14.8.07

DIE LIEBE ZUR TECHNIK – AUTO

Mechanisierung des eigenen Selbst
Adorno schreibt in seiner Schrift „Erziehung nach Auschwitz“ („Eingriffe“ Ffm 69) von der Fetischisierung der Technik, der Liebe zu Apparaten. „Bei dem Typus, der zur Fetischisierung der Technik neigt, handelt es sich, schlicht gesagt, um Menschen, die nicht lieben können.“ (97) Adorno hat es nur andeutungsweise und unzureichend entwickelt. Implizit steckt in der Kritik ein unreflektierter christlich altruistischer und körperfeindlicher Moralismus. Die Beziehung zwischen Individuum und Maschinerie ist weitgehend unanalysiert, es ist ein Verhältnis von Verschmelzung, von Introjektion und Projektion. Jeder kennt das Gefühl, wenn unerwartet ein Gerät kaputt geht. Es kann sich seelisch anfühlen wie ein verletzter Körperteil, wie eine Kränkung des Selbstwertgefühls. Die uns umgebende Maschinerie ist ein Teil unseres Körpers und Selbstgefühls. Genauso wie die sichtbare soziale Umgebung, die unser soziales Selbstgefühl prägt.

Adorno geht davon aus, dass die Liebe, die in die Maschinchen investiert wird, aus dem sozialen Bereich herausgezogen wird. Sie wird zur narzisstischen Libido, Aggression und Kälte gegenüber anderen Menschen. Sie dient der Aufwertung des eigenen Selbst. Das geliebte Maschinchen wird zum Teil eines phantasierten Größenselbst.
Der Erforscher einer individuellen Geschichte kann mit solchen allgemeinen Theoremen nicht zufrieden sein. Die Frage wäre: wie lässt es sich unter anderen Voraussetzungen neu rekonstruieren, was da daneben gegangen ist. Welche Beziehungen und Erziehungsmuster erzeugen diese Entwicklung, wie kann sie wieder aufgebrochen werden? Oder wie Adorno sagt: „Wenn irgend etwas helfen kann gegen die Kälte als Bedingung des Unheils, dann die Einsicht in ihre eigenen Bedingungen und der Versuch, vorwegnehmend im individuellen Bereich diesen ihren Bedingungen entgegenzuarbeiten.“(99)

Das war 1966 – was ist tatsächlich in der Erziehung aufgearbeitet worden? Eine Demokratisierung von Schule und Erziehung hat nicht stattgefunden. Die kritische Theorie zu sehr verbunden mit der bürgerlichen Lebenspraxis hat es versäumt, radikale Forderungen im Bildungsbereich und betrieblichen Bereich zu stellen. Etwa: Demokratisierung der Schule, der Schulinhalte, Lehrer-, Stoffauswahl, Polytechnik, Projekte, Praxis. Im betrieblichen Bereich: demokratische Plattformen, veränderte Kommunikationsstrukturen, Diskussion der Gebrauchswertseite der Produktion, Weiterbildung usw. Das Beharren auf Negativität hat die Verhältnisse mitzementiert. Die kritische Theorie drückt zwar auf engste subjektivste Erfahrungen und Gedanken aus, Horkheimers philosophische Werke sind von luzider Klarheit, aber durch ihre mangelnde politische Konsequenz, der Angst, sich praktisch zu blamieren, ist sie politisch bedeutungslos geworden. Das Arbeiterleben war ihr auch fremd. Leicht wäre es, Ressentiments nachzuweisen.

In der kritischen Betrachtung mit der Liebe zur Maschine und Selbstmaschinisierung hat man sich zuwenig mit dem Auto auseinandergesetzt. Heute wären auch die Kommunikationsmedien Computer, Handy usw. zu diskutieren. Man stelle sich die kritische Theorie ohne den Autofahrer Horkheimer vor. Rad fahrende Theoretiker?! Bewegt sich der Geist nur im Kopf, nicht mit einem Körper?

Würde der Arbeiter nicht Auto fahren, müsste er wandern, laufen, Rad fahren. Welches anderes Erfahrungsfeld als gradlinige Autobahnen, Verkehrskanäle, Schwimmen im Strom. Eine andere Erfahrung von Natur und Landschaft.

Sport ist historisch Sache von Angestellten, die aus der Arbeitertradition körperlicher Betätigung kommen. Gegen den Muskelkult des Proletariers setzen sie ihre körperliche Leistungsfähigkeit. Es hat Wehr- und Konkurrenzcharakter. Will Dominanz zeigen, überlegenen Geist und Körper, Anstrengungsfähigkeit, Disziplin, auch Kampfbereitschaft. Der Körperkult des Proleten wird aber nachhaltiger noch zerstört durch die Maschine, ihre Kraft, Zuverlässigkeit und Präzision.
Am Ende der Entwicklung muss der Arbeiter seine Unterlegenheit anerkennen und die Überlegenheit der Maschine. Sie wird ihm immer wieder zur Konkurrenz, gerät außer seiner Kontrolle, macht ihn arbeitslos und droht ihn, irgendwann überflüssig zu machen.
Die kontrollierbaren Maschinen sind zunächst eher Ausnahmen. Bei der Arbeit dominierten zunächst die mechanisch herrschenden Maschinen, die rücksichtslos bedient werden wollten, bei Fehlern oft mit tödlichen Konsequenzen drohend. Durch die Computerisierung der Maschinerie sind diese heute „aufmerksamer“ geworden, reagieren auf Fehler des Personals, sind in ihrem Verlauf beeinflussbarer geworden.

Wenn ich zur Arbeit fahre- mit dem Rad -, schwingt bei mir immer eine Grundangst vor irgendwelchen überraschenden Veränderungen - Unfall eingeschlossen. Bei der Maschine, um die sich die ganze Firma dreht, habe ich aber eher ein gutes Gefühl. Sie macht ihre Fehler, hat ihre Störungen, aber das macht sie geradezu menschlich. Ein paar Mausklicks und das Ding läuft wieder. Man kann sie stoppen, beeinflussen, aber im Großen und Ganzen ist sie zuverlässig. Ökologisch ist sie allen anderen Verfahren weit überlegen. – Auf der anderen Seite sind mir ihre ganzen Verdrahtungen, Programme undurchschaubar. Mit der Wartung der mechanischen und elektrischen Teile ist ein Mechatroniker beschäftigt. Mein Vater musste sich mit seinen Maschinen noch weitgehend allein herumschlagen, wenn auch auf einfachem handwerklichen Nivea; oft kam er verärgert nach Hause. Ich dagegen genieße meine Kontrolle über die Maschine. am Band allerdings - am Ende der Maschine - hetze ich zeitweise - froh, wenn Schluss ist. Anders beim Beschicken der Maschine.
Ich empfinde es als wohltuend, mit der Maschine, statt mit meinen Kollegen umgehen zu müssen. Eine Menge Streit ist erspart. Der objektive sachliche Verlauf des Prozesses erübrigt Auseinandersetzungen, Dominanz- und Konkurrenzkämpfe.

Aber der Vorgang der Anpassung an die Maschine ist ein Akt der Mimikry oder eine Art von Identifikation mit einem überlegenen Aggressor, würde Adorno sagen. Um nicht im Kränkungsgefühl leben zu müssen, von einer unmenschlichen Macht beherrscht zu werden, gleicht man sich ihr an, tut so, also würde man sie beherrschen. Der Druck, das Tempo, kommt allerdings nicht unbedingt von der modernen Maschinerie, sondern von außen, dem Verwertungszwang, den Chefs, der Ökonomie.

Adorno hatte eine sehr körperdistanzierte Einstellung. Im Sport sah er vor allem die Gewalt. Eine körperliche Leistungsfähigkeit war verbunden mit dem Verwertungsinteresse des Kapitals, als Freizeitleistung Reproduktion dessen mit falscher Ideologie. Nun ist aber der Mensch ein körperliches Wesen, zu dessen Naturcharakter der Bewegungsdrang gehört und zu dessen Reproduktionsbedingungen Arbeit, d.h. körperliche Arbeit gehört. Die Menschen erleben sich als im Arbeitende als unvollkommen und defizitär aktiv. Deswegen treiben sie Sport. Gleichzeitig tendiert der Sport zu einer Verabsolutierung von Kraft und Größe: sinnlose Leistungen, erzeugt mit biologischer Optimierung, Doping, Marketing usw. Die Gewalt der Maschine und die Verwandlung in sie wird zu einem Ideal. Die Menschen im Sport bewegen sich zwischen Bewunderung und Bewundertwerden. Religiöse Haltungen werden reproduziert und Geldströme in Gang gesetzt. Im Zentrum steht der mit narzisstischer Libido besetzte Mensch, sei es als Idol oder als sich überlegen fühlender Aktiver. Es besteht keine Gleichheit zu ihm. Die Identifikation mit dem Helden will an seiner Überlegenheit partizipieren. Bestenfalls mag das kindliche Bedürfnis, geliebt zu werden, menschlich erscheinen.
Der aktive Breitensportler mag sich zwar im Umfeld dieser Momente bewegen, aber die Differenz ist der Unterschied zwischen Identifikation und Aktivität. Außerdem muss die positive Besetzung des eigenen Körpers, nicht die fantastisch übermäßige, eine positive zu anderen Menschen nicht ausschließen. Vielleicht ist sie sogar Voraussetzung.
Für den körperlich arbeitenden Menschen, gleichgültig ob er Teil eines lebendigen menschlichen Gemeinschaft ist, oder nur mechanisierter Teil der Maschinerie, ist die körperliche Aktivität ein Erlebnis von Anstrengung und Erfolg, Unlust und Lust. Die körperliche Erfahrung ist eine naturnotwendige und sie will gestaltet werden. Der Umgang mit Technik und die körperliche Arbeit sind Teil einer Autonomie auch in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, genauso wie der sportliche oder künstlerische Umgang mit dem eigenen Körper. Der Intelligenzkult glaubt ohne Körper auskommen zu können.
Die Kohle- und später Öl-Ökonomie hat den Anteil menschlicher Muskulatur und der im Vergleich zur intelligenten Maschine ineffizienten Intelligenz mehr und mehr überflüssig gemacht. Die Aufmerksamkeit des Menschen hat sich von seiner eigenen Aktivität in seine Sinnlichkeit, Sinnesorgane und Intelligenz verlegt. Der Körper verliert seinen aktiven motorischen Charakter, wenn es auch Revivals dessen im Ausdauersport geben mag, und wird zum ästhetischen Produkt für die Präsentation vor anderen durch Bodybuilding, -styling usw.

Das Auto
- spiegelt den Produktionsprozess, aus der unkontrollierbaren kapitalistischen Maschine wird die aktiv genutzte, der Fahrer darf sich im falschen Bewusstsein als Herr seiner Lebensbedingungen verstehen. In Wirklichkeit macht er sich dadurch umso abhängiger. Für sein Freiheitsbewusstsein im Zirkulationsbereich, in der Freizeit, wird er umso härter eingespannt in der Produktion. Der Zeitgewinn durch das Auto geht durch die Mehrarbeit verloren.
- spiegelt einen technisch individualisierten Wunschtraum, den des perpetuum mobile. Eine falsche Utopie von den geistig Arbeitenden als Mittel zur Entwertung von Arbeitskraft benutzt: körperliche Arbeit ist nur eine historisches Überbleibsel, antikes Relikt für defizitäre Existenzen: „Bildungsferne“ und „Minderbegabte“. Dazu gehören auch die Utopien von Atomkraft, den üppig sprudelnden Quellen der Solarkraft etc.
- ist ein Ausdruck gesellschaftlicher Konkurrenzfähigkeit und zugleich Partizipation an gesellschaftlicher Dominanz und Ausübung von Gewalt, sei es mit Lärm, Flächenverbrauch oder Körperverletzung. Wer keines hat, ist nicht wirklich ernst zu nehmen. In den Zügen sitzen die Behinderten, „sozial Schwache“, shoppende Jugendliche, Auszubildende, Ältere, Exzentrische. Gleichzeitig werden nicht nur die Ressourcen der Welt ausgebeutet, sondern alle jene in Nachteil gesetzt, die militärisch und ökonomisch hinterher sind.
- überdeckt das hässliche und demütigende Bild des unterworfenen, sich anstrengenden, vielleicht schwitzenden Arbeiters. Wer kein Auto hat, der schleppt, der geht, muss eventuell rennen. Im Auto ist der Mensch Herr. Er wird nicht kommandiert, sondern gibt die Kommandos.
- Beim Autofahrer wird hinter dem homo oeconomicus ein anderer Menschentyp sichtbar: der motorisch imponierende, der dafür keine Kosten scheut. Verstand und Vernunft sind weitgehend außer Kraft gesetzt, ökologische, humane, finanzielle Maßstäbe gelten nicht mehr. Es gilt die Herrschaft von drängenden Impulsen: das Image, der Bewegungsdrang, die Konkurrenz usw. Im vernünftigen Lichte betrachtet ließen sie sich nicht durchsetzen. Aber der individualisierte Mensch bedarf keiner vernünftigen Reflexion; es reicht, wenn er etwas will. Die so vollzogene
Dissozialität hat kollektives Niveau.

Mit dem Ende einer Ölökonomie gäbe es die Möglichkeit einer aktiven Gestaltung der Zukunft: Bescheidenheit, Sparsamkeit, Kombination von geistiger und körperlicher Arbeit, neue intelligente Technologien, alternative Technik usw. – Ist natürlich Pustekuchen. Stattdessen werden die reichen „Nationen“ ihre Energie aus der Sklavenarbeit der Dritten Welt gewinnen: Biosprit aus Brasilien, Biogas in Europa mit Verknappung der internationalen Lebensmittelressourcen für die „Unterentwickelten“ – das europäische Vieh wird mit ihren Lebensmitteln gefüttert. Die barbarisch geförderte chinesische Kohle ist jetzt ja schon der Grundlage vieler europäischer und amerikanischer Produkte. Die körperliche Arbeit jetzt schon weitgehend in den „Händen“ der Immigranten wird in Billiglohnländer übertragen. Bis die vielleicht eines Tages entdecken, dass sie so dumm auch nicht sind.

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