Was ist die spezifische Erfahrung, die die Arbeiterklasse von der bürgerlichen unterscheidet?
Wesentlich die Erfahrung von gesellschaftlicher Unterlegenheit, Ausgegrenztheit und Ohnmacht. „Wir da unten, die da oben“ hieß das einmal. Inzwischen ist diese Erfahrung durch die Individualisierungsprozesse in Schule und Betrieb zu einer Erfahrung von „Ich da unten, Ihr da oben“ geworden. Den Arbeitern wird durch beständige Drohung von Entlassung, durch die Lohnentwertung und die Lohnherabsetzung in Tarifverträgen gezeigt, dass man auf sie verzichten kann. Die, die sich relativ sicher fühlen können, sind es durch die Institutionen des Sozialstaats, Kündigungsschutzgesetzen, tariflichen Regelungen auf quasistaatlichen Ebenen, auf denen Arbeiter nur als Protestmaterial eingesetzt werden, aber keinen aktiven Einfluss nehmen. Die Selbsteinschätzung als gesellschaftlich bedeutungs- und einflusslos teilen die Arbeiter mit den Angestelltenschichten, die anders als die Wortführer der Mittelschicht nicht die Marktflexibilität und materielle Ressourcen besitzen um gegenüber ökonomischen Prozessen souverän zu sein.
Dieser Ohnmachtserfahrung wird gegengesteuert durch Identifikationen, wie sie dem friedensliebenden Gemüt von den bürgerlichen Institutionen dem unglücklichen Individuum angeboten werden: die Phrasen der Marktwirtschaft, über den unvermeidlichen technischen Fortschritt, die Notwendigkeit von Führung und Selektion und die hohe Bedeutung individueller Verantwortung.
Die gesellschaftliche Defiziterfahrung, also die von eigener Minderwertigkeit, Erfahrung von Ablehnung bis hin zur Verachtung, die Erfahrung Incommunicado zu sein, also einer, mit dem man nicht spricht, dem man nur Befehle erteilt, führt zu einer Verarbeitung, zu einer Reaktion. In der Regel ist das der Rückzug aus der Öffentlichkeit, aus dem bürgerlichen Diskurs, auch der Demokratie. Die Erfahrung, dass andere die gleiche teilen, wird durch die bürgerliche Öffentlichkeit und ihre Medien verhindert – ist ja ihre eigene Schuld, ihr Problem, ihr Defizit – und es kommt soweit, dass die minimalen Differenzen zwischen den Arbeitern als Vor- oder Nachteil empfunden werden und die gegenseitige Identifikation und Solidarität verhindern.
Die Versuche, das mit politischem Klassenbewusstsein zu korrigieren, sind durch deren Formen der Elitenbildung und Gewalt unglaubwürdig geworden.
Was bleibt, ist Skepsis, bis hin zu einem negativistischen Ressentiment, gegenüber allen Führern, Politikern und eine stille Weigerung, sich an deren Geschäften zu beteiligen.
Die bürgerliche Pädagogik und Psychologie definieren das als Misserfolgserwartung und negative Einstellung, die durch Passivität und Misstrauen die Resultate mitbewirkt, die sich dann in einer selffulfilling prophecy real einstellen. In diesen Theoremen wird individuellem Handeln unterstellt, es könne die Klassenlage verändern. (Aber von „Klasse“ darf man ja nicht reden, das ist „Ideologie“).
VOM SOZIALEN ZUM PHYSISCHEN TOD
Der Arbeiter erfährt durch diverse Qualifkationsprozesse seinen sozialen Tod. Zuerst hat er in der Schule nachzureden, was ihm vorgesagt wird. Wenn ihm das nicht glückt, wird er nach und nach zu einem, der nicht mehr gefragt wird und nicht mehr gefragt ist. Aus der Öffentlichkeit verschwindet er als Erfolgloser ohnehin, denn die Menschen interessieren sich nicht für die Fehler- und Mangelhaften. Das ist ein natürliches Gesetz der Evolution, einer Parodie des sich ständig revolutionierenden und weiterentwickelnden Kapitalismus. Gefragt ist Pfiffigkeit und Cleverness. Beim körperlich Arbeitenden wird nach und nach seine soziale Existenz überflüssig. Schon vom Chef gegrüßt zu werden, wird rar. Auch die eigenen Kinder merken bald, dass es kompetentere als die eigenen Eltern gibt. Wer noch bei etwas Verstand ist, weiß, dass es zu Geschichte und Sein nicht wirklich Intelligentes zu sagen gibt und das, worauf man als Eigentümer noch die Hand drauf hält, eine vorübergehende Beziehung ist. Als Teil einer Maschine mag man noch andere beeindrucken und das Gefühl von Bedeutung und Nutzen haben, aber sobald dieses Kapitel abgeschlossen ist, verkriechen sich die zu Rentnern gewordenen Arbeiter vollends in die Sprachlosigkeit. Der Körper, der nicht mehr gebraucht wird, zerfällt.
Die Lebenserwartung der gering Verdienenden liegt um 6 bis 10 Jahre niedriger – abhängig von der Klassifikation – gegenüber den besser Verdienenden.
Indem die Geringverdiener früher sterben, erweisen sie den Besserverdienenden einen nützlichen Dienst und subventionieren deren Renten und Pensionen. Die Gesellschaft könnte ihnen zumindest mit einer Plakette auf dem Grabstein danken. „Danke für den frühen Tod. – Der Bundespräsident im Namen der Besserverdienenden.“
SOZIALE ISOLIERUNG
gehört in diesen Zusammenhang. Die Gesellschaft, im aktuellen Fall die über Konsum und Qualifikation kapitalistisch strukturierte, grenzt die potentiell Nutzlosen aus ihrer Kommunikation aus. Da man sie dank Chinesen, Öl und Maschinen nicht mehr braucht, lässt man sie mit Sozialhilfe vergammeln. Das gibt ihnen zu fühlen, wie abhängig, gnädig und wohlwollend sie vom Sozialstaat behandelt werden.
Rebellen, die ihre linke politische Haltung nicht im Zusammenhang bürgerlicher Individualisierungsspielchen, sei es etwa Antifa oder Antideutsch, ausagieren, können sich als aussichtslos, bedeutungslos, negativistisch usw. ohnehin vergessen.
EIN NEUER
Seit einigen Tagen mit einem neuen Mitarbeiter konfrontiert, Ersatz für den Vorarbeiter, klanglos abgegangen ist. Ich nehme es ihm nicht übel.
Ich habe versucht, den Neuen anzusprechen. Wie denn die Arbeit wäre, ob es nicht anstrengend wäre, 8 Stunden lang zu hetzen. Aber er war nur kurz angebunden, er hätte vorher 16 Stunden am Tag gearbeitet, da wäre das keine Kunst. (Gescheiterter Selbständiger?). Und dann hatte er es eilig. Am Abend ergibt sich dann auch keine Gelegenheit mit ihm zu sprechen, weil er erst nach Arbeitsende im Umkleideraum auftaucht und ich dann schon bei der Stempeluhr bin. Auf Pünktlichkeit lege ich Wert. Inzwischen, nachdem ich sehe, wie er hetzt und springt, wie er – wahrscheinlich eingelernt durch den alten Vorarbeiter – die Maschinen unsinnig belädt, habe ich auch kein Interesse mehr, mit ihm viel zu reden. Ich trau ihm nicht. Meine Tage habe ich ohnehin schon gezählt.
Wie soll Solidarität möglich sein?
Wesentlich die Erfahrung von gesellschaftlicher Unterlegenheit, Ausgegrenztheit und Ohnmacht. „Wir da unten, die da oben“ hieß das einmal. Inzwischen ist diese Erfahrung durch die Individualisierungsprozesse in Schule und Betrieb zu einer Erfahrung von „Ich da unten, Ihr da oben“ geworden. Den Arbeitern wird durch beständige Drohung von Entlassung, durch die Lohnentwertung und die Lohnherabsetzung in Tarifverträgen gezeigt, dass man auf sie verzichten kann. Die, die sich relativ sicher fühlen können, sind es durch die Institutionen des Sozialstaats, Kündigungsschutzgesetzen, tariflichen Regelungen auf quasistaatlichen Ebenen, auf denen Arbeiter nur als Protestmaterial eingesetzt werden, aber keinen aktiven Einfluss nehmen. Die Selbsteinschätzung als gesellschaftlich bedeutungs- und einflusslos teilen die Arbeiter mit den Angestelltenschichten, die anders als die Wortführer der Mittelschicht nicht die Marktflexibilität und materielle Ressourcen besitzen um gegenüber ökonomischen Prozessen souverän zu sein.
Dieser Ohnmachtserfahrung wird gegengesteuert durch Identifikationen, wie sie dem friedensliebenden Gemüt von den bürgerlichen Institutionen dem unglücklichen Individuum angeboten werden: die Phrasen der Marktwirtschaft, über den unvermeidlichen technischen Fortschritt, die Notwendigkeit von Führung und Selektion und die hohe Bedeutung individueller Verantwortung.
Die gesellschaftliche Defiziterfahrung, also die von eigener Minderwertigkeit, Erfahrung von Ablehnung bis hin zur Verachtung, die Erfahrung Incommunicado zu sein, also einer, mit dem man nicht spricht, dem man nur Befehle erteilt, führt zu einer Verarbeitung, zu einer Reaktion. In der Regel ist das der Rückzug aus der Öffentlichkeit, aus dem bürgerlichen Diskurs, auch der Demokratie. Die Erfahrung, dass andere die gleiche teilen, wird durch die bürgerliche Öffentlichkeit und ihre Medien verhindert – ist ja ihre eigene Schuld, ihr Problem, ihr Defizit – und es kommt soweit, dass die minimalen Differenzen zwischen den Arbeitern als Vor- oder Nachteil empfunden werden und die gegenseitige Identifikation und Solidarität verhindern.
Die Versuche, das mit politischem Klassenbewusstsein zu korrigieren, sind durch deren Formen der Elitenbildung und Gewalt unglaubwürdig geworden.
Was bleibt, ist Skepsis, bis hin zu einem negativistischen Ressentiment, gegenüber allen Führern, Politikern und eine stille Weigerung, sich an deren Geschäften zu beteiligen.
Die bürgerliche Pädagogik und Psychologie definieren das als Misserfolgserwartung und negative Einstellung, die durch Passivität und Misstrauen die Resultate mitbewirkt, die sich dann in einer selffulfilling prophecy real einstellen. In diesen Theoremen wird individuellem Handeln unterstellt, es könne die Klassenlage verändern. (Aber von „Klasse“ darf man ja nicht reden, das ist „Ideologie“).
VOM SOZIALEN ZUM PHYSISCHEN TOD
Der Arbeiter erfährt durch diverse Qualifkationsprozesse seinen sozialen Tod. Zuerst hat er in der Schule nachzureden, was ihm vorgesagt wird. Wenn ihm das nicht glückt, wird er nach und nach zu einem, der nicht mehr gefragt wird und nicht mehr gefragt ist. Aus der Öffentlichkeit verschwindet er als Erfolgloser ohnehin, denn die Menschen interessieren sich nicht für die Fehler- und Mangelhaften. Das ist ein natürliches Gesetz der Evolution, einer Parodie des sich ständig revolutionierenden und weiterentwickelnden Kapitalismus. Gefragt ist Pfiffigkeit und Cleverness. Beim körperlich Arbeitenden wird nach und nach seine soziale Existenz überflüssig. Schon vom Chef gegrüßt zu werden, wird rar. Auch die eigenen Kinder merken bald, dass es kompetentere als die eigenen Eltern gibt. Wer noch bei etwas Verstand ist, weiß, dass es zu Geschichte und Sein nicht wirklich Intelligentes zu sagen gibt und das, worauf man als Eigentümer noch die Hand drauf hält, eine vorübergehende Beziehung ist. Als Teil einer Maschine mag man noch andere beeindrucken und das Gefühl von Bedeutung und Nutzen haben, aber sobald dieses Kapitel abgeschlossen ist, verkriechen sich die zu Rentnern gewordenen Arbeiter vollends in die Sprachlosigkeit. Der Körper, der nicht mehr gebraucht wird, zerfällt.
Die Lebenserwartung der gering Verdienenden liegt um 6 bis 10 Jahre niedriger – abhängig von der Klassifikation – gegenüber den besser Verdienenden.
Indem die Geringverdiener früher sterben, erweisen sie den Besserverdienenden einen nützlichen Dienst und subventionieren deren Renten und Pensionen. Die Gesellschaft könnte ihnen zumindest mit einer Plakette auf dem Grabstein danken. „Danke für den frühen Tod. – Der Bundespräsident im Namen der Besserverdienenden.“
SOZIALE ISOLIERUNG
gehört in diesen Zusammenhang. Die Gesellschaft, im aktuellen Fall die über Konsum und Qualifikation kapitalistisch strukturierte, grenzt die potentiell Nutzlosen aus ihrer Kommunikation aus. Da man sie dank Chinesen, Öl und Maschinen nicht mehr braucht, lässt man sie mit Sozialhilfe vergammeln. Das gibt ihnen zu fühlen, wie abhängig, gnädig und wohlwollend sie vom Sozialstaat behandelt werden.
Rebellen, die ihre linke politische Haltung nicht im Zusammenhang bürgerlicher Individualisierungsspielchen, sei es etwa Antifa oder Antideutsch, ausagieren, können sich als aussichtslos, bedeutungslos, negativistisch usw. ohnehin vergessen.
EIN NEUER
Seit einigen Tagen mit einem neuen Mitarbeiter konfrontiert, Ersatz für den Vorarbeiter, klanglos abgegangen ist. Ich nehme es ihm nicht übel.
Ich habe versucht, den Neuen anzusprechen. Wie denn die Arbeit wäre, ob es nicht anstrengend wäre, 8 Stunden lang zu hetzen. Aber er war nur kurz angebunden, er hätte vorher 16 Stunden am Tag gearbeitet, da wäre das keine Kunst. (Gescheiterter Selbständiger?). Und dann hatte er es eilig. Am Abend ergibt sich dann auch keine Gelegenheit mit ihm zu sprechen, weil er erst nach Arbeitsende im Umkleideraum auftaucht und ich dann schon bei der Stempeluhr bin. Auf Pünktlichkeit lege ich Wert. Inzwischen, nachdem ich sehe, wie er hetzt und springt, wie er – wahrscheinlich eingelernt durch den alten Vorarbeiter – die Maschinen unsinnig belädt, habe ich auch kein Interesse mehr, mit ihm viel zu reden. Ich trau ihm nicht. Meine Tage habe ich ohnehin schon gezählt.
Wie soll Solidarität möglich sein?