Nicht, dass der Wille nicht da gewesen wäre. Man saß ja brav um den Tisch, aber es wollte nichts zusammen werden. Sieht man von den Versuchen ab, mit sexuellen Anzüglichkeiten breitere Zustimmung zu finden. Vielleicht, wenn die verschiedenen Grüppchen mehr zusammengerückt wären, hätte es vielleicht „geselliger“ werden können.
Es gäbe jetzt psychoanalytische
Gruppendynamiker, die würden von gruppendynamischen Angstvermeidungstechniken reden. Da sind Kampf-Flucht, Paarbildung, Idealisierung des Führers. Die beherrschende Angst ist die vor der Entmachtung und Entwertung („Kastration“) durch den Führer. Die Überwindung des Ödipuskomplexes würde erst das freie Sprechen über seine Probleme, Bedürfnisse, Interessen ermöglichen.
Wir sind – Chef, gut oder nicht – ein autoritärer Laden. Wir sind nicht gewohnt, uns selbst zu organisieren. Durch die Konkurrenz gezwungen stehen wir uns feindlich gegenüber. Die Macht des Arbeitgebers macht unsere Stellung prekär.
Die Autonomie ist eine gebrochene. Sie befähigt zu
Freund-Feind-Verhältnissen, hat aber keine organisierende Kraft, die allgemeine Interessen ausdrücken könnte. Ihr fehlt auch der Wille zur Einigung, stolpert immer gleich in Feindschaftsverhältnisse. Entsprechend verhalten sich die Individuen verantwortungslos gegenüber einem allgemeinen Interesse. Vernunft, die ein solches allgemeines Interesse formulieren würde, steht nicht mehr zur Diskussion. Das, was man hier beobachten kann, lässt sich auch beobachten in der öffentlichen Debatte um allgemeine Rechte, etwa Ausbildung, Einkommen, Arbeit.
Die Sache geht von unten nach oben. Wenn der Chef vom wirtschaftlichen Verlauf der Firma spricht, dann von den Erfolgen der Firma auf dem Markt, da wo sie diesen Vorsprung wieder herzustellen hat. Das Kartell, also Absprache über eine Aufteilung des Markts, widerspricht dem Wesen der Konkurrenz, obwohl im Kern nicht unvernünftig.
Die Verabschiedung zeigt aber auch, dass Solidarität auch bedeutet, über die eigenen Interessen hinaus zu denken.
Solidarität ist mehr als Gruppeninteresse. Solidarität schließt letztlich alle mit ein. Sie geht auch über einen nationalen Horizont hinaus. Das bringt nun auch den Aspekt des Wissens (um die Lage anderer Menschen) mit herein. Ein andere Sache ist die der Einstellung, geformt durch Wissen, Bewusstsein, Moral (etwa: alle Menschen sind gleich) sich mit anderen zu solidarisieren. Wird auch Menschlichkeit genannt.
Exkurs Moral: Eine utilitaristische Moral begründet sich mit der Erfahrung, während eine humane Moral prinzipiell ist, also an Geboten festhält, auch wenn sie keine Belohnung mehr finden.
Führt aber ein solcher Begriff von
Solidarität, der über einzelne Gruppeninteressen hinausgeht – was die Leninisten „gewerkschaftlich“ oder „syndikalistisch“ nennen – nicht zu jenem
bürgerlichen Tugendkatalog und Verhalten, das die Mittelklasse und das Bürgertum in ihrer Politik so gut verstehen? Für Lenin etwa ist nur eine Elite in der Lage, die kommunistische Idee zu begreifen, ebenso wie jeder hiesige Sozialarbeiter, Politiker oder Gewerkschaftler seinen Klienten die Fähigkeit absprechen würde, in allgemeinen gesellschaftlichen Normen zu denken. Ihre Selbstbegründung liegt ja gerade darin, etwas zu vertreten, was die anderen – sei es aus taktischen, intellektuellen, charakterlichen oder moralischen Gründen so nicht können. „Politik“ heißt in Abgrenzung zur reinen Interessenvertretung Individualinteressen als Teil von oder in Berücksichtung von „Gesamtinteresse“ zu vertreten. Sie damit konsensfähig zu machen. Das ist etwa die Bemühung des Keynesianers Hickel, der regelmäßig wiederholt, dass hohe Löhne zu einer allgemeinen Wirtschaftsbelebung führen.
Die
Lohnhöhe ist aber keine soziale Größe, sondern eine verdinglichte Form davon.
Rechte dagegen sind Begriffe, nicht real existierend, erst herzustellen, nicht verlässlich. Sie werden immer wieder ausgehandelt und vereinbart. Sie erfordern Verhandeln und Diskussion miteinander, das Suchen nach allgemeinen Zielen und Werten.
Eine Gesellschaft aber, deren Zentrum das Geld ist, sei es als Lohn oder Profit, braucht dieses Aushandeln von gesellschaftlichen Zielen nicht. Vorrang hat die Anpassung an das, was Geld oder Profit bringt. Geld verhält sich zur Gesellschaft vereinfacht gesprochen wie Milch zur Mutter. Als Kinder wachsen wir in einer Beziehung zur Mutter auf. Dabei ist die Muttermilch etwas worin sich dieses Verhältnis „materialisiert“. Milch ist die Materie, aber das Verhältnis zur Mutter entzieht sich materiellen Bestimmungen, ist eine Sache von Gefühlen, Sprache, Kommunikation, Gemeinsamkeit usw. Wird dieses Verhältnis aber problematisch und unberechenbar, - dann wird es fixiert auf seine Materialität: x ml Milch, x Pflegeeinheiten, das oder jenes Erziehungsverhalten, Rollenverhalten. - Mutter und Kind stehen sich dann fremd gegenüber. Die gemeinsame Beziehungsgemeinschaft, wo jeder mit seinen Äußerungen a priori Anerkennung findet, wird aufgelöst in eine Aufzuchtanstalt mit definierten Rollen und Rechten, vergleichbar einem Kuhstall. Oder wie es dann zynisch formuliert wird: Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral. In der gleichen Logik gibt es im Kapitalismus eine Priorität der „Materie“ vor den sozialen Beziehungen. Dinge vor durch Handeln bestimmte Beziehungen.
In der Schule lernen dann die Schüler etwas, was ihnen später Geld bringt, nicht sich zu äußern und miteinander verständigen.
Eine soziale Beziehung ist auch mehr als ein Rollenkatalog von Rechten und Pflichten, es übersteigt etwas Definierbares. Grundelement ist die Anerkennung des Anderen. Es lässt sich auch nicht auf Austausch von irgendwas reduzieren (Etwa wie Kant es tut in der Definition der bürgerlichen Ehe als einer „Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften“)
In der Fabrik dagegen werden entsprechend dieser „materialistischen“ Logik oder einer Dominanz des „Faktischen“ in den Arbeitsverhältnissen
gesellschaftliche Forderungen nicht gestellt. Etwa: Betriebsdemokratie, demokratische Ausbildung, Befähigung zu Selbstverwaltung und politischen Autonomie. Nein, in den Augen der Arbeiter ist die „Wirtschaft“ ein hochkomplizierter und unbeherrschbarer Mechanismus, bestenfalls eine Kuh, an deren Euter man irgendwie rankommen muss.
Stattdessen wird der gesellschaftliche Status - so wie jemand Ansehen hat und Einfluss auf andere ausübt - eine Sache der Dinge, die sich jemand leisten kann: Bildung, Kleidung, Freizeit, Einkommen usw.
Die Aktentasche des Chefs
Der Chef wird 40. Grund oder nicht – jedenfalls wird von dem Kreis der Vorarbeiterin und Betriebsratsbewerberin – alles Gewerkschaftler – Geld gesammelt für ein Geschenk für ihn. Zuerst 2,50 €. - Meinetwegen, soll erhaben. Andere, Kollegen, wurden 50 Jahre alt - ohne Sammlungen.
Jetzt kommt sie wieder. Das Geld für die Aktentasche, die sie ihm schenken wollten, würde nicht reichen. Sie bräuchten noch einmal 2,50 €. Ich werde sauer: „Wir sind hier doch nicht in der Schule. Das ist doch Personenkult. Er ist doch kein König. Der verdient drei, vier Mal soviel wie wir. Bei anderen wird auch kein solches Geschiss gemacht.“ - Sie meint: „Aber der Chef ist doch so gut zu uns.“
Das ist jetzt nicht nur spezifische – manchmal sehr angenehme - Aussiedlermentalität, die gewohnt ist, sich mit ein bisschen Geben (und Nehmen) menschlich gute Kontakte zu halten. Das ist auch nicht nur das Wohlverhalten des weiblichen Geschlechts, wie man es von der Schule her kennt. Es zeigt auch die untertänige, obrigkeitsdevote Haltung, die bei vielen Arbeitnehmern besteht.
Bei den Ostemigranten gibt es dazu eine natürliche Solidarität mit dem warenproduzierenden System. Sind sie ja nicht ausgewandert, um neue Beziehungen einzugehen, sondern um an den Produkten des Kapitalismus „teilzuhaben“. (Nicht zu vergessen natürlich die Barbarei in den Gesellschaften des Ostens. Fraglich aber, ob sie hierher gekommen, um an einer gerechteren und mehr solidarischen Gesellschaft teilzunehmen.)
Zwar mag in den Köpfen meiner Kollegen die Warenwelt oberste Priorität haben, so sind doch in jedem Menschen Vorstellungen, Gedanken über Gerechtigkeit vorhanden. Diese freilich sind in der Regel sekundäre. Wie wir ja im Allgemeinen zuerst handeln und uns dann die Rechtfertigung ausdenken, und die oft erst, wenn wir danach gefragt werden. Die
Gerechtigkeitsvorstellungen dürften wohl so aussehen: Ich arbeite und bekomme dafür Lohn. Wer nicht arbeitet, bekommt keinen Lohn. Wer viel arbeitet, bekommt mehr Lohn. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen (Paulus). Und irgendwo ist da auch noch angesiedelt: „Wir werden beschissen, wir haben und bekommen zuwenig, wir haben Hunger nach mehr.“ Einerseits. Und aber auch, andererseits: „Wenn es der Firma – der Wirtschaft - gut geht, geht es uns gut.“ Und so sind sie ohne es bewusst zu wollen mit dem System verkettet.
Die jenseits dieses Systems denken, werden sie aussortieren als: Kommunisten, Chaoten, Spinner usw. Und sie werden einen Kampf für eine aussichtslose Sache ablehnen, bzw. einen Boykott der Kompromissler, die ihren Lohn mit dem kapitalistischen System vereinbaren wollen.
Inwieweit ist
Solidarität doch eine Charakterfrage?
Menschen sind durch das Aufwachsen in einer gewissen Umwelt nicht mehr in der Lage, andere Menschen als mit sich selbst gleiche sehen, oder solche, die ähnlich wie sie selber denken und fühlen. Durch die Erfahrung, dass sie von anderen Menschen nur in Nachteil gesetzt werden, geht eine vertrauensvollere Sicht der anderen Menschen verloren. In der Verallgemeinerung dieser Erfahrungen wird es zum bösartigen Charakter.
Jetzt könnte man optimistisch einwenden, dass im konkreten Fall sich die Individuen verändern und ihren Egoismus aufgeben, dass der Mangel an solidarischem Verhalten eine Frage vor allem der praktischen Projekte wäre.
Ich gebe zu, dass wenn solidarische Projekte zur Debatte stehen würde, sie mit der Beteiligung auch derer rechnen könnten, die sonst nur misanthrope (menschenfeindliche) Konzepte anwenden. Solche misanthrope Konzepte sind: Kontrollverhalten, Identifikation mit oder Benutzen von Macht und Autorität, Demütigung anderer, bis hin zur Gewalt.
Das Problem aber besteht darin, dass solche Projekte eben auf Grund der politischen Machtverhältnisse, der Medien, nicht zur Debatte stehen. Sie bräuchten eine Reflexionszone, einen Raum, wo miteinander gesprochen werden könnte, wo sich Individuen treffen, die gewisse Grundsätze des sozialen Verhaltens – kein Mobbing, keine Denunziationen, Gleichberechtigung usw. – einhalten. Deswegen wird man Initiativen aus diesem Bereich kaum erwarten können. Die Grundbedingungen fehlen einfach.
Also ist Solidarität, sich mit anderen zu identifizieren zu können, doch eine bürgerliche Tugend?
Es gibt in der Mittelschicht eine gewisse Liberalität, eine scheinbare Offenheit. Sie findet aber schnell dort ihre Grenze, wo die eigenen Vorteile und Privilegien in Frage gestellt werden oder in Gefahr geraten. Für mich selber war der Umgang mit Bürgerkindern eine ambivalente Erfahrung. Einerseits haben sie einen weiteren geistigen Horizont, können sich integrativ verhalten - andererseits werden die Unterschiede bald bewusst. Sie verstanden sich ihre Pos(i)t(ion)en zu sichern, sich bei aller Rede von Revolution etc. materiell und standesgemäß abzusichern.
Die Solidarität verwandelt sich im Bürgertum in Wohlfahrt. Auf der Basis einer überlegenen Position. Von oben.
Ist ein Umlern- und Umdenkprozess möglich?
Er hätte verschiedene Bedingungen:
- Die Struktur des Systems der individuellen Vorteilnahme und wie es sich im individuellen Verhalten reproduziert, müsste bewusst werden
- Projekte der Demokratisierung in den Institutionen, vor allem Schule und Betrieb müssten entworfen, ausprobiert, reflektiert werden können.
Das wird nicht möglich sein, da die herrschende Klasse mit allen Mitteln über Medien, Technik, Arbeitsorganisation die Idee von Gleichheit, fairer Gesellschaft zerstören wird.
ZUR METHODE
Man kann mir vorwerfen, dass ich mich gegenüber der Arbeiterklasse mit solchen Analysen elitär und arrogant verhalte. Aber frei nach Kant, kann sie sich aus ihrer Unmündigkeit nur befreien, wenn sie diese als zu einem Teil selbstverschuldet erkennt, wenn sie den eigenen Beitrag an der Aufrechterhaltung der Verhältnisse ihrer gesellschaftlichen Entmachtung erkennt.
In der Regel dreht sich „linke“ Politik darum, dass man auf einen Gegner eindrischt, die Repression beklagt, die Ungerechtigkeit usw. Aber man schafft sich dadurch bestenfalls Parteigänger, Anhänger usw. - und zerstört das Projekt einer autonomen Klasse. Wir sind dann im Bereich der Parteien, des Antifaschismus (der Gymnasiasten gegen die Hauptschüler), der Bekämpfung des Bösen – ohne dass sich die gesellschaftliche Stellung der Anhänger verändert. Die soziale Revolution ist keine Parteisache. Alles andere als eine Demokratisierung der Basis interessiert mich nicht. Es wären nur Bewegungen an der politischen Oberfläche.
Das andere Elend der „linken“ Politik, in direktem Zusammenhang mit der Bekämpfungspolitik, ist ein Materialismus der Forderungen. Mehr Lohn, mehr Staatsgelder usw. – nicht aber eine andere Stellung der Menschen, andere Beziehungen.
Nur in einer „Aneignung des Produktionsprozesses“ ist eine Autonomie möglich. Das geht natürlich über Fabrikproduktion hinaus. Es beinhaltet die Reflexion der Fragen:
- Was brauchen wir? Was sind die Ressourcen?
- Wie produzieren und verteilen wir?
- Wie organisieren wir es möglichst demokratisch?
Es gibt – so kann man einwenden – keinen Adressaten für meine Gedanken. 0 Kommentare, das spricht wohl für alles. (Ich hätte auch Angst vor deren Kritik). Meine Gedanken, they are blowing in the wind … Oder, schlimmer noch: sie richten sich in Sprache, Theorieanspielungen an ein bürgerlich gebildetes (linkes) Publikum – also gerade jenes, das es immer wieder bekämpft. Schon gar nicht an die Arbeiter, Kollegen. Wollte ich wirklich was ändern, warum ginge ich dann nicht in die Gewerkschaft?
Dazu meine Antwort: Ich werde an dem Verlauf der Geschichte nichts ändern. Ich kann nur das Verhängnis zeigen. Warum sich nichts wirklich ändert. Was die Richtung wäre, wie sich etwas wirklich verändern könnte. Meine Hoffnung ist nicht die Krise. (Wie es sein wird, wenn es so weiterläuft, wird noch zu beschreiben sein).
Ich schreibe das auch nicht als Arbeiter, sondern als „arbeitender Nachdenker“. Das Wort „Intellektueller“ wird ja besetzt für die bürgerlichen
Schwätzer, finanziert von ihren bürgerlichen Verlagen. Hätten sie den Begriff wirklich verdient, würden sie an dem festhalten, wie es eigentlich sein müsste. Das ist nur eine kleine Zahl. Noch ein kleinere, die sich um Basisdemokratie Gedanken macht.