29.5.08

Sozialistischer Kapitalismus ? Flassbeck und Co

Im Umfeld der Linken, Albrecht Müller hört man öfter von Flassbeck, Exberater von SPD Regierung. Interessante Meinung etwa: Eine Gesamtwirtschaft kann sich nicht verschulden oder kann nicht sparen. Richtig dabei ist sicher, dass, was auf der einen Seite weggenommen wird, auf der anderen wieder auftaucht. Flassbeck, Müller usw. – eben der linke Keynesianismus glaubt aber, dass bei Belebung der wirtschaftlichen Kreisläufe – etwa durch höhere Löhne, Ausgaben für Konsum sich Kapitalismus, also wirtschaftliches Wachstum beliebig fortsetzen lässt. Läuft das gut gelenkt, ist Vollbeschäftigung möglich.
Soweit ich mich erinnern kann, wird von Marx das Problem im zweiten Band vom Kapital abgehandelt. Es geht um das Verhältnis von Produktion von Konsumgüter und Produktion von Investitionsgüter. Die beiden Abteilungen müssen im Gleichgewicht zueinander stehen. Am Ende ist es egal, von wem die Waren konsumiert werden: der herrschenden Klasse oder verdünnissiert von der arbeitenden Klasse. Je nach politischem Management haben wir dann entweder einen rechten oder linken Kapitalismus.
Marx sah das Problem des Kapitalismus eher darin, dass durch die Konkurrenz bedingt, über steigende organische Zusammensetzung des Kapitals die Profitrate tendenziell fällt. – An sich kein Problem, aber die Spielräume für Extraprofite werden immer enger. Die permanenten Revolutionen der Technik, der Konsumsphäre, der Bewegungen des Kapitals über die Welt, sind Resultat dieses Drucks zur Veränderung. Wo diese Innovationsfähigkeit ihre Grenzen hat, ist schwer zu sagen. Nach und nach werden alle Bereiche des Lebens dem Kapitalverhältnisse unterworfen, in Warenform gebracht, sei es menschliche Zuwendung, Bildung und Kultur oder Religion. Es ließe sich nun etwa hypothetisch annehmen, dass es zu dem Fall käme, dass alle menschlichen Bedürfnisse kapitalistisch befriedigt sind, und es keine Möglichkeit mehr gäbe, neue Produkte einzuführen, oder das Rohstoffe wie etwa Öl zu Ende gingen. Das würde natürlich soziale Krise bedeuten, aber nach den nötigen „Umwälzungen“ – weniger Menschen, ärmeres Leben, andere Verteilung – wäre auch ein Profitschöpfen auf einem primitiveren Niveau wieder möglich. Der Kapitalismus ist nun mal ein System von Verlierern und Gewinnern. Nach einer grandiosen Wertzerstörung wie etwa nach dem Weltkrieg kann das Akkumulations- und Bereicherungsspiel wieder munter von vorne beginnen.
Dennoch halte ich das Flassbecksche Modell von der endlosen Reproduktionsfähigkeit des Kapitalismus für falsch. Er sieht von seinen materiellen Voraussetzungen ab. Das sind einmal die Rohstoffe, andererseits die menschlichen Bedürfnisse, die miteinander in einem sinnvollen Verhältnis zueinander stehen müssen. Eine Verknappung des Öls wird eine Verknappung von Lebensmitteln, Verteuerung von Transport, Einschränkung des Handels und damit der Profitproduktion zur Folge haben – also Arbeitslosigkeit, soziale Krise und Konflikte.
Aber selbst, wenn man von dieser schwindenden materiellen Voraussetzung absieht, ist das nächste Problem einer keynesianisch gesteuerten Vollbeschäftigung die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, welche durch Technik etc. menschliche Arbeit immer mehr überflüssig macht. - Gut, würde Flassbeck jetzt sagen, dann müssen eben neue Bereiche in die Warenproduktion eingegliedert werden. Etwa Pflege alter Menschen, neue Dienstleistungen. Wie wird das finanziert? - Aus dem Mehrwert der profitablen Sektoren. Theoretisch kein Problem, ist eine politische Sache. Theoretisch kann der Mehrwert sogar unter die Arbeiter verteilt werden, der Kapitalismus dann unter scheinbar sozialistischen Bedingungen weitergeführt werden. Hauptsache, die Werterzeugung kann immer mehr ausgeweitet werden. Die profitabel erzeugten Produkte müssen schließlich nicht nur dingliche Güter sein, es können genauso „Dienstleistungen“ sein. Hauptsache, sie können verkauft werden und lassen sich als Mehrwert aneignen.
Obwohl dieses Vollbeschäftigungsmodell prinzipiell erfolgreich sein kann, verändert es doch an der Dominanz des Verwertungszwangs nichts.
Es ließen sich ökonomische Systeme denken wie derzeit am Milchmarkt mit der Milchquote. Das wäre aber ein wirklicher Systemwechsel. Merkwürdig, dass die linke Sozialdemokratie nicht auf dieser Schiene denkt. – Klar, sie hat Angst vor dem Vorwurf der Zwangsbewirtschaftung. Es müsste über Ressourcen und Verteilung diskutiert werden, ökonomische und gesellschaftliche Rationalität.

18.5.08

ZIMBABWE

Die Ereignisse in Zimbabwe schlagen ins Grauenhafte um. Mir zeigen sie die Zukunft der Menschheit. Gangs fallen über Dörfer her, die gegen die Regierung gestimmt haben, brennen Hütten ab, verprügeln die Menschen, schlagen sie tot, mit Stacheldraht, Schraubenzieher, Äxten. Eine Elite - jetzt abgekoppelt von dem globalen Warenstrom - finanziert das, antikoloniale und rassistische Ideologie im Munde. Einer der Initiatoren der Folterkampagne ist Mnangagwa, der sich wohl an seinen Landsleuten für die 1965 erlittene Folter rächt.

Wer Anstand hat, setzt sich für den Boykott der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika und der Olympiade in China ein. Mbeki unterstützt, was in Zimbabwe passiert, China liefert die Munition.

Vielleicht gibt das den deutschen Sympathisanten von China und Südafrika zu denken:
Gibson Nyandoro (Video des Guardian). (Viele Informationen auch hier.)

4.5.08

ILLUSIONEN

Die Generation der Facharbeiter stirbt aus. Sie wäre noch am ehesten der Idee einer an Autonomie orientierten sozialistischen Bewegung näher gekommen. Warum? Sie hat noch soviel Kenntnisse gehabt, mit der sie gesellschaftliche, technische und ökonomische Prozesse durchschauen konnte. Auf eine sehr vereinfachte Weise, aber praktisch orientiert und tendenziell universalistisch. Die eigene Arbeit war ein exemplarisches Modell für andere Vorgänge. So wie es bei einem Projektunterricht als Bildungsprogramm propagiert wird.
Das ist vorbei. Es war noch nie gut angesehen, spießig etc. Der Heimwerker – über ihn macht man sich heute lustig. (Ich gebe zu – manche Typen werkeln übel rum).
Oder der Kleingärtner. Ich bin in so einem Verein. Es stimmt schon; diese Mischung geht auf die Nerven. Ich kann die Ressentiments verstehen. Aber da war doch mehr dahinter: Ein Garten, Maschinen reparieren, zuhause ausbessern, selbst bauen. Diese Leute hatten nicht nur Ahnung von vielen Dingen, sie hatten deswegen auch ein politisches Interesse. Natürlich gezwungenermaßen, weil der Staat ihr Leben für Krieg und Frieden in der Hand hielt.
Was aber heute? Schaue ich mir meine Kollegen am Band an – was haben sie noch drauf? Professionell so gut wie gar nichts, es beschränkt sich auf ein paar Ritualien. Große Freude, wenn sie einen Fehler entdecken. Formal wird die Arbeit so gemacht, dass der Chef nicht klagen kann. Da aber auch er nicht wirklich durchblickt – im Großen Ganzen sind nur die externe Fachleute, Hunderte von Kilometern entfernt, kompetent – kann er an eigener Kompetenz nicht viel weitergeben. Fachlich am Qualifiziertesten ist bei mir der Vorarbeiter, aber er ist zu blöde, um Abläufe wirklich rational zu machen, er befriedigt sich mit Klugscheißereien.
Was also läuft in Wirklichkeit? Es geht um den Lohn. Mit dem kann man was anfangen. Mehr interessiert kaum. Die Menschen sind derart reduziert, dass sie sich nicht mehr dafür interessieren, was sich außerhalb ihres Horizonts abspielt, wollen nichts wissen, wie das, was sie konsumieren, hergestellt wird, welche Leute über ihr Leben bestimmen, welche Alternativen es gibt. Die einzige Alternative ist: mehr haben, fressen, kaufen etc. Keine Ahnung von Ökologie, von Politik, von Ökonomie, von Geschichte. „Eindimensionalität“ hat das Marcuse genannt.
Das Bewusstsein von Ökologie wird allgemein überschätzt. Wie beschrieben, besteht die Schule schon im Technikerbereich in der Hinsicht aus kompletten Trotteln. Ist aber keine Ausnahme, sondern die Regel. In den Zeiten von Privatfernsehen ist die Dummheit zum Allgemeingut geworden, die Tageschau zum Versammlungsort der Bildungselite. Wäre interessant, wie viel Lehrer noch Tageschau anschauen oder Zeitung lesen. Es gibt im Fernsehen eine Fülle von guten Informationssendungen. Aber es ist wie bei den Pisaanalphabeten: ist erstmal ein bestimmter Bildungsschritt nicht gemacht worden, geht der Anschluss, die Bildungsfähigkeit insgesamt verloren.
Wie geht es weiter? Die Vertrottelung wird weitergehen, Leben in Scheinwelten.
Wird die große Krise kommen, ein Ende des Autos, der Fresserei? Die Schichten werden sich abdichten. Die Proleten, jetzt nur noch oral abhängige Fettwanste al la New Orleans, werden mit Apolitik geködert, auf der Basis der asiatischen Sklavenarbeiter. Oder sie werden fallen gelassen, sie verwahrlosen. Das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Partizipation wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Reichen etc. ziehen sich in ihre Konzertpaläste und Villen zurück, in ihre exklusiven Welten.

Wie wird die weitere Entwicklung des Kapitalismus aussehen?
Die Produktion und Distribution wird weiter intelligenter werden, die Tätigkeiten werden weiter differenziert werden. Der Schwerpunkt der Arbeit wird sich von der Produktion ins Marketing verlagern. Es wird eine weitere Entkörperlichung der Arbeit stattfinden, dadurch dass körperliche Arbeit an Maschinen, ausländische Sklaven abgegeben wird. (Auf der anderen Seite dann eine Renaissance des Körpers durch Sport, Styling, Outfit.) Genauso wie die Autonomie des Individuums durch seine Integration in kapitalistische Verwertungsprozesse voranschreitet, genauso wird es parallel dazu eine scheinbare Individualisierung und Differenzierung geben. Die spannende Frage ist, wodurch individuelle Differenzierung und gesellschaftlicher Verwertungszwang außer durch Geld zusammengehalten werden. Dies im produktiven Sektor.
Der in Bezug auf Mehrwert nicht produktive Sektor, also Staat, der seine Einnahmen aus den Steuern bezieht, ist notwendig um soziale Konflikte, bedingt durch das kapitalistische Monopol in der Existenzversorgung, auszugleichen und die Grundlagen der Produktion bereitzustellen. Formal zwar demokratisch, muss er aber die kurzfristigen und egoistischen Teilinteressen der Klassen und Schichten, zu Ungunsten der kapitalistischen Gesamtgesellschaft unterdrücken. Dieses Gesamtinteresse stellt sich als technokratisches Gefüge von Wirtschaftsstimulierung – neoliberal oder keynesianisch – und Sozialarbeitertechnologie dar.

Wo wird es diesem System Konflikte geben? Vermute zunächst:
- Konkurrenz der Arbeit führt zu Lohnsenkungen
- Ende der Ölreserven führt zu einer allgemeinen Verteuerung der Lebenskosten
- Stärkere Verteilungskämpfe auch bei der Umverteilung der Profite untereinander
- Bindung an die Gesellschaft geht und zerfällt über Wachstum und Produkte, läuft über internationale Ausbeutung und Rassismus
- Sozialismus wird nicht möglich sein, da individuelle und gruppengebundene Interessen allgemeine überstimmen; Kampf ist angesagt.
- Alternative ist Nichtkampf, Rückzug, vielleicht genossenschaftliche Lösungen