1.6.07

01.06.07 Die Amerikanische Religionskritik

Gegen die Ausbreitung religionsfreundlicher Stimmungen in den Medien, z.B. Spiegel, Bildzeitung, in den Rundfunkhäusern, dominiert oft von Kirchen, wird hier eine neue Religionskritik aktiv, die in ihren Theoremen maßgeblich geprägt ist vom amerikanischen Positivismus und Pragmatismus, etwa bei Dawkins. Diese Richtungen haben einerseits alte moralische Probleme des alten Kontinents ohne deren Fixierungen neu zu lösen versucht, sind aber andererseits das Spiegelbild einer Gesellschaft, deren Modell das eines Einzelnen in einer widrigen Natur geprägt ist, nicht eines Individuums in einer vorgegebenen Gesellschaft. Die Gesellschaft wird vielmehr eine Art von Natur, in der man zu überleben hat und der gegenüber man sich durchsetzen muss, ohne dass es einen verfassten Konsens auf ein gemeinsames Leben und gegenseitige Verantwortung gibt. Es spiegelt eine Gesellschaft von einander fremden und feindlichen Aussiedlern und Einwanderern. Gemeinschaft vermittelt sich in dieser Welt über den Warentausch und das Geld wird zum Symbol dieses Gemeinwesens. Solche Verhältnisse brauchen keine Theorien über Moral, Kommunikation, Bewusstsein, Freiheit, Erkenntnis wie der alte Kontinent. Das Geld, der universelle Begriff für gesellschaftliche Existenz, ist die reale Universalie, die die Individuen vereint und beherrscht. Eine Universalie, die im Geld einen physischen Charakter hat.
Mit der Idee des sittlich handelnden Individuums wird auch der Begriff der Seele, des Bewusstsein aufgegeben – samt dem Inhalt, der damit verbunden wurde: Gemüt, Gefühl, Introspektion, kultureller Ausdruck, Kunst. „Seele“ hat eine metaphysische Implikation, ohne deswegen religiös zu sein, oder metaphysisch dogmatisiert werden zu müssen, insofern sie als selbstreflektives Organ nicht unmittelbar Gegenstand der physischen Welt ist.
Bei der amerikanischen Religionskritik wird mit der Beschränkung auf die physikalische Welt die Bedeutung des denkenden, reflektierenden, absichtsvoll handelnden Menschen im Zusammenhang und in der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft um ihn, reduziert, bzw. ganz beseitigt. An die Stelle des moralischen Diskurses, der Reflexion von Recht und Unrecht, tritt der Verweis auf die vorhumane „Natur“, die Evolution, die Vererbung als rechtfertigende Prinzipien für soziale Ungleichheit und die Berechtigung von Gewalt. Theoreme des Sozialdarwinismus werden, wenn auch moderat und nicht so brutal wie bei den Faschisten, wieder ausgepackt, weil sie in das Modell einer neuen bürgerlichen Gesellschaft passen. Ihre Praxis: die gesellschaftliche Differenzierung, die Ausbeutung der Naturressourcen durch eine Weltminderheit, die privilegierte Aneignung und die Zerstörung der Autonomie durch den Markt, passen nicht mehr in ein moralisches Weltbild. Der Schluss, der daraus gezogen wird, ist die Beseitigung der Moral. Sie wird durch eine utilitaristische und evolutionistische, vorhumane Moral für Humanoide ersetzt. „Humanoid“ deswegen, weil mit den nichtphysikalischen Begriffen wie: Bewusstsein, Recht, Moral, Autonomie – samt ihren metaphysischen Implikationen – auch der Begriff eines universellen Menschen und seiner Würde aufgegeben wird. Andere Menschen sind demnach ja nur physische Attraktionen oder Hindernisse, während Bewusstsein und Moral als Bestandteile auf eine Dialektik von Besonderem und Allgemeinem verweisen. Die „neue“ „atheistische“ Moral ist noch nicht faschistisch, nur moderat werden Verweise auf Darwin, die Evolution und die Überlegenheit einer Menschensorte über andere vorgebracht.
Die Bewegung, nun auch aktiv in Deutschland, zeigt das
Elend der Religionskritik:
„Metaphysische“ Kategorien wie Seele, Sittlichkeit, Bewusstsein – aber auch Gleichheit, „Brüderlichkeit“ - haben einen sozialen Gehalt, sind eine gesellschaftliche Konstruktion. Sie verweisen auf etwas Anderes jenseits des physisch Bestehenden, auf eine Idee oder Utopie.
Gleichzeitig sind es Fetischkategorien, können Illusion, Täuschung, Heuchelei werden, weil sie unserer (physischen) Natur nicht gerecht werden. Unsere Natur zeigt sich uns in dem was wir überbedeutungsvoll „Seele“ nennen, in unseren Gefühle. Wir sind Getriebene und Gerichtete. Je mehr wir das verleugnen, verdrängen, desto mehr sind wir davon determiniert. Unsere „Freiheit“ besteht darin, ein wahrheitsgemäßes Bewusstsein von unseren Determinanten zu haben.
Eine Religionskritik müsste die verlorenen Bedürfnisse, Reflexionen und Utopien, die Religion bei den Menschen getragen hat, wieder aufnehmen und in die sozialen Beziehungen einbringen.
H. Schweppenhäuser, dessen Lesungen über Kritische Theorie ich jahrelang freitagmittags gehört habe, hat die Sache mit der Metaphysik in einem schönen Vortrag behandelt, so wunderbar und eloquent, wie ich das nie schaffen kann. Eine Abschrift hier.

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