hat Ratzinger von Marxens „präzisen“ Umsturzplänen gelesen? Man sieht hier die Oberflächlichkeit seiner Argumentation.] Es mag stimmen, dass sich der Marx wenig mit den institutionellen Grundlagen einer neuen sozialistischen Gesellschaft beschäftigt hat. Nicht nur weil ihm deren Probleme – sieht man von dem sehr kurzen Zwischenspiel der Pariser Kommune ab – sehr fern lagen, vielleicht aber auch, weil der Anwaltsohn Marx die Arbeiter in seinen innersten Überzeugung noch gar nicht für fähig hielt, eine neue Gesellschaft zu begründen und sich deswegen auf die politische Opposition beschränkt hat.
Gerechtigkeit ist also nicht erreichbar – das sagt der Sohn eines Polizisten. Aber vielleicht ist die bürgerliche Ungerechtigkeit besser als die sozialistische. Der christliche Gott ist ohnehin ein bürgerlicher Gott. Er sagt: arrangier dich, geb dem Kaiser, was des Kaisers ist; wenn du Sklave oder Sklavenhalter bist, bleib es; im Herrn sind wir alle Brüder.
Marxhat vergessen, daß der Mensch immer ein Mensch bleibt. Er hat den Menschen vergessen, und er hat seine Freiheit vergessen. Er hat vergessen, daß die Freiheit immer auch Freiheit zum Bösen bleibt.“
Hier wird das Menschenbild des Papstes deutlich: dem freien Mensch ist nicht zu trauen. „Weil der Mensch immer frei bleibt und weil seine Freiheit immer auch brüchig ist, wird es nie das endgültig eingerichtete Reich des Guten in dieser Welt geben. Wer die definitiv für immer bleibende bessere Welt verheißt, macht eine falsche Verheißung; er sieht an der menschlichen Freiheit vorbei.“
Also Freiheit tut nicht gut. Besser der Mensch unterwirft sich [oder wird unterworfen?], etwa der Lehre einer Kirche, ihrem Credo und ihren Ritualien. - Angst [diesen Begriff mag der Papst wohl nicht], Furcht ist gut, hat „in der Liebe ihren Ort“. „Wir alle wirken unser Heil ,mit Furcht und Zittern’ (Phil 2, 12)

Was aber ist die richtige Liebe? Der gute Mensch liebt nicht die Menschen direkt. Er lebt zölibatär, braucht die
sexuelle Abstinenz, um an seine religiösen Vorstellung gebunden zu bleiben. Liebe ist nicht schmutzige und geile Materie, nein: „über allem steht ein persönlicher Wille, steht Geist, der sich in Jesus als Liebe gezeigt hat
Liebe ist also Geist, Wille – aber nur wahrhaft gut als Gottes Liebe. Glauben wir uns von Gott geliebt, dann lieben wir auch automatisch ihn. Dieses Tauschgeschäft der Liebe sieht der Papst höchst realistisch, urbürgerlich. Dann kommt der nächste Schritt: Lieben wir Gott, erst dann können wir wahrhaft auch andere lieben, sind ja auch Kinder Gottes [wahrscheinlich mehr oder weniger …] „Aus der Liebe zu Gott folgt die Teilnahme an Gottes Gerechtigkeit und Güte den anderen gegenüber.“
Man sieht hier die gnostischen Wurzeln des Christentums. Würde der Papst – eingesperrt in das Gefängnis seiner einsamen Seele – seine Missachtung der „materialistischen“ Menschen aufgeben, wäre es notwendig, die Menschen als hier und jetzt einzig reale und bedeutsame Wesen zu begreifen und nicht nur als schlechte Gestalten idealer, geistiger und abstrakter Wesen, missratene Abkömmlinge irgendwelcher Ideen.
Wie soll Liebe ohne ihre materielle Basis möglich sein, angefangen beim Säugling, als Fest der Natur in der freudigen sexuelle Erwartung und Befriedigung? Wir Menschen sind doch an Erfahrung, an Lust, an Glücksverlangen gebunden. - Eine Theologie, die ihre materiellen Wurzeln abstreitet und verleugnet, ist eine Theologie der Lüge.
Die Ungerechtigkeiten der Welt, das Leiden daran, die Versagungen und Entbehrungen – sie werden durch die Hoffnung auf gerechte Entlohnung im Jenseits kompensiert. Deswegen auch diese Liebe zum Leiden. Wiederholt zitiert der Papst Märtyrer. Man spürt, wie er gerne ein Szenario von Sadomasochismus ausbreiten würde. Die Welt als Hölle und mittendrin der Christ mit dem verzückten Blick zum Himmel. Und man findet hier wieder die katholische Liebe zum Getto, zur Mauer gegen die Welt, gegen alle, die nicht so denken, wie sie. Schlecht sind: Fernseher, Naturwissenschaften, moderne Literatur, der Protestantismus, die Stadt und so weiter und so fort. Es ist das alte Landmädchengetto. Im Leiden ist Sinn.
Wenn ich so richtig leide, dann bin ich gut. Meine Rache wird mein Glaube und meine Hoffnung sein.

Es wundert nicht, dass der Hoffnungsenzyklika des Papstes mit einem Marienhymnus abschließt. Freud hat 1912 die Psychologie des Marienkults in seiner Betrachtung „Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens“ beschrieben. Auf der einen Seite Idealisierung der Frau zur „unbefleckten“ Göttlichkeit, auf der anderen die Erniedrigung der Sexualität.

Warum eine Auseinandersetzung mit einer Papstenzyklika in einem Fabrikblog? Die Kirche drückt ein allgemeines Denken aus, eine allgemeinmenschliche Art, sich mit den Verhältnissen abzufinden und sie zu rechtfertigen. Mit Blick auf ihre moralischen Ansprüche ließe sich hoffen, dass die katholische Kirche sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Als Trägerin einer sozialen Idee, einer Gemeinschaftskultur und als moralische Instanz hat sie öffentlichen Einfluss. Aber sie verteidigt nur die bürgerlichen Verhältnisse, ist Teil der repressiven Kräfte und trägt zur allgemeinen Hoffnungslosigkeit bei.

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