29.12.08

DAS ELEND DER RELIGION

Saisonal wiederkehrend wird jetzt wieder die Bibel angepriesen, „Gottes Wort“ – welche Blasphemie! Diese Weisheit! Dieser Reichtum menschlicher Seele! Diese „berauschenden Bilder“! Diese durch Jahrhunderte oder Jahrtausende gefüllte menschliche Erfahrung und Empfindung!
Es mag zwar sein, dass die Bibel auch menschliche Erfahrung, menschliche Empfindungen aufnimmt, elementare Fragen sozialer Beziehungen anspricht, aber das geschieht in der Regel in einem moralisierenden und die Gesellschaft nicht reflektierenden Zusammenhang.
Die Moral, die ich auch hier in diesem Blog immer wieder benutze – sei es in Bewertungen, Flüchen oder Charakterisierungen -, ist nicht in der Lage ein neues Verhalten dauerhaft zu begründen. Wo ein guter Wille ist, da ist auch ständig Willensschwäche. Moral ist ein Messinstrument von sozialem Verhalten, nicht mehr.
Aber die christliche Gewohnheit, soziale Beziehungen auf individuelle Moral und Einstellungen zu reduzieren, wie man sie jetzt in den Predigten hört - Anstand, soziale Verantwortung, Gier, Vergötzung des Geldes, Schwarzmalerei, Fürchteteuchnicht, Zuversicht usw. -, ignoriert bewusst die Zuständigkeit demokratischer Institutionen. Wird es dem Appell, dem freien guten oder bösen Willen und Glauben oder gar der ominösen „Liebe“ überlassen, was sozial gerecht ist, dann hört Demokratie auf und fängt Bürgertum an. Was gerecht ist, braucht öffentliche und allgemeine Diskussion. Nicht den Rückzug auf individuelle Beliebigkeit, das Reich bürgerlicher Freiheit. Die Zwei-Reiche-Lehre begründet das christliche Bürgertum.
Deswegen ist auch Religion unfähig, die Probleme der Zukunft anzugehen. Wir finden keine Antworten darauf, wie die neuen Produktionsverhältnisse aussehen sollen, die zu einer neuen Gerechtigkeit führen könnten. Diese Frage wird auf Caritas oder Sozialstaat reduziert und perpetuiert so die Ungleichheit.
Genauso Probleme der ökologischen Produktion, der Geburtenkotrolle usw. usf. Die Kirchen schwimmen mit ihrer Moral im Sumpf der Tradition, sind nicht zukunftsfähig, unfähig die menschlichen Probleme zu lösen.
Ganz schlimm wird es beim Umgang mit der Wahrheit. Wer vor die menschliche Realität die Frohbotschaft setzt, ist nicht in der Lage, sich selber und andere zu verstehen.
Saramago
schrieb – wie er meint leider zur Freude der Theologen: “Dios es el silencio del universo, y el hombre el grito que da sentido a ese silencio”. "Gott ist das Schweigen des Universums und der Mensch der Schrei, der diesem Schweigen Sinn gibt.“ Aber die Zuversicht gebenden Schriften und Predigten wollen dieses Schweigen nur zumüllen.

Wie würde ein Gott, der auf die Erde käme, in Erscheinung treten? Er müsste sich wohl oder übel an die Gottheitserwartungen der Menschen anpassen: Wunder, Weisheit, vielleicht Wahrheit, sonst würde ihm die Göttlichkeit nicht abgenommen werden. Wenn Gott aber nur die menschlichen Erwartungen spiegeln darf, um Glauben zu bewirken, dann ist er nur Spiegel und Projektionsfläche des jeweils historisch geformten menschlichen Denkens und was Gott wohl sagen würde, das müssen wir selber denken.


26.12.08

WEIHNACHTSFEIER

Jedes Jahr gibt es eine Feier mit Essen und Besichtigung einer anderen Firma im gleichen Bereich. Keine schlechte Idee. Während ich die ersten Jahre gar nicht hinging, das letzte Mal nur kurz blieb, war es diesmal sozusagen das letzte Abendmahl, das ich nicht versäumen konnte. Und ein solches letztes Abendmahl war es dann auch. In der Mitte der Chef, daneben Vorarbeiterin und der Techniker. Ich wie Judas ganz außen. Ausnahmsweise sind heute auch alle Männer da. Sonst waren es nur der Vorarbeiter, der jetzt ja weg ist, und der Schwarze, ein treuer Diener seines Herrn.
Woran es liegt, dass die Männer immer in Opposition zum Chef sind? Einmal liegt es wohl daran, dass die Frauen in der Mehrzahl sind, 70% ausmachen, ihm gegenüber sehr loyal sind, ihn teilweise sogar idealisieren. Dann aber auch an dem arroganten und unkommunikativen Verhalten des Chefs gegenüber den Männern, die ihm gegenüber zwar Konkurrenzverhalten zeigen, aber als relativ unqualifizierte Ausländer nicht das Wasser reichen können. Andererseits steht er schon durch seine Position, für den wirtschaftlichen Ablauf der Abteilung zu sorgen, im Gegensatz zu den „Mit“-Arbeitern. Auch wenn er diese Funktion nur lasch ausfüllt.
Ich komm – einem Radfahrer natürlich verzeihbar – zu spät. Alle sind schon versammelt – fleißige Arbeiter - und ich hab die Wahl mich entweder zum Schwarzen oder zum Neuen zu setzen. Da ich mit dem Schwarzen wegen seiner politischen Naivität und Sklavenmentalität cross bin, setze ich neben den Neuen – und meinen schlimmsten Feinden gegenüber. (Immerhin sorgen sie mit ihrer Faulheit, dass wir anderen immer genug Arbeit haben. Insofern habe ich auch Sympathie für ihr Verhalten.) Meine Versuche, mit dem Neuen zu reden – ich will wissen, was er denn vorher so alles gemacht hat – scheitern. Würde er sich nicht zu einem kleinen Mäuschen von der Logistikabteilung zudrehen, die immer darüber jammert, wie viel mehr sie jedes Jahr arbeiten müsse ….[was, wie ich den Zahlen entnehme, nicht stimmt], ich nicht so interpretiere, dass ich als aussätzig behandelt werde.
Ein richtiges Thema kommt nicht auf. Die Strategie des Abwartens und Schweigens ist die vorherrschende Strategie. Bei der Arbeit sind wir fast nur noch durch den technischen Ablauf miteinander verbunden. Mehr als Zweierkontakte gibt es nicht.
Es holpert sich also durch Getränkebestellung, Essensbestellung, - endlich Salat. Ich habe schon zuhause gegessen (und gekocht) und kann so gesättigt seinen Verzehr genügend in die Länge ziehen. Fotos werden dann herumgereicht, Blätter einer letzten Abschiedsfeier, die mich über die Peinlichkeit des Abends herüberretten: ein Spiel ist angesagt. Irgendeine Tante einer anderen Abteilung, die ich nicht kenne, hat sich etwas ausgedacht. Sie liest einen Text vor. 12 Leute haben sich vor ihr in einer zugewiesenen Rolle auf einen Stuhl zu setzen und immer dann, wenn von ihrer Rolle die Rede ist, aufzustehen und den Stuhl zu umkreisen. Das ist für den Rest des Publikums sehr lustig und wird dankbar belacht. Ich vertiefe mich während der Zeit in ein keltisches Baumhoroskop. Danach verzehr ich – es war das billigste Menü – in kleinen Schnitten und Bissen ein paniertes Schweineschnitzel, glutamatgeschwängert. Schließlich das Dessert, Eis mit ranziger Sahne. Mir ist übel, ich habe Kopfschmerzen.

In mir ein schlechtes Gefühl, wie ich mich so absondere und ich erwarte keine Freundlichkeiten an den nächsten Tagen. Aber seltsamerweise wird es mir großzügig verziehen. Keiner, der zu mir unfreundlicher ist. Ich frage auch nicht nach, wie lange sie noch zusammenhockten – ich will die Sache als Thema abgehakt haben. Was verbindet uns?

16.12.08

FINANZKRISE – KRISE DER LINKEN

Die Umfragewerte der Linken stagnieren jetzt oder sinken. In der Krise kann man sich Attacken auf die herrschenden Zustände nicht mehr leisten. Es geht um die Wurst, man muss realistisch bleiben.
Linke Haltungen outen sich als Teil des Konsumkapitalismus. Ohne florierende Warenproduktion keine Geschenke für HartzIVler. Wenn die Sozialarbeiterlinke und Mittelschicht Angst um ihre Existenz haben muss, dann kann man sich den Luxus egalitärer Gesinnungen nicht mehr teilen. Wenn es ernst wird, sollen die (Markt)-Wirtschaftler die Krise meistern.
Die Linke, als Partei oder Gesinnung, kommt in diese absurde Lage dadurch, dass sie die Verteilung zum politischen Zentrum macht, nicht aber die Produktion.
Typisch etwa eine Diskussion bei der Will. Sie lädt die Ditfurth ein, um für den nötigen theatralischen Effekt zu sorgen. Vielleicht will sie einfach nur demonstrieren, wie lächerlich die Linke ist. Oder vielleicht hat sie tatsächlich Sympathien für die Linke, oder hält eine antikapitalistische Argumentation jetzt für zumindest naheliegend. Wie auch immer. Es kommt wie es kommen muss. Eine arrogante und phrasenhafte, auf ihre Person bezogene und sachlich argumentationsunfähige Ditfurth macht die Diskussion noch ergebnisloser. The show was good but the money was little, hätte Muhammed Ali gesagt. Die Show war gut, aber Ertrag fast null.
Das Problem ist die Verhaftetheit der Linken - auch wenn sie sich radikal gibt wie die allein Recht habende Ditfurth - mit dem Warenreichtum des Kapitalismus, ihre Fixierung auf die Verteilung. - „Verstaatlichung“ der Banken, fordert sie und wirkt dabei nur peinlich – die Banken in die Händen von Glos und Öttinger? Bekanntlich fängt ja auch Marxens Kapital mit diesem „Reichtum“ an. Seine Versuche, das als falsches Bewusstsein zu entschleiern, scheitern allerdings, da er auf der verbalen Ebene bleibt oder in der politischen Sackgasse der Machtergreifung endet. Einen Werkzeugkasten für den Sozialismus zu sortieren, etwa wie es die GIC mit ihren „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ wie auch immer unzulänglich versucht hat, oder wie es Alfred Sohn-Rethel eben leider nur angedacht hat, das ist dem (bürgerlichen?) Marx nicht in den Sinn gekommen. Macht ja die Geschichte.
Aber an diesem Fernsehabend hätte die Ditfurth ja ganz einfach anfangen können, mit:
- Priorität politisch kontrollierter nationaler Kreisläufe und Kontrolle der internationalen Tauschprozesse (oder ist das schon „Antisemitismus“?)
- Zwangsbewirtschaftung der Ressourcen Energie, Land, Rohstoffe
- Nachhaltige ökologische und demokratische Produktion
- Umverteilung von Arbeit und Bildung, Einkommen und Besitz.
„Ganz einfach“? Aber zumindest Tabus brechen.

7.12.08

KAPITALISTISCHES WACHSTUM OHNE UMWELTZERSTÖRUNG?

Auf der Linken sind jetzt die Konjunkturtheoretiker aktiv. Man müsse nur durch höhere Staatsausgaben die Kreisläufe wieder in Bewegung bringen.
Flassbeck etwa meint, nun wären Gelder zu investieren in die öffentliche „Infrastruktur, die in einem erbarmungswürdigen Zustand ist, im Bereich des Umweltschutzes und bei der Bildung.“ Worauf logisch folge: „Neu eingestellte Lehrer und besser ausgelastete Bauhandwerker kaufen auch wieder Autos.“
Die Logik, dass über Staatsverschuldung Kreisläufe aktiviert werden, verstehe ich. Ich verstehe auch, dass Staatsschulden an sich kein Problem sind, solange damit ein Mehrprodukt erarbeitet wird. Aber geht das ohne mehr natürliche Ressourcen zu verbrauchen?
Oder woher kommt der Mehrwert, der eine Investition von Kapital profitabel machen soll? Doch nur davon, dass mit Hilfe von Mehrarbeit mehr Kapital umgeschlagen wird. Am Ende hat dieses Mehr immer einen stofflichen Charakter. Diese Entwicklung ist abenteuerlich und destruktiv.
Oder muss man annehmen, die Mehrwertschöpfung läuft über Dienstleistungen? Die Geldkreisläufe werden also erweitert. In den Kreislauf von Kapital – Ware – Lohn – Profit werden nun noch Dienstleistungen eingefügt. Also Kindergarten, Nachhilfe, Putzfrau, Fitnesstrainer usw. Ohne dass stofflich mehr produziert wird. Das hat tatsächlich stattgefunden. Statt zuhause isst man im Restaurant. Die Menge des Essens ist die gleiche …, es kostet zwar vielfach mehr, aber der Lohn ist auch gestiegen. Die Löhne sind dank der gewachsenen Produktivität durch Ölökonomie und der Exporte gestiegen. Das Mehrprodukt insgesamt geht zwar zu einem Großteil als deutscher Geldbesitz ins Ausland, etwa zu den LehmanBrothers, aber ein Teil wenigstens kommt in der Form von mehr Konsumprodukten allen zugute. Also der Lehrer kauft sich ein drittes Auto, vielleicht sogar ein Ökomobil.
Wie ein Kapitalwachstum – ohne die Aussicht darauf keine Investition – möglich sein soll, ohne stofflichen Mehrverbrauch von Rohstoff- und Energieressourcen, Landschaftsverbrauch, Umweltzerstörung, Ausbeutung der dritten Welt, das erschließt sich mir nicht.
Jetzt sollen die Schulen neu angestrichen werden, so propagiert die Tagesschau gestern – hässliche Schulen gibt es ja massenweise. Was bedeutet das anders als Verbrauch von mehr Chemikalien? Nun ließe sich ein Modell durchspielen, dass Schulen umweltfreundlich aus Lehm und Holz gebaut werden. Die Bauarbeiter und Schüler würden Fleisch aus umweltfreundlicher Produktion essen, ohne Sojaverbrauch etc. – Schnell wären dann die Begrenztheit der Ressourcen klar: der energieabhängige Nitratdünger, die begrenzten Phosphorreserven usw. Am Ende wäre eine Einschränkung des Verbrauchs notwendig.

Es sind immer verschiedene Linien, über die dieses Wachstum ohne Ressourcenverbrauch möglich sein soll. Da wäre ein Thema die intelligente Produktion, etwa im Bereich des Recycling von Abwärme, der Ökonomie von Ressourcen. Aber das sind vorübergehende Extraprofite, die wenn sie sich allgemein durchgesetzt haben, wieder vom Konkurrenzsystem annulliert werden. Das Ende vom Lied ist immer: mehr Lohn/ Profit, mehr Ressourcen.
Oder wir cleveren Deutsche produzieren nur noch Wissenswaren, also Technologien und verkaufen die ins Ausland. Bei uns bleibt alles sauber, kein CO2 durch Produktion – dafür die kilometerdicke Smogschicht über Asien.

In einer Diskussion im DLF höre ich Butterwege, einen eloquenten Antiarmutslinken, derart: der Kuchen, der verteilt werden kann, wird durch eine steigende Produktivität immer größer. Man muss nur durch entsprechende Konjunkturprogramme die Kreisläufe in Gang halten.
Das mag zwar eine in Konkurrenz zum Privatkapitalismus stehende Argumentation zwar kurzfristig bestechende Argumentation sein, doch für die, die darüber nachdenken, und die durch ihre Arbeit wissen, was die Dinge Mühe kosten, ist es nur eine rhetorische Finte, die linke Politik unglaubwürdig macht.

Eigentlich hat die Finanzkrise das Elend des linken Keynesianismus gezeigt. Denn die USA haben es richtig gemacht: öffentliche Schulden aufnehmen für Rüstungsproduktion, Geldschöpfung durch private Banken durch Liberalisierung – der Privatsektor hat die Funktion des Staats im keynesianischen System durch die Liberalisierung mit übernommen. Und es war nur ein kleiner Anstieg des Ölpreises mit den Folgen sinkender Autonachfrage, mehr Arbeitslose, Hypothekenzusamenbruch, der alles zusammenbrechen ließ. Und was lernt die Linke daraus? Mehr produzieren, mehr konsumieren. –
Änderung der Produktionsverhältnisse? Was ist das? War da mal was?