15.2.08

GÖTZ ALY – DENUNZIANT

Es Ist mir nie ganz klar geworden, wie der stalinistische Terror funktioniert hat. Stalin kann doch nicht alle gekannt haben, die er in den Gulag gebracht hat. Es lässt sich nur denken, dass irgendwelche Beamte, vielleicht in der Staatsanwaltschaft, der Polizei, auf Grund von wechselnden Merkmalen des Abweichlertums, der „Volksschädlichkeit“ usw. Leute denunziert haben und dann verhaften ließen. Vielleicht gab es hinter diesen Beamten Ideengeber, die die Merkmale möglicher Opponenten identifiziert haben. - Oder es war ganz anders und die jeweils Herrschenden in irgendwelchen Komitees haben ihre Opponenten oder mögliche Rivalen als Klassenfeinde denunziert.
Also ich habe den Eindruck, wenn ich etwa die Berichte von Buber-Neumann und anderer Opfer des Stalinismus lese, dass der Weg von der Schuldkonstruktion, der Denunziation zur „Säuberung“ weitgehend unerforschter ist. Oder wenn erforscht, dann im Publikum - zu dem ich mich zähle – nicht angekommen.
Wie auch immer. Es lässt sich ja am lebenden Objekt studieren. Da ist die Arbeit von Aly über die 68er, die seiner These nach parallel zu der Machtergreifung Hitlers 33 ist.
Aly aus guter Familie stammend, bis 76 in der maoistischen Roten Hilfe. Es passt zu der selbstbewussten und arroganten Art eines Naziabkömmlings, jetzt seine maoistische Vergangenheit dadurch zu bewältigen, dass er sie anderen vorwirft.
Ein Teil läuft über die Selbstanzeige, Selbstbezichtigung, ein anderer über die Denunziation. Bei Stalin war es die Folter, heute ist es die Folter der Bedeutungslosigkeit und Irrelevanz..

Waren die 68er Maoisten und Stalinisten? Für Aly in seiner Selbstüberschätzung waren natürlich die Maoisten der Kern von 68. Mag sein, dass das in Berlin so war. Andernorts waren Maoisten nur Sekten, die durch ihre dümmliche Gewaltsamkeit, ihre faschistoide Gleichförmigkeit aufgefallen sind. In einer Basisgruppe versuchte uns ein Maoist mit Stalinbart und Bronsongesicht mit „Lohn, Preis und Profit“, auch Stalintexten auf die richtige Linie zu bringen. Wir rangen ihm die Durcharbeitung der „Deutschen Ideologie“ ab, dann Habermasens „Logik der Sozialwissenschaft“, Holzkamps Konstruktivismus. Irgendwann wurde es ihm zuviel, sein Adjutant im Indianermantel verschwand schon vorher – in der Drogenszene.
Was die Maoisten in Berlin, Rotzeg, Rotzpäd usw. produzierten, war unerträglich. Mir hat dieser Schwachsinn für ein halbes Jahr die Sprache verschlagen. Mit Marxstudium war dann ein Kontra möglich. Es hat auch ein wenig in die Realität geführt. Gegen den linken Autoritarismus haben sich viele Positionen gebildet: die Hausbesetzer, die Spontiszene, das SB, DritteWeltGruppen, Selbsterfahrungsgruppen, in Berlin dann endlich „Die soziale Revolution ist keine Parteisache“. Wäre interessant zu wissen, wo sich Aly da bewegt hat. Wie hat er sich damals sein Geld verdient?
Wir Linken waren Ausgestoßene und haben diese Erfahrung auch bei anderen reproduziert. Deswegen diese Konkurrenz der Radikalität. Wir haben das Schuldbewusstsein von unserer Eltern übernommen und es dadurch zu bewältigen versucht, dass wir uns mit ihren Gegnern identifiziert haben.
Natürlich habe ich mit meinen Eltern gestritten. Diskussionen endeten in der Regel damit, dass man sich gegenseitig zum Faschisten deklarierte. So clever war man damals also auch schon. Eines Tages bin ich zu meinem Vater gefahren und es erschien mir sinnlos, ihm eine falsche Haltung vorzuwerfen, wo die Umgebung einfach keine andere zuließ. Ich begann seine Sicht zu reflektieren, auch wenn es moralisch nicht korrekt war. – Ich hörte auf, Vorwürfe zu machen, zu unterstellen. Dann begann er von sich aus zu erzählen, dass er mit 14 oder 16 in der HJ war.

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