27.12.07

IDEALE EINES IDEALISTISCHEN LEHRERS

Die taz berichtet von einem Lehrer, der mit 59 nach 35 Jahren Hauptschule in Berlin aufgibt. Er „wollte den Kindern etwas beibringen, die am ärmsten dran sind“.

Sympathisch wirkt sein Versuch, sich mit den Underdogs zu befassen, ihre ganzen Störversuche in Kauf zu nehmen und sich mit ihren Problemen auf einer menschlichen Ebene zu befassen. Dabei wird ihm klar, dass der linke Multikultikult heuchlerisch ist, dass entgegen der linksliberalen Ideologie gesellschaftliche Überlebensfähigkeit eines Menschen von einer Familie abhängt, die im bürgerlichen Sinne funktioniert.

Doch nachdem er nun clever mit Burnout (und damit gut gesicherter und nicht durch eine mögliche Altersteilzeit reduzierte Rente) aussteigt, stelle ich doch die Frage, inwieweit Schule als linkes Projekt überhaupt möglich sein kann. Schule innerhalb eines linken Projekts sollte sein:
- demokratische Schule. Das bedeutet, Beziehungen herstellen, Äußerung von Interessen ermöglichen, demokratische Abstimmung. Prüfungen müssen extern, Unterricht von Benotung getrennt sein.
- ohne Schulpflicht. Das dürfte als eine gefährliche Utopie erscheinen, mit der Konsequenz von faulen, asozialen Analphabeten. Übergangsweise läuft die Demokratisierung aber zumindest über Wahlmöglichkeiten, Projekte etc. Die Tour über die Staatsautorität, die auch dieser Lehrer eingeschlagen hat, geht nicht. Wie soll er als Beamter ernst genommen werden können?
- positives Klassenbewusstsein. Schule soll nicht primär Über- und Unterlegenheitsgefühl, sondern Fähigkeiten vermitteln. Das Bewusstsein von Klassengesellschaft, ihren Mechanismen der Ausgrenzung und Unterdrückung ist essentiell. Zum Klassenbewusstsein gehört das Bewusstsein von der historischen Niederlage der Arbeiterklasse. Die Alternative liegt nicht in Siegparolen, Suche nach individuellem Vorsprung, sondern im intelligenten Umgang mit der Frustration
- Lehrer sind nicht linke Caritas, brauchen keinen „DemVolkeDienen“-Komplex, auch Helfersyndrom genannt. Das ist nur Kehrseite von Herablassung und Herrschaft.

Ich selber hatte die Option, Lehrer zu werden. Blauäugig wie ich war, wurde mir bald klargemacht, dass „Lehren“ eine Form der Herrschaft ist. Während ich als Schüler die Aussicht hatte, durch die Schule an dieser Herrschaft zu partizipieren, war Schule für andere (meine Schüler) eine Möglichkeit, nicht um der „Macht“ zu widerstehen, sondern sie scheinbar - in einer oft blödsinnigen und niederträchtigen Form – selbst zu übernehmen. Ich habe nach Lehrern gesucht, die mit ihren demokratischen Vorstellungen ähnlich gescheitert sind, aber der Typ des „guten Lehrers“ hat die Szene beherrscht. Der „gute Lehrer“ begeistert die Klasse mit seiner Persönlichkeit, er hat die Klasse im „Griff“. Genauso wie er eine individuelle Lösung auf die Legitimationsprobleme der Schule ist (Zwang kontra Demokratie), so kann er seinen Schülern auch nur individuelle Lösungen anbieten.
Ich jedenfalls kam zur Erkenntnis, dass Schule als linkes Projekt nicht möglich ist. Bitter war, meine eigenen Kinder in diesen Laden schicken zu müssen, sie zu absurden und sinnlosen Dingen drängen zu müssen. Was ich dabei an Lehrertypen so kennen gelernt habe, ist entmutigend und macht misanthropisch:
- die Grundschullehrerin, mit der ich und mein Sohn es 4 Jahre lang zu tun hatte
- der Lehrer, der stolz von seiner Menschenkenntnis erzählt, wie er von Beginn an weiß, wie der Schüler abschließen wird,
- die Lehrer, deren Unterricht daraus besteht, dünne Sätzchen von der Tafel abschreiben zu lassen
- die Lehrer, die monatelang zur Korrektur von Arbeiten brauchen – eben faule Säcke
- die Lehrer ohne Fachwissen, aber sehr, sehr viel Selbstbewusstsein
- der Lehrer, der in einer halben Stunde die Trigonometrie einführt, die restliche Zeit Erzählungen über seine Autos, womit er zu den „guten“ Lehrern zählt.
- die Lehrer, die viele Tests schreiben lassen, ohne aus deren fatalen Ergebnisse Konsequenzen ziehen
- viele Lehrer lassen die Klassenarbeiten in den letzten Wochen vor den Ferien, Zeugnissen schreiben
- schon in den ersten Grundschulklassen werden Klassenarbeiten geschrieben. Während ich meine ersten Klassenarbeiten in der vierten Grundschulklasse geschrieben habe – weiß der Teufel, wie die Noten vorher zustande kamen – soll heute der Selektionsdruck die bei mir noch üblichen Schläge ersetzen. Der geheuchelten Menschenfreundlichkeit antworten die so Disqualifizierten mit Zynismus.

12.12.07

LINKSPARTEI UND KULTUR

Die Linke forderte eine "Entscheidung des Bundestages für ein Staatsziel Kultur": Zunächst löst das bei mir Empörung aus. Ich denke an diese Kuturmafia, die die linke Szene mit ihrem Selbstdarstellungsdrang und Eitelkeit beherrscht. In der Regel kommen diese Künstler aus gutem Hause oder wenn nicht, dann betreiben sie doch das Geschäft der bürgerlichen Eliten. Sie geben ihnen ein Gefühl der Überlegenheit. Die so genannte Kultur geht oft in die Verehrung von außerordentlichen Persönlichkeiten über im Verhältnis zu denen die Normalsterblichen sich als miserabel und unfähig fühlen.
Gleichzeitig, durch die Verwobenheit mit dem bürgerlichen Publikum, das sich mit ihren Leistungen ziert und über große Summen von Geld verfügt, werden hier exorbitante Gelder verdient. Es entsteht ein Preislevel, der der breiten Masse, selbst wenn sie Interesse daran hätte, Ausbildung und Praktizieren und Teilnahme an einer so genannten Kulturaktivität schwer macht.
Ein großer Teil der künstlerischen Aktivitäten besteht zudem darin, sich von den breiten Massen abzugrenzen und durch Auserlesenheit fernzuhalten. Zudem aber verfügt die bildungsbürgerliche Klasse über die öffentlichen Einnahmen und weiß die Ausgaben in ihre Richtung zu lenken und für ihre Interessen zu nutzen. Auf Kosten der Allgemeinheit werden zahllose teure esoterische Kultureinrichtungen finanziert.

Letzten Freitag konnte man in Arte die Direktübertragung aus der Scala von Wagners Tristan sehen und hören. Angesichts der Leistung von W. Meier – besonders im letzten Teil - kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Perfekt gesungen, ganz in der Musik, ohne Eitelkeit und Stargehabe. Abgesehen vom Inhalt der Oper: die Nacht und ihre Ruf zum Untergang des Bewusstseins, zum Versinken in Nacht, Schlaf und Tod, unbedingte Liebe, Verschmelzung, Auflösung des Ichs. Dargestellt durch ein düster graues Bühnenbild, Kleidung, wenige aber passende Farben. Das Orchester mit Barenboim drückt die die seelischen Vorgänge präsent und perfekt aus, ohne im Vordergrund zu sein.
Fragen über die Ambivalenz Wagners, seinen Antisemitismus etc. lasse ich hier weg. Warum etwa reduziert er „Liebe“ - vielleicht unabsichtlich? - im Liebestrank auf einen Hormoncocktail und folglich falschen Zauber? Warum ziehen seine Opern die politische Prominenz an? Köhler, Craxi, Napolitani (
Cossiga?). Der widerliche Bock Fischer führt seiner neuen Dame vor, welche fatalen Folgen ein zeitweiliger Hormonstau haben kann. Oder will er am Lebensabend von ewiger Treue, unbedingter Liebe sprechen: „Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit“ Finden sich diese Herren in der Scala ein, weil sie sich eben gerne in Kultur, Geschichte und großen Leistungen baden. Oder weil sie zwar viel beschäftigt sind, aber in Wirklichkeit selber nichts Gescheites zustandekriegen? Warum zieht Wagner die Hitlers und Merkels an? Ist es die Theatralik des großen Individuums, das tragisch zum Scheitern verurteilt ist? Ist es der Todes- und Tötungsdrang? Die Verbindung von solchem mit Elitenambiente? Würde man diese Leute auch finden bei „Wozzek“ und „Lulu“?

Diese Leistungen sind möglich durch Künstler, die durch die Welt jetten, einer Weltelite, aus sehr speziellen Familien. Begabung reicht nicht, Arbeit auch nicht. Mit Neid und gegen meine Überzeugungen verfalle ich in Bewunderung, etwa der W. Meier, ob meine Verehrung ihr oder der Musik, die sie singt, gilt. Solche Leistung ist nur möglich auf dem Hintergrund der Existenz einer privilegierten Bildungselite, großzügigen materiellen Ressourcen. Es braucht die Möglichkeit, sich materiell abgesichert zurückziehen zu können, der Konkurrenz mehrer Opernhäuser usw. Und nach der geschmäcklerischen Meinung eines Rezensenten war es doch nur „
Mittelklasse, mit einigen Glanzpunkten und den Defiziten des Wagnergesangs, die heute scheinbar auch an großen Häusern schwer zu überbrücken sind“.

Wie vereinbare ich diese meine Bewunderung mit meinem Affekt gegen die Kulturhimmelei der Linken? Ich denke, Kultur muss heruntergeschraubt werden. Die (kritische) Aneignung der traditionellen bürgerlichen Kultur ist wichtig, etwa Theater und Musik. Aber auf einer breiten Basis – nicht als Privileg. (Ich denke hier an die vielen Chöre in Kuba). Die Frage, warum „Kultur“ zum Zuschaufernsehen verkommt, müsste erörtert werden.

11.12.07

MUGABE, MERKEL UND BISMARCK

Der zimbabweanische Informationsminister Ndlovu im Herald: „Germany, he said, needed a leader like Otto von Bismarck, who fought for its unification and eradication of injustices.” Diese Lächerlichkeit aus dem Mund eines “Marxisten“ ist für Außenstehende nur schwer zu verstehen. Anders, wenn man weiß, dass eine der Lieblingstopics zimbabweanischer Schulerziehung Bismarcks Außenpolitik und die Aushebung von Schützengräben im ersten Weltkrieg ist. Jeder Unsinn von Bildungsgut soll recht sein, Hauptsache, es dient dem Zweck der Differenzierung von Eliten und Massen. Etwas Ähnliches findet ja auch unseren Schulen statt. Der Blödsinn wird bei den Afrikanern nur offensichtlich.
Natürlich ähnlich blödsinnig der Vorwurf an Merkel, sie hätte ihre „Nazi inclination“ mit einem angeblichen Verbot von Scientology und Drehverbot für Cruise gezeigt. Aber es zeigt das Niveau der herrschenden Banditen in Zimbabwe.
Die gute Merkel hat in Lissabon ihr moralisch Bestes versucht. Nicht bekannt wird aber die Essenz der Lissabonner Verträge: weiterhin gute Geschäfte mit Afrika (Edelmetalle, Erdöl, Tierfutter etc.). Auch die der Export von Atomkraft ist schon vorgesehen. Die afrikanische Oberschicht darf also weiter auf europäischem Konsumniveau bleiben, schon dank der Hintermänner Merkels.

8.12.07

HEILSVERSPRECHEN: PAPST UND MARX

Was hat der Papst auf einer Seite verloren, deren Thema eigentlich das Leben am Fließband sein sollte? Weil er den Sozialismus angreift? Weil so vieles so leicht kritisierbar ist, von dem was er schreibt? Als Ex-Katholik reizt mich die kirchliche Phraseologie, der Anspruch auf große Wahrheiten, dieses Spiel mit Grenzen, die zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch gesetzt werden. Der exklusive Wahrheitsanspruch ist verletzend, eine Anmaßung.
Frage des Papstes: Was können wir hoffen?
Hoffen ist etwas wünschen und verlangen, was nicht sicher ist. Der auf etwas Hoffende ist voll gespannter Erwartung, teils mit Freude, teils mit Angst. Er weiß aber, dass seine Hoffnung auch enttäuscht werden kann. Er weiß um sein Nichtwissen, die Ungewissheit. Hoffen ist etwas anderes als glauben, also etwas für wahr halten, obwohl es nicht beweisbar ist. Glauben aber hat in der Regel eine erfahrungsbezogene Basis, bezieht sich auf ein Vertrauen, das sich in der Vergangenheit bewährt hat. Man kann jemandem Vertrauen und Glauben schenken, wenn man sich seines Verhaltens nicht sicher ist. Einem erwiesenen Übeltäter wird man aber nicht glauben.
Die Atheisten etc. leben laut Papst „hoffnungslos“, ohne den Glauben an die katholischen Versprechungen von ewigem Leben, himmlischer Gerechtigkeit und Belohnung für die Entbehrungen im irdischen Leben. Na ja – warum soll Hoffnung unbedingt christliche Hoffnung sein? Man kann sich die Wiederkehr von Jesus wünschen, genauso wie die eines anderen Propheten. Man kann aber auch hoffen, dass es eine Gerechtigkeit gibt, die allen gerecht wird und nicht nur ein paar dogmatischen Sektierern. Also so „wahrhaft menschlich“.
Für den Papst ist die Sache allerdings einfach: Irdische Gerechtigkeit gibt es nicht und wird es nie geben und die metaphysische, die ist sein Metier. Zu versuchen irdische Gerechtigkeit herzustellen, das führe zu nur zu größerer Ungerechtigkeit. Unglaublich aber wahr: der Papst ist der Überzeugung, Menschen können nie Gerechtigkeit herstellen, das kann nur der himmlische Jesus mit Gericht und Fegefeuer. „
Eine Welt, die sich selbst Gerechtigkeit schaffen muß, ist eine Welt ohne Hoffnung.“
Gerechtigkeit ist dem Papst sogar die zentrale Frage der Theologie.
„Ich bin überzeugt, daß die Frage der Gerechtigkeit das eigentliche, jedenfalls das stärkste Argument für den Glauben an das ewige Leben ist.“
Denn:
„Nur Gott kann Gerechtigkeit schaffen.“
Wir wissen, dass der Vater des Papstes ein Polizeiobermeister war. Seine Haltung dürfte eine obrigkeitsstaatliche gewesen sein, natürlich arbeiterfeindlich, schon durch die ständigen Ortswechsel in misstrauischer Distanz zu den Untertanen. Der Sohn will und muss schon deswegen etwas Besseres werden. Man kann ahnen, welche Erfahrung sich hier mit dem Begriff von Gerechtigkeit verbindet, und man kann sich vorstellen, was da über den Sozialismus gedacht wurde. Die
Münchner Räterepublik hatte die Konfrontation zwischen Arbeitern und Bürgertum blutig verschärft. Kein Wunder, wenn der Sohn dann so über Marx urteilt: Die Hoffnung auf eine menschliche Gerechtigkeit wird immer enttäuscht werden. Marx „hat zwar sehr präzise gezeigt, wie der Umsturz zu bewerkstelligen ist. Aber er hat uns nicht gesagt, wie es dann weitergehen soll.“ [Wo hat Ratzinger von Marxens „präzisen“ Umsturzplänen gelesen? Man sieht hier die Oberflächlichkeit seiner Argumentation.] Es mag stimmen, dass sich der Marx wenig mit den institutionellen Grundlagen einer neuen sozialistischen Gesellschaft beschäftigt hat. Nicht nur weil ihm deren Probleme – sieht man von dem sehr kurzen Zwischenspiel der Pariser Kommune ab – sehr fern lagen, vielleicht aber auch, weil der Anwaltsohn Marx die Arbeiter in seinen innersten Überzeugung noch gar nicht für fähig hielt, eine neue Gesellschaft zu begründen und sich deswegen auf die politische Opposition beschränkt hat.
Gerechtigkeit ist also nicht erreichbar – das sagt der Sohn eines Polizisten. Aber vielleicht ist die bürgerliche Ungerechtigkeit besser als die sozialistische. Der christliche Gott ist ohnehin ein bürgerlicher Gott. Er sagt: arrangier dich, geb dem Kaiser, was des Kaisers ist; wenn du Sklave oder Sklavenhalter bist, bleib es; im Herrn sind wir alle Brüder.
Marxhat vergessen, daß der Mensch immer ein Mensch bleibt. Er hat den Menschen vergessen, und er hat seine Freiheit vergessen. Er hat vergessen, daß die Freiheit immer auch Freiheit zum Bösen bleibt.“
Hier wird das Menschenbild des Papstes deutlich: dem freien Mensch ist nicht zu trauen. „Weil der Mensch immer frei bleibt und weil seine Freiheit immer auch brüchig ist, wird es nie das endgültig eingerichtete Reich des Guten in dieser Welt geben. Wer die definitiv für immer bleibende bessere Welt verheißt, macht eine falsche Verheißung; er sieht an der menschlichen Freiheit vorbei.“
Also Freiheit tut nicht gut. Besser der Mensch unterwirft sich [oder wird unterworfen?], etwa der Lehre einer Kirche, ihrem Credo und ihren Ritualien. - Angst [diesen Begriff mag der Papst wohl nicht], Furcht ist gut, hat „in der Liebe ihren Ort“. „Wir alle wirken unser Heil ,mit Furcht und Zittern’ (Phil 2, 12)

Was aber ist die richtige Liebe? Der gute Mensch liebt nicht die Menschen direkt. Er lebt zölibatär, braucht die
sexuelle Abstinenz, um an seine religiösen Vorstellung gebunden zu bleiben. Liebe ist nicht schmutzige und geile Materie, nein: „über allem steht ein persönlicher Wille, steht Geist, der sich in Jesus als Liebe gezeigt hat
Liebe ist also Geist, Wille – aber nur wahrhaft gut als Gottes Liebe. Glauben wir uns von Gott geliebt, dann lieben wir auch automatisch ihn. Dieses Tauschgeschäft der Liebe sieht der Papst höchst realistisch, urbürgerlich. Dann kommt der nächste Schritt: Lieben wir Gott, erst dann können wir wahrhaft auch andere lieben, sind ja auch Kinder Gottes [wahrscheinlich mehr oder weniger …] „Aus der Liebe zu Gott folgt die Teilnahme an Gottes Gerechtigkeit und Güte den anderen gegenüber.“
Man sieht hier die gnostischen Wurzeln des Christentums. Würde der Papst – eingesperrt in das Gefängnis seiner einsamen Seele – seine Missachtung der „materialistischen“ Menschen aufgeben, wäre es notwendig, die Menschen als hier und jetzt einzig reale und bedeutsame Wesen zu begreifen und nicht nur als schlechte Gestalten idealer, geistiger und abstrakter Wesen, missratene Abkömmlinge irgendwelcher Ideen.
Wie soll Liebe ohne ihre materielle Basis möglich sein, angefangen beim Säugling, als Fest der Natur in der freudigen sexuelle Erwartung und Befriedigung? Wir Menschen sind doch an Erfahrung, an Lust, an Glücksverlangen gebunden. - Eine Theologie, die ihre materiellen Wurzeln abstreitet und verleugnet, ist eine Theologie der Lüge.
Die Ungerechtigkeiten der Welt, das Leiden daran, die Versagungen und Entbehrungen – sie werden durch die Hoffnung auf gerechte Entlohnung im Jenseits kompensiert. Deswegen auch diese Liebe zum Leiden. Wiederholt zitiert der Papst Märtyrer. Man spürt, wie er gerne ein Szenario von Sadomasochismus ausbreiten würde. Die Welt als Hölle und mittendrin der Christ mit dem verzückten Blick zum Himmel. Und man findet hier wieder die katholische Liebe zum Getto, zur Mauer gegen die Welt, gegen alle, die nicht so denken, wie sie. Schlecht sind: Fernseher, Naturwissenschaften, moderne Literatur, der Protestantismus, die Stadt und so weiter und so fort. Es ist das alte Landmädchengetto. Im Leiden ist Sinn.
Wenn ich so richtig leide, dann bin ich gut. Meine Rache wird mein Glaube und meine Hoffnung sein.

Es wundert nicht, dass der Hoffnungsenzyklika des Papstes mit einem Marienhymnus abschließt. Freud hat 1912 die Psychologie des Marienkults in seiner Betrachtung „Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens“ beschrieben. Auf der einen Seite Idealisierung der Frau zur „unbefleckten“ Göttlichkeit, auf der anderen die Erniedrigung der Sexualität.

Warum eine Auseinandersetzung mit einer Papstenzyklika in einem Fabrikblog? Die Kirche drückt ein allgemeines Denken aus, eine allgemeinmenschliche Art, sich mit den Verhältnissen abzufinden und sie zu rechtfertigen. Mit Blick auf ihre moralischen Ansprüche ließe sich hoffen, dass die katholische Kirche sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Als Trägerin einer sozialen Idee, einer Gemeinschaftskultur und als moralische Instanz hat sie öffentlichen Einfluss. Aber sie verteidigt nur die bürgerlichen Verhältnisse, ist Teil der repressiven Kräfte und trägt zur allgemeinen Hoffnungslosigkeit bei.

1.12.07

PISA, IGLU

Bei indymedia eine Erläuterung zur Selektion gemessen bei der Iglu-Studie: Arbeiterkinder müssen um Einiges bessere Leistungen zeigen, um für das Gymnasium würdig befunden zu werden. Diesbezügliche Ergebnisse von Kindern an- und ungelernter Arbeiter werden erst gar nicht bewusst gemacht.
Aber ob das bürgerliche Gymnasium ein Ort für Arbeiterkinder ist? Verdrängung der Arbeitswelt, Rechtfertigung der Selektion und Ungleichheit. Andererseits lernen, mit Sprache umzugehen, Geschichte, Naturwissenschaften. Ob man aber im Gymnasium wirklich lernt, wahrhaftiger zu denken?