15.10.08

URSACHEN DER FINANZKRISE

  1. Übergreifender Grund liegt in der Wertabstraktion durch das Geld. Dabei wird die gesellschaftliche Arbeit als abstrakte Größe dargestellt, die ihre Beziehung zur Produktion nicht mehr erkennen lässt. Als Geldfetisch scheint es unabhängig über der Produktion von Waren zu schweben, ja diese sogar als Verwertungsstimulus zu dominieren und in Gang zu setzen. Finanzsystem und produktiver Sektor scheinen auseinander zu fallen, sich verselbständigen zu können. In den Krisen, nämlich dann wenn Geld nicht wieder in Ware, also reelle Gebrauchswerte, umgetauscht werden soll, bricht der Schein des Geldfetischs zusammen. Auch der Schein, dass das Geld durch den Zins selbst produktiv sein könne.
    Ursachen der jetzigen Krise sind mehrere:
  2. - es gibt zuviel Liquidität durch: überteuerte Produkte, hohe Gewinne, mangelnde Konkurrenz, Monopole, Managergehälter, Gelder durch Ölgewinne ohne Produktion, Kapitalisierung der Renten und Pensionen –
    - dann auf dem Finanzmarkt durch Derivatsysteme aufgeblähte Geldmenge, aufgeblähter Geldverleih ohne adäquate reale Gegenleistung in der Gegenwart.
    - das Derivatsystem verschiebt die Produktionsverpflichtung, die durch die Verschuldung eingegangen wird, immer mehr in die Zukunft, der Gewinn eilt sozusagen der Zeit voraus. Durch die Optionen auf langfristig erwartbare Profite, Wetten auf die Zukunft wird scheinbar die Zirkulation beschleunigt, aber ohne dass der Umschlag im produktiven Sektor genauso schnell erfolgt.
    - wachsende Liquidität durch zu niedrige Zinsen. In den USA sollten die niedrigen Zinsen die Konjunktur beleben, die Klassen- und Einkommensunterschiede verschleiern. Weltweit gibt es infolge der keynesianischen Politik eine Verschuldung ganzer Volkswirtschaften. Die USA betreiben diese keynesianische Politik mit ihren Kriegen. Die dadurch verursachte Verschuldung muss jetzt international bezahlt werden.
    - im Verhältnis zur angewachsenen Liquidität gibt es nicht genügend profitable Anlagemöglichkeiten in der Produktion, hier wirkt der tendenzielle Fall der Profitrate
    - steigende Energiekosten schränken die Profitabilität der Produktion ein, die erwarteten Zinsen können nicht realisiert werden, peak oil macht sich bemerkbar
    - genauso schränken steigende Sozialkosten die Profite ein, erhöhen die Kosten der Produktion. Sozialkosten werden verursacht durch Arbeitslosigkeit, Krankheitssektor, Erziehung und Bildung, Rente und Pflege. Dazu gehören auch die Kosten einer teuren Mittelklasse, die notwendig ist, um zwischen herrschender und arbeitender Klasse zu vermitteln, eine Scheinwelt des Individualismus vorzuspielen, den Schein von Demokratie, die Aufrechterhaltung von bürgerlichen Motivationen und Orientierungen.
  3. Eine permanente Inflation bedingt durch Staatsverschuldung (deficit spending) zwingt zur ständigen Suchen nach profitablen Anlagen. Eine grundlegende ökonomische Unsicherheit für alle Schichten bewirkt einen Hang nach Sicherheit: Sparen für die Zukunft. Diese Sparsamkeit zerreißt aber gerade den Zusammenhang zwischen Produktion und Konsumtion, zwischen Geld und Ware. Ökonomien, die wie ökologisch auch immer brutal destruktiv oder nachhaltig, den Kreislauf zwischen Produktion und Konsumtion kurz halten, sind weniger gefährdet. In Spanien etwa wird wenig gespart, die Hypothekenlast ist immens. Der Zustand ist (sehr!) labil, aber solange die Menschen arbeiten und ackern, um ihre Schulden zu bedienen, boomt die Wirtschaft. Die Verschuldung ist ein notwendiger Stimulus der kapitalistischen Wirtschaft und wirkt politischer effizienter als Normenerhöhung, Jahrespläne, Zwangsbewirtschaftung wie in den ehemals „sozialistischen“ Ländern. Die Individuen dürfen von einem kleinen Vorteil träumen und spüren nicht, wie sie durch den Verwertungszwang des Kapitals angepeitscht werden.


Welche Lösungen gibt es für die Kreditkrise?
- Kapitalistische und kurzfristige wirkende staatliche Intervention:
Geldmengen mit Warenmengen durch Staatsverschuldung, also Inflation und höhere Steuern, in Übereinstimmung bringen. Abzahlen der faulen Kredite und Gewinne durch die Arbeiterklasse. Der Kapitalismus wird sich auf einem primitiveren Lebensniveau reproduzieren. Die Aneignung von Mehrwert und die Klassenverhältnisse werden wie auch immer krisenhaft fortgesetzt.

- Staatskapitalistische und staatssozialistische Lösungen
Begrenzung der Liquidität durch Begrenzung von Gewinnen und Spitzengehältern, Kontrolle der Gewinne aus dem Energiehandel.
Regulierung der Konvertibilität, Abkoppelung von Öl und internationalen Märkten (Integration nur bei möglicher sozialer Kontrolle der Märkte).
Sicherung der Zukunftserwartungen bei Renten durch Grundeinkommen und Arbeitsgarantie statt durch Konsumzurückhaltung und Sparen.
Disproportionalitäten zwischen Sektoren verhindern: produktiv – konsumtiv, „sozial“ – produktiv etwa Arbeitszeitverteilung, Abbau der Mittelklasse durch Bildung, „demokratische“ Betriebsstrukturen, Beteiligung durch Politisierung, integrierende Erziehung statt selektierender und desintegrierender.

- Sozialistische:
Sind eigentlich keine absehbar. Es gibt keine autonomen Produktions- und Lebensgenossenschaften. Sie bleiben Gedankenmodelle, sind bestenfalls im Randbereich von Kommunen, Sekten, im privaten Bereich (Gärtnern, nachhaltiges Wirtschaften, ökologisches Verkehrs- und Verbraucherverhalten) als mehr oder weniger fantasiegebundene Spielchen möglich.
Weiterhin mögliche bleibt eine moralische Kritik, die sich an Kriterien einer Basisdemokratie, des Werts der Arbeit, der Ökologie orientiert, die aufklärt über die Beziehungen zwischen Ressourcen, Bedürfnissen und kapitalistischer Produktion.

Ganz groß tönt jetzt Kurz; er hat es ja immer schon gewusst. Um Alternativen braucht er sich nicht zu bemühen. Angesichts der Aussichtslosigkeit, dass Alternativen jenseits von Kapitalismus überhaupt andiskutiert werden, ist das ja nicht unclever. Er würde sich ja selber sofort schwach und angreifbar zeigen, würde er wie auch immer leise einen Vorschlag machen. Das ist aber das Problem der Marxisten: sie wollen genauso unangreifbar und stark aussehen wie die herrschende Meute. Sie sind eben durch und durch bürgerlich. Von ihnen ist nichts zu erwarten. Kein Wunder, dass die Diskutanten dann abdrehen mit dem Gedanken, dass aus der Ecke auch nichts zu erwarten ist. – Wenn Kurz sagt:

„Erforderlich wäre eine autonome soziale
Gegenbewegung jenseits des nationalen Rahmens, die sich die Lebensinteressen
nicht von den Krisenverwaltern ausreden lässt, und die jede soziale,
geschlechtliche, ethnische oder "rassische" Ausgrenzung radikal negiert.“
(
Telepolis)

so ist das so nichtssagend wie die Predigt eines Pfarrers über Gnade und Heilserwartung. Und wie in der Kirche mündet es in eine gläubige Gemeinde, die brav Sprüche nachbetet und sich um praktische Konsequenzen nicht mehr kümmert. Die einzige Praxis, die daraus folgt, ist zur Gemeinde dazuzugehören oder nicht. Das wurde ja bei den diversen linken Parteien in aller Brutalität durchgespielt.
Falsch halte ich ohnehin, dass eine Krise den Kapitalismus allein zerbrechen kann. Er wird sich auf einem einfachen Niveau wieder reproduzieren. Wie nach dem zweiten Weltkrieg. Zwar mögen die Leute hungern, aber das wird sie motivieren, umso mehr zu schuften. Ohne Öl wird es wieder genug Arbeit geben und damit profitable Anlagemöglichkeiten. Man kann einwenden, dass das politische System an die Garantie eines gewissen Wohlstandsniveau gebunden ist und wenn das nicht erreicht wird, ein Umdenken stattfindet – so wie jetzt die Forderung nach Verstaatlichung der Banken überhaupt nicht mehr lächerlich ist. Aber auch wenn die Mittelklasse – Politiker, Journalisten, Kultureliten etc. – umdenkt, um sich als führende Klasse zu erhalten, so werden auch in einem Staatskapitalismus die Klassenverhältnisse als solche erhalten bleiben

9.10.08

WAR MARX EIN GESCHICHTSOPPORTUNIST?

Marx gab bewusst keine Handlungsanweisungen, da er an eine Art naturwüchsiger Entwicklung der Gesellschaft glaubte – auch wenn er politisch immer versucht hat, auf diese Geschichte in interpretierender, politisierender Weise Einfluss zu nehmen.
Was ist aber, wenn sich als Sozialgeschichte nicht eine immer höhere Rationalität im Sinne Hegels, also soziale „Vernunft“ durchsetzt, sondern eben die Macht und Beherrschung der Menschen durch den Wert – weil mit dem Anwachsen der Technik auch die Mittel anwachsen, sich durch Technik die Macht zu erhalten.
Kann man also mit Marxens Kategorien wirklich optimistisch in die Zukunft blicken?
Was gibt seine Analyse her? Triviales vielleicht, etwa dass der Wert alles zerfrisst, alles käuflich, verwertbar und ausbeutbar macht und sich die Menschen in dem Zwang sich vergesellschaften zu müssen dem unterwerfen.
Gibt es eine andere Perspektive als die kapitalistische in Marxens Perspektive?
Eigentlich nicht. - Gut, es gibt Krisenelemente. Die Rebellion des Gebrauchswerts gegen den Tauschwert, die Entwertung des Kapitals durch die Krisen, die materielle Grundlage der Produktion bricht weg, neue Verteilungskämpfe müssen durchgestanden werden. Das klingt ja schon in dem von den Ml´rn gerne gelesenem „Lohn, Preis und Profit“ an, oder in seinen Ausführungen über den 10- oder 8- Stunden Tag. Das meint wohl: der Kapitalismus ist flexibler als man denkt. Da ist einiges drin, ohne dass das System dabei kaputtgeht und die Sozialisten sollen sich darin anstrengen, bis an die Grenzen des Systems zu gehen. Dabei freilich machen sie - ohne es zu wollen – das System immer perfekter. Perfekter in dem Sinne, nicht dass Krisen ausbleiben, sondern dass das System eindimensionaler wird. Derart, dass die Menschen sich nicht einmal fragen, warum sie ein System ändern sollen, in dem es doch allen mehr oder weniger gut geht.

Trotz der Darstellung der Verwertung als ständig krisenhaftem Prozess bleibt schlussendlich – sehen wir jetzt mal von den bei Marx unausgeführten Konzepten der Verelendungstheorie, Imperialismus- oder Zusammenbruchstheorie ab –die Marxsche Theorie doch eine Anpassungstheorie. Der Fortschritt besteht in der besseren Anpassung ans ökonomisch notwendige oder günstige vermittelt durch immer neue Krisen. Die Wirtschaft läuft wie das Wasser der Schwerkraft nach immer dahin, was ökonomisch zweckmäßig ist und man kann dann mit Hegel sagen „Es ist so, wie es ist“. Oder: die Vernunft ist die Wirklichkeit, und dergleichen mehr. Ökonomisch heißt: Rationalisierung, ökonomischer Einsatz von Rohstoffen und Arbeitskraft, Einsatz von Intelligenz, die Schaffung und Ausbeutung neuer Bedürfnisse und Moden, die immer höhere Konzentration, die Monopolbildung, die wachsende Interdependenz der Welt, Weltmarkt, intelligente Konfliktbewältigung oder intelligenter Klassenkampf durch den Staat usw.
Marx hat versucht aus der inneren Logik des Verwertungszwangs und der gesellschaftlichen Antagonismen die zukünftige Entwicklung zu entwickeln. Aber alles, was sich aus seiner Darstellung der Widersprüche ergibt, ist deren vorübergehende Aufhebung auf höherem Niveau, neuerlichen Entwicklung der ursprünglichen Widersprüche und so weiter und so fort. Zwar begleiten Krisen diese Entwicklung, aber jede Krise produziert neue Lösungsmechanismen. Etwa indem heute der Kapitalverwertungsprozess eine immer intensiver werdende Indienstnahme der Individuen, der Natur für die „kalte Vergesellschaftung“ durch das Geld verlangt. (In Zimbabwe lässt sich sehen, wie davon die Existenz oder Nichtexistenz eines ganzen Landes abhängt.) Die Logik des Kapitalismus sieht den Sozialismus nicht vor.
Zu Zeiten der frühen Sozialdemokratie wurde geglaubt, der Weg zum Sozialismus führe über Monopolisierung zum Staatskapitalismus hin zum Staatssozialismus. Und viele Linke sahen die Zwangsbewirtschaftung im ersten Weltkrieg als ersten Schritt zum Sozialismus. Aber diese Art der „mixed economy“ wird immer noch vom Verwertungszwang beherrscht. Ganz abgesehen davon, dass sie fundamental antidemokratisch und antiegalitär ist, wie es ihre Varianten – der Leninismus, der Faschismus und letztlich auch die bürgerliche Demokratie – zeigen.
Am Beispiel von Robert Owen erörtert Marx im ersten Band des Kapitals die Möglichkeiten des Kapitalismus. Owen hatte in seiner Fabrik die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter wesentlich verbessert, etwa 10-Stunden-Arbeitszeit eingeführt. Mit dem Erfolg, dass sich die Produktivität wesentlich erhöht hat. (Darüber hinaus organisierte Owen Genossenschaften und eine auf Arbeitsgeld basierte Warenbörse – nicht unähnlich den Konzepten der
GIK)

Kann man den großen Systemwechsel erwarten? Gibt es nach dem Zusammenbruch und der Barbarei – die es ja weltweit schon gibt, siehe Afrika, Tibet, Birma, Gaza, Irak – etwas historisch Neues, das man Sozialismus nennen könnte?
Derzeit gibt es zwei Logiken. Einmal die der Kapitalverwertung mit dem Zwang zur Mehrwertbildung gleichgültig, wer sich diesen Mehrwert aneignet: Staat, Arbeiter oder Kapitalisten. Und dann einer Option mit sozialen und politischen Vorgaben und Zielstellungen. Beispiel: soziale Gerechtigkeit, Arbeitszeitverkürzung, Ökologie, Bildung, Kultur. Bei den letzten Beispielen wird klar, dass sich eine solche politische Vorgabe nur wieder unter den Bedingungen der Kapitalverwertung durchsetzt. Aber es sind solche außerhalb der Verwertungslogik. Politik, auch wenn davon dominiert, löst sich nicht in Kapitalismus auf.

Peak Oil etwa wird zur Folge haben, dass sich alles verteuert. Bestimmte Branchen werden ganz verschwinden. Nahrungsmittel werden auf Grund von fehlendem Dünger, teurerem Transport teurer und knapper. Löhne werden also sinken, da es weniger zu verteilen gibt. Die Produktion insgesamt wird sinken, da die menschliche oder tierische Arbeitskraft die Ölenergien nicht ersetzen werden können. Eine Depression kann die Folge sein und die wirtschaftliche Spirale wird wieder auf niedrigerem Niveau beginnen müssen. Vielleicht wird sich die Zirkulation reduziert werden, eine Entglobalisierung stattfinden. Vielleicht wird die Wirtschaft mit Inflation in Gang gehalten, mit Hilfe derer die Löhne gesenkt, die Schulden abgebaut werden. Steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise weisen in diese Richtung.
Der Übergang zu einer Nachölwirtschaft und ihre Gestaltung könnte eine politische Angelegenheit sein. Da die Beteiligten bis jetzt zumindest relativ bewusstlos in die Krise hineingehen – kaum vorwärtsweisende Fantasien – und die Sache nicht aktiv angehen, werden ökonomische Kurzschlusshandlungen („Rette sich wer kann“), private Bereicherungslösungen und Überlebensstrategien – „marktadäquates“ Handeln – vorwiegen.
Da die Linke das Problem weitgehend ignoriert, keine eigenen Konzepte entwickelt, werden die Verfechter des Marktes weiter die Zukunft bestimmen. Es wird also keine allgemeinen politischen Lösungen geben. Bestenfalls individuelle Einwände.