30.8.07

ZIMBABWE

Von 82 bis 85 nach der Unabhängigkeit 80 war ich Lehrer im Busch in Zimbabwe. Im Rahmen einer Gruppe haben wir versucht „Education-with-Production“-Projekte aufzubauen. Überall wurden damals Sekundarschulen gebaut, mit internationalen Mitteln ausgerüstet. Curriculum in Science war gut landesangepasst, der übrige Fächerkanon, wie das ganze Schulsystem war untauglich für die Entwicklung des Landes, aber schien im Umbruch zu sein.
Die Anbindung des Landes an den Weltmarkt durch die weißen und multinationalen Commercial Farms mit Mais, Tabak, Weizen, Fleisch und die Mining-Industrie mit Edelmetallen, Kohle usw. war perfekt. Alles verhieß zwar eine ungerechte Zukunft, aber insgesamt doch prosperierende Entwicklung.
Schon Ende 82 mit den Morden im Matabeleland durch Armee und nordkoreanische Fifth Brigade war das Demokratiedefizit des Landes offenbar. Es zeigte sich, dass die von der ML-Zanu praktizierte Gewalt – von uns damals naiv als durch den rhodesischen Rassismus notwendig akzeptiert – zu schweren Geburtsfehlern geführt hat: statt Kompetenz schwarzer Nationalismus, parasitäre miteinander konkurrierende schwarze Eliten, deren Basis rhetorisch afrikanischer Populismus, aber materiell ökonomisch die Teilnahme an der Ausbeutung des Landes durch den Weltmarkt ist. Typisch etwa, dass keine schwarzen Ärzte auf dem Lande arbeiteten.
Uns waren die Bildungsziele der Schulen fragwürdig. Sie liefen auf „white-collar-jobs“ raus, trieben in den Sumpf der Eliten: Korruption und Alkohol. Einerseits versuchten wir das Beste draus zu machen: Statt unter 5% haben 25% den A-Level des britischen Systems geschafft. Aber was kam danach? Das Defizit von Entwicklungskonzeption versuchten wir durch ein paar magere Projekte zu stopfen: Gartenprodukte, Kaninchenhaltung, Nähen von Schuluniformen, Brotbäckerei, kleine Holzwerkstatt.
Die Entwicklungskonzepte folgten einmal der naiven Idee, dass das nächste Projekt der „Self-Reliance“ über ein handwerkliches Stadium hindurchgehen müsse. Das Problem des Landes ist aber dieser Gegensatz von Selbsterhaltungswirtschaft auf einfachstem Niveau und globalisiertem Markt andererseits. Das bedeutet Hybridsaatgut, Kunstdünger und Pestizide, eine teilweise gut ausgebaute Infrastruktur von Transport mit Weltmarktprodukten, Lohnarbeit, die von den Rhodesiern bei der Beherrschung des Landes aufgebaut worden war. Diese Rhodesier waren eher Pragmatiker als Rassisten, clever und erfindungsreich im Überleben, man hätte von ihnen viel lernen können.
Politische Konzeptionen wurden aber nicht entwickelt. Die schwarzen Eliten lebten im Biernebel und Konsumrausch, bis der Stoff ausging und Macht- und Verteilungskämpfe anfingen. Von Marx und Produktion hat diese idiotische leninistische Elite keine Ahnung. Die Befreiungskriegsveteranen waren hoffnungslos verbrannte Alkoholiker. Ein Neuaufbruch des Landes schien uns 86 unmöglich, zu geschlossen die schwarze Gesellschaft. Die Schule undurchsichtig geleitet, ständig wechselnde Rektoren, schlagende Lehrer in Vormachtstellung vor korrekten und ernsthaft bemühten Lehrern, sexuelle Abhängigkeiten von Schülern zu Lehrern, hohe Syphyllisraten bei Schülerinnen und Ausfälle betrunkener Veteranen ließen uns weitere Arbeit sinnlos erscheinen. Die kommende Katastrophe mit AIDS war noch nicht vorhersehbar.
Also zurück nach Deutschland, zuerst in der Hoffnung, Qualifikationen für einen weiteren Aufenthalt in Zimbabwe erwerben zu können. Eine Arbeit im Metallbereich für zwei Jahre. Aber es gab keine ernsthaften Diskussionen mehr. Tonangebend waren jetzt GTZ, DED mit ihren Jeeps und diese kleinbürgerlichen Eventabenteurer in der Dritten Welt. Am Ende war ich mit den Problemen der Existenz hier beschäftigt und nicht mehr mit denen von Zimbabwe. Was rückblickend bleibt sind unvergessliche Erlebnisse, intensive existenzielle Eindrücke, Erfahrung unmittelbarer Menschlichkeit und Gemeinschaft – Glück und Schönheit – und dann das Gefühl, an der Oberfläche geblieben zu sein: zuwenig Landessprache Shona, zuwenig materielle Erfahrung des Lebens als Bauer und Arbeiter dort - etwa 3 Jahre auf dem "Communal Land", den ehemaligen eingezäunten schwarzen „Reservaten“.
Dann brach die AIDS-Katastrophe über das Land. Die meisten unserer ehemaligen Schüler dürften tot sein. Um 2000 die neue Opposition gegen Mugabe und Zanu, dieses widersprüchliches Bündnis von liberalen Weißen und schwarzer Gewerkschaft, leicht ausbeutbar für den demagogischen Rassismus eines in die Ecke gedrängten Mugabe. Blind und destruktiv hat er dann zurückgeschlagen, mitbedingt auch durch die britische und amerikanische Politik: Zerschlagung der Commercial Farms. An sich ein sinnvolles Projekt, wenn darauf eine schwarze Autonomie bauen würde. Aber Mugabes parasitäre Ideologie des Antineokolonialismus und Leninismus ist dazu nicht in der Lage.

Inzwischen herrscht Faschismus im Land.

Die Menschen dort, etwa „
junge Frauen zwischen 15 und 28 Jahren, die sterben. Sie schleppen sich mit einem oder zwei kleinen Kindern, die noch gestillt werden, mit letzter Kraft ins Krankenhaus, um nach wenigen Tagen klaglos zu sterben.
Sie sterben „klaglos“.

Der maoistische Marxismus-Leninismus, bis 80 antikolonial, hat sich zu einer grauenerregenden Gangsterideologie entwickelt, die bereit ist, die Hälfte des Volks auszurotten. Mutasa: „we would be better off with 6 Million people only“. Aber das war wohl schon immer in dieser Ideologie enthalten („Alle Macht kommt aus den Gewehrläufen“). Die zimbabweanischen Befreiungskämpfer, die ich kennen gelernt habe, waren in ihrer sozialen Einstellung entweder parasitär, großsprecherisch, oft alkoholisiert, oder sie waren brutalisiert durch den „Befreiungskrieg“. Ein Teil der jungen Männer ist zu jedem Verbrechen fähig, ein anderer zum selbstlosen Einsatz. Nur fehlen ihnen Kenntnisse und Mittel. Was bei uns „ziviles Verhalten“ genannt wird – also dieser falsche Schein von und doch faktisch wirksamen „Sachlichkeit“, mit der man Probleme zunächst auf einer individuellen Ebene löst, ohne dabei andere Menschen in negativer Weise zu involvieren, sich von ihnen abhängig zu machen oder sie zu dominieren oder zu erpressen – das fehlt weitgehend in Afrika. Die Ebene der Politik, der sozialen Beziehungen ist dominant aber unproduktiv. Erfahrungen und Kenntnissen von Ökonomie, Technik und Produktion werden missachtet und nicht angeeignet. Der Kultursturz in die Warenproduktion hat die alten Balancen außer Kraft gesetzt. Es hat inzwischen keinen Sinn mehr, auf den Kolonialismus verweisen.

Zeigt sich in Zimbabwe die Zukunft eines Teils der Menschheit? Zimbabwe war bis 2000 weitgehend globalisiert. Internationale Agrarkonzerne und Mining Companies haben dem Land Devisen besorgt, die der weißen und schwarzen Elite ein Leben auf internationalem Standard erlaubt haben. Ich sage nicht „Bourgeoisie“, weil die weißen Farmer zwar Spezialisten in Ausbeutung von Land und schwarzer Arbeit waren, aber produktiv und erfinderisch, die Schicht der herrschenden Schwarzen sich zwar mit Accessoires einer ausbeuterischen Bourgeoisie schmückt – Anzug, Sprache, Luxus – aber im politischen und sozialen Verhalten unbeleckt ist von ökonomischen Kenntnissen und sozialer Moral. Das Verhalten der afrikanischen Staaten gegenüber Mugabe, insbesondere Südafrika, zeigt, wie Afrikas Zukunft aussehen wird.
Globalisierung wäre also die bessere Alternative zu dem jetzigen Zustand, in dem selbst die minimalen Überlebensmöglichkeiten zu Grunde gehen. Zimbabwe, so scheint es für die Außenstehenden – verlässliche Berichte aus dem Inneren jenseits der relativ Privilegierten gibt es nicht – überlebt nur noch auf niedrigstem Niveau – mit zahlreich Verhungernden – vermittels einer ärmlichen Selbsterhaltungswirtschaft auf dem Lande, oder durch den Schwarzmarkt, dessen Währung international – Rand, US-Dollar, Pfund – ist, besorgt durch etwas Rohstoffe und die Überweisungen der 3 Mio. Zimbabwer, die ausgewandert sind. Die herrschende Klasse, die die produktiven Grundlagen ihrer Existenz durch die Nationalisierung selbst zerstört hat, sahnt diesen Zufluss der internationalen Währung durch Inflation ab.
Neuerdings wird im Zusammenhang mit G 8 wieder kräftig Propaganda gemacht für Schuldenerlass, die gute Wirkung einer Liberalisierung des Handels mit Afrika. Wenn es eine Agrarprodukte hier billig importieren könnten, wäre ihnen auch geholfen. Diese Argumentation vergisst: die Einfuhren kommen in der Regel aus international finanzierten Großfarmen, wie es etwa in Zimbabwe der Fall war. Und selbst da wo Kleinbauern Exportprodukte etwa wie Baumwolle anbauen, um zu Cash zu kommen und damit etwa die Schulgebühren für ihre Kinder bezahlen zu können, kommt diese so erworbene internationale Währung nicht dem Land, sondern letztlich nur einer parasitären Elite zugute.
Eine der Losungen der zimbabweanischen „Revolution“ war „Self-Reliance“ – auf sich selber bauen. Als Volksbetrug und Selbsttäuschung vorgetragen von jenen Banditen, die sich heute an fremder Arbeit bereichern wollen.
Nichtsdestoweniger gilt diese Parole immer noch.

14.8.07

DIE LIEBE ZUR TECHNIK – AUTO

Mechanisierung des eigenen Selbst
Adorno schreibt in seiner Schrift „Erziehung nach Auschwitz“ („Eingriffe“ Ffm 69) von der Fetischisierung der Technik, der Liebe zu Apparaten. „Bei dem Typus, der zur Fetischisierung der Technik neigt, handelt es sich, schlicht gesagt, um Menschen, die nicht lieben können.“ (97) Adorno hat es nur andeutungsweise und unzureichend entwickelt. Implizit steckt in der Kritik ein unreflektierter christlich altruistischer und körperfeindlicher Moralismus. Die Beziehung zwischen Individuum und Maschinerie ist weitgehend unanalysiert, es ist ein Verhältnis von Verschmelzung, von Introjektion und Projektion. Jeder kennt das Gefühl, wenn unerwartet ein Gerät kaputt geht. Es kann sich seelisch anfühlen wie ein verletzter Körperteil, wie eine Kränkung des Selbstwertgefühls. Die uns umgebende Maschinerie ist ein Teil unseres Körpers und Selbstgefühls. Genauso wie die sichtbare soziale Umgebung, die unser soziales Selbstgefühl prägt.

Adorno geht davon aus, dass die Liebe, die in die Maschinchen investiert wird, aus dem sozialen Bereich herausgezogen wird. Sie wird zur narzisstischen Libido, Aggression und Kälte gegenüber anderen Menschen. Sie dient der Aufwertung des eigenen Selbst. Das geliebte Maschinchen wird zum Teil eines phantasierten Größenselbst.
Der Erforscher einer individuellen Geschichte kann mit solchen allgemeinen Theoremen nicht zufrieden sein. Die Frage wäre: wie lässt es sich unter anderen Voraussetzungen neu rekonstruieren, was da daneben gegangen ist. Welche Beziehungen und Erziehungsmuster erzeugen diese Entwicklung, wie kann sie wieder aufgebrochen werden? Oder wie Adorno sagt: „Wenn irgend etwas helfen kann gegen die Kälte als Bedingung des Unheils, dann die Einsicht in ihre eigenen Bedingungen und der Versuch, vorwegnehmend im individuellen Bereich diesen ihren Bedingungen entgegenzuarbeiten.“(99)

Das war 1966 – was ist tatsächlich in der Erziehung aufgearbeitet worden? Eine Demokratisierung von Schule und Erziehung hat nicht stattgefunden. Die kritische Theorie zu sehr verbunden mit der bürgerlichen Lebenspraxis hat es versäumt, radikale Forderungen im Bildungsbereich und betrieblichen Bereich zu stellen. Etwa: Demokratisierung der Schule, der Schulinhalte, Lehrer-, Stoffauswahl, Polytechnik, Projekte, Praxis. Im betrieblichen Bereich: demokratische Plattformen, veränderte Kommunikationsstrukturen, Diskussion der Gebrauchswertseite der Produktion, Weiterbildung usw. Das Beharren auf Negativität hat die Verhältnisse mitzementiert. Die kritische Theorie drückt zwar auf engste subjektivste Erfahrungen und Gedanken aus, Horkheimers philosophische Werke sind von luzider Klarheit, aber durch ihre mangelnde politische Konsequenz, der Angst, sich praktisch zu blamieren, ist sie politisch bedeutungslos geworden. Das Arbeiterleben war ihr auch fremd. Leicht wäre es, Ressentiments nachzuweisen.

In der kritischen Betrachtung mit der Liebe zur Maschine und Selbstmaschinisierung hat man sich zuwenig mit dem Auto auseinandergesetzt. Heute wären auch die Kommunikationsmedien Computer, Handy usw. zu diskutieren. Man stelle sich die kritische Theorie ohne den Autofahrer Horkheimer vor. Rad fahrende Theoretiker?! Bewegt sich der Geist nur im Kopf, nicht mit einem Körper?

Würde der Arbeiter nicht Auto fahren, müsste er wandern, laufen, Rad fahren. Welches anderes Erfahrungsfeld als gradlinige Autobahnen, Verkehrskanäle, Schwimmen im Strom. Eine andere Erfahrung von Natur und Landschaft.

Sport ist historisch Sache von Angestellten, die aus der Arbeitertradition körperlicher Betätigung kommen. Gegen den Muskelkult des Proletariers setzen sie ihre körperliche Leistungsfähigkeit. Es hat Wehr- und Konkurrenzcharakter. Will Dominanz zeigen, überlegenen Geist und Körper, Anstrengungsfähigkeit, Disziplin, auch Kampfbereitschaft. Der Körperkult des Proleten wird aber nachhaltiger noch zerstört durch die Maschine, ihre Kraft, Zuverlässigkeit und Präzision.
Am Ende der Entwicklung muss der Arbeiter seine Unterlegenheit anerkennen und die Überlegenheit der Maschine. Sie wird ihm immer wieder zur Konkurrenz, gerät außer seiner Kontrolle, macht ihn arbeitslos und droht ihn, irgendwann überflüssig zu machen.
Die kontrollierbaren Maschinen sind zunächst eher Ausnahmen. Bei der Arbeit dominierten zunächst die mechanisch herrschenden Maschinen, die rücksichtslos bedient werden wollten, bei Fehlern oft mit tödlichen Konsequenzen drohend. Durch die Computerisierung der Maschinerie sind diese heute „aufmerksamer“ geworden, reagieren auf Fehler des Personals, sind in ihrem Verlauf beeinflussbarer geworden.

Wenn ich zur Arbeit fahre- mit dem Rad -, schwingt bei mir immer eine Grundangst vor irgendwelchen überraschenden Veränderungen - Unfall eingeschlossen. Bei der Maschine, um die sich die ganze Firma dreht, habe ich aber eher ein gutes Gefühl. Sie macht ihre Fehler, hat ihre Störungen, aber das macht sie geradezu menschlich. Ein paar Mausklicks und das Ding läuft wieder. Man kann sie stoppen, beeinflussen, aber im Großen und Ganzen ist sie zuverlässig. Ökologisch ist sie allen anderen Verfahren weit überlegen. – Auf der anderen Seite sind mir ihre ganzen Verdrahtungen, Programme undurchschaubar. Mit der Wartung der mechanischen und elektrischen Teile ist ein Mechatroniker beschäftigt. Mein Vater musste sich mit seinen Maschinen noch weitgehend allein herumschlagen, wenn auch auf einfachem handwerklichen Nivea; oft kam er verärgert nach Hause. Ich dagegen genieße meine Kontrolle über die Maschine. am Band allerdings - am Ende der Maschine - hetze ich zeitweise - froh, wenn Schluss ist. Anders beim Beschicken der Maschine.
Ich empfinde es als wohltuend, mit der Maschine, statt mit meinen Kollegen umgehen zu müssen. Eine Menge Streit ist erspart. Der objektive sachliche Verlauf des Prozesses erübrigt Auseinandersetzungen, Dominanz- und Konkurrenzkämpfe.

Aber der Vorgang der Anpassung an die Maschine ist ein Akt der Mimikry oder eine Art von Identifikation mit einem überlegenen Aggressor, würde Adorno sagen. Um nicht im Kränkungsgefühl leben zu müssen, von einer unmenschlichen Macht beherrscht zu werden, gleicht man sich ihr an, tut so, also würde man sie beherrschen. Der Druck, das Tempo, kommt allerdings nicht unbedingt von der modernen Maschinerie, sondern von außen, dem Verwertungszwang, den Chefs, der Ökonomie.

Adorno hatte eine sehr körperdistanzierte Einstellung. Im Sport sah er vor allem die Gewalt. Eine körperliche Leistungsfähigkeit war verbunden mit dem Verwertungsinteresse des Kapitals, als Freizeitleistung Reproduktion dessen mit falscher Ideologie. Nun ist aber der Mensch ein körperliches Wesen, zu dessen Naturcharakter der Bewegungsdrang gehört und zu dessen Reproduktionsbedingungen Arbeit, d.h. körperliche Arbeit gehört. Die Menschen erleben sich als im Arbeitende als unvollkommen und defizitär aktiv. Deswegen treiben sie Sport. Gleichzeitig tendiert der Sport zu einer Verabsolutierung von Kraft und Größe: sinnlose Leistungen, erzeugt mit biologischer Optimierung, Doping, Marketing usw. Die Gewalt der Maschine und die Verwandlung in sie wird zu einem Ideal. Die Menschen im Sport bewegen sich zwischen Bewunderung und Bewundertwerden. Religiöse Haltungen werden reproduziert und Geldströme in Gang gesetzt. Im Zentrum steht der mit narzisstischer Libido besetzte Mensch, sei es als Idol oder als sich überlegen fühlender Aktiver. Es besteht keine Gleichheit zu ihm. Die Identifikation mit dem Helden will an seiner Überlegenheit partizipieren. Bestenfalls mag das kindliche Bedürfnis, geliebt zu werden, menschlich erscheinen.
Der aktive Breitensportler mag sich zwar im Umfeld dieser Momente bewegen, aber die Differenz ist der Unterschied zwischen Identifikation und Aktivität. Außerdem muss die positive Besetzung des eigenen Körpers, nicht die fantastisch übermäßige, eine positive zu anderen Menschen nicht ausschließen. Vielleicht ist sie sogar Voraussetzung.
Für den körperlich arbeitenden Menschen, gleichgültig ob er Teil eines lebendigen menschlichen Gemeinschaft ist, oder nur mechanisierter Teil der Maschinerie, ist die körperliche Aktivität ein Erlebnis von Anstrengung und Erfolg, Unlust und Lust. Die körperliche Erfahrung ist eine naturnotwendige und sie will gestaltet werden. Der Umgang mit Technik und die körperliche Arbeit sind Teil einer Autonomie auch in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, genauso wie der sportliche oder künstlerische Umgang mit dem eigenen Körper. Der Intelligenzkult glaubt ohne Körper auskommen zu können.
Die Kohle- und später Öl-Ökonomie hat den Anteil menschlicher Muskulatur und der im Vergleich zur intelligenten Maschine ineffizienten Intelligenz mehr und mehr überflüssig gemacht. Die Aufmerksamkeit des Menschen hat sich von seiner eigenen Aktivität in seine Sinnlichkeit, Sinnesorgane und Intelligenz verlegt. Der Körper verliert seinen aktiven motorischen Charakter, wenn es auch Revivals dessen im Ausdauersport geben mag, und wird zum ästhetischen Produkt für die Präsentation vor anderen durch Bodybuilding, -styling usw.

Das Auto
- spiegelt den Produktionsprozess, aus der unkontrollierbaren kapitalistischen Maschine wird die aktiv genutzte, der Fahrer darf sich im falschen Bewusstsein als Herr seiner Lebensbedingungen verstehen. In Wirklichkeit macht er sich dadurch umso abhängiger. Für sein Freiheitsbewusstsein im Zirkulationsbereich, in der Freizeit, wird er umso härter eingespannt in der Produktion. Der Zeitgewinn durch das Auto geht durch die Mehrarbeit verloren.
- spiegelt einen technisch individualisierten Wunschtraum, den des perpetuum mobile. Eine falsche Utopie von den geistig Arbeitenden als Mittel zur Entwertung von Arbeitskraft benutzt: körperliche Arbeit ist nur eine historisches Überbleibsel, antikes Relikt für defizitäre Existenzen: „Bildungsferne“ und „Minderbegabte“. Dazu gehören auch die Utopien von Atomkraft, den üppig sprudelnden Quellen der Solarkraft etc.
- ist ein Ausdruck gesellschaftlicher Konkurrenzfähigkeit und zugleich Partizipation an gesellschaftlicher Dominanz und Ausübung von Gewalt, sei es mit Lärm, Flächenverbrauch oder Körperverletzung. Wer keines hat, ist nicht wirklich ernst zu nehmen. In den Zügen sitzen die Behinderten, „sozial Schwache“, shoppende Jugendliche, Auszubildende, Ältere, Exzentrische. Gleichzeitig werden nicht nur die Ressourcen der Welt ausgebeutet, sondern alle jene in Nachteil gesetzt, die militärisch und ökonomisch hinterher sind.
- überdeckt das hässliche und demütigende Bild des unterworfenen, sich anstrengenden, vielleicht schwitzenden Arbeiters. Wer kein Auto hat, der schleppt, der geht, muss eventuell rennen. Im Auto ist der Mensch Herr. Er wird nicht kommandiert, sondern gibt die Kommandos.
- Beim Autofahrer wird hinter dem homo oeconomicus ein anderer Menschentyp sichtbar: der motorisch imponierende, der dafür keine Kosten scheut. Verstand und Vernunft sind weitgehend außer Kraft gesetzt, ökologische, humane, finanzielle Maßstäbe gelten nicht mehr. Es gilt die Herrschaft von drängenden Impulsen: das Image, der Bewegungsdrang, die Konkurrenz usw. Im vernünftigen Lichte betrachtet ließen sie sich nicht durchsetzen. Aber der individualisierte Mensch bedarf keiner vernünftigen Reflexion; es reicht, wenn er etwas will. Die so vollzogene
Dissozialität hat kollektives Niveau.

Mit dem Ende einer Ölökonomie gäbe es die Möglichkeit einer aktiven Gestaltung der Zukunft: Bescheidenheit, Sparsamkeit, Kombination von geistiger und körperlicher Arbeit, neue intelligente Technologien, alternative Technik usw. – Ist natürlich Pustekuchen. Stattdessen werden die reichen „Nationen“ ihre Energie aus der Sklavenarbeit der Dritten Welt gewinnen: Biosprit aus Brasilien, Biogas in Europa mit Verknappung der internationalen Lebensmittelressourcen für die „Unterentwickelten“ – das europäische Vieh wird mit ihren Lebensmitteln gefüttert. Die barbarisch geförderte chinesische Kohle ist jetzt ja schon der Grundlage vieler europäischer und amerikanischer Produkte. Die körperliche Arbeit jetzt schon weitgehend in den „Händen“ der Immigranten wird in Billiglohnländer übertragen. Bis die vielleicht eines Tages entdecken, dass sie so dumm auch nicht sind.

11.8.07

IG METALL AUSWEGLOS VERSTRICKT

Die IG Metall galt in den 60er-Jahren als Bastion der Linken, unterstützte den SDS finanziell. Heute ist sie durch ihre Exportkraft – 45% aller Autos werden exportiert, 10 % der Gesamtexporte -, die durch sie gebildete Arbeiterhierarchie, die ihre umweltkriminellen Produkte zum Zentrum der Korruption geworden. Kein Zufall die VW-Betriebsratsaffäre, Steinkühler im Korruptionskartell, und Riester als einer der höchst nebenverdienenden Bundestagsabgeordneten. Die Arbeiter bei Opel, VW, Mercedes stehen zwar unter Druck, aber im Verhältnis zu denen der Zulieferer, sind sie privilegiert. Alte Geschichte und noch kein Grund zu jammern. Doch es geht um die öffentliche Bilder, die daraus produziert werden: der Arbeiter, der Malocher am Band, der Autos produziert, der ganze Käse von Monotonie, kleine private Ecken, gruselige Arbeitsromantik. Arbeiterelite. De facto ein verfettetes und sprachunfähiges Klientel, Objekt ihrer Patrone von Gewerkschaften und Betriebsräten. Bodenhaltung. Pfeifen und Sprüche beklatschen.
Mit dem Autokult wird Politik gemacht: freie Fahrt für freie Bürger. Umwelt, Vernunft, Ökonomie interessiert nicht. Der Globalisierungsgewinn Deutschlands beruht zum größten Teil auf dieser Autoindustrie, ohne dass die IG Metal dazu Distanz erkennen lässt. Es wird ihr nie in den Sinn kommen. Lieber Indianerprojekte im brasilianischen Regenwald.
Das Auto ein Teil der 68er-Bewegung, die Bürofraktion des SDS, die im Mercedes rumfährt, diese Idioten von Entebbe, Corbuccifans. Später die Motorräder. Welchen revolutionären Gehalt hat das gehabt? Power, Bewegung, Schlägerei, Randale, „Widerstand“, Knarre? Auto als Basis sexueller Potenz und Beziehungen, Unterstreichung revolutionärer Phraseologie?

Man stelle sich vor: die Arbeiter auf dem Weg zur Arbeit in Bus, Bahn und Straßenbahn. Dieses Erlebnis von individueller Unterordnung und kollektiver Ohnmacht gegenüber Fahrplänen, Fahrzeugführern und Zeitverbrauch. Das Leben würde vielleicht einen Sinn verlieren, vielleicht aber einen anderen sich suchen müssen.
Man muss das Auto innerhalb der faschistischen Geschichte erfassen. Da dürfen sich die Arbeiter bis 1914 als geistig und körperlich Arbeitende verstehen, als Subjekte eines produktiven Prozesses und sie machen endlich – nach vielen Kompromissen – die Revolution 1918. Dann werden sie politisch und ökonomisch zermürbt durch die deutsche Rechte, die Inflation, Weltwirtschaftskrise. Der Faschismus richtet den geschundenen Arbeiterkörper wieder auf durch seine Paraden, den Massensport, die Militarisierung, Perspektiven einer umfassenden Motorisierung, die Militärtechnologie, das arme Ich bekommt Gewehr, Krad und Panzer. Am Ende des Krieges physisch und moralisch zerstörte Männer. Der Aufbau geht in die Wiederherstellung des beschädigten Arbeiters, zuerst das Fressen, dann das Auto. Sein Panzer ersetzt den faschistischen Charakterpanzer, lässt darunter individuelle Freiheiten zu, ersetzt aber auch die beschädigte Identität, tröstet weg über Bedeutungslosigkeit, Ohnmacht. Die gesellschaftliche Gewalt im Faschismus nur identifikatorisch angeeignet, wird im Auto zur real vollziehbaren. Die Zahl der Toten könnte der eines Bürgerkriegs entsprechen.
Unkontrollierte Triebimpulse, ein phantasiertes Selbstbild – wie sie im Autofahren durchscheinen – gehören eher zu Pubertierenden. Sie werden von der Werbung gerne bedient: der Adler, der Tiger usw. - Ein Reifeprozess ist nicht abgeschlossen, Grenzen werden nicht erkannt: Ein Leben auf einer Ausbeutung fremder Energiequellen ist langfristig unmöglich und unehrlich, eine vorübergehende Show. Konkurrenz ist keine soziale Lebensform erwachsener Menschen, aber ein Existenzzwang in einer Gesellschaft, in der potentiell alles bedroht ist.
Derzeit betreibt die Gewerkschaft der Lokomotivführer, angeführt von einem Autonarr Schell, zusammen mit den neoliberalen Privatisierern die Zerstörung des öffentlichen Verkehrs. Ein objektivierend schwätzender O. Negt
kommentiert das anscheinend kenntnisreich, ohne auf diesen Prozess der Zerstörung von Öffentlichkeit auch nur mit einem Wort Bezug zu nehmen.

7.8.07

R. Hilberg, Arendt und Moral


Wenn man die deutschen Nachrufe auf seinen Tod liest, so muss er für die Deutschen ein sehr angenehmer Holocaustforscher gewesen sein. Sein österreichischer Akzent, diese Betonung der Bürokratie, die Ableitung aus den Akten, nicht aus den perversen Gefühlen abscheulicher Deutscher.
Und mit Hannah Arendt dürfen sich die Deutschen mit ihrer Banalität entschuldigen lassen.
Da waren die Fahrpläne, an die sich die Zugführer in ihrer Pflichterfüllung gehalten haben, - der Holocaust war nicht von an Anfang an gewollt, es hat sich ergeben. Das Böse hat kein Gesicht, es kann das Gesicht jedes Menschen annehmen.
Zu Recht und Unrecht ist dagegen Kritik formuliert worden. In der Bürokratie macht jeder seinen Job, wie von oben verlangt, rational ohne menschlich missleitende Gefühle. Es ist eine der von Elias so gelobten Zivilisationserrungenschaft. Ohne diese Bürokratie wäre eine modern funktionierende Gesellschaft nicht denkbar.
Doch hätte hier die Kritik Hilbergs offensiv weitergehen sollen. Seine Kritik oder Ratlosigkeit hat in der Kühle der Analyse, einer leichten Ironie negativ durchgescheint.
Die Bürokratie setzt das Funktionieren der Individuen und ihre Unterwerfungsbereitschaft darunter voraus, wie sie die Bomberflieger in der Flugzeugkanzel, die Lokomotivführer, die Ersteigerer, die Schnäppchenmacher, die Autofahrer besitzen. Um in diesen Status der Unmenschlichkeit, der sozialen Maschinerie und Mechanik anzukommen, gibt es in jedem Leben eine Geschichte. Eine Geschichte des Abbruchs von Gefühlen für andere Menschen.Diese Geschichte zu schreiben, vielleicht eine kollektive deutsche, wäre vielleicht relevanter als die einer von Faschisten benutzten Bürokratie.